𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 𝟏
Der Krieg gegen die Länder war vorüber. Millionen von Opfern kehrten nie wieder nach Hause zurück, Millionen von Frauen vermissten ihre Ehemänner und Millionen von Geschwistern hofften jede Nacht auf die Rückkehr ihrer Liebsten. Tränen flossen und die ganze Menschheit lag in einer schwarzen Hülle. Man konnte die Trauer in der Luft riechen.
Und in diesen dunklen Stunden trat ein Mann aus dem Schatten.
Auch er hatte alles verloren. Zane Woodbury begann, die Welt wieder neu zu errichten. Aber die Menschen waren allesamt blind.
Jeder Stein, der neu aufgebaut wurde, lag am Ende dann doch etwas anders da.
Jeder, der gegen Woodbury demonstrierte war am Ende dann doch etwas verändert, nachdem er mit ihm gesprochen hatte. Wenn er überhaupt noch lebte.
Trotz einiger offensichtlichen Zeichen liebten sie ihn.
Ein Träger des Friedens? Oder ein Mann, der alles nur noch mehr zerstörte?
Das System, eine riesige Organisation erhob sich. Erst jetzt merkten die Ersten, dass hier von Freiheit und Zusammenhalt wenig die Rede war. Zane Woodbury erwies sich als ein grausamer Anführer.
Um die Gesellschaft nach dessen Feinden zu durchsuchen, begann er mit seinen Wissenschaftlern, Experimente durchzuführen.
Und plötzlich waren sie da.
Die Leser.
Es begann die Zeit, in der Woodbury die Gedankenleser als seine Waffe einsetzte. Aber sie waren zu mächtig, um kontrolliert zu werden. Darum mussten sie alle sterben.
Die letzten Überlebenden retteten sich in den Bunker, eine geheime unterirdische Stadt, die weit weit weg vom System gebaut wurde. Zusammengepfercht und in Dunkelheit.
Es wird der Tag kommen, da werden sie sich erheben. Und alles mitreißen, was sich ihnen in den Weg stellt.
***
Mein Blick liegt auf den Menschen in dieser Halle. Fast unwirklich zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Der kurze Anblick reicht, dass mir klar wird, wie wenige dieser Menschen je wieder das Tageslicht sehen werden.
Es tut beinahe weh, in die Augen dieser Leute zu sehen.
Ihren Schmerz herauszulesen, ihr Leid.
Mitanzugucken, wie jedes Kind, dass geboren wird, eine Waffe in die Hand gedrückt bekommt, damit es sich im Notfall selbst verteidigen kann.
Sie schießen. Um zu überleben.
Ich habe in meinem ganzen Leben einen einzigen Menschen getötet. Den Söldner, der beim Mord meiner Eltern zugesehen hat. Und obwohl ich es versuche, schaffe ich es nicht, Mitleid zu verspüren.
Da ist nur glühend heißer Hass in mir.
Es sollte niemals so sein. Aber ich kann mir das nicht aussuchen. Deshalb muss ich es akzeptieren.
Wir sind nicht gefangen, hier, in den dunkelsten Gebäuden. Die ganze unterirdische Stadt dient nur dem Verstecken vor dem System. Die Existenz des Bunkers wurde bis heute nicht bewiesen, ebenso der Beweis, dass es uns tatsächlich gibt..
***
Die Trauer meines Verlustes wütet immer noch durch meinen Körper. Als stände ich durchgängig in Flammen. Wenn ich normal durch die Gänge wandere, dann trifft sie mich wie aus dem Nichts, als lauert sie hinter den dicken Betonmauer.
Ich kann mich nicht vor dieser Wut verstecken.
Ein Leben als Leser ist hart. Im Winter frieren wir. Im Sommer gibt es zu wenig Wasser. Die Neugeborenen haben noch nicht ein einziges Mal das Vergnügen gehabt, das Licht der hellen Sonne auf ihrer Haut zu spüren.
Aber es ist das einzige Leben, dass wir führen können.
Abseits, fernab der Zivilisation, wenn sie uns finden, dann töten sie uns und davor all unsere Liebsten.
So ist es, das System.
Zerstört, was dir am nächsten steht.
Und am Ende, wenn du gebrochen und verletzt am Boden liegst, auch dich.
Gedankenleser.
Schon seit dem Wiederaufbau der Staaten die Gesetzlosen im Volk.
Wir sind eine Gemeinschaft, würden sie uns nicht alle umbringen wollen, wären wir wohl eine mächtige Waffe. Aber da gibt es ja nichts mehr, was besiegt werden kann.
***
Ich zupfe ungeduldig an meiner schwarz grauen Jacke, die so ziemlich jeder hier trägt.
Meine schulterlangen roten Haaren habe ich zu einem Zopf nach hinten gebunden.
Ein kalter Wind zieht durch die Gemäuer und hinterlässt eine schneidende Kälte, die mir bis in die Knochen fährt.
Obwohl der Bunker riesig ist, kenne ich mich einigermaßen aus.
Auf meinen nächtlichen Streifzügen, die ich unternehme, wenn die Schuld meine Kehle durchschneidet, habe ich schon beinahe die ganze Stadt durchquert.
Ich weiß noch nicht einmal, was ich suche. Vielleicht ist es die Vergebung, weil ich mich immer noch verantwortlich fühle.
Der zweite Teil in mir, der durchaus präsenter erscheint, lacht das alles an, grinst und frisst sich durch meine Gedanken, bis die Rachsucht jede Zelle meines Körpers erfüllt. Wie ein Wahn, der mich mitreißt, blind und hoffnungslos, nackt und tot.
Gegen Wut kann ich nichts machen.
Rein gar nichts. Und manchmal, da genieße ich dieses Gefühl.
Manchmal, da macht sie mich stark.
Da bin ich unbesiegbar. Kann das System mit einem schicksalshaften Schlag vernichten, dem Mörder meiner Eltern in die Augen schauen und so lange auf ihn einschreien, dass er um Gnade bettelt. Da drücken meine Finger den Abzug der Pistole, als sei diese ein Spielzeug und der Getroffene nur eine Übungs-Puppe. Das Blut nur eine rote Farbe, die endlich endlich wieder erscheint. Vielleicht wird dann das Feuer in meinem Herzen erlöschen.
Aber das bin ich nicht.
Ich bin Pearl und hasse es mit Menschen zu reden.
Kann nicht wirklich mit Waffen umgehen, bin mittelmäßig im Kampfunterricht und versuche nur, mein beschissenes Leben in den Griff zu bekommen.
Pearl, die sich nachts leise in den Schlaf weint, weil das Einzige, dass sie möchte, die Zuneigung eines Elternteils ist. Geborgenheit, liebliche Worte, einen Menschen, der das selbe Blut in den Adern trägt.
Jemand, der mir sagt, alles sei gut.
Und auch wenn das eine Lüge ist, wäre es doch eine schöne, hoffnungsvolle Lüge.
Nichts ist hier gut.
Keiner weiß, wie er hier, in dieser kaputten Welt existieren kann.
Die einzige Lösung ist es wohl, wenigstens zu versuchen, keine Gefühle zu zeigen.
Herzlos zu sein.
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