~ 26 ~
»Das kann kein Zufall sein«, flüstere ich.
»Nein, das war er. Er ist hier entlang gegangen«, sagt Cato und deutet in die Richtung vor uns.
Gut gelaunt springe ich von Stein zu Stein. Wir sind auf der richtigen Spur. Vielleicht finden wir sie auch bald. Immer wieder treffen wir Steine an, die mit getrocknetem Blut geschmückt sind.
Plötzlich endet die Spur und wir kommen an einen ziemlich verwüsteten Ort. Das Gras ist nach unten gebogen, als ob jemand ziemlich lange darin gelegen hätte.
»Sieh mal«, zeige ich Cato die Stelle. Er legt den Kopf schief. »Als ob jemand darin gelegen wäre«, stellt er fest.
»Denkst du, dass es Peeta war?«, frage ich und fahre mit der Hand über das zerstörte Gras.
»Sehr gut möglich. Aber wenn er es wirklich war, dann sind wir zu spät. Irgendjemand war bereits vor uns da«, sagt er.
»Katniss«, zische ich leise. Sofort wandert meine gute Laune in den Keller. Sie ist uns einmal mehr zuvorgekommen. Bestimmt liegt sie mit Peeta in irgendeiner Höhle, gut versteckt. Oder sie hat ihn auf einen Baum geschnallt. Und nun spielen sie ganz Panem ihre tolle Liebesgeschichte vor, in dem sie sich abknutschen und einander die Liebe gestehen. Das ist doch sowieso alles nur Show!
»Sie war schon wieder vor uns da«, sage ich wütend. »Wieso gehen uns in letzter Zeit alle durch die Lappen?«
»Wir sollten zum Füllhorn zurückkehren. Es ist schon spät und der Weg ist ziemlich weit«, meint Cato. Ich merke, dass er seine Wut nur mühsam unterdrücken kann. Es geht ihm also ähnlich wie mir.
»In Ordnung«, sage ich knapp. Nicht mehr ganz so enthusiastisch, springe ich den Weg durch die Steine, zurück in den Wald.
»Wenn wir Katniss wirklich einmal kriegen können, kann sie sich auf etwas gefasst machen«, meint Cato gehässig.
»Das kann sie. Und Peeta auch. Mit dem haben wir auch noch ein paar Rechnungen offen«, pflichte ich ihm bei.
»Ist dir aufgefallen, dass bisher alle Karrieros wegen Katniss gestorben sind? Bei Marvel wissen wir es nicht genau, aber von der Logik wäre es am sinnvollsten«, sagt Cato.
»Stimmt. Glimmer und Marina beim Jägerwespenangriff und Marvel vor ein paar Tagen im Wald«, stelle ich verwundert fest. Das ist mir so noch gar nicht aufgefallen. Bei Marina war es mir schon klar, aber trotzdem habe ich das ganze noch nie so reflektiert.
Gegen späten Nachmittag kommen wir schliesslich zum Füllhorn zurück. Wie fast jeden Abend, setzen wir uns zum See. Die späte Nachmittagssonne scheint direkt auf das Wasser des Sees, und verleiht ihm einen besonderen Glanz.
»Und was machen wir jetzt noch?«, fragt Cato als wir Waffen und Rucksäcke hinlegen.
»Keine Ahnung«, sage ich.
Schlussendlich sitzen wir schweigend da, bis die Hymne ertönt. Wie in den letzten Tagen, keine Tote. Wir sind aber auch nur noch zu sechst. Cato. Fuchsmädchen. Thresh. Peeta. Katniss. Ich. Nur noch sechs. Sechs.
Cato und ich schlüpfen in den Schlafsack und machen es uns gemütlich. Grundsätzlich mache ich mir keine Sorgen, jemand könnte kommen und uns töten. Katniss und Peeta sind an einem völlig anderen Ort, viel zu weit weg. Ausserdem muss Katniss für Peetas Überleben sorgen. Fuchsgesicht hätte niemals den Mumm, um so etwas zu tun. Dafür ist sie zu scheu. Obwohl ihre Aktion auf diesem Baum gestern ziemlich hitzköpfig war. Der einzige, dem ich so etwas zutrauen würde, ist Thresh. Aber er hat sich bisher kein einziges Mal blicken lassen. Wieso sollte er also heute auftauchen?
Ich liege die halbe Nacht wach und spüre Catos Wärme, lausche seine entspannten Atemzüge. Wie konnte ich mich nur vor ihm fürchten? Es wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben.
Der Tag bricht am nächsten Morgen viel zu früh an. Ich habe das Gefühl, kaum geschlafen zu haben. Müde schäle ich mich aus dem Schlafsack. Cato sitzt beim See und starrt auf's Wasser. Mir fällt plötzlich auf, dass ich kaum etwas über seine Familie weiß.
Ich setze mich zu ihm ans Ufer und frage: »Deine Eltern sind bestimmt stolz.«
Cato lächelt. »Ja, denke schon. Aber deine doch sicher auch.«
»Bestimmt. Wir sind sozusagen in der Top 6«, sage ich. Darauf schweigen wir beide wieder.
»Stimmt es, dass du einen kleinen Bruder hast«, erkundigt er nach einer Weile.
»Ja, Lewis. Er ist so anders als die anderen Jungen aus Distrikt 2. Das genaue Gegenteil von mir«, erzähle ich Cato.
»Ich habe einmal von ihm gehört«, sagt er. Das verwundert mich etwas. »Wie das denn?«
»Meine kleine Cousine Jena kommt öfters bei uns zu Besuch. Sie ist gleich alt wie dein Bruder und tratscht uns immer mit allem möglichen voll. Hat dein Bruder noch nie etwas erzählt?«
Ich überlege einen Moment. Doch ich kann mich bei besten Willen nicht daran erinnern, dass Lewis jemals etwas von einer Jena erzählt hätte.
»Nein, hat er nicht«, sage ich schliesslich.
Cato zuckt mit den Schultern. »Ist auch egal. Aber wenn wir zuhause sind, musst du sie kennenlernen. Meine Familie, unseren Hund. Einfach alle!«, meint Cato begeistert.
Ich lache kurz auf. »Du meinst, nachdem wir die vierundsiebzigsten Hungerspiele gewonnen haben?«
»Genau!«
Darauf müssen wir beide lachen. Es ist eine Illusion, das ist mir klar. Aber die Vorstellung, wie ich mit Cato nach Hause zurückkehren könnte, sein begeistertes Gesicht, als er sagte, er müsse mir dann seine Familie vorstellen. Wir schwelgen in irgendwelchen Tagträumen, die vielleicht wahr werden könnten. Aber dazu müssen wir erst einmal Thresh, Katniss, Peeta und Fuchsmädchen töten.
»Du siehst müde aus, nicht gut geschlafen?«, fragt Cato und mustert mich.
»Es geht«, antworte ich gähnend.
»Leg dich noch einmal hin. Ich wecke dich später«, bietet Cato mir an.
Widerwillig stehe ich auf. »Aber du weckst mich in ein paar Stunden wieder!«, bedinge ich streng. Cato sagt lachend. »Ja ist gut. Jetzt ruh dich etwas aus!«
Ich breite den Schlafsack auf dem Boden aus und schlafe sofort ein.
Als ich die Augen öffne, merke ich gleich, dass wir bereits späten Nachmittag haben. Ich muss über fünf Stunden geschlafen haben. Wieso hat Cato mich nicht geweckt? Ich habe ihm doch gesagt, er soll mich nach ein paar Stunden wecken.
Cato sitzt vor mir und hat seinen Blick auf mir gerichtet, als ich mich aufrichte.
»Ich hatte doch gesagt, du sollst mich nach ein paar Stunden wecken!«, zetere ich wütend los.
Cato lächelt mich an. »Ich konnte dich nicht wecken. Du hast so friedlich ausgesehen, während du geschlafen hast«, sagt er ruhig.
Ich stehe grummelnd auf und setze mich zu ihm ins Gras. »Ist irgendwas geschehen, als ich geschlafen habe?«, frage ich.
Er schüttelt den Kopf. »Nein, nichts ist passiert.«
Plötzlich ertönt der Klang der Fanfare. Ich wechsle mit Cato einen verwirrten Blick. Schon wieder eine Ankündigung?
Gebannt lausche ich. Diesmal ist es tatsächlich ein Festmahl. Aber kein normales. Wir alle brauchen etwas ganz dringend. Dieses Etwas sollen wir Morgen bei Sonnenaufgang auch bekommen, in einem Rucksack mit der Nummer des Distriktes gekennzeichnet.
Es gibt etwas, dass Cato und ich dringend benötigen. Etwas, um uns vor Katniss' Pfeilen zu schützen.
Wir tauschen einen weiteren Blick.
Doch diesmal ist er begeistert.
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