
𝟏𝟓.+𝟏𝟔. 𝐉𝐚𝐧𝐮𝐚𝐫 𝟐𝟎𝟏𝟒: 𝐖𝐨𝐥𝐤𝐞𝐧
Sie blieben eine Nacht in London und streunten in der City umher. Victoire wollte unbedingt mit dem London Eye fahren, aber sie hatten kein Mugglegeld dabei, weshalb sich das als schwierig gestaltete.
Doch der Hyde Park war ein schöner Ort für einen Spaziergang und die St. Dunstan's Church einen Besuch wert ...
Gegen frühen Abend liefen Teddy und Victoire wie durch Zufall in der Nähe des Zaubereiministeriums entlang. Und dort stießen sie beinahe mit Arthur und Percy zusammen, die sich auf den Weg zum Eingang machten.
»Achtung!«, hatte Victoire gezischt und Teddy plötzlich hinter eine Hauswand gezogen.
»Was denn?«, hatte er gefragt und neugierig um die Ecke gelugt. Doch Victoire hatte ihn am Kragen wieder zu sich geholt.
»Arthur und Percy«, flüsterte sie und starrte ihn eindringlich an. Natürlich wäre es fatal gewesen, hätten die beiden sie gesehen: Georges sorgfältig ausgearbeiteter Plan wäre vernichtet worden ...
Von da an mieden sie die Umgebung des Zaubereiministeriums, trauten sich jedoch zum Leaky Cauldron, um ein Zimmer für die Nacht zu mieten.
Bereitwillig gab der alte Wirt Tom ihnen ein schönes Zimmer mit Blick auf Diagon Alley, nachdem Teddy zum zweiten Mal eine erwachsene Gestalt angenommen hatte. Und Tom fragte auch nicht weiter bezüglich Victoires Abwesenheit von der Schule nach.
Teddy schlief besser als in der Nacht im Wald, aber auch nicht sonderlich gut; auf der einen Seite empfand er Aufregung über den letzten Brief, über den letzten Ort. Doch auf der anderen Seite plagten ihn auch Angst und Zweifel, wie sie wieder ungeschadet nach Hogwarts gelangen sollten.
Wirklich, ohne dass auch nur jemand irgendetwas merkte.
Und dazu kam ein seltsames Gefühl in den hintersten Winkeln von Teddys Herzen: Er fragte sich, ob der nächste Brief das Letzte sein würde, was er jemals von seinen Eltern hören würde.
Das Allerletzte für immer.
Teddy erwachte früh am Morgen und kroch aus dem Bett. Seine Handyuhr zeigte sechs Uhr siebzehn an.
Schnell sprang er unter eine lauwarme Dusche und zog sich saubere Sachen an, die er noch in dem Rucksack hatte; Jeans und ein warmer, grüner Weasley-Strickpullover mit einem T vorne. Seine Schuhe wiederum, rostrote Converse, säuberte Teddy mit einem Scouring Charm und nahm sich auch Victoires Vans vor.
Anschließend machte er sich daran, den Rucksack zu sortieren; sie hatten noch die beiden Besen, Knäckebrot, Müsli und Gurke in einer Dose, Wasserflaschen, Victoires Ersatzkleidung, ihre Zauberstäbe, Winterjacken, Handtücher, das Zelt, Waschartikel, Teddys Handy, das Radio, ein Feuerzeug und ihre Portemonnaies. Genug Proviant, um noch mindestens einen Tag auf Reisen zu sein.
Victoire streckte sich in ihrem Bett und setzte sich mit zusammengekniffenen Augen auf, die Haare in alle Richtungen abstehend. »Morgen«, murmelte sie.
✶
Eine halbe Stunde später hatten Teddy und Victoire (Teddy wieder in erwachsener Gestalt) gefrühstückt, ihre Sachen zusammengepackt und Tom schließlich die Rechnung bezahlt.
Danach verließen sie den Leaky Cauldron und liefen die Mugglestraße hoch. London war belebt wie an jedem Mittwochmorgen und niemand bemerkte die beiden Teenager, die unauffällig in einen Hinterhof verschwanden, Besen aus einem kleinen Rucksack nahmen und in die wolkenverhangenen Lüfte des regnerischen Morgens emporstiegen.
»Bist du sicher, dass uns niemand gesehen hat?«, fragte Victoire, dicht an Teddys Seite, als sie in den undurchsichtigen Schwaden einer Wolke verschwunden waren.
»Ganz sicher«, meinte Teddy, doch es klang wohl nicht sehr überzeugt, denn er erntete einen ungläubigen Blick von Victoire.
Google Maps und die Straßen wiesen ihnen erneut den Weg; bald hatten sie London hinter sich gelassen und flogen in Richtung Norden nach Sandridge.
Der Regen peitschte Teddy von allen Seiten ins Gesicht und bald war er so triefend nass, dass er Sorge hatte, der Besen würde seinen vollgesogenen Klamotten nicht mehr standhalten. Doch zwei Stunden später waren sie angekommen und wurden mit dem Blick auf ein kleines, beschauliches Dorf mitten in der hügeligen Landschaft belohnt.
»Hübsch«, kommentierte Victoire und Teddy nickte zustimmend, leicht nachdenklich.
Hier, in dieser Umgebung, hatte er also die ersten zwölf Tage seines Lebens gewohnt, bei seinen Eltern ...
Die Häuser wurden immer größer, als Victoire und Teddy sich im kreisenden Sinkflug der Erde näherten.
Auch hier handelte es sich eindeutig um ein Zaubererdorf, das für Muggleaugen wahrscheinlich unsichtbar war: Vereinzelt flogen Eulen mit Briefen umher, in den Gärten waren Gnomlöcher zu erkennen, es gab kaum Autos und aus der kleinen Kapelle stiegen goldfarbene, schwebende Lampen auf, ähnlich den Kerzen in der Great Hall in Hogwarts.
Plötzlich waren sie am Boden; möglichst unauffällig landeten Victoire und Teddy in einer kleinen Gasse und verstauten die Besen wieder sorgfältig im Rucksack. Dann machten sie sich auf den Weg.
Das Dorf war auch nicht aus der Vogelperspektive betrachtet beschaulich klein; insgesamt gab es vier Straßen, die von einem Straßenschild auf dem Dorfplatz gekennzeichnet in alle Himmelsrichtungen wiesen. Die Hargill Lane befand sich im Osten, in Richtung Sonnenaufgang.
Mit klopfendem Herzen las Teddy den Straßennamen und stellte sich vor, wie seine Eltern ihn an einem verschneiten Morgen wie diesen an der Hand über den Marktplatz führten, er gerade einmal ein paar Jahre alt ... Plötzlich konnte er sich lebhaft vor Augen führen, wie Tonks den Zauberstab aus der Tasche holte und kleine Weihnachtssterne durch die Luft flattern ließ. Stürmisch vor Begeisterung stolperte sein kleineres Ich durch die Schneedecke und reckte die kleinen Arme in die Luft, um die Sterne aufzufangen.
Remus kam von hinten heran, ging in die Hocke und setzte ihn auf seine Schultern, den Zauberstab locker in der Hosentasche steckend. Er brauchte sich nicht zu fürchten, seinen Sohn verteidigen zu müssen ... Tonks lachte und reichte ihrem Mann und Teddy jeweils einen Spekulatius, er schmeckte die weihnachtliche Würze auf seiner Zunge und hörte in der ferne die Glocken der Kirche erklingen ...
Doch als Teddy in die Realität zurückkehrte, waren die Kirchenglocken stumm.
Victoire nahm ihn bei der Hand und gemeinsam liefen sie gen Osten, die Hargill Lane hinauf.
Mit jedem Schritt sah Teddy seine Eltern deutlicher vor sich, er hatte sie nie wirklich gesehen, aber seine Vorstellung von ihnen war so viel lebhafter als all die Jahre zuvor ...
Gemeinsam mit Victoire erreichte er die Hausnummer eins. Dort befand sich ein altes Steingebäude, die verwitterte Mauer des Gartens war von Moos bewachsen und die grauen Hauswände waren zerkratzt und uneben. Auch die Häuser auf der anderen Straßenseite wirkten alt und beinahe verlassen, wären da nicht die frischen Blumenbeete und blitzsauberen Fenstergläser gewesen, die die meisten Grundstücke säumten.
Zögernd machte Teddy ein paar Schritte vor, immer noch Victoires Hand haltend. Sie folgte ihm wie ein Schutz gebender Schatten. Ob Schutz vor seinen Gefühlen oder vor anderen, das wusste Teddy noch nicht.
Langsam hob er den Kopf, den er während des Gehens unten gehalten hatte, um das Pflaster des Bürgersteigs zu mustern.
Dann sah er zum ersten Mal das Haus, in dem er zwölf Tage gewohnt hatte.
Es war ein kleiner, weißer Holzbau, mit einer hübschen Holzveranda und einem kleinen Garten. Ein niedriger Gartenzaun umgab das Grundstück und Buchsbäume waren überall an der Hauswand verteilt.
Teddy wusste nicht, ob es während der Bewohnung seiner Eltern genauso ausgesehen hatte. Auch wusste er nicht, wer jetzt drin wohnte.
Andromeda hatte ihm einmal erzählt, dass seine Eltern nach ihrer Hochzeit in ein Haus gezogen waren. Sie hatte erzählt, sie hätte es verkauft - zum einen, weil damit viele schmerzliche Erinnerungen an ihre Kinder verbunden waren, zum anderen, weil sie gemeint hatte, es gehöre Tonks und Remus und nicht ihr.
Nie hatte Teddy es besuchen wollen, auch wenn Andromeda es ihm mehrfach angeboten hatte.
Nun stand einfach dieses Haus hier, dieses Haus, mit dem Teddy seine Heimat hätte verbinden können, wäre alles anders gekommen. Doch er verspürte nichts als gähnende Leere.
»Wollen wir klingeln?«, fragte Victoire plötzlich leise.
Teddy sah sie an und nickte behutsam. »Ja«, flüsterte er.
Sie gingen auf das Haus zu.
»Teddy?«, fragte Victoire.
»Ja?«
»Soll ich mitkommen oder magst du allein gehen?« Victoires sah ihm direkt in die Augen, mit einem traurigen Lächeln.
Teddy zögerte. Wenn er ehrlich sein sollte, er wusste es nicht. Sie hatten so viel gemeinsam erlebt in den letzten Tagen, und eigentlich auch schon ihr ganzes Leben lang ... Aber das hier war der vielleicht letzte Brief, das Letzte, was er hatte ...
War es egoistisch, wenn er diesen Moment allein mit seinen Eltern teilen wollte?
Doch Victoire schien seine Gedanken gelesen zu haben. »Ich warte hier auf dich«, sagte sie und blieb am Gartentor stehen.
Dankbar lächelte Teddy sie an und löste langsam seine schweißnasse Hand von der seiner Freundin.
Mit zitternden Knien betrat er den Garten und mit jedem Schritt, mit dem Teddy dem Haus näher kam, sank sein Mut.
Würden ihn die Bewohner abweisen oder herzlich in Empfang nehmen? Wo sollte er überhaupt nach dem letzten Brief suchen? Der Ort, der in einem Haus immer gleich bleibt. Hoch hinaus und ganz unten, hatte es in Tonks' Brief geheißen.
Mittlerweile hatte Teddy die Veranda erreicht und stieg nun die erste Treppenstufe hoch. Doch bevor er auf dem oberen Absatz der Treppe stand, wurde die Tür aufgerissen und im Rahmen erschien ein kleines Mädchen von höchstens acht Jahren. Sie war im Pyjama und hinter ihren dunkelbraunen, zerzausten Locken sah Teddy die Neugier in den grünen Augen.
»Wer bist du?«, fragte es.
Teddy zögerte. Wie viel sollte er ihr sagen? »Mein Name ist Teddy. Und wer bist du?«, fragte er also einfach geradeheraus.
Wie aus dem Nichts zog die Kleine einen Teddybären hinter ihrem Rücken hervor. »Er heißt auch Teddy!« Sie strahlte, dann schien ihr die Frage ihres Gegenübers wieder einzufallen.
»Lea«, sagte sie und streckte eine kleine Hand aus.
Entzückt schüttelte Teddy Leas Hand und warf kurz einen Blick über die Schulter.
Victoire am Gartenzaun winkte und grinste. Erst jetzt schien sie Lea aufzufallen. »Wer ist das?«, fragte sie. Dann, nach einer kurzen Pause sagte sie: »Ist sie deine Freundin?«
Teddy spürte augenblicklich, wie er errötete und schwieg. Doch Lea ließ sich nicht beirren. »Weißt du, nicht weil ihr Mädchen und Junge seid«, sagte sie. »Sondern weil ihr sehr gut zusammenpasst, so vom ersten Eindruck her.« Erneut schwieg sie kurz, dann merkte sie an: »Ihr seht traurig aus.«
Mit jeder Sekunde, die er hier stand, mochte Teddy Lea mehr. Nicht auf ihre letzte Frage eingehend, sagte er: »Ich hab hier früher gewohnt, weißt du. Aber meine Eltern sind gestorben und ich wollte mein Zuhause noch ein letztes Mal aufsuchen.« Er blickte durch die offen stehende Haustür in einen kleinen Flur, konnte aber nichts weiter erkennen. »Sind deine Eltern hier?«
»Ja«, antwortete Lea eifrig. »Mein einer Dad ist arbeiten, aber der andere ist da.«
Dann drehte sie sich um und führte Teddy ins Haus. Er wandte sich noch einmal kurz zu Victoire; sie lächelte und gab einen Daumen nach oben.
Schließlich folgte er dem Mädchen namens Lea ins Haus. Es war gemütlich eingerichtet, nicht zu spärlich, aber auch nicht zu vollgestopft. Einige sich bewegende Bilder hingen an der Wand, eine lächelnde, noch kleinere Version von Lea, immer zusammen mit einem von zwei jungen Männern, wahrscheinlich ihren Dads.
»Dad!«, ertönte Leas Stimme von vor ihm durch das ganze Haus. Was ein kräftiges Organ in dem kleinen Mädchen steckte ...
Zehn Sekunden später kam ein Mann die Treppe herunter und als er Teddy erblickte, verhärtete sich seine Miene. Schützend stellte er sich neben seine Tochter. »Was soll ...?«
Doch Lea unterbrach ihn; mit einem verschmitzten Grinsen sah sie zu ihrem Vater auf und berichtete: »Dad, das ist Teddy. Teddy, das ist Rian, mein Dad. Teddy hat hier früher mit seinen Eltern gewohnt, aber die sind gestorben. Jetzt will er unser Haus«, sie betonte die letzten beiden Wörter stolz, »noch einmal sehen.«
Rian schien immer noch misstrauisch. Teddy bemerkte, dass seine Hand in seine Hosentasche geglitten war; wahrscheinlich verbarg sich darin sein Zauberstab. »Ist das wahr?«, fragte er.
Teddy holte einmal tief Luft, dann sagte er, um einen höflichen Tonfall bemüht: »Ich entschuldige mich sehr dafür, einfach in ihr Haus gekommen zu sein, Sir. Nachdem mich Ihre Tochter empfangen hat, habe ich ihr genau das erzählt, was sie Ihnen gerade schon berichtet hat.« Erneut kam die Traurigkeit und Sehnsucht hoch. Mit leicht zitternder Stimme fuhr er fort: »Es tut mir leid, ich hätte nicht ungebeten hier hereinkommen dürfen. Ich habe meine Eltern nie kennenlernen dürfen. Aber ich komme von weit her, um mir dieses Haus noch einmal anzusehen. Weil meine Eltern mich hierhin gebeten haben.«
»Aber ich dachte ... sie wären ... nun, gestorben«, sagte Rian, jetzt deutlich freundlicher und zugleich verwirrt.
»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte Teddy unbeholfen und fuhr sich durch das blaue Haar. Auf jeden Fall war er froh, dass Rian ihn noch nicht aus dem Haus geworfen hatte.
»Aber wir mögen Geschichten, nicht wahr, Lea?«, sagte Rian. Er schien das Misstrauen jetzt vollends abgelegt zu haben, lächelte sogar mit offener Erwartungshaltung.
Schnell geleitete er Teddy und seine Tochter zum Küchentisch und machte sich daran, Tee zu kochen. Währenddessen erzählte Teddy ihnen die gesamte Geschichte in Kurzfassung, von der Vorgeschichte seiner Eltern bis hin zu der Reise nach Sandridge.
Rian und Lea waren aufmerksame Zuhörer und gaben keinen Laut von sich, bis Teddy geendet hatte.
»Remus Lupin?«, fragte Rian schließlich überrascht. »Nymphadora Tonks?« Seine Miene hatte sich mittlerweile zu Wärme gewandelt. »Wir fühlen uns geehrt von deinem Besuch, Teddy Lupin.«
Teddy errötete. Er wusste, dass alle, die damals im Battle Of Hogwarts gekämpft hatten, sehr bekannt waren, aber er hatte damit überhaupt nie etwas zu tun gehabt! Was an ihm war ehrenwert?
»Nun, du kannst dich gerne umschauen«, meinte Rian und schlürfte den letzten Rest seines Tees aus. »Lea muss sowieso noch ihr Zimmer aufräumen.«
»Stimmt gar nicht! Das hier ist viel spannender!«, maulte Lea und strahlte Teddy an. »Teddy kann dir beim Suchen helfen, schau.« Sie reichte ihm den Teddybären, den sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte.
Gerührt nahm Teddy das Stofftier entgegen und betrachtete seinen Namensvetter. Er war sichtlich abgeknuddelt und das eine Ohr hatte einen Riss, aber er schien ein Leben lang geliebt. Teddy sah auf. »Das Rätsel lautet folgendermaßen: Der Ort, der in einem Haus immer gleich bleibt. Hoch hinaus und ganz unten.«
Lea schien die Worte genüsslich in sich aufzusaugen und sah sich dann in der Küche um. Es gab nichts, was Teddy Besonderes aufgefallen wäre, was in jedem Haus ›gleich‹ blieb.
Doch nur zwei Minuten später, in denen Lea kreuz und quer durch die Wohnung gerast und Rian ihr grinsend hinterhergerannt war, während Teddy ebenfalls mit hochgezogenen Mundwinkeln in jede Ecke gelugt hatte, schrie Lea plötzlich: »Natürlich! Der Kamin!«
Abrupt hielt Teddy inne und ließ von dem Bücherregal ab, das er gerade studiert hatte.
»Der Kamin bleibt doch wohl fast immer im Haus! Und er ragt gaaanz hoch in die Luft!« Lea streckte die Hand in die Höhe. »Aber das, was du suchst, ist ganz unten, da, wo sonst immer das Feuer brennt.«
Verdutzt starrte Teddy das Mädchen an. Das ergab mehr als ziemlich viel Sinn. »Du wärst eine verdammt gute Ravenclaw, aber dein Charakter würde auch in Gryffindor hineinpassen«, sagte er mit einem Lächeln.
Rian grinste und hob seine Tochter hoch, die kichernd jauchzte. »In drei Jahren kannst du auch schon nach Hogwarts«, meinte Rian. Also hatte Teddy gar nicht schlecht geschätzt - Lea musste sieben oder acht sein.
Plötzlich fiel Teddy wieder ein, warum er hier war. Geschwind eilte er zum Kamin neben der Küche und ging in die Knie. Bis auf eine dicke Staubschicht war er leer. Lea schob sich hinter ihm durch und kroch beinahe vollständig in den Kamin hinein. Drei Sekunden später ertönte ihre Stimme: »Da ist ein Schlüsselloch!« Ihr Kopf schoss wieder zurück und Rian zog sie aus dem Schlot. »Nana, nun komm aber mal her!«, sagte er.
Mit wildem Herzklopfen suchte Teddy den Kamin ab und fand tatsächlich ein winziges Schlüsselloch, umrahmt von blassen Konturen, die ein Rechteck formten. Ein kleines Fach!
Mit zitternden Fingern holte Teddy seinen Zauberstab hervor und richtete ihn auf das Schlüsselloch. »Alohomora!«, flüsterte er, und das Schloss sprang auf.
In dem Fach war nicht etwa ein Brief.
Was Teddy vorsichtig aus der Einbuchtung herausnahm, war eine dünne Glasphiole; in ihr schienen undurchsichtige Wolken zu schweben.
»Erinnerungen«, flüsterte Rian. Es klang beinahe andächtig.
Jetzt, wo Rian es sagte, dämmerte auch Teddy, was sich in dem Fläschchen befand. Erinnerungen seiner Eltern. Also brauchte er ein Pensieve, um sie zu sehen. Das Pensieve in Hogwarts im Büro von McGonagall!
Aufregung kribbelte urplötzlich in Teddys ganzem Körper. Er würde seine Eltern sehen, denn sie hatten ihm Erinnerungen hinterlassen, Fetzen eines alten Lebens, das weit zurücklag ... Er durfte sie sehen, berühren ...
Es sind nur Erinnerungen, ermahnte Teddy sich selbst, doch mitnichten verminderte das seine Emotionen. Er könnte ihnen begegnen, nur einmal, und das hier war echt, genau wie die Briefe. Nur war es kein Brief, es war noch viel schöner! Und trauriger ...
In diesem Moment hielt Teddy das in der Hand, was er nie mit seinen Eltern hatte teilen können: Erinnerungen, nicht direkt seine, aber er könnte Remus und Tonks sehen, zum ersten Mal in seinem Leben!
In diesem Moment zerbarst Teddys Herz an der Fülle der Emotionen: Trauer über den Verlust seiner Eltern, Wut darüber, dass das hier mit den Briefen alles war, was er von ihnen hatte, Angst vor dem, was er sehen würde, doch auch Freude, Glück, Hoffnung!
Er würde sie sehen können ...
Allmählich wurde Teddy wieder bewusst, wo er sich gerade befand: in einem wildfremden Haus, in das er eingedrungen war und dessen Küche er anschließend durchwühlt hatte.
Leicht überfordert mit der Situation kletterte er aus dem Kaminschlot, die Glasphiole fest mit der einen Hand umschlossen, in der anderen seinen Zauberstab. Teddy drehte sich um und sah in die Gesichter von Rian und Lea. »Es tut mir leid«, sagte er aufrichtig. »Ich bin für Sie wohl irgendein fremder Junge, der soeben eine Kristallflasche aus ihrem Kamin entwendet hat. Ich behaupte, der Sohn von berühmten Zauberern des Zweiten Zaubererkriegs zu sein und habe keinerlei Beweise.« Er holte tief Luft, nicht ganz sicher, ob er mit diesen kläglichen Worten die Gastfreundschaft und das Vertrauen seiner Gegenüber wieder gut machen könnte. »Aber ich will Ihnen sagen: Ich habe die Wahrheit erzählt und werde Sie nun nicht weiter belästigen.«
Rians Reaktion überraschte Teddy. Mit einem beinahe schon belustigten Lächeln, immer noch eine grinsende Lea auf dem Arm, sagte er: »Schon okay, junger Mann. Schick uns einfach eine Eule, wenn du wieder sicher in Hogwarts angekommen bist.« Er grinste. »Unsere Adresse weißt du ja. Justin, mein Mann«, fügte Rian hinzu, »wird sich über die Geschichte, die wir ihm erzählen können, freuen, wenn er aus dem Zaubereiministerium zurückkommt.«
Dann schien er auf einmal draußen etwas entdeckt zu haben und ging zum Fenster. »Wer ist das Mädchen da draußen?«, fragte er neugierig.
»Seine Freundin!«, johlte Lea, löste sich aus Rians Arm und sprintete in Richtung Flur. Nach einigen Augenblicken konnte Teddy das Klicken der Haustür und Leas Stimme hören, die Victoire anscheinend hereinbat.
Weitere zehn Sekunden später stand Lea mit Victoire im Schlepptau in der Küche, Letztere mit einem entschuldigenden Lächeln im Gesicht.
»Das ist Victoire. Hat sie mir gerade erzählt«, sagte Lea stolz.
Victoire warf einen schnellen Was-geht-hier-gerade-ab?-Blick zu Teddy und wandte sich dann an Rian. »Entschuldigen Sie -«
»Weder du noch dein Freund müsst euch für irgendetwas entschuldigen«, sagte Rian freundlich. »Sagt einfach Bescheid, wenn wir noch etwas für euch tun können.«
Lea kam ihnen zuvor. »Wir können euch nach Hogwarts bringen!«, rief sie.
Überrascht sahen Teddy und Victoire sich an, dann sagte Letztere: »Das ist unglaublich lieb von dir«, sie lächelte Lea an, »aber wir wollten mit den Besen reisen.«
Rian lehnte sich an den Küchentresen. »Lea hat Recht, die Mühe braucht ihr euch doch nicht machen. Ich kann euch eben per Side-Along-Apparition nach Hogsmeade bringen. Ich bin geübt im apparieren.«
Lea fing wieder an, im Zickzack durch die Wohnung zu stürmen. »Oh ja! Oh ja!«
»Junge Dame, du bleibst schönstens hier. Du bist noch viel zu klein zum Apparieren.« Rian wandte sich an Teddy und Victoire. »Wenn ihr wollt, mache ich das gerne.«
Teddy war sehr gerührt von seiner Großzügigkeit; er musste zugeben, dass er schon froh wäre, möglichst schnell nach Hogwarts zu kommen und in das Pensieve zu blicken. Außerdem war das Wetter draußen weiterhin unangenehm. Trotzdem wollte er nicht so unverschämt die Dienste Rians ausnutzen. »Das ist wirklich nett«, sagte er. »Aber -«
»Das ist vielleicht eine Sache von einer Minute«, unterbrach Rian ihn. »Kein Ding, wirklich.«
Victoire sah Teddy an und wandte sich dann an Rian. »Gut, wenn das so ist«, sagte sie. »Danke.«
✶
Sie verabschiedeten sich von Lea und verstauten die Phiole mit den Erinnerungen gut gepolstert in Teddys Rucksack.
Dann, nachdem er sie kurz dem Ablauf der Side-Along-Apparition unterwiesen hatte, packte Rian plötzlich ihre Arme, dann hörte Teddy ein lautes Krachen, ihm wurde die Luft aus den Lungen gepresst und er konnte nicht mehr atmen ...
Als hätte er sich gerade tausendfach um sich selbst gedreht, landete er mit einem unglaublichen Schwindelgefühl eine Millisekunde später mit einem unsanften Aufprall auf kaltem Untergrund, der sich wie Schnee anfühlte. Dankbar, wieder atmen zu können, sog Teddy genüsslich die frische Luft ein und sah sich dann um.
Sie befanden sich auf einem Hügel neben der Shrieking Shak in Hogsmeade. Vereinzelte Sonnenstrahlen stahlen sich durch eine Wolkendecke.
Rian stand breitbeinig im Schnee und sah sich um; er schien, genau wie er gesagt hatte, sehr gewöhnt an das Apparieren zu sein. Für Teddy war es das erste Mal gewesen, und für Victoire wahrscheinlich auch.
Die Umgebung drehte sich, als Teddy aufstand; kurz kniff er die Augen zusammen und öffnete sie dann wieder. Schon konnte er klarer sehen und lächelte Rian höflich an. »Vielen Dank für Ihre Hilfe! Das werden wir Ihnen nie vergessen.«
Auch Victoire hatte sich aufgerappelt und stellte sich neben Teddy. »Merci beaucoup, Monsieur.«
Rian lächelte zurück. »Ich freue mich, dass ich euch helfen konnte.« Er sah in die Ferne, wo man die Umrisse von Hogwarts erkennen konnte. »Beim Apparieren, gerade bei einer so weiten Strecke, muss man sich den Ort sehr gut vorstellen können. Ich bin früher auch nach Hogwarts gegangen, während des Zweiten Zaubererkriegs. Ich war ein Hufflepuff. An diesem Ort war ich oft mit meinen Freunden während der Hogsmeade-Ausflüge, wir haben versucht, möglichst nah an die Shrieking Shak zu kommen, uns aber nie getraut, hineinzugehen.« Wenige Augenblicke schien Rian tief in Erinnerungen versunken, dann blickte er plötzlich auf. »Jetzt muss ich aber zu Lea zurück. Ich wünsche euch noch viel Glück.«
»Grüßen Sie sie von uns!«, sagte Victoire.
»Auf Wiedersehen und danke für alles!«, sagte Teddy.
Rian lächelte, schien sich dann zu konzentrieren, und verschwand urplötzlich mit einem lauten Knall.
Victoire und Teddy betraten die Shrieking Shak. Bis auf die Tageszeit sah es hier genauso aus wie in der Nacht, in der sie den ersten Brief von Remus und Tonks gefunden hatten.
Geschwind durchquerten sie den Raum und betraten den dunklen Tunnel am anderen Ende. Als sie hindurchliefen, kam es Teddy vor, als verbrachten sie zwei Stunden dort unten, dabei waren es wahrscheinlich nicht einmal zwanzig Minuten.
Er war so aufgeregt, gleich würde er zum ersten Mal in seinem Leben seine Eltern sehen ... Es mussten ihre Erinnerungen sein, wessen sollten sie sonst sein?
Doch dann, ganz plötzlich, erst jetzt, wo er dem Ziel so nah war, fiel Teddy auf, dass es ein Problem gab. Er hatte die ganze Zeit nur an das Pensieve selbst gedacht, aber nie daran, wie ... »Victoire«, sprach er in die Dunkelheit.
»Ja?«, ertönte ihre Stimme vor ihm.
»Wie sollen wir überhaupt an das Pensieve kommen, ohne dass McGonagall etwas bemerkt?«, fragte er.
Victoire schwieg eine Weile. Dann meinte sie: »Lass uns erstmal ungesehen in den Hospital Wing gehen und mit Madam Pomfrey und am besten auch George sprechen, wenn wir ihn irgendwo antreffen.«
Teddy willigte ein; das war wahrscheinlich am sinnvollsten.
Wenige Augenblicke weitete sich der Tunnel und Teddy konnte in der Ferne plötzlich eine Lichtquelle erkennen.
Als sie dort angekommen waren, blickten sie auf die verschneiten Grounds. Die Whomping Willow wiegte sich leicht im Wind, wirkte aber abgesehen davon friedlich.
Eilig huschten Victoire und Teddy außer Reichweite ihrer dicken Äste und gingen zügig auf das Schloss zu; es war niemand zu sehen, sicher waren alle im Unterricht, Schüler wie Lehrer.
Sie öffneten die Eingangstore einen Spalt breit und schlüpften in die Entrance Hall; hier war es genauso still.
Seite an Seite sprinteten Teddy und Victoire den Flur entlang und machten außer Atem vor der Tür zum Hospital Wing halt.
Vorsichtig öffnete Victoire sie ein Stück, Teddy lugte über ihre Schulter. Ein Bett schien belegt, man konnte ein leichtes Schnarchen vernehmen, doch die Vorhänge waren vorgezogen.
Möglichst leise durchquerten Victoire und Teddy den Saal und klopften an Madam Pomfreys Büro.
Sie öffnete schnell, und als sie sie beide sah, weiteten sich ihre Augen. Ein leichtes Grinsen stahl sich auf das Gesicht der Heilerin. »Da sind ja unsere beiden Abenteurer.«
Victoire und Teddy sahen sich an. »Madam Pomfrey, entschuldigen Sie, unser Freund -«, setzte Victoire an.
»Wo sie von Mr Collin sprechen«, unterbrach Madam Pomfrey sie und deutete auf das belegte Bett. Sie wuselte zu dem Schlafplatz und zog die Vorhänge zurück.
George schreckte aus dem Schlaf auf; er griff nach seiner Brille und als er seine Freunde sah, breitete sich ein großes Strahlen auf seinem Gesicht aus. »Ted! Vic!«, rief er.
»George, warum bist du hier?«, fragte Teddy besorgt und blickte auf die Bettdecke, die seinen Körper verdeckte.
»Quidditch«, murmelte George und zog die Bettdecke zurück. Sein Bein stand in einem sehr komischen Winkel ab. »Mehrfacher Knochenbruch und Gehirnerschütterung. Ich bin seit gestern nach dem Training hier.«
In diesem Moment war Teddy froh, dass er kein Quidditch spielte. Victoire und er wünschten ihm gute Besserung, dann sahen sie zwischen George und Madam Pomfrey hin und her.
Victoire sprach schließlich als Erste. »Madam Pomfrey, darf ich Sie fragen, warum Sie das alles für uns getan haben?«
»Wie ich Ihnen, Mr Lupin, bereits erzählt habe, kannte ich Remus Lupin sehr gut«, sagte Madam Pomfrey schlicht. »Er hat in seinem Leben viel Leid erfahren und dann kam auch noch der Krieg. Ich dachte, es wäre schön, wenn sein Sohn ihn und seine Mutter etwas besser kennenlernen könnte. Auch wenn das, was Sie getan haben, eigentlich sehr gefährlich war.« Sie lächelte, hob ihren Zauberstab und richtete ihn auf eine kleine Tür, die Teddy bisher nicht aufgefallen war. »Der Ort, an den Sie angeblich isoliert wurden. Der kann nun wieder seine Funktion des Medikamentenschranks übernehmen.« Madam Pomfrey murmelte einen Zauber, die Tür sprang auf, und zwei Betten segelten von dort zurück an ihren Platz im großen Saal.
»Wie können wir Ihnen danken?«, fragte Teddy.
»Wie gesagt, ich hoffe einfach, dass die Reise erkenntnisreich war.« Sie wandte sich an George. »Mr Collin, Sie brauchen noch etwas Ruhe. Mr Lupin und Miss Weasley, es wäre schön, sie würden deswegen bald gehen. Ich werde die Headmistress unverzüglich von ihrer Genesung in Kenntnis setzen.« Damit verschwand sie in ihrem Büro.
Victoire wandte sich an George. »Merlins Bart, du bist einfach genial!«
George grinste. »Für euch tu ich doch alles. Nun erzählt aber mal, was habt ihr alles erlebt?«
Augenblicklich stahl sich wieder die Aufregung in Teddys Kopf. Er holte das Glasfläschchen aus dem Fjällräven, den er die ganze Zeit umgehabt hatte, und zeigte es seinem Freund. »Um ehrlich zu sein, ist unsere Reise noch nicht ganz vorbei. Wir müssen an das Pensieve im Büro von Professor McGonagall gelangen.«
»Sie hat ein Pensieve?«, fragte George und starrte auf die Phiole. »Von wem sind die Erinnerungen?«
»Die Geschichten unserer Familie«, sagte Victoire mit einem wissenden Lächeln. »Die Erinnerungen, die sind von Teddys Eltern.«
George machte große Augen. »Von deinen Eltern?«
»Jup«, machte Teddy. Er spürte schon, wie sein Herz immer schneller schlug.
»Probiert einfach irgendein Passwort aus«, schlug George vor.
»Ist wahrscheinlich am besten«, sagte Teddy und grinste unbeholfen. »Wir kommen so schnell es geht wieder und erzählen dir dann alles.«
»Viel Glück«, sagte George.
✶
Ratlos stand Teddy mit Victoire vor dem Wasserspeier. Sie waren auf direktem Wege hergekommen, ohne jemanden zu treffen. Nun war die große Frage, welches Passwort McGonagall nutzte ...
Sie verstießen gerade sicher gegen unzählige Schulregeln und missbrauchten zusätzlich noch das Vertrauen von Madam Pomfrey und Hagrid, die nichts von dieser letzten Unternehmung wussten. Doch Teddy musste diese Erinnerungen sehen, so schnell es ging; und das hier war der einzige Weg.
»McGonagall ist doch eine Tigerkatze, nicht wahr?«, fragte Victoire plötzlich. »Vielleicht ... ›Ich esse doch kein Katzenfutter!‹« Sie ahmte Professor McGonagalls Stimme perfekt nach.
Der Wasserspeier erwachte zum Leben und gab eine große, gewundene Wendeltreppe frei.
Überrascht schaute Teddy Victoire an. »Wie bist du darauf gekommen?«
Seine Freundin grinste. »Well, well, Professor Lupin, Sie können noch einiges von mir abschauen.« Dann betrat sie die Treppe, Teddy eilte hinterher. Augenblicklich begannen die Stufen, sich zu drehen und machten halt an einer Eichentür.
Victoire klopfte dezent, doch niemand antwortete. Eine halbe Minute später, nachdem Teddy kein einziges Geräusch von drinnen vernommen hatte, öffnete er die Tür einen Spaltbreit.
Er war noch nie im Büro der Headmistress gewesen. Es war ein runder Raum, an dessen Ende ein großer, klobiger Schreibtisch mit einem Stuhl dahinter und davor stand. Daneben säumten silberne Instrumente die Schränke und der Sorting Hat ruhte auf einer kleiner Kommode. Die Wände waren mit zahlreichen Gemälden von vergangenen Headmasters bedeckt; alle schienen ihren Mittagsschlaf zu halten.
»Wo wollen wir anfangen zu suchen?«, fragte Victoire nachdenklich und Teddy ließ davon ab, den Raum in Augenschein zu nehmen.
»Accio Pensieve!«, war das Erste, was Teddy einfiel, und es funktionierte. Ein kleiner, unauffälliger Schrank barst auf und gab ein Steinbecken frei, in das seltsame kleine Runen und andere Zeichen geritzt waren.
Teddy trat näher, so auch Victoire. Das Pensieve war angefüllt mit einer silbrigen Flüssigkeit.
»Wow«, staunte Victoire und auch Teddy fand, dass der Anblick bezaubernd war.
Einige Sekunden später realisierte er, warum sie hier waren. Mit zitternden Fingern tastete er nach der Glasphiole, die er in seiner Hosentasche verstaut hatte, zog sie hervor und öffnete den Deckel.
»Einfach da rein?«, fragte er Victoire.
»Ich denke schon«, antwortete sie.
Als Teddy die Erinnerungen vorsichtig in das Becken gab, wirbelten sie in der Flüssigkeit umher, es zischte und blubberte, und dann war es wieder still.
»Bereit?«, fragte Victoire.
»Bereit«, sagte Teddy. Harry hatte in seinen Geschichten immer erklärt, man müsse kopfüber in die Flüssigkeit eintauchen.
Und das taten sie nun, Hand in Hand. Teddy spürte, wie er bei der ersten Berührung mit den Erinnerungen geradezu in das Pensieve gesogen wurde; alles drehte sich, er sah Fetzen von Szenen an sich vorbeiwirbeln, dann stand er plötzlich auf dem Boden und fand sich, Victoire neben ihm, in dem Haus von Lea, Justin und Rian wieder, das er vorhin besucht hatte.
Es war anders eingerichtet: Das Wohnzimmer hatte ein anderes, viel größeres Bücherregal, und das Sofa war dunkelgrün statt zitronengelb. Aber den Kamin erkannte Teddy sofort wieder.
Und dann, als er den Blick, langsam, nur wenige Zentimeter nach links wandte, da sah er einen Mann am Herd der Küche stehen. Und Teddy wusste sofort, dass dieser Mann sein Vater war.
Remus kochte gerade, er war damit beschäftigt, Nudeln in einen Topf zu gießen und mit seinen Zauberstab zu erhitzen.
Es sah geschickt aus, beinahe leichtmütig, doch als Teddy das Gesicht seines Vater sah, waren da auch die Schatten des Krieges.
Sein Gesicht war narbenübersät, und auch die Abschürfungen auf den Oberarmen konnte Teddy sehen, weil sein Dad die Ärmel seines Pullovers hochgekrempelt hatte. Teddy wusste, dass diese Narben von seinen Leben als Werwolf stammten. Er wusste aber auch, dass genauso der Krieg seinen Eltern zu schaffen machen musste.
Es war Abend, draußen schon beinahe dunkel. Jetzt erst fiel Teddy auf, dass sein Dad immer wieder nach draußen blickte, mit beinahe besorgter Miene.
Mit klopfendem Herzen sah Teddy sich nach Victoire um, die mit einigem Abstand hinter ihm stand und ihm liebevoll zunickte.
Erst dann streckte er eine zitternde Hand aus und berührte seinen Vater an der Schulter.
Remus zeigte keine Reaktion, natürlich nicht, Teddy wusste, dass er nur eine Erinnerung war, aber es genügte, um sein Herz warm aufleuchten zu lassen ...
Plötzlich ertönte ein Knacken und eine Frau erschien neben ihm. Sie musste appariert sein ... Teddy wusste, wie gerade bei Remus, augenblicklich, dass es sich um seine Mutter handelte. Tonks lächelte, und das Lächeln galt Remus. Sie raufte ihre violetten Haare, so wie Teddy es oft bei seinen blauen tat, und küsste ihren Mann sanft. Er lächelte zurück und ließ vom Kochen der Nudeln ab. »Du bist zurück.«
Es war seltsam, seine Stimme zu hören; sie klang fremd und zugleich unendlich vertraut.
Tonks löste sich von Remus und seufzte. »Die Lage spitzt sich immer weiter zu. Der Order wird bald mehr denn je gebraucht werden.« Augenblicklich mochte Teddy ihre Stimme.
Remus blickte sie mit einer Mischung aus Verzweiflung und Trauer an, und dann sagte er unvermittelt: »Tonks. Es ist ... Was wird nur aus Teddy?« Teddy zuckte zusammen, als er seinen Namen hörte. »Wenn wir nicht mehr sind, was wird dann aus ihm? Wenn niemand mehr lebt, der ihn großziehen kann?«
Tonks' Augen füllten sich augenblicklich mit Tränen und sie ging zu einer Wiege, die Teddy bisher noch nicht aufgefallen war. Langsam trat er näher und schreckte zusammen, als er die kleinere Version seiner selbst sah. Die Haare grün, die kleinen Ärmchen in die Luft gestreckt, musste Teddy beinahe grinsen, als er dieses kleine Baby betrachtete, das er selbst einmal gewesen war.
Tonks' Stimme ließ ihn erneut zusammenzucken. »Weißt du, Remus«, sagte sie. »Wenn wir in der entscheidenden Schlacht sterben sollten, dann müssen wir ihm Erinnerungen von uns hinterlassen. Meinst du nicht auch?«
Teddy wandte sich zu Remus, doch er hatte keine Gelegenheit mehr, die Antwort seines Vaters abzuwarten. Plötzlich begann sich die Umgebung zu verändern, und er spürte den vertrauten Sog von vorhin um sich. Als die Welt wieder zum Stehen kam, sah er als erstes Victoire, direkt neben sich. Dann waren da seine Eltern, wieder im Haus, wieder in der Küche, doch diesmal saßen sie am Tisch und waren über eine Pergamentrolle gebeugt, die Teddy sehr bekannt vorkam. Es war der erste Brief. Aus der Shrieking Shak.
»Wir werden ihm erzählen, wer wir waren«, sagte Tonks. »Jeder von uns. Und dann können wir ihm noch Erinnerungen dalassen, die wir hier im Haus verstecken.«
»Aber wo?«, fragte Remus und sah sich um.
Plötzlich verwirbelte sich die Kulisse wieder und die Shrieking Shak wurde sichtbar, in der Teddy und Victoire noch vor wenigen Augenblicken gestanden hatten.
»Hier ist ein gutes Versteck«, sagte Remus gerade und Teddy sah, wie er den Brief in den Bilderrahmen steckte.
»Wird er den ersten Brief finden?«, fragte Tonks.
Remus sah plötzlich sehr traurig aus. »Wir können nur hoffen, dass wir sie bald wieder alle entfernen und unseren Sohn großziehen können«, sagte er leise. »Aber wenn nicht, wird er sicher irgendwie an die Geschichte mit der Shrieking Shak kommen und hier suchen.«
Die Szene wechselte erneut, und diesmal war es ein ganz anderes Haus, in dem sie sich abspielte, nämlich in der Gaststätte in Cellender. Um genauer zu sein, Crowfords Wohnung.
Und da sah Teddy den Wirt, um einiges jünger, genau dort stehen, wo er bei Victoires und seinem Besuch gestanden hatte. »Ich werde ihn aufbewahren«, sagte er zu Remus und Tonks, die ihm gegenüber auf dem zerschlissenen Sofa saßen.
»Danke«, antwortete Remus. »Das bedeutet uns sehr viel.«
Dann wurde Teddy mit Victoire erneut herumgewirbelt, als die Szene sich veränderte. Er brauchte einen Moment, um zu erkennen, wo er war. Mad-Eye Moodys altes Haus.
Teddy sah sich um und fand seine Eltern an der Eiche stehen, an der er sich noch am Tag zuvor mit Victoire befunden hatte.
Der Baum war unverändert, aber das Wohngebiet war viel wilder und düsterer.
Tonks hatte Tränen in den Augen. »Ich werde Mad-Eye vermissen«, sagte sie gerade.
Remus nahm sie in den Arm, dann hob er seinen Zauberstab und ließ den Brief in die Krone hinaufgleiten.
Auch Tonks richtete den Zauberstab auf die Äste des Baumes; abwechselnd murmelten sie leise Zaubersprüche. Dann sagte Teddys Mutter: »Jetzt fehlen nur noch unsere Erinnerungen.«
Sie waren wieder in ihrem Haus, doch es war diesmal Morgen und nicht Abend.
Tonks und Remus knieten beide am Kamin und Teddy musste ein zweites Mal hinsehen, bis er begriff, dass sie ihre Erinnerungen aus ihrer Schläfe zogen. Dünne, silbrig-weiß schimmernde Fäden hangelten sich an der Spitze ihrer Zauberstäbe entlang, bis Remus plötzlich die Glasphiole hob, die Teddy inzwischen so bekannt war. Langsam ließen sie die Erinnerungen in das Fläschchen gleiten und verstauten es sicher in dem Fach im Kaminschacht.
»Vielleicht wird er diese Erinnerungen finden und sich freuen, nachträglich dabei gewesen zu sein«, flüsterte Remus nachdenklich und richtete sich auf.
Dann gingen Tonks und er zu der Wiege, und Teddys Herz zersprang in tausend Scherben, als sie sich über sein kleineres Ich beugten und Tonks sein Haar raufte. »Wir werden immer bei dir sein, Sweetheart«, hauchte sie.
Als die Konturen von Remus und Tonks, an der Wiege stehend, diesmal verblassten, wusste Teddy, dass es das letzte Mal war. Die letzte Erinnerung.
Diesmal war die Umgebung Teddy noch vertrauter als die der anderen Orte zuvor. Remus und Tonks standen im Haus seiner Gran, gegenüber einer deutlich jüngeren Andromeda.
»Bist du sicher, dass du kämpfen willst?«, fragte Remus Tonks mit feuchten Augen und zog sie an sich. »Dora, ich ertrage es nicht, sollte ich dich verlieren.«
Auch Tonks kämpfte gegen die Tränen an. »Wenn, dann verlieren wir uns zusammen und dann ist es kein Verlust mehr«, flüsterte sie in Remus' Schulter.
Jetzt erst fiel Teddy auf, dass Andromeda ihn selbst in ihren Armen hielt. »Ich werde ihn beschützen«, sagte sie und augenblicklich umarmte Tonks ihre Mutter und Teddy. »Die Bedrohung ist groß und ihr werdet mitten drin sein«, fuhr Andromeda fort. »Die Chance, diesen Kampf nicht zu überleben, ist groß, aber genauso habt ihr eine Chance, zurückzukehren. Aber habt Hoffnung, und«, sie sah auf das Bündel in ihrem Arm, »solltet ihr sterben, werde ich auf ihn aufpassen.«
»Was ist, wenn Voldemort gewinnt?«, fragte Remus leise. »Wenn er dich und so viele andere dann auch tötet?«
»Niemand weiß es«, sagte Tonks, »aber wir werden dafür kämpfen, dass das nicht passiert. Eines Tages wird Teddy verstehen, warum wir uns dafür entschieden haben.« Sie drückte ihre Mutter noch einmal ganz fest, dann beugte sich über Teddy. »Sei tapfer, mein Spatz.«
Remus trat neben sie und strich seinem Sohn behutsam über die Wange. »Wir hoffen, dass wir bald zurückkommen.« Dann setzte er seinen Zauberstab an seine Schläfe, zog einen langen Erinnerungsfaden hervor und schickte ihn mit einer Bewegung seines Zauberstabs nach draußen. Teddy wusste, dass sich auch diese Erinnerung in die Glasphiole begeben würde, dann hatte er noch Zeit, einen Moment lang seine Eltern Hand in Hand zu sehen, hörte ein Knacken und sah, wie sie apparierten.
Dann kehrte er in die Realität zurück und landete hart auf dem Boden von McGonagalls Büro. Er spürte Victoire neben sich und griff nach ihrer Hand.
Sie sah ihn an, und er blickte sie an, und dann begannen die Tränen erneut, lautlos sein Gesicht herabzuströmen.
Das waren seine Eltern gewesen, so hatten sie ausgesehen, gehandelt, gesprochen. Das waren sie, einfach nur sie, ohne heroische Helden zu sein, sie waren einfach nur eine kleine Familie im Krieg, die sich gegenseitig zu beschützen versuchte.
Tonks hatte recht gehabt. Nun hatte er verstanden, warum seine Eltern hatten kämpfen müssen. Er hatte verstanden, wie es für sie gewesen war. Weil er nun wusste, wer Nymphadora Tonks und Remus Lupin gewesen waren.
Hätten sie den Krieg überlebt, wäre es anders gewesen. Die Erinnerungen wären glücklicher, leichter gewesen. Aber mit dieser kleinen Flasche silbrig-weißer Flüssigkeit hatten sie Teddy das größte Geschenk seines Lebens gemacht.
Mit weichen Knien rappelte er sich auf und zog den Zauberstab aus der Tasche. Ohne zu wissen, wie genau, begann er, die Erinnerungen seine Eltern wieder aus dem Pensieve zu fischen. Langsam bewegte sich die zähe Flüssigkeit zurück in die Phiole.
Teddy fühlte sich unendlich erleichtert. Die Tränen in seinem Gesicht waren keine schweren, nein, er hatte das getan, wozu ihn seine Eltern im Traum im Hogwarts Express vor einiger Zeit aufgefordert hatten: Er hatte abgeschlossen.
Victoire stellte sich neben ihn, schweigend. Aber dennoch spürte Teddy ihre Präsenz neben sich und er wusste, dass sie ihm guttat.
Dieser Moment wäre ein schöner gewesen, wenn nicht plötzlich die Eichentür zum Büro aufgegangen wäre und McGonagall dagestanden hätte.
Sie schien einen Moment zu benötigen, um die Szene zu verarbeiten; noch immer ließ Teddy die Tränen in das Kristallgefäß zurückfließen, und der Schrank zum Pensieve stand offen.
»Mr Lupin«, sagte McGonagall schließlich, »Miss Weasley. Was um alles in der Welt tun sie da?«
Teddy war für einen Moment ratlos, was er sagen sollte, doch Victoire kam ihm zuvor. »Professor, wir bitten Sie um Verzeihung. Aber das ist eine verdammt lange Geschichte.«
McGonagall schwieg erneut einige Sekunden. In der Zwischenzeit hatte Teddy alle Erinnerungen zurückgeholt und im Zeitlupentempo, möglichst unauffällig, ließ er die Phiole in seine Tasche gleiten.
Einen Sekundenbruchteil später zog McGonagall ihren Zauberstab hervor, richtete ihn auf das Pensieve und mit einem Knall schlossen sich die Türen des Schrankes.
»Setzen Sie sich«, sagte sie dann und ließ sich hinter dem Schreibtisch nieder. Teddy und Victoire setzten sich ihr gegenüber. »Und nun erzählen Sie mir die Wahrheit.«
Es war fair, das zu tun, dachte Teddy, schließlich waren sie in ihr Büro eingebrochen. Sie erzählten alles von Beginn an, nur das Bündnis mit Madam Pomfrey und Hagrid ließen sie aus sowie Georges Namen.
McGonagall hörte schweigend zu, zwischendurch stellte sie knappe Fragen oder ließ ihr Entsetzen kenntlich werden mit Ausrufen wie »Er hat Sie entwaffnet?« und »Der Knight Bus, bei Merlins Bart!«.
Schließlich, eine halbe Stunde später, sagte Victoire: »Und dann haben wir die Erinnerungen in das Pensieve gefüllt und sie uns angesehen und dann kamen Sie herein, Professor.«
Darauf folgte erneut ein Schweigen. Teddy bekam Angst, McGonagall würde ihre Wut und Enttäuschung ansammeln und gleich herausschreien, doch sie sagte lediglich: »Mr Lupin und Miss Weasley, ich weiß nicht, was Sie sich - als bisher sehr vertrauenswürdige Schüler - dabei gedacht haben, mitten im Schuljahr einen lebensgefährlichen Trip zu unternehmen und alles unter einer ansteckenden Krankheit zu verschleiern.« Ihrem bohrenden Blick nach zu urteilen, schien McGonagall zu wissen, dass Madam Pomfrey dahinter stecken musste. Mit einem Mal fühlte sich Teddy, als hätten sie das Vertrauen der Heilerin missbraucht, wo sie McGonagall nun alles erzählt hatten. Doch er hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn die Headmistress fuhr fort: »Aber ich kann ihre emotionalen Beweggründe durchaus nachvollziehen. Das ist auch der Grund, warum sie keine richtigen Strafarbeiten erhalten werden. Dennoch - sie haben mit ihrer Aktion jegliche Schulregeln verletzt und sich selbst in Gefahr gebracht. Deshalb werde ich die gesamte Familie in Kenntnis setzen, die, wie bekanntlich, nicht gerade klein ist.« Sie rang sich zu einem Lächeln ab, das beinahe verzweifelt wirkte. »Und ich bitte Sie, Hagrid am nächsten Wochenende beim winterlichen Rundgang im Forbidden Forest zu helfen.«
Teddy sah Victoire an. Das war eine milde Strafe im Gegenzug zu all dem, was sie falsch gemacht hatten. Doch was würden Andromeda, Harry, Bill und Fleur und all die anderen sagen?
»Außerdem«, fuhr McGonagall fort, »werden Sie eigenständig alle verpassten Unterrichtsinhalte nacharbeiten müssen.« Teddy hatte sich ja vor dem Aufbruch schon ein wenig zusätzliche Lektüre angeeignet, doch damit war er jetzt, nach so langer Zeit, sicher nicht mehr auf dem aktuellen Stand.
»Ich bin sehr enttäuscht davon, dass Sie das Vertrauen der Schule missbraucht und auf eigene Faust gehandelt haben«, sagte sie nun mit strenger Miene. »Sie werden an den nächsten vier Hogsmeade-Treffen nicht teilnehmen dürfen und ich werde Sie gesondert im Auge behalten. Da sollte Sie, Mr Lupin«, McGonagall durchbohrte ihn mit ihren Falkenaugen, »nicht von der Vorbereitung auf die O.W.L.s abhalten und sie, Miss Weasley«, sie wandte sich an Victoire, »auch nicht vom Lernen.«
Ihr Blick wurde ein wenig weicher. »Ich weiß, es ist schwer für sie, Mr Lupin, so auch für alle, die Angehörige im Krieg verloren haben. Aber ich bitte Sie zu verstehen, dass sich so etwas nicht wiederholen darf. Sie hätten wirklich sterben können, bei all dem, was sie so angerichtet haben in den letzten Tagen. Und damit ist keinem geholfen.«
Teddy senkte den Kopf, doch innerlich musste er auch ein wenig grinsen. Egal, wie gefährlich er gewesen war - dieser Trip war das Beste in seinem ganzen Leben gewesen.
McGonagall sah auf die Uhr. »Der Unterricht ist nun vorbei. Haben Sie Nachmittagsunterricht?«, fragte sie scharf.
»Nein«, sagte Victoire und Teddy schüttelte wahrheitsgemäß den Kopf.
»Dann werden Sie morgen wieder am Unterricht teilnehmen. Die Geschichte der Krankheit werden wir in der Schülerschaft sowie im Kollegium beibehalten, um keine unnötige Verwirrung zu stiften und Ihnen ein wenig Privatsphäre zu geben.« McGonagall griff nach einer Feder auf ihrem Schreibtisch und einem Blatt Pergament. »Ich werde nun Ihre Familien in Kenntnis setzen. Gehen Sie, machen Sie sich frisch und fangen Sie schonmal an zu lernen.«
Teddy und Victoire fingen erst an zu rennen, als sie die Eichentür hinter sich gelassen hatten. Dann sprinteten sie los, Hand in Hand, die Korridore entlang und Treppen hinunter. Irgendwann mussten sie beide so stark anfangen zu lachen, dass Teddys Bauch begann, weh zu tun; doch es störte ihn nicht, und Victoire wohl auch nicht - selbst wenn sie wohl beide nicht genau wussten, warum sie plötzlich so lachen mussten.
Außerdem schienen alle in den Gemeinschaftsräumen zu sein; das Schloss war erneut wie leergefegt.
Sie rannten hinaus, durch das Eingangstor, immer noch grinsend und lachend, und irgendwann standen sie plötzlich am Ufer des Black Lake.
Teddy betrachtete die feine Eisdecke, dann schloss er für einen Moment die Augen und reckte den Kopf in Richtung der Wintersonne.
In ihm hatte die ganzen letzten Tagen ein Feuerwerk der Gefühle gebrodelt, und jetzt war die Rakete explodiert.
Teddy fühlte sich leicht, als würde er neben Victoire schweben. Er hatte Spuren seiner Eltern gefunden, die Jahre alt und dennoch verblieben waren. Er war aus Hogwarts geflohen und hatte sich auf eine Abenteuerreise begeben.
Und letztendlich war Teddy gemeinsam mit Victoire dort angekommen, wo er hatte landen wollen; bei sich selbst.
Wenn er jetzt an seine Eltern dachte, war die Trauer beinahe fort. Wenn er jetzt an seine Eltern dachte, empfand er Glück.
Dieses Glück schmerzte auch. Natürlich. Nun wusste Teddy, was genau er mit dem Tod seiner Eltern verpasst hatte.
Aber sie waren bei ihm, in seinem Herzen. Stärker als je zuvor.
Langsam öffnete Teddy die Augen und drehte den Kopf zu Victoire. Sie wandte sich ebenfalls zu ihm und plötzlich standen sie sich gegenüber, die Hände des anderen umfassend.
»Teddy«, flüsterte Victoire. »Oh, Teddy ...«
»Vic.« Teddy holte tief Luft, dann sagte er: »Es ist ... Auf unserem Trip ist mir einiges bewusst geworden. Hauptsächlich natürlich bezüglich meiner Herkunft, aber du und ich, wir -«
Doch Victoire ließ ihn nicht ausreden. Plötzlich beugte sie sich vor, das lange Haar fiel ihr ins Gesicht, und dann küsste sie Teddy.
Zuerst war er für einen winzigen Augenblick überrascht; denn zum einen hatte er dieses Gefühl gegenüber Victoire zunächst nicht klar als Verliebtsein einordnen können. Außerdem, selbst wenn er seine beste Freundin plötzlich lieben sollte - würde sie diese Gefühle erwidern?
Aber in den Moment, als sich ihre Lippen berührten, fühlte es sich verdammt richtig an. Mit einem Mal vergaß Teddy alles um sich herum und erwiderte den Kuss.
Er wusste nicht, wie lange sie so dastanden und sich küssten. Die Zeit war wie eingefroren, doch schließlich löste sich Victoire sanft von Teddy und sah ihn mit großen Augen an.
Er lächelte und Victoire grinste zurück. Es bedurfte keiner Worte, sie kannten sich beide so lange, dass sie sich nicht mehr darüber zu verständigen brauchten.
Immer noch lächelnd, Hand in Hand, kehrten sie zum Schloss zurück. In der Entrance Hall löste Victoire ihre Hand von Teddys. »Ich mache mich eben frisch, so wie McGonagall gesagt hat. Wir sehen uns später.« Sie sah ihn noch einmal grinsend an, wandte sich dann ab und hing in Richtung des Gryffindor-Gemeinschaftsraums.
Als Teddy den Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs betrat, war es, als hätte die Reise mit Victoire nie stattgefunden. Die anderen aus dem fünften Schuljahr begrüßten ihn und fragten ihn, ob er wieder gesund sei.
Teddy nickte und bejahte, dann betrat er die Dormitory und packte seinen Rucksack aus. Er duschte und zog sich frische Sachen an; dann machte er sich auf den Weg, um Madam Hooch die beiden Schulbesen zurückzugeben.
Die Fluglehrerin war in ihrem Büro. Es war angefüllt mit Besen, Urkunden und Pokalen, und Teddy konnte Madam Hooch durch dieses Chaos kaum hinter ihrem Schreibtisch ausmachen. Dennoch gab er ihr die Besen, gab vor, sie im Namen von George, der ja immer noch im Krankenhausflügel lag, zurückzubringen, und verschwand schnell wieder nach draußen.
Damit war die letzte Spur der Reise beseitigt. Jetzt fehlte nur noch die Auseinandersetzung mit seinen Eltern.
Davor besuchte Teddy Hagrid und bedankte sich für seine Teilnahme an Georges Plan. Der Halbriese schien glücklich, Teddy zu sehen, und wünschte ihm viel Erfolg, die Schimpftirade seiner Familie zu überstehen. »Aber weißt du was«, sagte Hagrid, »Harry und all die anderen haben in ihren Leben schon so viel Mist gebaut, da ist dein kleiner Ausflug nichts gegen.«
Ein wenig beruhigt kehrte Teddy zum Schloss zurück. Er begann zu lernen und merkte, dass die paar Hausaufgaben mehr oder weniger auch nicht viel ausmachten.
Am Abend, beim Essen in der Great Hall, traf er George an, der gerade aus dem Hospital Wing entlassen worden war. Teddy bedankte sich ungefähr hundert Mal bei ihm, bis George mit lauter Stimme rief: »Ist gut, Teddy!« und ein Viertel des Hufflepuff-Tisches innehielt. Etwas leiser fuhr er fort, ihn nach der Reise und dem Pensieve zu fragen und Teddy erzählte alles von dem Zeitpunkt des Telefonats im Wald an. George hörte staunend zu, stellte Fragen oder gab sarkastische Kommentare ab, doch am Ende sagte er ernst: »Freut mich, dass dir das geholfen hat, Ted.«
»Danke für alles noch mal«, antwortete Teddy, und dann sprang er außer Reichweite von Georges Gabel, die der beinahe nach ihm geworfen hatte und wünschte ihm eine gute Nacht.
Im Korridor traf er plötzlich Victoire. »Wie geht's?«, fragte er leise.
»Gut, und dir?«, antwortete sie. »Ich hab schon einiges nachgeholt an Stoff. Ist zu bewältigen.« Sie lächelte, und dann beugten sie sich gleichzeitig vor und küssten sich.
Doch eine Sekunde später kam niemand anderes als Jonathan Caleen um die Ecke gehuscht und rief mit einem gehässigen Grinsen: »Lupin und das Wiesel!«
Am nächsten Morgen wusste jeder in Hogwarts, dass Teddy Lupin und Victoire Weasley, dem Klischee folgend direkt nach ihrer Krankheit, zusammengekommen waren.
Auch im Unterricht wurden Teddy viele grinsende Blicke zugeworfen, doch abgesehen davon waren seine ersten Schulstunden nach dem Kurztrip normal.
Nur konnte er sich ein ganzes Stück besser auf den Unterricht konzentrieren als die Woche davor und nach diesem Schultag war Teddy so gut wie auf dem gleichen Lernstand wie seine Mitschüler.
Victoire sicher auch.
Nach dem Nachmittagsunterricht war es dann soweit: Harry und Andromeda und Bill und Fleur kamen auf Ladung von McGonagall in ihr Büro. Auch Teddy und Victoire wurden von ihr dorthin beordert.
Es war eine peinliche Situation, aber Victoires Eltern und Teddys Gran und Patenonkel waren nicht so wütend wie befürchtet. Sie waren lediglich enttäuscht, dass Victoire und Teddy die Reise nicht mit ihnen abgesprochen hatten.
»Wir haben befürchtet, ihr würdet es uns verbieten, dem Brief nachzureisen«, verteidigte Victoire sich leise.
»Wir wollten kein Aufsehen erregen«, fügte Teddy mit ebenfalls gesenkter Stimme hinzu.
McGonagall war gefasst wie immer, noch gefasster als am Tag zuvor. Sie besprach mit den vier Erwachsenen alles, was sie zu Teddy und Victoire gesagt hatte und sie waren einverstanden. Am Wochenende würde Teddy also gemeinsam mit Victoire Hagrid im Forbidden Forest helfen und dann war das Thema abgehakt.
Andromeda, Harry, Bill und Fleur verließen die Schule mit Flohpulver. Nachdem Victoire und Teddy hoch und heilig versprochen hatten, so etwas nie wieder zu tun.
Davor nahm Harry ihn noch einmal beiseite. »Teddy«, sagte er. »Du kannst uns immer alles sagen. Wenn du noch mehr über deine Eltern wissen möchtest ... Wir wollten immer, dass du glücklich aufwächst und dich nicht mit Erinnerungen an Menschen überlagern, die du selbst nie kennenlernen konntest. Wir haben dir im Laufe der Jahre so gut wie alles gesagt, was wir mit diesen beiden wundervollen Menschen erfahren haben und es ist nicht nur Schönes. Nun hast du eigene Erinnerungen. An diese Reise, die zugegeben sehr töricht war.« Er macht eine kurze Pause. »Wir sind immer für dich da, Ted.«
Andromeda trat neben Harry und umarmte Teddy. »Wir hoffen, dass es dir nun besser mit allem geht. Aber wenn nicht, dann sag uns das, ja?«
Teddy nickte in ihre Schulter und kämpfte erneut gegen die Tränen an. »Danke«, flüsterte er. »Wir sehen uns im Sommer.«
»Sicher«, sagte Harry und tätschelte seine Schulter.
Dann verabschiedeten die beiden sich von McGonagall und einer nach dem anderen verschwanden die vier Erwachsenen durch den Kamin.
McGonagall wandte sich an Teddy und Victoire. »Am Samstag will ich Sie bei Hagrid sehen. Und ich hoffe, dass Ihre Familien vor dem Sommer nicht wieder hierhin zurückkehren müssen.«
Dann scheuchte die Headmistress sie aus dem Büro und Victoire und Teddy schlenderten nach draußen, wo mehrere Schüler Schneeballschlachten austrugen oder Abendspaziergänge nach dem Unterricht machten.
Teddy freute sich auf die nächste Zeit, trotz der O.W.L.s. Und besonders freute er sich auf die gemeinsamen Stunden mit Victoire. Noch immer konnte Teddy es nicht realisieren - seit gestern waren sie einfach zusammen! Ohne sich groß abzusprechen ...
Die Sonne war beinahe untergegangen und begrub die Erinnerungen an die Ereignisse der letzten Tage. In einer Woche hatte sich Teddys gesamtes Leben auf den Kopf gestellt, und trotz der Hindernisse auf der Reise und danach fühlte sich dieses Leben nun so viel leichter an.
Victoire sah Teddy an und küsste ihn kurz. »Das war das Dümmste und Beste, was ich je gemacht habe«, sagte sie und Teddy konnte seiner Freundin nur beipflichten.
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