.8. Fahrradwunder .8.
Namjoon blinzelte unsicher. Er wusste nicht ganz, was er mit der Reaktion seines Freundes anzufangen hatte. Seine Eltern beobachteten das Ganze schweigend.
"Nun, ich dachte ... Du hast ja nie darüber gesprochen, also - nicht?" Er war ziemlich irritiert.
Jin schien ebenfalls nicht ganz selbstbewusst in seiner Überzeugung zu sein, wie auch immer die ausgesehen haben mag. Es entstand ein peinlicher Moment der Stille, in der Namjoons Gedanken Karussell fuhren.
Hatte Jin vielleicht doch keinen Unfall gehabt? War er mit dieser geistigen Verwirrtheit geboren worden? Doch dann wäre er nie für eine Ausbildung zum Astronauten zugelassen worden - oder? Namjoon blinzelte, rang die Hände, als könnte er mit ihnen die Antwort formen, nach der er so angestrengt suchte.
In dem Moment öffnete sich die Wohnungstür und Kyung-min betrat das Apartment. Sie stockte, als sie die seltsame Stimmung bemerkte, die wie ein riesiger, peinlich berührter Elefant im Raum stand.
"Alles ... in Ordnung?", fragte sie vorsichtig in die unangenehme Stille hinein.
"In bester Ordnung", ergriff Jin überraschend das Wort. Ein wenig steif wandte er sich an Namjoons Schwester, die sich dem Sofa näherte, um sich argwöhnisch neben ihre Eltern zu setzen.
"Wir besprachen gerade ein Kapitel meines Lebens, über das ich nicht gerne rede."
Als sie fragend eine Augenbraue hob, fügte er hinzu: "Ein überaus tragischer, nun ja, Unfall. Berufsunfall."
Ein wenig verspätet machte er eine bedauernde Handbewegung, als wäre sie ihm soeben erst eingefallen. Was vermutlich auch so war, Namjoon musste sich im Angesicht des ernsten Gesprächs ein Schmunzeln unterdrücken, das ihm an den Mundwinkeln zupfte, als er diese unbeholfene Geste erblickt hatte. Auf der Fahrt nach Ilsan-gu hatte Jin verschiedene Emotionen wie Vokabeln vor sich hingemurmelt, die dazu gehörigen Gestiken der Körpersprache auswendiggelernt und sich konzentriert auf ein emotionales Gespräch vorbereitet. Er hatte sich wirklich bemüht, auf seine Weise einen guten ersten Eindruck bei Namjoons Eltern zu hinterlassen.
Der mühsam auswendiggelernten Handbewegung wurde jedoch kaum Beachtung geschenkt, stattdessen horchte ein jeder bei Jins Zugeständnis auf.
"Also hatte unser Sohn recht, Jin?", wagte es sein Vater zu fragen.
Jin öffnete schon den Mund, um ein bestätigendes Ja von sich zu geben, entschied sich jedoch im letzten Moment anders und nickte nachdrücklich.
Namjoon musste sich auf die Lippe beißen und fortschauen, um sich das Amüsement nicht anmerken zu lassen. Und tatsächlich war es aktuell alles andere als amüsant, schließlich hatte er, Namjoon, seinen neu gewonnenen Freund in die unangenehme Lage gebracht, ein vermutlich sehr traumatisch wirkendes Thema in seinem Leben anzusprechen.
Er bekam ein schlechtes Gewissen, am liebsten hätte er sich direkt bei Jin entschuldigt.
Doch dieser meisterte ein fortschreitendes Gespräch sehr elegant, indem er ausweichende, aber zufriedenstellende, Antworten gab und schließlich das Thema auf Kyung-min und ihre Tochter lenkte. Er fragte nach ihrem Berufswunsch und tat Namjoons Schwester, so wie sich selbst, damit einen großen Gefallen, da sie unheimlich gerne über ihren kleinen Schatz redete und er sich geschickt aus der allgemeinen Aufmerksamkeit hinausmanövriert hatte.
Der Abend war bald gefüllt mit lustigen Geschichten von Ae-Cha, die Kyung-min zu erzählen wusste, und Jin stieg im Ansehen der Familie erheblich, indem er aufmerksame und ehrlich interessierte Fragen über die Kleine stellte. Jeder liebte das junge Mädchen und ein jemand, der sich wohlwollend ihr gegenüber zeigte, konnte in den Augen von Kyung-min und ihren Eltern nur ein guter Mensch sein.
Namjoon genoss es, den Abend mit seiner Familie und seinem neuen, ein wenig schrägen, Freund zu verbringen. Es entstand bald eine wohlige, offene Atmosphäre und sie unterhielten sich angeregt über alles Mögliche. Zwar schwieg Jin meist bloß, war aber der geeignetste Zuhörer, den man sich nur wünschen würde. Nie ließ seine Aufmerksamkeit nach, er schien alles faszinierend zu finden, was man erzählte und stellte wertvolle Fragen, die einen ermutigten, noch mehr zu erzählen.
Auch am nächsten Morgen blieb die entspannte Stimmung zwischen der Familie und dem Neuling, der unbestreitbar sonderlich war, und doch schien es, als würde sich das gute Verhältnis nur noch verfestigen.
Am Nachmittag zog es die Familie nach draußen, auf die Grünfläche neben dem Haus, und Ae-Cha wollte das Fahrrad ausprobieren, welches sie von ihren Großeltern als Überraschungsgeschenk erhalten hatte.
Dass sie nicht Fahrradfahren konnte, störte sie dabei offensichtlich nicht im Geringsten, selbst als sie zum zwanzigsten Mal mit dem Drahtesel umgefallen war, war ihre Entschlossenheit kein Stück geringer, sodass sie sich das einundzwanzigste Mal in den pinken Fahrradsattel setzte.
Jin beobachtete sie schweigend. Dann stand er von der Picknickdecke auf, auf die sich die Erwachsenen zum Plausch gesetzt hatten, und lief zu dem kleinen Mädchen hinüber. Kyung-min sah auf.
"Glaub mir, Jin, das ist verschwendete Liebesmüh, ihr das Fahrradfahren beizubringen. Sie wird keine Hilfe annehmen", rief sie aus eigener Erfahrung; anfangs hatte sie ihrer Tochter beim Fahren helfen wollen, doch diese hatte ihre Mutter hartnäckig abgeschüttelt und war stolz ein paar Meter weiter mit dem Fahrrad umgefallen.
Doch Jin reagierte nicht und zu Kyung-mins Überraschung verwehrte Ae-cha es ihm nicht, sie an den Schultern behutsam festzuhalten, während sie erneut unbeholfen losradelte. Er gab ihr Tipps, die der Wind nicht bis zu den Erwachsenen auf der Picknickdecke trug. Schweigend beobachteten sie, wie Ae-cha langsam und bedächtig einige Meter schaffte, Jin an ihrer Seite, die eine Hand noch immer auf ihrer Schulter, die andere auf ihrem Rücken, um mehr Halt zu geben.
Die Kleine krähte vor Begeisterung, als sie es tatsächlich schaffte, langsam wie eine Schnecke weiterzukommen, als in den hastigen, unruhigen Versuchen davor. Dann rutschte ihr Turnschuh vom Pedal und Jin reagierte etwas verspätet, sodass sie fast gefallen wäre.
Doch Ae-cha hatte der kleine Vorfall nicht gestört, sie richtete sich wieder auf und rief Jin etwas zu, der daraufhin nickte und wieder loslief. Vorsichtiger dieses Mal, aufmerksamer, so schien es Namjoon. Das junge Mädchen hatte ihren Blick konzentriert auf den Lenker vor sich gerichtet, versuchte, ihn fest zu halten, damit ihre Bahn nicht so unregelmäßig vor sich hin schlenkerte, wie zuvor.
Und mit einem warmen Gefühl im Bauch beobachtete Namjoon schließlich, wie Ae-cha vor Freude jauchzend eine Runde nach der anderen drehte. Jin an ihrer Seite, konzentriert und darauf bedacht, ihr Halt zu geben.
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- 1000 Wörter
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