~ 20 ~
Alles scheint friedlich. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Plötzlich sehe ich ihn.
Marvel.
Er steht auf und geht langsam auf Cato zu, der ihm den Rücken zugewandt hat. Mit seinem Speer holt er einmal kurz aus.
Ich will schreien, aufstehen und Cato retten, doch über meine Lippen kommt kein Laut und meine Beine wollen nicht gehen. Sie knicken unter mir ein. Ich stürze zu Boden. Ein ersticktes Brüllen lässt mich ahnen, was geschehen ist. Mein Blick wandert zu Marvel, der seinen Speer aus Catos Rücken zieht und nun auf mich zu kommt.
»Jetzt bist du dran«, sagt er und ohne Vorwarnung dringt der Speer mitten in mein Herz ein. Ich krümme mich vor Schmerzen. Marvel zieht seinen Speer mit einem schmerzhaften Ruck aus meinem Körper.
»Clove«, ruft urplötzlich Cato von weitem.
»Clove ich mache mir langsam sorgen!« Catos Stimme wird immer lauter. Er rüttelt an mir. Langsam wache ich auf. Ein weiterer Albtraum.
»Was ist denn los?«, frage ich.
»Du hast ganz laut geschrien und dich gekrümmt als ob du starke Schmerzen hättest«, sagt Cato und mustert mich prüfend.
»Hab schlecht geträumt«, meine ich und rapple mich auf.
Dieser eine Albtraum. Und doch macht er mir so zu schaffen. Cato und ich waren beide tot. Vielleicht wird das später tatsächlich so sein. Marvel wird uns aus dem Hinterhalt erstechen.
Langsam halte ich das nicht mehr aus. Ich muss mit jemandem darüber reden. Aber ausser Cato ist da niemand mehr. Marina ist tot. Sie hätte bestimmt zu handeln gewusst.
»Los Leute, gehen wir«, drängt Marvel uns. Ich schnappe mir einen Apfel für unterwegs und schultere meinen Rucksack.
»Wieso hast du uns nicht geweckt?«, fragt Cato mich als wir losgelaufen sind.
»Ich muss wohl eingenickt sein. Tut mir leid«, antworte ich ihm darauf verlegen.
Marvel sieht mich daraufhin ungläubige an. Er weiß genau, weshalb ich sie nicht geweckt habe.
»Schon gut«, murmelt Cato.
»He, seht mal da vorne! Da ist jemand«, ruft Marvel plötzlich und deutet auf das andere Flussufer. Das Rauschen des Wassers übertönt seine Stimme beinahe, aber als ich sehe, auf wen er deutet, muss ich grinsen.
Der Junge aus Distrikt 10 füllt seine Wasserflasche. Als er uns sieht, breitet sich ein Schrecken in seinem Gesicht aus.
»Hinterher!«, brüllt Cato und wir rennen los.
Der Junge kommt mit seinem lahmen Bein nicht sonderlich schnell voran. Plötzlich stoppt er. Das macht mich etwas misstrauisch. Cato verlangsamt sein Tempo und geht schliesslich mit langsamen Schritten bedrohlich auf ihn zu.
Ich hole ein Messer unter meiner Jacke hervor. Irgendwas ist doch faul an der Situation. Wieso bleibt der Junge einfach stehen? Und wieso kehrt er uns den Rücken zu?
»Hast du etwa aufgegeben?«, fragt Cato gehässig.
Der Junge dreht sich blitzschnell um und etwas blitzt im Licht der aufgehender Sonne auf.
Meine Reflexe sind schneller als mein Gehirn. Ehe sich jemand versieht, schleudere ich ein Messer in die rechte Schulter des Jungen. Er lässt daraufhin das Schwert fallen, das er in der Hand hatte. Bestimmt wäre es für Cato tödlich gewesen. Dieser stösst den Jungen in die Seite. Dann verpasst er ihn einen starken Schlag ins Gesicht. Ausdruckslos sehe ich Cato zu, wie er den Jungen langsam tötet. Irgendwann holt er sein eigenes Messer hervor und gibt ihm den letzten Rest. Zurück bleibt ein lebloses Wrack des ehemaligen Jungen aus Distrikt 10. Überall klebt Blut. Die Kanone ertönt und verkündet damit gleichzeitig, dass der fünfzehnte Tribut gerade gestorben ist. Noch neun im Spiel.
»Gehen wir«, sagt Cato mit einem letzten Blick auf die Leiche des Jungen. Mit grimmigem Gesichtsausdruck geht er los. Marvel folgt ihm zögerlich. Mein Blick bleibt noch eine Weile auf den Jungen gerichtet. Bestimmt hatte er Freunde und Familie die jetzt um ihn trauern. Sie wollen uns nun tot sehen. Oder zumindest Cato. Ich gehe zu ihm und ziehe das Messer aus seiner Schulter. Ungerührt putze ich das Blut an seiner Jacke ab und folge schliesslich den anderen.
Da, Brutus hat seinen herzlosen Karriero.
»Danke für das Messer«, sagt Cato knapp als ich ihn und Marvel eingeholt habe. Ich lache trocken auf. »Dieses Würmchen hättest du auch ohne mich fertiggemacht.«
»Vielleicht.« Cato zuckt mit den Schultern.
Wir beschliessen zum Füllhorn zurückzukehren. Wir finden ohnehin niemanden mehr.
»Wer lebt eigentlich noch?«, fragt Marvel als wir zurücklaufen.
»Rue und Thresh aus 11, Katniss und Loverboy aus 12, Fuchsmädchen aus 5, Ian, du, Cato und ich. Das macht noch neun«, antworte ich ihm.
Er nickt kurz. »Hat eigentlich irgendjemand einmal Thresh gesehen?«, fragt er weiter.
»Der ist diesen seltsamen Abhang runter. Wahrscheinlich befindet sich dort hohes Gras. Bestimmt lauern irgendwelche Gefahren in diesem Teil der Arena. Und Thresh scheint sich dort zurechtzufinden«, sagt Cato.
»Und du bist dir sicher, dass Katniss eine Komplizin hat?«, wendet sich Marvel wieder an mich.
»Ich habe sie doch gesehen. Die sind in einem Bündnis«, meine ich mit einem genervten Unterton in der Stimme. Marvels Fragerei nervt mit der Zeit etwas.
Zur Mittagszeit erreichen wir das Füllhorn und suchen uns ausgiebig Nahrung zusammen. Ich habe bestimmt schon lange nicht mehr so viel gegessen wie heute Mittag.
»Was machen wir jetzt?«, fragt Marvel nach dem Essen.
»Keine Ahnung«, antwortet Cato und poliert sein Schwert mit einem Zipfel seiner Jacke.
»Abwarten. Ausruhen«, sage ich und lege mich ins Gras. Der Himmel ist blau und wolkenlos. Ob es auch in Distrikt 2 so schönes Wetter ist?
Unwillkürlich muss ich an meine Eltern denken. Sie verfolgen die Hungerspiele jetzt bestimmt mit Interesse mit. Und dann ist da auch noch mein kleiner Bruder Lewis. Beim Gedanken an ihn muss ich lächeln. Er ist das völlige Gegenteil von mir. Überhaupt nicht zum kämpfen fähig. Dafür liebt er die Natur und das Schreiben. Seine Fantasie hat mich schon immer überrascht. Für meine Eltern war es immer ein kleiner Schock. Eigentlich sollte ein Junge aus Distrikt 2 nicht so sein wie Lewis. Aber ich liebe ihn. Für ihn werde ich zurückkehren, nach Hause.
Sofort habe ich die ihn vor Augen, wie er mir den Anhänger in die Hände drückt. Es macht mich etwas wütend, dass ich ihn liegen gelassen habe. Jetzt könnte ich ihn gerade sehr gut gebrauchen.
Catos plötzlicher Ruf, reißt mich aus meinen Gedanken. Nur widerwillig stehe ich auf. Es war gerade so schön, mit meinen Gedanken an Lewis.
Cato deutet wild auf den Wald. Eine dicke Rauchsäule qualmt gegen den Himmel. Verwundert blicke ich in die Richtung. Wie blöd muss man sein? Das kann doch fast nicht wahr sein. Niemand würde jetzt ein solches Feuer anzünden.
Ich will meine Mitverbündeten gerade darauf hinweisen, doch Marvel und Cato haben sich bereits ihre Waffen geholt und sind mitsamt den Rucksäcken schon fast im Wald.
Eine hitzige Diskussion bricht aus, als es um Ian geht. Teilnahmslos stehe ich neben Ian der nicht recht weiß, ob er jetzt mitdarf oder nicht.
Schliesslich drückt Cato ihm einen Speer in die Hand und scheucht ihn mit in den Wald. Kurz bevor wir ins Dickicht brechen sagt er: »Wenn wir sie finden mache ich sie auf meine Weise kalt. Das mir da niemand in die Quere kommt.«
Wir werden ja sehen.
Ich habe da nämlich auch noch eine kleine Rechnung mit der lieben Katniss offen. Aber ich denke nicht, dass sie die Feuermacherin ist. Wer könnte sonst so dumm sein? Fuchsmädchen? Ganz bestimmt nicht. Thresh? Der befindet sich in einem ganz anderen Teil der Arena. Peeta? So wie Cato uns erzählt, wo er ihn getroffen hat, verwundert es mich, dass der nicht schon längst verblutet ist. Rue? Sie ist mit Katniss unterwegs. Gemeinsam werden sie das Feuer nicht angezündet haben. Aber wer bleibt dann noch? Richtig, niemand.
Es sei denn ... Langsam dämmert es mir ... Es sei denn es ist eine Falle. Oder ein Weglockungsmanöver. Aber warum? Wieso sollte jemand drei Karrieros vom Füllhorn locken wollen?
Die Vorräte
»Oh nein.« Ruckartig bleibe ich stehen.
»Was ist?«, fragt Marvel und stoppt. Cato tut es ihm nach. Ich blicke von einem zum anderen.
Zur Antwort ertönt ein ohrenbetäubender Knall.
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