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"Hier muss es sein."
Wir stehen vor einer Hobbithöhle, die einem sehr kleinen Haus gleicht. Sie ist von Zaunpfählen umgeben, eine Steintreppe führt zu der grünen, runden Eingangstür hinauf. An ihr kann ich das Symbol erkennen, welches Gandalf mir beschrieben hat und das mir verrät, dass der Hobbit, bei dem wir uns treffen - Börtlin oder Beucklin oder so - hier wohnt.
Ich steige vom Rücken meines Pferdes und öffne das kleine Törchen. Akela bleibt auf der Wiese daneben stehen; er wird warten, bis ich wieder draußen bin.
Ich erreiche die Tür und klopfe an. Während ich darauf warte, dass jemand öffnet, streiche ich meine dunklen Haare hinters Ohr. Die Sonne ist bereits untergegangen und die Nacht bricht herein. Lange wird es wohl nicht mehr dauern, bis Gandalf und diese Zwerge hier sind. Sollte ich wirklich Informationen über Eichenschild erlangen, werde ich mich so früh wie möglich davonschleichen und ihn suchen gehen.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als die Tür vor mir aufschwingt. Ein Hobbit mit braunen Locken schaut zu mir herauf. Er trägt einen Morgenmantel und sieht recht verwirrt aus. "Äh..." Schnell bindet er seinen Mantel enger zusammen. "Entschuldigung, kann ich Euch helfen?"
"Das bezweifle ich", murmle ich, frage dann etwas lauter: "Sind die anderen schon hier?"
"Die anderen?", wiederholt der Hobbit.
Genervt nicke ich. "Ja. Die anderen. Darf ich reinkommen?"
"Äh, ja, sicher", stammelt er und geht beiseite. Ich betrete die Höhle und muss zugeben, dass sie sehr gemütlich aussieht, vor allem im Vergleich zu dem, was ich gewohnt bin. Zwar ist alles etwas klein, aber dieses Haus gehört ja auch einem Hobbit.
Ich nehme mein Schwert ab, lasse meinen Dolch aber an meinem Bein. Ich habe ihn schon seit ein paar Jahren, er hat mir aus so manchen heiklen Situationen geholfen. Seine Klinge ist, wie die Halterung auch, beinahe transparent, aber schärfer als die meisten Waffen, die ich zuvor in den Händen hielt. Der Griff ist golden und edel verziert.
Der Hobbit mustert ihn argwöhnisch, bevor er stammelt: "Ihr, äh, könnt Eure Waffen hier ablegen." Er zeigt auf eine Holztruhe, auf die ich mein Schwert lege (dass ich den Dolch behalte, behagt dem Hobbit offenbar nicht), meinen Umhang hänge ich an die Garderobe. Dann wende ich mich, die Hände in die Hüften gestemmt, an den nach wie vor verwirrten Hobbit. "Er sagte, wir würden uns Abends treffen. Es wundert mich, dass ich die Erste bin."
"Hat er gesagt?" Der Hobbit runzelt die Stirn. "Hat wer gesagt?"
Bevor ich antworten kann, klingelt es. Das müssen die Zwerge sein. "Das ist wohl die Tür", merke ich mit spöttisch hochgezogenen Mundwinkeln an, als der Hobbit keine Anstalten macht, zu öffnen, sondern nur verwundert die Augenbrauen hebt. Er wirft mir einen kurzen, skeptischen Blick zu, öffnet dann die Tür erneut. Davor steht tatsächlich einer der Zwerge. Er hat zwar keine Haare auf dem Kopf, dafür aber einen langen braunen Bart. Für einen Zwerg sieht er recht groß aus.
Er deutet dem Hobbit gegenüber eine Verbeugung an. "Dwalin", stellt er sich mit tiefer Stimme vor. "Zu Euren Diensten."
"Bilbo Beutlin, zu, äh, Euren", faselt der Hobbit, sieht Dwalin nach, als dieser einfach das Haus betritt. Ich habe zwar neun Jahre meines Lebens bei Orks verbracht, aber immerhin habe ich Manieren. Zumindest glaube ich das.
"Äh, kennen wir uns?", fragt Herr Beutlin.
Dwalin runzelt die Stirn - "Nein?" - und geht an dem Hobbit vorbei. Dabei fällt sein Blick auf mich. Überrascht reißt er die Augen leicht auf, anscheinend hat Gandalf mich ihm gegenüber nicht erwähnt. "Und wer seid Ihr?"
"Das geht Euch nichts an", brumme ich, noch ehe ich darüber nachdenken kann. Der Zwerg spannt sich an, mustert mich aus zusammengekniffenen Augen. Beherrsch dich! Solange du in Gegenwart der Zwerge bist, musst du dich von deiner besten Seite zeigen, warnt mich eine leise Stimme in meinem Kopf.
"Ich bin Rina", stelle ich mich knapp vor, verziehe keine Miene.
Dwalin hebt eine Braue, wendet sich dann ab. "Wohin, Kleiner? Ist es hier unten?" Er nimmt seinen Mantel ab. Kein Grund, mich zu ignorieren, denke ich, verkneife mir ein Schnauben. Ich hab doch schon versucht, höflich zu sein.
"I-ist was wo unten?", fragt Bilbo, der nach wie vor an der Tür steht.
"Das Abendessen." Dwalin wirft Bilbo seinen Mantel zu und geht ins anliegende Zimmer. "Er hat gesagt, es gibt zu Essen, und zwar reichlich."
"Stimmt, das hat er gesagt." Ich gehe Dwalin nach und finde mich im Wohnzimmer wieder. Hinter mir kann ich Bilbo: "Ja wer denn?!", murmeln hören.
Dwalin sitzt an einem kleinen Tisch und verleibt sich einen Fisch mit Bratkartoffeln ein, von denen ich annehme, dass sie ursprünglich für eine Person bestimmt waren - und diese ist Bilbo. Der Hobbit setzt sich auf einen Hocker in der Nähe und beobachtet, wie der Zwerg sein Abendessen verschlingt.
"Wollt Ihr, äh, auch etwas essen?", bietet er mir nach einer Weile an, als hätte er durch Dwalin vergessen, dass ich ebenfalls hier bin.
Statt einer Antwort hören wir alle nur das Knurren meines Magens und mir fällt wieder ein, dass ich seit Tagen nichts Richtiges gegessen habe. Ich kann eine Weile mit wenig Essen und Schlaf auskommen, aber die letzte Zeit habe ich beides zu sehr vernachlässigt. Bilbo steht auf und kommt kurz darauf mit zwei Äpfeln zurück. Ich nehme sie entgegen, nicke ihm knapp zu und beiße in einen Apfel hinein. Noch während ich das tue, fragt Dwalin schmatzend: "Sehr gut ist das. Gibt's noch mehr?"
Geradezu geschockt sieht Bilbo auf. "Was? Oh, ja. Ja." Er greift nach einem Korb voller Gebäck, nimmt sich selbst schnell eines heraus und hält ihn dann mir hin. Nachdem ich mir ebenfalls ein Gebäckstück genommen habe, stellt der Hobbit den Korb zu Dwalin auf den Tisch. Dieser langt kräftig zu.
Bilbo sieht zwischen uns hin und her. "Hm... Es ist nur so: Ich habe nicht unbedingt Gesellschaft erwartet."
Kaum, dass er ausgesprochen hat, klingelt es wieder.
"Das ist wohl die Tür", wiederholt Dwalin meine Worte von vorher, worauf ich ihn mit gerunzelter Stirn ansehe.
Bilbo öffnet und ich kann hören, wie jemand gut gelaunt sagt: "Balin - zu Euren Diensten", und Bilbo etwas verdattert antwortet: "Guten Abend..."
"Ja. Ja, er ist gut. Obwohl ich denke, dass es nachher regnen könnte."
Wenig später kommt der Zwerg lächelnd herein, begrüßt Dwalin, als seien sie alte Freunde. Tatsächlich stellt sich heraus, dass sie sogar Brüder sind. Während die beiden miteinander reden, gehe ich an Bilbo vorbei in Richtung Haustür.
"Wo - Wo wollt Ihr hin?", fragt der Hobbit, wobei ich mir denken kann, dass es ihm eigentlich herzlich egal ist, solange er weniger Leute in seinem Haus hat. Es kommt mir nicht so vor, als hätte er gewusst, dass er in der heutigen Nacht Zwerge und eine fremde Frau beherbergen sollte.
"Bin gleich zurück", sage ich nur, sehe aus dem Augenwinkel, wie er die Schultern hängenlässt.
Ich verlasse die Höhle und den Vorgarten und gehe auf Akela zu. Einen Apfel habe ich für ihn übrig gelassen, halte diesen nun hinter meinem Rücken versteckt. "Na?" Beim Klang meiner Stimme sieht der schwarze Hengst auf und blinzelt mich neugierig an. "Ist ziemlich langweilig da drin", meine ich und streichle ihm über die Stirn. "Aber ich hab was für dich." Ich halte den Apfel hoch, worauf Akela erfreut wiehert. Nach wenigen Bissen ist der Apfel verschwunden. "Der schmeckt besser als ödes Gras, nicht?", murmle ich, streiche gedankenverloren mit der Hand über Akelas wellige, lange Mähne.
Mir dauert das alles zu lange. Wie viele Zwerge sollen überhaupt kommen? Und wo bleibt Gandalf? Ich muss den richtigen Augenblick abwarten, um etwas über Thorin in Erfahrung zu bringen. Wenn ich sofort nach ihm fragen würde, wäre das viel zu auffällig. Aber wann wird endlich der perfekte Zeitpunkt da sein? Meine Familie kommt mir in den Sinn. Obwohl Azog mir damals, als er mich fand, sagte, keiner im Dorf hätte das Feuer überlebt, hatte ich für eine Weile noch Hoffnung, er läge falsch.
Irgendwann erkannte ich, dass dem nicht so war. Selbst ich wäre beinahe gestorben, ich habe nur dank meiner Kräfte und Azogs Hilfe überlebt.
Meine Kräfte... Azog sagte, Thorin hätte das Dorf auf der Suche nach mir niedergebrannt... Weil er mir meine Macht rauben wollte. Wer sagt, dass diese Zwerge das nicht auch versuchen, sollten sie herausfinden, was ich bin? Ich darf es nicht riskieren... Wenn es sich vermeiden lässt, sollte ich meine Magie nicht nutzen und sie lieber geheimhalten.
Seufzend lehne ich meine Stirn gegen Akelas, worauf dieser mitleidig schnaubt. Ich habe das Gefühl, er weiß immer, wie es mir geht, und jetzt gerade kann er spüren, dass ich an meine Familie denke. Meine Hand wandert zu dem Amulett an meinem Hals, ich umschließe den Rubinanhänger mit der Faust. Solange ich diese Kette habe, kann ich mich kontrollieren. Das Einzige, worauf ich dann noch achten muss, ist, dass sie mein Muttermal nicht sehen. Es ist pechschwarz und hat die Form einer Rune.
Azog erklärte mir, es symbolisiere meine Macht, also könnte ich mich verraten, sollte jemand es sehen. Normalerweise dürfte das aber nicht passieren, denn es befindet sich zwischen meiner Schulter und meiner Brust, wird also meist von meinen Klamotten bedeckt.
Akela hebt den Kopf, wodurch er mich aus meinen Überlegungen reist. Ich folge seinem Blick über die Wiese zur Tür der Hobbithöhle und entdecke zwei weitere Zwerge, der eine blond, der andere braunhaarig. Bilbo öffnet, seufzt und lässt sie rein, nachdem sie sich hektisch unterhalten haben.
"Bis nachher, mein Großer." Ich klopfe Akela auf den Hals und folge den Zwergen durch die noch offene Tür ins Innere, schließe sie hinter mir. Bilbo steht im Flur, hält die Schwerter einer der Zwerge und sieht aus, als würde er gleich die Nerven verlieren.
Er war definitiv nicht auf uns vorbereitet.
Der Blick der beiden Zwerge bleibt an mir hängen.
"Wer seid Ihr denn?", fragt der Blonde, hört sich allerdings im Gegensatz zu Dwalin vorhin nicht misstrauisch, sondern schlichtweg überrascht an.
"Rina." Ich hebe halbherzig die Hand, um ein Winken anzudeuten, bevor ich meine Arme vor der Brust verschränke.
Die beiden Zwerge tauschen irritierte Blicke. "Verzeiht mir die Frage, aber was macht Ihr hier?"
"Ignoriert meinen Bruder." Der Braunhaarige tritt einen Schritt vor, zwinkert mir kokett zu und nimmt meine Hand. "Kili, zu Euren Diensten." Er platziert einen Kuss auf meinem Handrücken.
In der nächsten Sekunde habe ich sein Handgelenk umfasst und seinen Arm auf den Rücken gedreht. "Das solltet Ihr lieber lassen." Ich lächle, ignoriere Bilbos geschockten Gesichtsausdruck.
Kili verzieht das Gesicht. "Okay, tut mir leid", keucht er und ich lasse ihn los. Schnell tritt er wieder neben seinen Bruder, welcher das Ganze amüsiert beobachtet hat. Offenbar funktioniert Kilis - zugegeben charmante - Art bei anderen Frauen und er ist es nicht gewohnt, sofort abgewiesen zu werden.
"Fili", stellt sich nun der blonde Zwerg, immer noch schmunzelnd, vor und verbeugt sich leicht. "Zu Euren Diensten."
Einen Moment lang sehen wir einander bloß an, und da er mich freundlich anlächelt, zwinge ich mich, zurückzulächeln... obwohl es vermutlich beinahe wie eine Grimasse aussieht. Da ertönen schwere Schritte hinter mir.
"Fili, Kili, packt mal mit an." Dwalin kommt in den Flur und zieht die beiden jüngeren Zwerge mit sich in Richtung Speisekammer. Bilbo folgt ihnen schnellen Schrittes, derweil lehne ich mich gegen eine Wand und beobachte alles.
"Schiebt das in den Flur, sonst kriegen wir hier niemals alle rein", ordnet Balin an. Er ist offensichtlich der älteste Zwerg, die anderen scheinen großen Respekt vor ihm und seinem Bruder zu haben.
"Alle?", wiederholt Bilbo entsetzt. "Wie viele kommen denn noch?"
Wieder klingelt es.
Belustigt sehe ich zu, wie Bilbo schimpfend die Waffen ablegt, in den Flur eilt und die Tür aufzieht. Mehrere Zwerge purzeln herein und fallen auf einen Haufen. Hinter ihnen beugt Gandalf sich etwas hinunter, um in die Höhle sehen zu können.
Endlich. Ich richte mich ein wenig auf vor Anspannung, halte mich aber weiterhin zurück. Bald werde ich erfahren, was hier los ist, und vielleicht finde ich dann auch etwas über Thorin Eichenschild heraus.
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Nur kurz an die, die es interessiert: In dem Kapitel "Thirteen years later" könnt ihr Rinas Amulett, den Dolch, ihr Schwert und die Rune auf ihrer Haut sehen, so wie noch ein paar andere Dinge :)
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