~ 22 ~
Ich kann das Bild vor meinen Augen sehen, in meinem Traum, Cato tot am Boden. Marvel mit seinem Speer, wie er auch mich tötete.
Das darf nicht in real passieren.
Marvel geht langsam zu Cato, der seelenruhig schläft. Adrenalin schiesst durch meinen Körper. Es ist wie beim Gemetzel. Nur, dass ich nicht Marina das Leben retten will.
Ich lasse alles stehen und liegen und stürze auf Marvel. Mit einem Schrei stürme ich gegen ihn. Das Überraschungsmoment lässt zu, dass wir beide auf den Boden krachen. Im ersten Augenblick sieht es gut für mich aus, es sieht aus, als ob ich Marvel bezwingen könnte. Doch dann dreht das Ganze und plötzlich liege ich am Boden.
Marvel starrt mich hasserfüllt an. Ich halte seinem Blick stand. Er lässt seinen Speer fallen und holt ein Messer aus seiner Jacke. Ich beginne zu schreien. Meine Güte, wie tief schläft Cato eigentlich?
Die Messerspitze kommt meinem Hals immer näher, ich versuche sie abzuhalten, doch Marvel drückt ordentlich zu. Noch dazu ist er viel stärker als ich. Ich lasse ein wütendes Brüllen los, vermischt mit einem leisen Schmerzenslaut, als die Spitze langsam in meinen Hals dringt. Als ich denke, dass es das war, wird Marvel von mir gerissen. Ich setze mich auf und betrachte geschockt das Schauspiel vor mir.
»Was soll das Marvel?«, brüllt Cato aufgebracht. Er stösst ihn mit einem starken Schlag zu Boden. Doch Marvel rappelt sich schnell wieder auf und betrachtet Cato hasserfüllt. »Ich will gewinnen. Das ist los!«, antwortet er nicht weniger aufgebracht.
»Gut, aber Clove wirst du nicht töten!«, sagt Cato und zieht sein Schwert.
Marvel weiß genau, dass er einen Zweikampf nur verlieren kann. Deshalb blickt er sich kurz um und entdeckt meine gepackten Rucksäcken. Im Bruchteil einer Sekunde, ist er bei ihnen, schnappt sich einen und nimmt seinen Speer. Ehe ich mich versehe, verschwindet er im Wald.
»Komm sofort zurück du Feigling und kämpf, wie es sich gehört!«, ruft Cato ihm wütend hinterher. Doch Marvel kommt nicht mehr zurück. Wieso sollte er auch?
Catos Gesichtszüge werden gleich viel sanfter, als er sich an mich wendet. »Alles in Ordnung? Du blutest ja«, sagt er und deutet auf meinen Hals. Ich wische das Blut, dass Marvels Messerspitze an meinem Hals hinterlassen hat, achtlos weg. »Nicht weiter schlimm.«
Ich drehe mich um und laufe bis zum See runter. Jetzt sind wir nur noch zwei Karrieros.
Marvel hat uns verlassen. Vielleicht ist es auch gut so, aber trotzdem lässt mich das Gefühl nicht los, dass wir einen weiteren Gegner mehr zu fürchten haben, denn je.
Die ganzen Spiele, das Blut, die Toten Kinder. Langsam wächst es mir über den Kopf. Ich vergrabe das Gesicht in meinen Händen. Aber nicht um zu weinen, es würden ohnehin keine Tränen kommen. Vielleicht ist nun der Zeitpunkt gekommen, an dem ich zum ersten Mal, an meine Grenzen gestossen bin. Es macht mich nicht wirklich traurig, dass Marvel gegangen ist, aber es macht mir Angst. Er hat genau gleich viel in seinem Rucksack wie Cato und ich. Wir haben schon mehrmals im Wald übernachtet. Er kennt sich aus. Er weiß, zurechtzukommen.
Es ist einfach zu viel. Viel zu viel. Schliesslich muss ich mir eingestehen, dass ich doch auch nur ein Mädchen bin. Ich bin erst fünfzehn. Viel zu jung, um zu sterben. Aber was, wenn es mein Schicksal ist? Meine Bestimmung. Doch das schlimmste, wenn ich tatsächlich sterbe, wird sich danach niemand mehr an mich erinnern. Meine Eltern und mein Bruder vielleicht, aber sie werden darüber hinwegkommen. Alle anderen werden mich völlig vergessen. Niemanden wird es interessieren, wie ein dummes, kleines Karrieromädchen gestorben ist. Marina hatte recht.
In diesem Moment spüre ich endlich, was sie mir gesagt hat.
Mein schlimmster Feind, bin ich.
Ja. Ich mache mich selber runter. Ich denke viel zu viel nach. Aber wie soll es auch anders gehen, wenn man in dieser verdammten Arena ist? Mein schlimmster Gegner, befindet sich schliesslich auch in der Arena.
Und das bin ich.
Eine Hand legt sich auf meine Schultern. Ich hebe den Kopf und erblicke Cato. Er starrt ausdruckslos zum Wasser.
Wir sitzen Schweigend da. Ich habe keine Ahnung wie lange. Minuten? Stunden? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich mich seit dem Tag des Startes hier in der Arena, sicher fühle. Zum ersten Mal, habe ich keine Angst, jeden Moment sterben zu können.
»Hast du dir auch schon einmal überlegt, wann es dich treffen könnte? Ob du vielleicht der Nächste bist?«, frage ich ihn.
Cato blickt weiterhin auf das glitzernde Wasser, das in der Nachmittagssonne blau glänzt. »Ja. Schon sehr oft. Jedesmal wenn ich die Kanone höre, überlege ich mir, ob der nächste Schlag vielleicht meinen Tod verkünden könnte.« Sein Gesicht bleibt dabei ausdruckslos, aber ich sehe den Glanz in seinen Augen.
»Endlich verstehe ich, was du mir auf dem Balkon im Trainingscenter sagen wolltest«, sage ich leise und richte meinen Blick ebenfalls auf das Wasser.
»Clove?«
»Ja?«
»Ich muss dich das jetzt einfach fragen. Marvel ... du hast es doch gewusst?«
Mir verschlägt es einen Moment die Sprache. Ich weiß nicht, darauf zu antworten. Aber Cato hat ein Recht darauf zu erfahren, was ich weiß.
»Er hat es mir gesagt, nachdem ihr euch vor ein paar Tagen gestritten habt. Deshalb habe ich euch auch nicht geweckt. Marvel hat geplant, uns beide zu töten.«
»Verräter«, zischt Cato wütend.
Ich zucke mit den Schultern. »Ehrlich gesagt habe ich danach auch mehrmals mit dem Gedanken gespielt, ihn zu töten. Ihm zuvorzukommen«, sage ich ausdruckslos.
»Und wieso hast du es nicht getan?«, fragt Cato.
»Ich konnte nicht. Er war nie ein Freund, aber trotzdem in einem Bündnis«, antworte ich darauf.
»Ich hätte es getan«, sagt Cato zögerlich, »Wenn er dich heute umgebracht hätte.«
Ich schaue ihn an und er sieht mich an.
»Wirklich?«
»Wirklich.«
Jetzt muss ich lächeln. Cato hätte Marvel getötet, hätte er mich umgebracht. Ich glaube, dass es gar nicht so schlecht war, dass er gegangen ist. So können Cato und ich uns endlich näher kommen. Ich verdränge alle Gedanken, die mich davor warnen, nicht zu viele Gefühle für ihn aufzubauen, da ich ihn ohnehin töten müsste, käme es darauf an.
Das Einzige, was ich nun tue, ist zu ihm zu rutschen. Ich lehne meinen Kopf an seine Schultern und er legt einen Arm um mich. Fast, als wollte er mich schützen. Ich schliesse die Augen und geniesse diesen einen Moment. Wer weiß, ob er wieder kommt.
Der See und die langsam untergehende Sonne, geben die perfekte Stimmung.
Wäre da nur nicht dieses eine Geräusch, das mich zusammenfahren lässt.
Der Knall einer Kanone. Zweimal ertönt sie, in ziemlich grossem Abstand. Allerdings wissen wir, dass wir plötzlich nur noch zu sechst sind.
»Die Kanone. Zwei sind tot«, sage ich aufgeregt. Cato bleibt völlig ruhig. »Was denkst du wer es ist? Ich tippe auf Loverboy und Rue«, sagt er.
»Keine Ahnung. Wir werden es bald sehen«, sage ich und kuschle mich noch mehr an Cato. Einen Augenblick muss ich an Glimmer denken. An die Nacht, in der sie Catos Arm als Kissen benutzt hatte. Wie gern ich ihr Gesicht jetzt sehen würde.
Bis die Sonne ganz untergegangen ist, sitzen wir am Ufer des Sees und geniessen den kleinen Moment in dieser Arena, der schön ist. Es fühlt sich wunderbar an. Meine Zuneigung zu Cato, wächst mit jeder Sekunde, die ich mit ihm verbringe.
Als es dunkel wird, gehen wir zu unserem Unterschlupf zurück. Die Hymne ertönt und wir werfen uns einen bedeutenden Blick zu. Jetzt wird es spannend. Welche zwei Tribute es heute nicht geschafft haben. Dies, erfahren wir gleich.
Das erste Gesicht das eingeblendet wird, ist Marvel. Ich blicke fassungslos zu seinem Bild, oben am Nachthimmel. Zum letzten Mal, starrt er böse auf uns hinab, dann verschwindet er für immer, aus der Arena. Für immer, aus dieser Welt.
Die zweite Tote, stellt sich als Rue heraus. Cato hatte als recht gelegen, als er vermutet hat, wer gestorben ist.
Die kleine Rue, wie sie Catos Messer im Training genommen hat. Die kleine Rue, die wie eine Elfe in ihr Interviewe gehopst ist. Ich kann es kaum fassen, sie hat es verdammt weit geschafft, für zwölf Jahre. Hut ab vor ihr, diesem beeindruckenden Mädchen.
Cato und ich haben beide keinen grossen Hunger. Dazu müssen wir ohnehin sparen. Wir legen uns hin. Ich lege meinen Kopf auf seine Brust.
»Und dann waren's nur noch zwei Karrieros«, flüstert Cato.
»Marvel ist tot. Wie das wohl geschehen ist?«, sage ich gedämpft.
»Wahrscheinlich hat er Rue getötet und wurde aus Rache von Katniss umgebracht«, antwortet Cato.
»Hut ab vor Rue«, spreche ich den Gedanken aus, den ich vorher hatte.
Zu meiner Verwunderung sagt Cato darauf: »Ja. Hut ab. Sie hat es weit geschafft.«
»Katniss wird nun nicht sonderlich erfreut sein«, meine ich und muss sofort an sie denken. Jetzt wird sie sich wahrscheinlich in etwa so fühlen, wie ich, als Marina starb.
»Die wird noch ihr blaues Wunder erleben«, sagt Cato.
»Das wird sie«, murmle ich müde.
Kurz darauf, fallen mir die Augen zu und ich versinke in einen traumlosen Schlaf.
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