
16 ˖⋆࿐໋₊
Am nächsten Morgen liegen die meisten Zwerge bereits nicht mehr im Stroh, als ich aufwache. Die Sonne ist schon aufgegangen, lässt das Haus heller und gemütlicher erscheinen. Von draußen kann ich Geräusche hören, als würde jemand Metall auf Holz schlagen.
Ich rüttle an Kilis Schulter. "Hey, aufwachen!"
Grummelnd dreht der Zwerg sich auf die andere Seite. Ich grinse, nehme einen Halm des Strohs vom Boden und fahre ihm damit ums Ohr. Kili holt aus, um nach einem vermeintlichen Insekt zu schlagen, trifft aber nur sich selbst im Gesicht.
Lachend beobachte ich, wie er sich miesgelaunt aufsetzt, gähnt und dann zu mir sieht. Augenblicklich grinst er. "Da ist wohl jemand gut drauf."
"Freu dich doch." Ich stehe auf, Kili macht es mir nach. "Tu ich", versichert er mir. "Das bedeutet nämlich, dass die Chance, heute von dir verprügelt zu werden, geringer ist."
"Da würde ich mich nicht drauf verlassen", zwinkere ich. Halb lachend, halb jammernd, verzieht Kili das Gesicht. Wir verlassen den "Stall", gehen zu den anderen Zwergen. Dabei weichen wir übergroßen, herumschwirrenden Insekten aus. Bilbo ist der einzige, der noch schläft, und sollte er nicht bald aufwachen, wecken wir ihn eben.
Als wir bei der Gruppe ankommen, kann ich hören, dass sie darüber reden, was sie als nächstes tun sollen - zum einen wegen mir, zum anderen wegen Beorn. Fili ist der erste, der Kili und mich entdeckt, und ich schwöre euch: Könnten Blicke töten, würden wir nicht mehr hier stehen. Ich versuche allerdings, den blonden Zwerg zu ignorieren. Warum stört es ihn so sehr, dass Kili und ich uns wieder verstehen? Gönnt er mir das nicht?
Als auch die anderen uns bemerken, verstummen ihre Gespräche. Ich stemme die Hände in die Hüfte, sehe sie der Reihe nach an. "Lasst euch von mir nicht stören. Es sei denn, ihr denkt immer noch, ich würde Azog eure Pläne verraten."
"Hör zu, Kleine..." Es ist Dwalin, der für alle spricht. "Wir haben darüber gesprochen und eingesehen, dass es zwar stimmt, was du gestern gesagt hast; du hättest schon längst die Kurve kratzen können. Aber - "
"Das heißt nicht, dass wir dir wieder vertrauen", bringt Thorin es auf den Punkt. "Wir werden weiterreisen, wie, ist noch nicht ganz klar, aber todsicher ist, dass du nicht mitkommen wirst."
"Was?!", rufen Kili und ich gleichzeitig aus.
Bilbo ist inzwischen aufgewacht und tritt verstört zu uns. Er hat den letzten Teil des Gesprächs mitbekommen, wusste aber scheinbar bisher nichts vom Vorhaben der Zwerge. "Wann habt ihr das entschieden?"
"Heute", antwortet Gloin ihm. "Es wurde abgestimmt."
Gandalf brummt etwas vor sich hin, aber ich kann es nicht verstehen. Wirklich glücklich scheint er allerdings nicht zu sein. Für Kili und Bilbo gilt dasselbe.
"Haben wir da etwa nicht mitzureden?", fragt Kili mit zusammengebissenen Zähnen. Für mich ist offensichtlich, dass sie absichtlich abgestimmt haben, solange Bilbo, Kili und ich noch schliefen, denn die beiden hätten scheinbar dafür gestimmt, dass ich mitkomme. So sehr mich die Aktion der anderen auch nervt - die Tatsache, dass wenigstens Kili und Bilbo zu mir halten, macht alles etwas leichter.
"Nein, habt ihr nicht", antwortet Thorin schlicht.
Bilbo lacht freudlos auf, murmelt irgendetwas vor sich hin. Ich stehe nur da, die Hände angespannt in die Seiten gestemmt, und beiße mir auf die Zunge. Kili seinerseits ist wütend. "Und du?" Er funkelt seinen Bruder an, welcher mit finsterem Blick Kili entgegensieht. "Hast du dem Ganzen etwa zugestimmt?"
"Was spielt das für eine Rolle? Es ist entschieden", mischt sich Dori ein, bevor Fili auch nur den Mund öffnen kann. "Wir sollten uns jetzt darauf konzentrieren, was wir wegen des Bären machen."
Sofort bricht eine riesen Diskussion los. Manche finden, wir - pardon, sie - sollten sich heimlich davonschleichen, andere - wie Dwalin - weigern sich, feige abzuhauen. Gandalf beendet die Diskussion, indem er klarstellt, dass keiner von uns ohne Beorns Hilfe an den Orks vorbeikommt. Er schlägt vor, dass wir uns, mich eingeschlossen, dem Hautwechsler gruppenweise nähern, damit wir ihn nicht überfordern, und ihn dann um Hilfe bitten.
Ich gebe Gandalf ein Zeichen, dass ich mit ihm allein reden möchte, und während die anderen noch diskutieren, begeben wir uns außer Hörweite. "Vielleicht sollte ich lieber hier bleiben", sage ich, die Stimme gesenkt. "Er wird sich sicher nicht freuen, mich zu sehen."
"Weiß er denn von deiner Vergangenheit mit Azog?"
"Nicht, dass ich wüsste."
"Dann kommst du mit", entscheidet Gandalf und will sich schon wieder abwenden. Er dreht sich zu mir um, als ich seinen Namen sage. "Wofür hast du gestimmt?", möchte ich wissen.
"Was meinst du?" Der Zauberer legt die Stirn in Falten.
Ungeduldig schnalze ich mit der Zunge. "Das weißt du ganz genau."
Er lächelt leicht, wenngleich es ein mitleidiges Lächeln ist. "Ich war dagegen, dich wegzuschicken. Und zwar nicht wegen deiner Fähigkeiten", fügt er hinzu, als er meinen Gesichtsausdruck sieht, der ihm wohl sagte, dass ich genau das gedacht habe. "Und damit du es weißt..." Er kommt etwas näher, beugt sich runter und flüstert: "Ich bin nicht der einzige, der dich gern in der Gemeinschaft behalten hätte." Er zwinkert, wendet sich dann ab.
Nachdenklich lasse ich meinen Blick über die Zwerge schweifen. Von Bilbo und Kili abgesehen, weil sie ja nicht abstimmen durften, kann ich mir nur bei wenigen vorstellen, dass sie dagegen waren. Vielleicht Balin und Dwalin, Bofur und...
Mein Blick bleibt an Fili hängen. Nein. Er will mich loswerden, so schnell es geht. Das sehe ich ihm an. Und so, wie er mich die letzten Tage behandelt hat, ist das auch mehr als offensichtlich.
Gandalf drängt sich an den Zwergen vorbei zur Tür. "Ich werde vorgehen, und Bilbo - du kommst mit mir."
Erschrocken sieht der Hobbit auf. Eben noch sagte Gandalf, der letzte, der Beorn aufschreckte, wurde in Stücke gerissen, und jetzt schickt er Bilbo nach draußen! Thorin bedeutet ihm, zu Gandalf zu gehen, daraufhin wirft er mir einen besorgten Blick zu. Ich nicke aufmunternd. "I-ist das eine g-gute Idee?", stottert Bilbo, tritt langsam an die Seite des Zauberers.
"Ja", sagt Gandalf ohne zu zögern. "Und ihr übrigen wartet hier. Kommt nicht eher raus, bis ich ein Zeichen gebe!" Mahnend hebt er den Finger.
"Gut, erst auf dein Zeichen." Bofur, der auf einer Truhe vor dem Fenster steht, um rausgucken zu können, nickt.
Gandalf warnt uns nochmal, Beorn nicht zu bedrängen und - abgesehen von Bombur - paarweise rauszugehen, dann ist er auch schon mit Bilbo an seiner Seite durch die offene Tür nach draußen geschlüpft. "Nicht vergessen, wartet auf das Zeichen!"
"Und was für ein Zeichen ist das?", fragt Bofur, doch Gandalf hört ihn nicht mehr.
Ich schängle mich an den anderen vorbei zum Fenster, stelle mich neben Bofur. Ich bin erleichtert, als er nicht von mir wegrückt, und meine Vermutung, dass er tatsächlich dafür gestimmt hat, mich in der Gruppe zu behalten, verstärkt sich. Nebeneinanderstehend spähen wir aus dem Fenster, beobachten, wie Gandalf und Bilbo langsam auf Beorn zugehen (der übrigens auch als Mensch unglaublich groß ist) und sich mit ihm unterhalten.
Beorn zerhackt Holz mit einer Axt, was das Geräusch von vorhin erklärt. Seine kräftigen Muskeln sowie seine übermenschliche Größe flößen einem schnell Respekt vor ihm ein.
Gandalf fuchtelt beim Reden mit den Händen herum. Mit gerunzelter Stirn sehen Bofur und ich einander an. "War's das?", frage ich. Er nickt hastig. "Das war's!" Er dreht sich zu den Zwergen um. "Das war's, los, los, los!"
Balin und Dwalin gehen als erste raus. Der Gesichtsausdruck, mit dem Gandalf sich zu ihnen umdreht, lässt mich vermuten, dass wir uns womöglich getäuscht haben und das eben nicht das Zeichen war. Aber da Beorn nichts weiter tut, als angespannt dazustehen und weil Gandalf immer wieder mit den Händen herumfuchtelt, schicken wir weitere Gruppen nach draußen. Gloin und Oin, Dori und Ori, Fili und Kili. Nori, Bofur, Bifur und Bombur stolpern alle auf einmal nach draußen, bis schließlich nur noch Thorin und ich übrig sind.
Unentschlossen stehe ich dem Zwergenrpinzen gegenüber. Dieser mustert mich aus zusammengekniffenen Augen, sagt dann leise: "Wir sollten vermutlich zusammen rausgehen."
"Ja... vermutlich."
Doch keiner von uns beiden bewegt sich, stattdessen starren wir einander nur unverwandt an. Erst, als wir Beorn "Sind das alle? Sind da noch mehr?", fragen hören, treten wir, nachdem wir einander kurz zugenickt haben, nach draußen. Der Hautwechsler beobachtet uns wachsam. Dabei kann ich spüren, wie mein Herz mir bis zum Hals klopft. Ich hatte nichts damit zu tun, was den Hautwechslern widerfahren ist, aber was, wenn Beorn von meiner Vergangenheit weiß und das anders sieht?
Doch dies scheint nicht der Fall zu sein.
Erst, als Akela, der mich nun bemerkt, laut wiehert, sieht Beorn speziell zu mir. Freudig will ich auf Akela zugehen, aber Thorin hält mich zurück, sieht mich warnend an. Ich verdrehe die Augen, befreie mich aus seinem Griff und gehe auf Beorn zu.
"Er ist Euer Pferd, nicht wahr?"
"Kann man so sagen", antworte ich vage. "Aber er ist eher ein Freund."
"Er ist sehr intelligent", stellt Beorn fest, folgt meinem Blick zur Koppel. Akela tänzelt freudig auf der Stelle, die Stute aus vergangener Nacht sieht neugierig zwischen uns hin und her. "Er ist vor ein paar Tagen hier angekommen und wollte nicht mehr weg. Beinahe, als hätte er gewusst, dass er Euch hier finden würde."
"Das überrascht mich nicht", erwidere ich ehrlich. "Wir finden einander immer."
Beorn scheint zu zögern, tritt dann aber beiseite und lässt mich an ihm vorbeigehen. Ich laufe auf die Koppel zu, schwinge mich über den Holzzaun und gehe auf Akela zu. Der junge Hengst trabt mir entgegen, dreht ausgelassen ein paar kleine Runden um mich herum und bleibt schließlich vor mir stehen. Mit der Hand streiche ich ihm über die Stirn. "Es ist schön, dich wiederzusehen", flüstere ich, schlinge dann meine Arme um seinen Hals. Akela wiehert glücklich auf und legt seinen großen Kopf über meine Schulter, als wolle er die Umarmung erwidern. "Wenn die anderen weitergereist sind, werden wir für eine Weile allein sein", wispere ich ihm zu. "Vielleicht kannst du mir dann deine Freundin vorstellen."
-
Wir sitzen an Beorns großem Esstisch, trinken Milch und essen Honig. Mein Platz ist zwischen Fili und Kili. Belustigt sehe ich zu, wie Beorn einen übergroßen Krug mit Milch befüllt und Fili diesen zweifelnd, womöglich sogar etwas überfordert mustert.
"Also du bist der, den sie Eichenschild nennen..." Beorn wirft einen Blick auf Thorin, der auf Filis anderer Seite gegen einen Holzbalken gelehnt dasitzt. "Sag mir, warum macht Azog der Schänder Jagd auf dich?"
Alarmiert sehen Thorin und ich einander kurz an. "Du weißt von Azog?", fragt er. "Woher?" Während Beorn ihm von der Geschichte seines Volkes erzählt, sitze ich schweigend da und starre angestrengt auf die Tischplatte. Es mag zwar nicht meine Schuld sein, was Azog getan hat, aber ich habe dennoch ein schlechtes Gewissen.
Ich kann Filis Blick auf mir spüren, doch als ich aufsehe, schaut er schnell weg. Mit beiden Händen nimmt er den großen Krug in die Hand und trinkt ein paar Schlucke. Dabei erzählt Gandalf Beorn, dass sie vorhaben, durch den Düsterwald zu reisen, um rechtzeitig zum Durinstag am Erebor anzukommen.
Fili setzt seinen Krug ab, sieht zwischen ihm und mir hin und her. Er merkt, dass ich weder esse, noch trinke. "Möchtest du auch?", flüstert er, um Gandalf nicht zu stören, und schiebt mir zaghaft die Milch hin. Ich zucke mit den Schultern, trinke aber ein paar Schlucke, bevor ich ihm den Krug wortlos zurückgebe.
Ich bin wütend auf ihn. Wütend, weil er mich bestimmt verstehen könnte, wenn er es nur wollte. Aber er versucht es nicht einmal.
Mit der Begründung, dass er Orks noch mehr hasst als Zwerge, stimmt Beorn zu, den Zwergen zu helfen. Er gibt ihnen Proviant und die schwarzweißen Ponys von draußen, damit sie den Düsterwald rechtzeitig erreichen, will aber, dass sie sie dann zu ihrem Herren zurückschicken.
-
"Gandalf." Ich gehe auf den Zauberer zu, Akela trottet neben mir her. "Die Ponys sind zu klein für dich. Wenn du möchtest, kannst du mit Akela reiten. Er ist das schnellste und klügste Pferd überhaupt - und er ist einverstanden." Wie zur Bestätigung wiehert der Hengst kurz auf und blinzelt den Zauberer auffordernd an.
"Klug und schnell ist er, das ist wahr." Dankbar senkt Gandalf den Kopf. "Ich nehme euer Angebot gern an. Aber was ist mit dir?"
"Ich habe mit Beorn gesprochen." Mit vor der Brust verschränkten Armen sehe ich zu dem Hautwechsler, der uns aus wenigen Metern Entfernung beobachtet. "Er sagte, ich könne ein paar Tage bleiben, um mich vor den Orks zu verstecken. Wenn ihr den Düsterwald erreicht habt, schick Akela bitte mit den Ponys wieder her."
Gandalf nickt zustimmend. "In Ordnung."
Ich mache Anstalten, mich abzuwenden, doch Gandalf hält mich auf. "Ich habe noch ein paar Dinge mit Beorn zu bereden. Vielleicht nutzt du die Zeit, um dich zu verabschieden." Bedeutungsvoll zwinkernd dreht er sich um und geht dem Hautwechsler entgegen. Akela mustert mich mit schief gelegtem Kopf. Seufzend lehne ich meine Stirn gegen seine. Erst jetzt wird es mir richtig bewusst: Ich werde die Zwerge, Bilbo und Gandalf vermutlich nie wieder sehen. Nie zuvor hätte ich gedacht, dass mir das so wehtun könnte. "Vielleicht sollte ich mich wirklich verabschieden..."
Akela schnaubt, tritt einen Schritt zurück und sieht auf etwas hinter mich. Ich drehe mich um. Fili ist von seinem Pony gestiegen und läuft auf mich zu. Beschützend drängt Akela sich etwas näher an mich, worauf ich ihm beruhigend eine Hand auf die Schultern lege.
Vor uns kommt Fili zum Stehen, öffnet den Mund, sagt aber nichts. Er schließt ihn wieder, sieht hilfesuchend über die Schulter zu Kili, welcher schnell den Blick abwendet als er merkt, dass ich auch zu ihm sehe.
Fili und ich sehen uns das erste Mal seit Tagen wieder in die Augen. So viele Dinge, die ich ihm noch sagen will, schwirren mir im Kopf herum... Doch kein einziges Wort verlässt meine Lippen.
Der Zwerg unterbricht schließlich das angespannte Schweigen. "Dann... heißt es jetzt wohl Abschied nehmen."
Ich beiße mir auf die Zunge, nicke. "Du freust dich sicher, mich los zu sein." Mir ist der Satz über die Lippen gekommen, ehe ich darüber nachdenken kann. Verdammte - Von all den Dingen, die ich ihm sagen will, entscheide ich mich ausgerechnet dafür?
Erst scheint Fili verwirrt, dann wütend. "Was soll das denn bitte bedeuten?"
"Ach, tu nicht so scheinheilig", schnaube ich, nun ebenfalls gereizt. "Du konntest mich die letzten Tage kaum ansehen. Gib's einfach zu: Du wirst froh sein, wenn ich weg bin."
Fassungslos schüttelt Fili den Kopf. "Ich habe dagegen gestimmt", stellt er mit kalter Stimme fest. "Nur, damit du's weißt." Ohne ein weiteres Wort dreht er sich um, lässt mich mit offenem Mund zurück.
"Aber... Wieso?"
Er bleibt stehen, sieht über die Schulter zu mir. "Weil du mir wichtig bist. Verstehst du das etwa immer noch nicht?"
Seine Worte sind leise, doch ich höre jedes einzelne. "Naja, so, wie du mich die letzte Zeit behandelt hast, kam es mir nicht so vor...", murmle ich, füge hinzu: "Aber ich kann es verstehen. Irgendwie. Thorin ist deine Familie... Und niemand will seine Familie verlieren."
Versunken in Erinnerungen an meine eigene Familie und an die Zeit in der Gemeinschaft, bevor sie von mir und den Orks wussten, starre ich auf das Gras vor mir, bis Fili wieder das Wort ergreift. "Was Beorn passiert ist, ist furchtbar. Ich weiß, dass du niemandem je so etwas hättest antun können." Ich habe gar nicht gemerkt, dass er inzwischen wieder vor mir steht. Er ist mir so nah wie noch selten zuvor. Ich muss den Kopf nur ein kleines bisschen senken, um Fili in die Augen sehen zu können. Geh weg von ihm!, ruft mein Unterbewusstsein mir zu. Mach schon, beweg dich! Aber ich rühre mich keinen Millimeter. Zitternd halte ich die Luft an, als Fili meine Hand in seine nimmt. Wieder öffnet er den Mund, doch er findet nicht die richtigen Worte.
"Du solltest gehen", hauche ich, kämpfe gegen die Sehnsucht in meinem Herzen an. "Die anderen warten..."
Fili schluckt, nickt zögerlich. Er beugt sich vor, küsst mich auf die Wange. Dann lässt er meine Hand los, lächelt mich ein letztes Mal an und steigt auf sein Pony. Schweren Herzens sehe ich ihm dabei zu.
Da Gandalf noch immer mit Beorn spricht, obwohl Thorin ihn bereits dazu aufgefordert hat, endlich aufs Pferd zu steigen, beschließe ich, mich noch schnell von den anderen zu verabschieden.
Kili zuerst. Er hat, wie immer, ein breites Grinsen auf dem Gesicht, doch es erreicht nicht seine Augen. "Es wird total langweilig ohne dich", sagt er, als ich neben seinem Pony zum Stehen komme.
"Ich, ähm..." Ich suche nach Worten. "Ich bin nicht wirklich gut in sowas, ich... Ich musste mich vorher noch nie von jemandem verabschieden. Zumindest nicht so. Aber - "
"Komm einfach her, Rina." Kili beugt sich runter und schließt mich in seine Arme. Anfangs stehe ich etwas versteift da, erwidere die Geste aber nach ein paar Sekunden. Ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals, hindert mich daran, zu sprechen. Nachdem wir uns voneinander gelöst haben, lächeln wir uns kurz an, dann gehe ich zu Bilbo.
Der Hobbit hat uns schweigend beobachtet und als ich näherkomme, sehe ich, dass seine Augen verdächtig glänzen. "Bilbo, weinst du etwa?", frage ich neckend, um zu überspielen, wie traurig mich die ganze Situation macht.
Beschämt lachend zuckt Bilbo mit den Schultern. "Ich... Ich werde dich einfach sehr vermissen, weißt du?"
Sprachlos öffne ich den Mund, meine Augen weiten sich. Dann formen sich meine Lippen zu einem traurigen Lächeln. "Ich werde dich auch vermissen, Kleiner."
Nachdem ich Bilbo umarmt habe, höre ich, wie ein Pony auf mich zukommt. Überrascht stelle ich fest, dass Dwalin neben mir steht. Blinzelnd sieht er auf mich herab, sucht nach den richtigen Worten. "Pass auf dich auf, Kleine", sagt er schließlich.
Ich nicke. "Ihr auch auf euch. Macht nichts allzu dummes, wenn's geht."
"Keine Versprechungen", lacht Dwalin und klopft mir väterlich auf die Schulter.
Gandalf verabschiedet sich von Beorn und läuft auf Akela zu. Ich sehe die restlichen Zwerge an und winke ihnen nach kurzer Überlegung zum Abschied zu. Einige tun es mir traurig lächelnd gleich - Bofur, Bombur, Balin, Oin - die anderen zögern, winken aber schließlich mehr oder weniger zurück.
Nur Thorin nicht. Er bedenkt mich mit einem für mich undeutbaren Gesichtsausdruck, wendet sich dann ab. Ich werfe einen schnellen Blick in Gandalfs Richtung. Der Zauberer hat Akela inzwischen erreicht. Das Pferd knickt die Vorderbeine ein, damit Gandalf leichter aufsteigen kann. Ein kleiner Trick, den ich ihm vor ein paar Jahren beibrachte, denn ohne Steigbügel hochzukommen kann sich recht schwierig gestalten. Während Akela sich hinstellt und Gandalf seine Mähne ergreift, um sich festzuhalten, gehe ich zögernd auf Thorin zu. Dieser beobachtet mich stumm.
"Thorin..." Ich zögere, sage dann: "Ich hoffe, ihr bekommt eure Heimat zurück. Das hoffe ich wirklich."
Nach ein paar Sekunden, in denen ich schon denke, der Prinz würde mich bloß weiterhin finster anstarren, senkt er schließlich kurz in einer höflichen Geste den Kopf. "Und ich hoffe, dass du und Akela für euch ein neues Zuhause findet."
Ich trete einige Schritte zurück, als Gandalf an mir vorbeireitet und die Führung übernimmt. Die Zwerge folgen ihm, brechen auf zum Düsterwald. Dabei drehen manche von ihnen sich nochmal zu mir um, winken.
Darunter Fili. Der Zwerg schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln, und obwohl alles in mir danach schreit, meine Wut, Reue und Verzweiflung rauszulassen, raffe ich mich auf, sein Lächeln zu erwidern, bis er sich wieder nach vorn gedreht hat.
Ich beobachte die Gemeinschaft, bis schließlich auch Bilbo, der ganz hinten reitet, aus meinem Sichtfeld verschwunden ist.
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