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Aua.
Mein Körper brennt höllisch.
„Schön, schön, meine Liebe. Wir sind endlich durch, das hier wird der Allerletzte sein", kündet eine pummelige Frau mit violetter Lockenperücke, die sich zuvor als Thalia bekannt gegeben hat, erfreut an. Mit einem letzten, schmerzhaften Ruck reißt sie mir den Wachsstreifen vom Bein.
„Ach, das hat nun wirklich lange genug gedauert", sagt Picus, der genauso gekünstelt aussieht, wie der Rest der Truppe.
„Holen wir doch endlich Rufus" Fanny, die Dritte im Bunde, klatscht begeistert in die Hände. Ihre Haut ist überzogen mit neonpinken Tattoos. Es sieht grässlich aus.
Das Vorbereitungsteam watschelt schwatzend aus dem Raum. Paradoxerweise erinnern sie mich an eine Schaar wilder Hühner.
Langsam halte ich es nicht mehr aus. Seit fast vier Stunden hocke ich in diesem dummen Erneuerungsstudio und lasse zu, dass drei Psychos an mir herumhantieren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es wichtigere Dinge gibt, die jetzt machen könnte, als Maniküren.
Wären meine Messer hier, könnte ich sie alle töten. Einer nach dem anderen. Doch bis es soweit ist, muss ich auf die Arena warten. Bis dahin wird es keine Kämpfe zwischen den Tributen geben, auch beim Training nicht.
Und in der Arena... Ja, da geht es los. Plötzlich wird mir bewusst, dass ich genauso sterben könnte. Jetzt, da ich die anderen Tribute gesehen habe. Rede keinen Unsinn!
Nein, ich sterbe nicht. Ich verliere nicht.
Meine Gedanken werden jäh unterbrochen, als die Tür lautstark aufgeschlagen wird und ein kleiner Mann mitte fünfzig den Raum betritt.
Da ist er also. Rufus Featherstone. Ich habe bereits eine Menge über diesen Mann gehört. In den Distrikten und im Kapitol ist er berühmt für seine genialen Kostüme. Es ist also ganz naheliegend, dass er einem Distrikt wie meinem zugeteilt wurde.
„Du musst Clove sein, nicht wahr? Ich bin Rufus, dein Stylist", sagt er. Ich mustere ihn stumm. Er räuspert sich, sichtlich überrascht über mein Schweigen.
„Es ist wirklich ganz, äh... reizend, dich kennenlernen zu dürfen." In seiner Stimme schwebt ein bemüht freundlicher Ton.
Seine perfekt geschminkten, blauen Augenbrauen verleihen seinem Gesicht eine ungesunde Wirkung. Der indigoblaue Anzug und die ebenso blauen Rastalocken passen in keiner Weise zusammen. Aber gut, mit Mode hatte ich noch nie sonderlich viel am Hut.
„Nun, dir ist sicherlich bekannt, dass die Outfits der jeweiligen Tribute ihren Distrikt widerspiegeln. Claudette und ich haben und diesbezüglich etwas besonderes ausgedacht", eröffnet er mir begeistert.
Claudette ist wohl die Stylistin von Cato. Sie ist noch relativ neu, hat den Sprung nach Distrikt 2 vor zwei oder drei Jahren geschafft. Erst dadurch ist sie bekannt geworden.
Zweifelnd beobachte ich Rufus, der wie ein Huhn im Raum herumhüpft und irgendwas von Göttern schwafelt. Wenn das mal nicht in einem Desaster endet... Dafür, dass Rufus so bekannt ist, erscheint er mir äusserst seltsam. Vielleicht sind aber auch einfach alle Menschen im Kapitol so schräg drauf. Ich weiß es nicht und es ist mir ehrlich gesagt auch gleichgültig.
„Gut, gut. Alles verstanden?" Rufus beendet sein Herumgehüpfe und mustert mich prüfend. Ich nicke unbeeindruckt. Eigentlich habe ich nicht die geringste Ahnung davon, was er mir gerade vorgetragen hat, aber allzu wichtig wird es bestimmt nicht gewesen sein.
Zwei Stunden und viel Gehüpfe, Gejauchze und Geseufzte später, betrachte ich mich zufrieden im Spiegel. Endlich wird mir klar, in welchem Zusammenhang Rufus vorher etwas über irgendwelche Götter erzählt hat. Ich sehe eins zu eins aus wie eine Kriegsgöttin.
Es sieht einfach spitze aus.
Vielleicht habe ich Rufus ja doch zu früh verurteilt. Mit diesem Kostüm werde ich die Blicke der Sponsoren sicherlich auf mich ziehen können. Und wenn dieses Outfit bereits so umwerfend aussieht, welche Wirkung werden wohl die Kommenden noch haben?
„Showtime!", trällert er mit einem kurzen Blick auf die Uhr. „Denk dran Süße, du bist unnahbar, kalt und voller Entschloßenheit."
„Selbstverständlich bin ich das", sage ich eine Spur arroganter, als beabsichtigt.
Widerwillen reiße ich meinen Blick vom Spiegel und folge ihm runter in den größten Stall, den ich jemals gesehen habe.
Ich werde sofort bis ganz nach vorne gebracht, Distrikt 2 fährt jedes Jahr im zweiten Streitwagen in die Zuschauerränge hinaus.
„Hey, Clove", ruft mich plötzlich jemand. Ich sehe in die Richtung, aus der die Stimme kam und erblicke Cato. Er steht bei den Tributen aus Distrikt 1 und dem Mädchen aus 4.
Mit wenigen Schritten erreiche ich das Grüppchen. Das sind also meine Verbündeten. Aus der Nähe sieht das Mädchen aus 1 tatsächlich noch hübscher aus, als sie während der Liveübertragungen im Fernsehen gewirkt hat. Das Mädchen aus 1 sieht überdurchschnittlich gut aus, ebenfalls ein großer Vorteil, hallt Theadoras Stimme in meinem Kopf wider. Es fällt mir schwer, aber doch muss ich ihr irgendwie recht geben.
„Wenn ich dich mit unseren Verbündeten bekannt machen darf, das ist Marvel", Cato deutet auf den großen Jungen, der in eine hübsche, mit Edelsteinen besetzte, weiße Tunika eingekleidet wurde.
„Nett, dich kennenzulernen", sagt er und hält mir die Hand hin. Ich schüttle sie.
„Das kann ich nur zurückgeben", erwidere ich und schenke ihm ein Lächeln.
Cato wartet ab, bis wir einander die Hände geschüttelt haben, ehe er die Vorstellungen fortsetzt.
„Und, ebenfalls aus Distrikt 1, Glimmer."
Das attraktive Mädchen wirft Cato einen ausgiebigen Blick zu und klimpert übertrieben mit den Wimpern. „Vielen Dank, Cato."
Erst danach nimmt sie mich ins Visier.
„Wie schön, dass wir einander endlich treffen", sagt sie zuckersüß. Ich höre jedoch den gefährlichen Unterton in ihrer Stimme.
„Ja, wirklich bezaubernd", sage ich mit zusammengebissenen Zähnen. Es beruhigt mich, dass sie wohl genauso wenig von mir hält, wie ich von ihr. Meine Augen verenhen sich und ich versuche angespannt, meine Abneigung ihr gegenüber zu verbergen.
So muss es sich also anfühlen, jemandem den Krieg zu erklären. Interessant.
Glimmers Mundwinkel ziehen sich zu einem spöttischen Lächeln hoch, doch ehe sie etwas sagen kann, stellt sich eine Person zwischen uns. Das Mädchen aus Distrikt 4 lächelt mich geradewegs an und versperrt mir so die Sicht auf die dumme Kuh aus Distrikt 1.
„Marina." Sie hält mir ebenfalls die Hand hin. Dankbar schüttle ich sie. „Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen", sagt sie und ich nicke. „Geht mir genauso."
Um festzuhalten, Marina ist mir deutlich sympathischer als Glimmer. Als die Computerstimme erklingt, die uns alle daran erinnert, unsere Wagen aufzusuchen, sehe ich, wie sie sich angeregt mit Cato unterhält.
Das hat nicht gerade lange gedauert. Eigentlich ist es mir egal, sollen sie flirten. Aber trotzdem gibt es eine leise, ganz, ganz leise Stimme in mir drin, die gegen diesen Gedanken rebelliert. Ich reiße mich von den Beiden los und steuere unseren Wagen an.
Rufus und Claudette warten bereits, auch Cato lässt nicht lange auf sich warten. Auf das Kommando der Stylisten steigen wir auf den Streitwagen, der von vier prachtvollen Hengsten gezogen wird. Nur wenige Sekunden, nachdem Cato und ich stehen, geht das Tor auf und gibt den Blick frei auf tosende Menschen, die den Strassenrand säumen.
Die Fahrt wird nicht sonderlich lange dauern und vor dem Trainingsgebäude enden, das bis zu den Spielen unsere Unterkunft sein wird.
Glimmer und Marvel fahren auf ihrem Wagen hinaus. Wir sind die nächsten. Ein seltsames Gefühl kriecht meinen Magen hoch.
„Bist du bereit?", flüstert Cato, kurz bevor sich unser Streitwagen in Bewegung setzt.
„‚Mehr als das", antworte ich.
Die Räder setzen sich in Bewegung.
Wir schießen unter Jubel und Applaus auf die dicht besidelten Straßen des Kapitols.
Zu Beginn läuft alles gut. Die Menschen mögen unsere Kostüme, wir werden mit Lotusblüten, Rosen und jeder Menge „Distrikt 2!" Rufe verehrt. Doch plötzlich wenden sich die Blicke von uns ab und recken stattdessen die Hälse, um einen Blick auf etwas weiter hinten zu erhaschen.
„Was ist da los?", fragt Cato wütend.
„Ich habe nicht die geringste Ahnung. Distrikt 12 müsste jetzt... Oh nein." Was ich sehe, als ich einen unauffälligen Blick über die Schultern werfe, lässt mir mein Herz in die Hose rutschen.
Die Tribute aus Distrikt 12. Es lässt sich kaum anders beschreiben, aber, sie brennen.
„Cato...", sage ich vorsichtig.
„Was denn?" Noch immer starrt er stur geradeaus. Dickkopf.
„Ich denke, dass solltest du dir besser selbst ansehen. Die aus 12, naja... wie soll ich sagen, sie stehen vollkommen in Flammen." Ich wende mich von den Beiden ab.
Nun ist es an Cato, der einen Blick zurück wirft. Als er sieht, was die Zuschauer derart in Rage versetzt, verhärtet sich seine Miene.
Für den gesamten Rest der Fahrt sieht er aus, als ob man ihm gesagt hätte, er müsse für den Rest seines Lebens Schafe hirten.
Als wir den Kreisverkehr vor Präsident Snows Residenz füllen, kann ich meinen Blick kaum mehr von denen aus 12 abwenden. Die lauten Rufe verraten mir, dass das Mädchen aus Distrikt 12 Katniss heißen muss.
Katniss. So lautet also der Name des Mädchens, das es geschafft hat, Cato in nur wenigen Tagen zur Raserei zu bringen. Das Mädchen, welches bei der Ernte alle Blick auf sich gezogen hat. Und nun hat sie auch bei der Parade alle Blicke auf sich gezogen. Ich hasse sie. Nicht so sehr wie Glimmer, aber dennoch würde ich sie in der Arena ohne mit der Wimper zu zucken zur Strecke bringen.
Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie Glimmer und Marvel aufgeregt miteinander flüstern und immer wieder verstohlen zum Wagen von 12 blicken. Selbst unter den Tributen starren alle zu 12. Kaum jemand schenkt Snows Rede Beachtung, alle Aufmerksamkeit gilt Katniss und ihrem Distriktpartner, dessen Name ich immer noch nicht herausfinden konnte.
Als Snow seine Ansprache beendet, setzen sich die Räder unter unseren Wägen wieder in Bewegung. Unter Jubelgeschrei fahren wir ins Trainingscenter ein, einem turmartigen Gebäude, in dem wir essen, schlafen und trainieren werden, bis es in die Arena geht.
Sobald sich die schweren Flügeltüren wieder verschloßen haben, bricht ein Tumult los.
Die Vorbereitungsteams strömen herbei, um ihre Tribute zu loben und ihnen aus den Wagen zu helfen. Ich bemerke Rufus erst, als er direkt vor mir steht, so gefesselt bin ich von der brennenden Katniss. Rufus hält mir die Hand hin, doch ich schlage sie weg und steige wutentbrannt ohne Hilfe aus.
Diese Hungerspiele werden vielleicht ja doch nicht ganz so leicht. Mit diesem Auftritt können sich 12 Sponsoren sicher sein.
Gerade eilt dort ein Mann herbei, um die Flammen zu löschen. Ich werfe Katniss einen vernichtenden Blick zu, doch als ihr Blick durch die Halle streift, sieht sie nicht mich an, sondern Cato. Ich wende mich ihm auch zu.
Und bereue es.
Noch nie habe ich ihn so gesehen. Kalt, unbarmherzig, brutal. Alles an ihm, sein Gesicht, seine Statur, alles deutet darauf, wie sehr er Katniss verabscheut.
Es ist mir ein Rätsel weshalb, doch plötzlich beschleicht mich Furcht. Ein kleiner Teil von mir fürchtet sich vor Cato Hadley.
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