8
Schwer atmend fahre ich hoch.
Es war ein Albtraum. Nur ein Albtraum.
Ich zwinge mich, kontrolliert zu atmen, ehe ich mich zurück in die weichen Seidenkissen lehne. Der Geruch meines eigenen Schweisses dringt in meine Nase, mein Haar ist wirr und zerzaust und als ich mit der Zunge über die Lippe fahre, schmecke ich Blut.
Ein kurzer Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich noch zwei Stunden Zeit habe, bis es Frühstück gibt. Ich schwinge mich aus dem Bett und reisse die Vorhänge auf. Die Dämmerung hat bereits eingesetzt, schwacher Sonnenschein fällt durch das grosse Fenster und taucht den Raum in ein malerisches Licht. Einen kurzen Moment verweile ich, dann öffne ich zusätzlich das Fenster und lasse den Wind mit meinem Haar spielen.
Ich schliesse die Augen und stütze mich am Fensterbrett ab.
Was habe ich bloss getan?
Ich habe mich mein ganzes Leben auf diese Spiele vorbereitet. In meiner Freizeit habe ich kaum Zeit ausserhalb der Trainingshalle verbracht. Selten war ich mit Freunden unterwegs, nie habe ich einen Jungen getroffen. Endlich habe ich die Gelegenheit, all das zu zeigen, wofür ich in den letzten Jahren geblutet habe. Wie viele Tränen habe ich vergossen? Wie viel Schmerz musste ich ertragen?
Und nun? Nun lasse ich mich von Gefühlen ablenken, die ich ein Leben lang zu unterdrücken versucht habe. Cato sollte mir vollkommen egal sein und Glimmer ebenfalls. Ich sollte mich lediglich mit ihnen befassen, um herauszufinden, wie ich sie am besten töte. Wenn ich jetzt scheitere, war all der Schmerz unsonst.
Ich habe einen Vorteil gegenüber neunzehn Tributen. Die meisten von ihnen wissen nicht einmal, wie man einen Speer hält, geschweige denn, wie man sich verteidigt. Das alles weiss ich und dieses Wissen lässt mich aus der Masse hervorstechen.
Mit dem Finger fahre ich über das Holz des Fensterbrettes. Mich darf nun nichts mehr von meinem eigentlichen Ziel abhalten.
Clove Kentwell, Siegerin der 74. Hungerspiele.
Thea wird sich von mir abwenden, wenn sie merkt, dass ich bloss ein eifersüchtiges, kleines Mädchen bin, dass sich leicht verunsichern lässt. Sie wird ihre Hoffnungen in Cato setzen, wie es ohnehin alle tun.
Langsam balle ich meine Hand zur Faust. Cato und Glimmer wollen das verliebte Pärchen spielen? Gut, sollen sie das tun. Es geht hier um so viel mehr als um Catos Gunst.
Ich bin Clove Kentwell, ein kaltes Karrieromädchen aus Distrikt 2. Ich hebe meinen Kopf und lasse die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht tanzen. Von nun an werde ich keine unnötigen Gefühle mehr zeigen. Allen voran werde ich mich nicht mehr von Cato und Glimmer ablenken lassen. Immerhin habe ich besseres zu tun.
Mit einem letzten Blick auf die verzuckerten Berge am Horizont schliesse ich das Fenster und wende mich ab.
Eine neue Trainingsuniform hängt bereits über dem Stuhl, ich schlüpfe hinein und begebe mich rasch ins Esszimmer.
Unglücklicherweise bin ich nicht wie verhofft allein, sondern darf mich Gesellschaft erfreuen.
Cato.
Er sitzt mit grimmiger Miene da und streicht sich ein Brötchen. Ich erinnere mich plötzlich an unsere Zugfahrt vor einer knappen Woche. Witzig, selbst da hatte ich keine Lust auf ihn.
Cato blickt auf als ich mich an den Tisch setze und meinen Teller mit Brötchen, Speck, Eier, Obst und Omeletts belade.
„Morgen", brummt er.
„Oh bitte, bloss nicht so fröhlich", sage ich gut gelaunt.
Ich weiss nicht, woher diese gute Laune kommt, aber es fühlt sich wunderbar an.
„Ich habe noch selten einen Menschen getroffen, der morgens über Fröhlichkeit verfügt. Woher kommt deine gute Laune?", fragt er plötzlich.
Ich blicke erstaunt auf. „Keine Ahnung", sage ich schliesslich und beisse in mein Brötchen.
Catos Blick verweilt einen kurzen Augenblick lang auf mir, dann widmet er sich wieder seinem Teller.
„Woher kommt denn deine schlechte Laune?", frage ich vorsichtig.
Der grosse Junge verzieht die Mundwinkel zu einem angedeuteten Lächeln. „Es ist früh morgens. Ist das nicht antwort genug? Ich denke du bist einfach etwas seltsam."
Cato senkt seinen Blick wieder. Ich könnte schwören, dass das, was sich auf seinen Lippen abzeichnet, ein Grinsen ist.
Noch im selben Moment möchte ich mich Ohrfeigen. Wie war das auf dem Balkon eben, von Loslassen? Klappt ja ganz toll.
Brutus, dicht gefolgt von Emanda und Enobaria kommen nur kurz darauf in den Raum. Cato wirft Brutus einen so tödlichen Blick zu, dass ich an seiner Stelle das Weite gesucht hätte. Doch Brutus tut nichts dergleichen und beginnt wieder damit, uns den Plan einzuschärfen, was wir den Spielemachern heute zeigen sollen.
Nach dem Frühstück bin ich völlig ausgelaugt von Brutus Vortrag darüber, wie er bei seinen Spielen an eine starke Punktzahl gekommen ist.
Als es dann schliesslich Zeit ist, besammeln wir Tribute uns im Esszimmer, da niemand weiß, wo er sonst hin sollte.
Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis Marvel aufgerufen wird. Fünfzehn Minuten später kommt Glimmer dran. Sie schenkt Cato ihr schönstes Lächeln und mit einem: »Viel Glück Cato!«, verschwindet sie. Catos Miene verfinstert sich dadurch nur noch mehr. Er verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich tief in seinen Stuhl. Schon wieder fürchte ich mich ein bisschen vor ihm.
Irgendwann wird er schliesslich aufgerufen. Daraus schliesse ich, dass Glimmer ihre Übungen absolviert hat. Irgendwie habe ich es mir fast als Ziel gesetzt, sie zu übertrumpfen.
Mit einer besseren Punktzahl.
Als Cato gegangen ist, setzt sich Marina neben mich und wir plaudern eine Weile angeregt darüber, was wir vorführen werden. Dann kündigt die monotone Computerstimme an, dass »der weibliche Tribut aus Distrikt 2«, drankommt. Marina umarmt mich und wünscht mir viel Erfolg. Ich erwidere das Ganze mit einer erneuten Umarmung.
Ich atme einmal tief ein und aus, bevor ich die Turnhalle betrete. Mit dem Karrierogrinsen, dass immer alle Karriero aufsetzen, präsentiere ich mich den Spielemachern.
Ihre ganze Aufmerksamkeit ist auf mich gerichtet. Ich gehe zur Messerwerfstation und schnappe mir welche. Dann beginne ich zu werfen. Eines nach dem anderen. Am Anfang ganz normal, dann zwei gleichzeitig, mit einer Drehung, überkreuzt und schliesslich mit einer Rolle vorwärts. Allesamt treffen ihr Ziel.
»Jeder Wurf trifft sein Ziel.« Hatte Cato im Zug zu Enobaria und Brutus gesagt.
»Vielen Dank Miss Kentwell, ich denke wir haben genug gesehen«, sagt der oberste Spielemacher, Seneca Crane, den Blick auf die Messer gerichtet die allesamt, getötet hätten, wären die Puppen Menschen gewesen.
Mit einem zufriedenen Grinsen verlasse ich die Turnhalle. Mein Gewissen sagt mir, dass ich bestimmt nicht schlecht war.
Ich steuere geradewegs den Aufzug an, um auf das Stockwerk von Distrikt 2 zu gelangen.
Schnell husche ich in mein Zimmer und schliesse die Tür.
»Hallo Clove«
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro