𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 𝟓
Unsere Blicke sind allesamt gebannt auf den flimmernden Monitor gerichtet. Obwohl ich meine Gedanken kaum bei mir behalten kann, haben die Aufnahmen von dem System einen gewissen Reiz.
Man sollte seinen Gegner kennen, bevor man ihn abschlachtet.
Vielleicht denken viele so und schauen sich darum die montäglichen Berichte an.
Ein Szenenwechsel zu Woodbury. Da sitzt er, auf einem einfachen Stuhl in einem schwarzen Anzug, der ihm vorzüglich steht. Hinter dem Bildschirm starren uns zwei graublaue, gebleichte Augen entgegen. Sehen meine auch so aus, so leer, so kaputt?
Er räuspert sich. Die zischende Stimme des Generals kriecht durch meinen Magen wie Gift. Auch, wenn diese Erscheinung so unscheinbar wirkt, ist die Präsenz dieses Mannes selbst auf den Aufnahmen spürbar. Wie eine unbändige Hitze, listig wie eine Schlange und wohl ebenso einnehmend wie die Charme eines Gentlemans.
Auch, wenn mich dieser Anblick mit solch Hass erfüllt, verstehe ich nur zu gut, warum so viele Woodbury vertrauten.
Ein scharfer Schnitt zu den restlichen Beratern, danach dreht sich die Kamera zu einigen Offizieren mit dunklen, durchdringenden Auge. An ihren Seiten tragen sie Gewehre. Ihre Gesichtszüge sind scharf geschnitten und kantig, darauf getrimmt, ein lebendes Vorbild zu sein, dass den Lesern Respekt einbringt.
Ich wende mich ab und ignoriere das Zittern, welches mich überkommt, als die weißen Mauern der Hauptstadt erscheinen. Nicht noch einmal die Worte des Präsidenten hören, keine Lobreden auf das System.
Seht her, denke ich.
Lobt eure Gemeinschaft während unsere hier unten langsam zerbröckelt, nur weil ihr Angst vor uns habt.
Ich nehme eine Bewegung hinter mir war, als ich den Saal verlasse und durch die verwaisten Gänge schreite, während meine Schritte unheimlich von den Wänden zurück hallen. Obwohl ich in normalem Tempo laufe, fühlt es sich unfassbar langsam an. Als würden die Hände des Systems nach mir bitten und mich behutsam zurückziehen, damit ich immer und immer weiter ihre Reden anhören darf.
Würden sie mich vor die Kamera stellen, oder irgendjemand anderen der Leser, dann sähen die Zuschauer und Befürworter in das wahre Gesicht unserer Herrschaft. In ein hässliches, zerschnittenes Gesicht, das Kindern die Eltern stiehlt und Menschen zu Tode foltert, nur weil sie anders sind. Sie sähen einen einzigen Menschen, der seinen verruchten Geist hinter der Fassade des strengen Mannes versteckt.
Würde man ihm die Pulsader aufschneiden, vielleicht liefe kein Blut sondern Gift heraus.
***
"Pearl!"
Abrupt drehe ich mich um und wäre beinahe in eine Person hinter mir geknallt. Ein leiser Ton des Schreckens entkommt meinen Lippen, schnell weiche ich einen Schritt zurück um mein Gegenüber besser betrachten zu können.
Es ist Leander, der mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen vor mir steht und fast entschuldigend die Arme hebt.
Als er mich erkennt verebbt sein Lächeln und der Gesichtsausdruck wird erschreckend ernst.
"Alles okay?", frage ich vorsichtig und schaue mich nach einem Fettnäpfchen um, in das ich treten könnte.
Seine grünen Augen verschleiern sich auf ungewöhnliche Weise.
"Nein, ich fürchte nicht."
Schnell checke ich ab, ob er verletzt ist, aber zu meiner Erleichterung ist meine Vermutung falsch.
Aber ich kenne diesen Ausdruck, diese schreckliche Leere, die seine Züge ziert.
Der Tod hat ihm ins Gesicht geblickt.
"Was ist passiert?", fragt auf einmal eine Stimme, und zum zweiten Mal an diesem Tag zucke ich unmerklich zusammen.
Thea, die immer Gutgelaunte, Thea, die immer lächelt und anderen ihre Hilfe anbietet. Wahrscheinlich beneide ich sie einfach um ihre Beliebtheit und um ihr reines Herz, aber aus irgendeinem Grund habe ich sie vor ein paar Wochen gesehen und mochte sie nicht.
Leander zuckt einmal mit der Augenbraue und setzt dann an.
"Wir haben Besuch bekommen."
Die Worte verlassen als leises Flüstern seinen Mund und mir wird kalt. Ist Besuch gut, oder-
Nein, der Gedanke an eine Invasion, eine endgültige Auslöschung unserer Spezies ist zu schrecklich, um weiter an ihn zu denken.
Thea legt den Kopf schief und ich frage mich, wie sie so ruhig bleiben kann, während das Adrenalin durch meine Adern rauscht, meinen Kopf vernebelt. Sie streicht sich bedächtig eine Strähne ihres schwarzen Haares hinter das Ohr und fragt schließlich:
"Guter Besuch?"
Jetzt blicken wir beide Leander an, der einen Moment inne hält. Ich meine, kurzzeitig das Flackern der Angst in Theas Gesicht zu sehen. Aha, selbst die Sonnenkönigin ist in der Lage, Angst zu haben.
Ich schäme mich für meine abfälligen Gedanken. In meinen Träumen bin ich wie sie. Ein nettes Mädchen, mit Freunden und Familie. Strahlend wie die Sonne. Aber vielleicht bin ich auch nur das aufbrausende Meer, das alles, was es betreten möchte, sich nähert, verschluckt.
"Das können wir noch nicht wirklich sagen", antwortet Leander auf die Frage, die mir beinahe schon wieder entglitten ist. Ich entspanne mich ein wenig.
Mit einem Seitenblick auf mich stellt Thea erneut eine Frage:
"Stellst du sie uns vor?"
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