𝟐: 𝐒𝐀𝐘 𝐂𝐇𝐄𝐄𝐒𝐄
Bevor ich in den Flieger gestiegen bin hat mir Dad zum gefühlt fünfzigsten Mal das Versprechen abgenommen, Onkel Ollie nichts von unserem gemeinsame Tattoo zu erzählen.
Aly hat er nach dem zehnten Mal außen vor gelassen, weil er weiß, dass ich ihr ohnehin alles erzähle.
Ich schwor Dad also nicht zu sagen, verschränkte aber vorsorglich hinter meinem Rücken die Finger.
Denn seien wir mal ehrlich, es gibt die ein oder andere Gegebenheit, bei der ich nicht sicher sein kann, dass ich nicht nichts erzählen werde.
Wenn man Aly fragt ist eine dieser Gegebenheiten Wodka mit Orangensaft, wenn man Eddie fragt, von ihm verursachter Liebeskummer, der mich dazu gebracht hat Aly jedes schmutzige Geheimnis von mir zu erzählen, nur, damit sie sich besser fühlt.
Ich hoffe immer noch inständig, dass sie vergessen hat, dass ich ihr von meinem ersten Kuss erzählt habe, der alles andere als gut war und durch den ich gelernt habe Nougat Bits aus tiefster Innbrunst zu hassen.
Und genauso sehr hoffe ich, dass sie in Zukunft vielleicht nicht alles sofort an Eddie weiterträgt, nur weil sie ihn so abgöttisch verehrt.
Immerhin weiß ich, dass Eddie niemanden etwas davon erzählen kann. Er hat keine Freunde.
Und ich werde mich bis zu meinem Ende dagegen sträuben, eine Horde Kinder als Freunde zu bezeichnen.
Wenn ich daran denke wie Aly von Paladin Mike und Lispel-Dustin spricht ( so nennt sie ihn nickt wirklich, aber anders könnte ich mich nicht an ihn erinnern ), dann frage ich mich, ob Eddie einmal zu viel gegen die geöffnete Tür seines Vans gelaufen ist.
Oder er will austesten, ob der Beruf des Kindergärtners etwas für ihn wäre, sollte das mit seiner Rockstarkarriere nicht klappen.
Während ich also auf ein kitschiges Plakat warte, das in die Höhe gehalten wird und mit lauter Herzchen verziert ist oder auf Eddie's kreischende Stimme, die nach der Freak-Queen ruft, sehe ich auf das kleine Seepferdchen, das mein Handgelenk ziert.
Als ich Dad versichert habe eine Stelle zu wählen, die sich leicht verstecken lässt, habe ich technisch gesehen nicht gelogen.
Ich muss mein weinrotes Lederarmband nur um einen halben Zentimeter verschieben und das Tattoo ist nicht mehr zu sehen.
Mag sein, dass er nicht gerade das darunter versteht, aber eine meiner absonderlichen Fähigkeiten ist es eben, Aussagen so unscheinbar wie möglich zu treffen und nach meinem Belieben zu interpretieren.
Ich kann es immer noch nicht fassen, dass dasselbe Motiv seinen Knöchel ziert.
Mein Dad ist...der mit Abstand beste Mann auf diesem Planeten.
»Maya!«
Okay, kein Freak-Queen, kein Plakat.
Nur eine bis über beide Ohren strahlende Aly, die mit Eddie an der Hand auf mich zuspaziert kommt.
Ich hebe argwöhnisch eine Augenbraue und deute auf ihre miteinander verschränkten Finger.
»Ihr seid ja immer noch zusammen«
»Willst du damit sagen du wunderst dich, dass das zwischen uns seit unglaublichen vier Wochen hält?«, stellt Aly in Frage.
Das tue ich nicht wirklich, wenn zwei Herzen füreinander bestimmt sind, dann ihre beiden.
Aber man kann sie viel zu leicht ärgern.
Ich liebe es, wie rot sie dann immer wird.
Ein Karmesinrot auf ihrer schönen dunklen Haut.
Auf ihre Frage hin zucke ich grinsend mit den Schultern und schnipse ihr gegen die Stirn.
Da ist sie wieder. Rotbäckchen.
Und sie sieht so niedlich aus.
»Wenn man bedenkt, dass ihr zehn Jahre gebraucht habt, um es einzusehen...schon. Ja, doch. Und wenn man nicht außer Acht lässt wie höchst dramatisch der Weg bis zu-«
Immerwährend grinsend zerschlage ich ihr Händchenhalten mit meiner flachen Hand und bin mir ziemlich sicher, dass ich Bruce Lee dabei keine große Ehre mache.
»-dem hier«, beende ich und drehe die beiden von mir weg, damit ich jedem jeweils einen Arm um die Schultern legen kann.
Was sich bei Eddie etwas schwierig gestaltet, weil ich vergessen habe wie riesig er ist. Oder wie klein ich es bin.
»Hast du...«
Eddie wackelt mit den Augenbrauen und beugt sich verschwörerisch zu mir herunter.
Ich zwinge ihn zischend dazu den Mund zu halten und suche mitsamt den beiden Turteltauben schnell das Weite.
Die Blicke des Securitypersonals sind misstrauisch und kleben an mir wie unerwünschter Schweiß.
Liegt es an Eddie und meinem Auftreten? Weil wir fiese, satanistische Teufelskinder sind?
Weil unsere schwarzen Klamotten, die vielen Patches und die Nieten quasi der Inbegriff unserer Mordlust sind?
Gott, diese stocksteife Gesellschaft hat noch so viel zu lernen.
Sie sind nicht bereit für Leute wie uns.
»Also hast du...?«
Eddie schon wieder.
Er schwenkt seine Finger vor mir auf und ab als würde er irgendetwas beschwören wollen.
Ich verdrehe grinsend die Augen, winde mich aus der halben Umarmung und klopfe auf meinen prall gefüllten Rucksack.
»Deine Ware ich da habe, junger Padawan. In Geduld du dich üben musst noch sehr«
Jetzt ist es Aly die mit den Augen rollt, sich meinem Rucksack nähert und die Nase rümpft.
»Deshalb-«, lache ich und sehe prüfend hinter mich, ob einer der Mitinsassen meines Fluges in Hörweite ist.
»- habe ich gesagt er soll den Mund halten. Ich wollte nicht, dass jemand erfährt, dass ich für die Stinkbombe verantwortlich bin«
Während Aly weiterhin einen angewiderten Gesichtsausdruck aufgesetzt hat, ist es Eddie, der freudig wie ein Kind auf der Stelle herumspringt.
»Du...du willst ihn doch nicht jetzt haben, oder?«
Eddie nimmt sich nicht einmal eine Sekunde, um still stehen zu bleiben, sondern hüpft weiter wie ein Flummi.
»Doch, doch, doch«, quengelt er und ich ergebe mich.
In einer ruppigen Bewegungen öffne ich meinen zerschlissenen Rucksack, dessen Reißverschluss an seidenen Faden hängt und reiche ihm den in Wachspapier gewickelten Käselaib.
»MacRae's Highlandzauber. Direkt aus einem Rucksack, der einen halben Tag zwischen meinen Füßen auf dem Boden eines Flugzeugs gesteckt hat.
Ansonsten ist er wirklich frisch.«, erkläre ich ihm grinsend.
Eddie hält jubelnd den Laib über seinen Kopf als würde er ihn präsentieren wollen und verneigt sich dann überraschend tief.
So gelenkig habe ich ihn gar nicht eingeschätzt.
»Danke Lady Freak-Queen«
»Stets zu Ihren Diensten, Master Munson«
»Oh Gott«, stöhnt Aly kichernd. »Wie soll ich das nur aushalten?«
»Du meinst wie soll das Nancy aushalten?«, gebe ich amüsiert zurück.
Meine Augen funkeln angriffslustig, während Aly die Hände vors Gesicht schlägt.
»Ich glaube manchmal immer noch, dass sie oder Mrs Wheeler es ganz gewaltig bereuen, dass sie angeboten haben, mich aufzunehmen«
»Ziemlich sicher sogar. Hast du was von deinen Eltern gehört?«, frage ich kleinlaut.
Ich weiß, dass Aly es hasst über die beiden zu sprechen, weil sie ihre Mom und ihren Dad so sehr vermisst, dass sich ihr Wesen gänzlich verändert, wenn man die zwei auch nur erwähnt.
»Nein«, seufzt sie leise.
»Der letzte Stand ist, dass Opa's Medikamente zwar helfen, aber nur bedingt«
Ich nicke verständnisvoll und überlege angestrengt wie ich das Thema wechseln könnte.
Aber auch ich vermisse die beiden und im Nachhinein betrachtet weiß ich gar nicht so genau, wie Dad auf die Idee kommen konnte, ich würde Onkel Ollie von unserem Tattoo erzählen.
Seitdem er und Rana anstatt nach Schottland, zurück nach Indien sind, um Rana's schwer erkrankten Vater zu unterstützen, hört Aly nur sporadisch von ihnen.
Und das heißt ich werde noch viel weniger das Glück haben, mit ihnen sprechen zu können.
»Wheeler ist seltsam korrekt, auch, wenn sie mich die Hälfte der Zeit anstatt als würde ich irgendwas total Komplexes erzählen, dabei rede ich nur von neuen Dio Album«
»Was wiederum genau genommen schon komplex ist. Hast du den dritten Track gehört, der ist ei-«
»Ich schwöre euch, dass ihr die ganze Fahrt zurück meine Ohren mit eurer Musik malträtieren könnt, nur lasst uns los. Ich will es unbedingt in den Film schaffen und ja, damit meine ich, dass ich unbedingt die Werbung sehen will«, quengelt Aly und zerrt uns beide in Richtung des Vans.
Ich will ganz unbedingt zu spät kommen, damit ich diesen Film nicht sehen muss.
Nochmal: Ich kann Hello Kitty süß finden und mich trotzdem allein bei dem Gedanken an Horrorfilme verstecken wollen.
Das schließt sich nicht aus, es rettet mich allerdings auch nicht davor mit den beiden in die Starcourt Mall zu müssen.
Ich seufze. An die hundert Mal.
Aber das bringt auch nichts.
Aly schiebt mich immer weiter voran zu Eddie's Wagen und Eddie schnuppert wie ein Irrer an seinem Käselaib.
»Ich brauche kein Popcorn«, erklärt er und legt seine Wange an die Rinde des Käsestücks.
Diesmal seufze ich nicht, ich stöhne.
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