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„Cloooovieee, meine Süße, wach a-h-auf!"
Selbst der Albtraum meines Albtraumes fürchtet sich davor, mit diesen Worten geweckt zu werden. Ich spiele einen Moment mit dem Gedanken, Emanda mein zerfleddertes Kissen an den Kopf zu werfen, jedoch entscheide ich mich gegen diese Tat. Damit würde ich bei der Betreuerin kaum Symphatiepunkte sammeln.
Stattdessen raffe ich mich auf und mache mich für den Tag bereit. Danach steuere ich den Speisesaal an und wappne mich für die unausweichliche Begegnung mit Cato.
Doch das Frühstück stellt sich als ereignislos heraus. Cato verbirgt sich hinter einer Mauer des Schweigens und unsere Mentoren kreuzen gar nicht erst auf. Gut so. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Theadora unter die Augen treten könnte. Selbst Emanda lässt uns in Frieden.
Gegen neun erreichen wir schließlich die große Turnhalle mit Waffenstationen, Kletter- und Hindernisparcours und Überlebensstationen.
Es dauert nicht lange, bis auch noch die letzten Tribute eintrudeln, dann beginnt eine athletische junge Frau namens Atala uns den Trainingsplan zu erläutern. Während sie spricht lasse ich meinen Blick über die Tribute schweifen, die bald meine Gegner sein sollen. Die Hälfte ist derart unternährt, dass es mich nicht wundern würde, wenn sie unter der Last eines Schwertes zusammenbrechen würden.
Mit dem Tipp, auch die Überlebensstationen nicht zu unterschätzen, lässt uns Atala schließlich trainieren. Die beiden aus 1, Cato, Marina und ich stellen uns zusammen.
„Ich denke wir sollten uns aufteilen. Jeder sucht sich sein bestes Kampfgebiet aus und demonstriert seine Stärke. Damit jagen wir den restlichen Tributen den größten Schrecken ein", unterbreitet Marvel uns seinen Vorschlag.
„Das ist gut", pflichte ich ihm bei.
„Wir könnten aber auch zusammen durch die Stationen gehen und voneinander profitieren."
Glimmer verschränkt die Arme vor der Brust.
Wer auch sonst.
„Das ist kontraproduktiv. Wir verlieren damit doch nur wichtige Zeit", sage ich barsch.
„Kontraproduktiv?", wiederholt Glimmer spitz. „Wenn du dieses Training hier für so unfassbar wichtig empfindest, frage ich mich, was du in den letzten Jahren in Distrikt 2 gemacht hast. Alles, das du jetzt nicht kannst, wirst du in den folgenden drei Tagen auch nicht mehr lernen."
Ich will ihr eine giftige Antwort an den Kopf werfen, da mischt sich Marina ein.
„Wenn ihr eure Probleme dann bald in den Griff bekommen habt, können wir möglicherweise mit dem Training beginnen. Selbst die Spielemacher haben bereits Notiz von eurer unnötigen Zickerei genommen." Ihre klare, keinen Widerspruch duldende Stimme erinnert mich irrtümlicherweise an Theadora.
Die Bemerkung über die Spielemacher lässt mich zur Tribüne blicken, auf der es sich die Spielemacher bereits bequem gemacht haben. Einige beobachten unsere Reibereien tatsächlich mit größtem Interesse.
„Wir teilen uns auf", fällt Cato den Entscheid. „Nach dem Mittagessen können wir immer noch gemeinsam durchgehen."
Niemand bringt den Mut auf, dem zu widersprechen, weshalb wir uns trennen.
Ohne zu zögern steuere ich meine geliebten Wurfmesser an. Allerdings blockiert das Mädchen aus Distrikt 3 die Station, als ich sie erreiche. Ohne die Diskussion müsste ich nun nicht warten. Danke, Glimmer. Wenn es etwas gibt, das ich auf den Tod nicht ausstehen kann, dann ist es zu warten. Ich bin kein sonderlich geduldiger Mensch, das ist jedenfalls klar.
Gerade versucht sich das Mädchen an einem Wurf. Dieser ist jedoch derart kraftlos und schlaff, dass das Messer nicht einmal die Zielscheibe erreicht. Stattdessen landet es einige Meter davor klappernd auf dem Boden.
„Na sowas", sage ich höhnisch. „Der ging ja wohl etwas daneben, denkst du nicht auch?"
Das Mädchen zuckt erschrocken zusammen und fährt herum. Dabei lässt sie das Messer in ihrer linken Hand los, was dazu führt, dass auch dieses am Boden landet.
„I-i-ich habe d-das noch n-nie g-ge-gemacht", stottert sie kleinlaut. Ich grinse und lege den Kopf leicht schief.
„Oh, das erwartet ja auch keiner", sage ich. „Zumindest nicht dann, wen man aus Distrikt 3 stammt. Wie lautet dein Name?"
„K-Kalia", antwortet sie. Ihre Augen huschen nervös umher, wagen es jedoch nicht, mir ins Gesicht zu sehen.
„Kalia", wiederhole ich, während ich das Messer vom Boden auflese. „Dann sieh gut zu. Sieh zu, und lerne dabei."
Ich schiebe Kalia beiseite, die einen ganzen Kopf größer ist als ich, und wende das Messer in meinen Händen. Die Qualität ist nicht schlecht, doch die Messer in Distrikt 2 mag ich lieber. Diese hier fühlen sich hart und ungebraucht an. Ich konzentriere mich und blende alles um mich herum aus. Jetzt gibt es nur noch das Messer, die Zielscheibe und mich.
Für einen Moment habe ich das Gefühl, mich wieder zuhause in Distrikt 2 zu befinden.
Drei. Zwei. Leise zähle ich runter. Eins.
Mit aller Kraft, die ich aufbringen kann, schleudere ich das Messer. Schnell greife ich nach zwei weiteren Messer. Ich werfe das Zweite und hänge beim dritten Wurf eine Drehung an. Alle drei Würfe treffen ihr Ziel. Wären die Puppen lebendige Menschen, so wären sie jetzt mit ziemlicher Sicherheit tot.
Als ich mich wieder von den Puppen abwende, steht nicht mehr Kalia, sondern Marina hinter mir. Obwohl mir klar ist, dass sie meine Würfe wohl alle gesehen haben muss, fühle ich mich plötzlich äusserst beobachtet. Rasch werfe ich einen unauffälligen Blick über das Gelände der Turnhalle, in der das Training stattfindet.
Cato. Mein Blick bleibt an ihm hängen.
Ein seltsames Kribbeln durchdringt mich, als mir klar wird, dass er es wohl war, der mich beobachtet hat. Noch immer starrt er mich an. Doch es ist kein auffälliges Starren.
Mehr ein... dezentes Beobachten. In seinem Blick spiegelt sich ein Hauch Anerkennung.
„Das ist echt stark. Wie machst du das?" Marinas Worte bringen mich dazu, meine Aufmerksamkeit wieder ihr zu widmen.
„Kann man das in drei Tagen lernen?", fragt sie weiter und wendet das Messer in ihren Händen, als wäre es ein Schatz von ungeheuer großer Bedeutung. Ich kann nicht anders, als loszuprusten. Doch Marina bleibt die Ruhe in Person. „Das ist kein Witz."
Ich zucke grinsend mit den Schultern. „Du kannst's ja gerne versuchen."
Marina verdreht die Augen. „Danke, deine Worte sind unfassbar ermutigend." Dann legt sie das Messer wieder hin und will gehen, doch ich halte sie zurück.
„He, warte. Ich kann es dir zeigen."
Das Mädchen mustert mich misstrauisch.
„Meinst du das Ernst?", fragt sie ungläubig.
„Nein, ich sage es nur zum Spaß", erwidere ich mit sarkastischer Stimme. Marina grinst erfreut und nickt. „Danke."
Eine geschlagene Stunde lang versuche ich, Marina beizubringen, wie man ein Messer schleudert, allerdings macht sich schnell bemerkbar, dass sie zwei linke Hände hat.
Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Zumindest trifft sie am Ende annährend die Zielscheibe und bringt nicht beinahe den freundlichen Trainer der Station um.
Wir legen eine kurze Pause ein setzen uns abseits von den anderen Tribute auf eine Bank.
„Sind Glimmer und Cato eigentlich zusammen?", fragt sie neugierig. Mein Magen verkrampft sich. Ich zucke mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Es interessiert mich nicht."
„Bist du dir da ganz sicher?" Marina hebt ungläubig eine Braue.
„Ja", sage ich und versuche, so überzeugend wie möglich zu klingen, allerdings höre selbst ich den unsicheren Ton in meiner Stimme.
„Ich will nicht darüber reden", werfe ich rasch ein, um nicht weitere Fragen beantworten zu müssen. Interssiert es mich wirklich nicht? Ehrlich gesagt kenne ich die Antwort darauf selbst nicht. Meine Gefühle verwirren mich.
„Du kennst mich kaum, das weiß ich, aber manchmal tut reden gut", sagt Marina. Ich schweige einen Moment. Kann ich ihr überhaupt trauen? Oder wird sie alles brühwarm weitererzählen? Nein. Nein, das glaube ich nicht. Von all den vielen Menschen, deren Bekanntschaft ich seit der Anreise hierher machen durfte, ist sie mir am sympathischsten. Irgendwie mag ich sie. Vielleicht wären wir unter anderen Umständen sogar ganz gute Freundinnen.
Also beginne ich, ihr von Glimmers und meinen ewigen Differenzen zu erzählen. Sie hört zu und unterbricht mich nicht. Kurz range ich mit mir selbst, doch dann erzähle ihr auch von meinen verwirrenden Gefühle für Cato.
„Bist du etwa verliebt?", fragt sie begeistert.
„Was? Nein, nein. Bestimmt nicht." Ich lache nervös auf. Heilige scheiße.
„Wirklich? Ganz sicher?", hakt sie nach.
„Ich, ach... keine Ahnung. Wie fühlt sich das an? Ich war noch nie richtig verliebt", gebe ich schließlich peinlich berührt zu.
Marina verzieht das Gesicht zu einem Grinsen. „Du warst noch nie verliebt? Ohje, du tust mir aber Leid." Darauf muss ich lachen.
„Schluss jetzt mit dieser Fragerei", sage ich und gebe ihr einen spielerischen Klaps auf die Schultern. „Ich bin ein Karriero. Liebe und Wärme... Das passt da nicht rein."
„Tatsächlich?", fragt Marina.
„Bestimmt. Das ist, was mich meine Eltern gelehrt haben." In meine Stimme mischt sich nun ein abweisender Unterton.
Marina muss den Wink verstanden haben. Sie verabschiedet sich von mir und bietet mir an, zu einem späteren Zeitpunkt den Umgang mit dem Dreizack beizubringen.
Während sie wieder trainieren geht, bleibe ich noch kurz sitzen. Bist du etwa verliebt?
Bin ich das? Nein.
Cato ist mein Gegner, er würde mir im Kampf um den Sieg sicherlich ohne mit der Wimper zu zucken die Kehle durchschneiden.
Oder?
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