Sechzig Sekunden müssen wir nun auf unseren Plattformen stehen und warten. Sechzig Sekunden haben wir Zeit, um die Vorräte beim Füllhorn in Augenschein zu nehmen. Sechzig Sekunden um die Tribute neben mir zu betrachten.
Wohlwollend stelle ich fest, das fast alle Tribute in meiner Nähe, ziemlich schwach aussehen. Ich blicke zum Füllhorn. Mit meinen Augen suche ich die Messer. Zum Glück liegen sie bereits vor der grossen Öffnung herum. Aber kurz vor dem Füllhorn sehe ich, wie ein Dutzend herumliegen. Das sind meine! Sie sind wie für mich geschaffen.
Ich versetze mich in Startposition. Diese vierzig Meter mache ich locker.
Zwanzig Sekunden. Fünfzehn Sekunden. Zehn Sekunden.
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Ich springe von der Plattform und sprinte zum Füllhorn. Als ich mich etwas umblicke, sehe ich, wie ein paar wenige schon an eine Waffe gekommen sind und nun ausschwärmen, um zu kämpfen. Katniss hat anscheinend den Start verpasst. Na Bravo, das ist auch sehr sinnvoll hier vor dem Füllhorn.
Mit einem grossen Sprung erreiche ich die Messer und packe sie an meine Kleidung. Zwei davon nehme ich in die Hände.
Als ich mich umdrehe steht der Junge aus Distrikt 5 vor mir. In seiner Hand liegt ein Schwert. Jetzt schwingt er es, aber ich bin flinker und weiche dem Hieb aus. Mein erstes Messer fliegt bereits und tötet den Jungen auch sofort. Ich ziehe das Messer aus seinem Bauch und sage hämisch: »Gute Reise.«
Dann sehe ich sie. Katniss. Sie kämpft mit einem Jungen, ich glaube Distrikt 9, um einen knallorangenen Rucksack. Ich ziele auf sie und werfe das Messer. Dummerweise machen sie genau dann eine Drehung um hundertachtzig Grad und das geworfene Messer bohrt sich in den Rücken des Jungen aus Distrikt 9.
Er kippt zur Seite. Nun sehe ich Katniss. Ihr Gesicht ist blutbespritzt. Geschockt sieht sie mich an. Ich renne auf sie zu, doch sie steht auch auf und will in den Wald. Meine Hand umfasst ein scharfes Messer aus meinem Gürtel und ich versuche es erneut. Aber entweder hat sie Augen im Hinterkopf oder sie hat geahnt, dass ich nochmal werfen werde. Denn nun zieht sie den Rucksack über ihren Kopf und das Messer bohrt sich in ihn hinein. Na toll. Jetzt ist sie dank mir auch noch bewaffnet. Ich hoffe nur, dass die anderen Karrieros das nicht mitbekommen haben.
Ich blicke ihr noch nach, wie sie im Wald verschwindet. Naja, was soll's. Es wird sich bestimmt eine weitere Gelegenheit ergeben, sie zu erledigen.
Mein Blick wandert zurück zum Füllhorn. Jede Menge toter Tribute liegen am Boden herum. Marvel, Cato, Glimmer und Marina kämpfen mit den noch übrig gebliebenen. Ich will mich ebenfalls wieder ins Getümmel stürzen, da sehe ich das Mädchen aus Distrikt 6 mit einer Axt. Sie rennt geradewegs auf Marina zu, die mit dem Töten des Mädchens aus Distrikt 10 beschäftigt ist. Adrenalin schiesst durch meinen Körper und ich renne so schnell ich kann zu ihnen. Im letzten Moment erwische ich das Mädchen mit einem geworfenen Messer im Rücken. Marina dreht sich geschockt um und blickt vom toten Mädchen zu ihren Füssen, zu mir. »Danke«, formt sie mit den Lippen und lächelt gezwungen. Ich nicke und nehme einen grossen, schwarzen Rucksack, der neben mir am Boden liegt.
Ich beschliesse, dass die anderen die übrig gebliebenen noch töten können. Gerade schneidet Thresh einem Jungen die Kehle auf und haut ab. Cato erledigt den Jungen aus Distrikt 4 und das war's dann. Am Boden liegen die toten Tribute. Fast zeitgleich, wie der Junge aus 4 stirbt, ertönen die Kanonen. Gebannt zähle ich mit. Elf Schüsse. Das sind elf Tote am ersten Tag. Nicht wenige.
»Clove, komm wie gehen zum See. Dann können sie die Leichen abholen!«, ruft Cato mir zu und ich folge meinen Verbündeten zum See.
»Wie viele habt ihr getötet?«, fragt Marvel als ich mich zu ihnen setze.
»Viele«, meint Cato knapp.
»Ich auch«, sagt Glimmer.
Ich nicke stumm. Sofort denke ich an die drei Tribute die ich getötet habe. Bestimmt haben sie alle Familie und Freunde, die nun um sie trauern.
»Katniss hat aber niemand erwischt, oder?«, fragt Cato und betrachtet grimmig die Klinge seines Schwertes. Mir wird flau im Magen als ich daran denke, dass ich Katniss eine Waffe geschenkt habe.
»Nein. Aber fast. Hab ich recht Clove?«
Es war klar. Es war so klar, das Glimmer es weiß. Ich drehe mich zu ihr um und sehe sie hasserfüllt an. Wenn sie den anderen jetzt davon erzählt, dann hassen sie mich nur noch mehr.
»Zur Aufklärung, unsere liebe Clove hier, hat Katniss ein Messer gegeben. Jetzt ist sie mit einem ziemlich guten Messer bewaffnet«, sagt Glimmer anklagend.
»Wie bitte?«, fragt Marvel und steht auf. Cato mustert mich fassungslos.
»Woher hätte ich wissen sollen, dass die so gute Reflexe hat«, rechtfertige ich mich.
Marvel kommt bedrohlich auf mich zu und ich weiche instinktiv ein paar Schritte zurück.
»Hey lasst sie doch! Es war ein Ausversehen!«, meint Marina wütend.
»Oh. Eilt die beste Freundin etwa zur Hilfe weil Clovie es nicht selber schafft?«, fragt Glimmer provokativ.
Das war einfach zu viel. Ich schnappe mir ein Messer und stürze mich auf Glimmer. Sie ist darauf nicht vorbereitet und wird von mir umgestossen. Ich halte ihr das Messer an die Kehle und sage: »Jetzt reicht es. Erst machst du einen hübschen kleinen Deal mit deiner Mentorin und jetzt beleidigst du mich. Verstehst du es nicht Glimmer? Cato mag dich nicht. Und eure Nummer Sponsoren aufzutreiben, wurde ohnehin von den beiden aus 12 durchkreuzt. Also gib endlich auf!«
Plötzlich werde ich von Marvel von Glimmer gerissen und festgehalten. Glimmer rappelt sich auf und spannt ihren Bogen. Sie ist nicht gut darin, sie kann nicht zielen. Aber in dieser Entfernung, würde auch jeder Trottel treffen.
»Tja, schade das ich dir mit dem töten zuvorkomme«, sagt Glimmer hämisch.
Ich versuche mich aus Marvels Griff zu entwinden, aber schaffe es einfach nicht.
»Glimmer hör auf. Wenn Clove ihr das Messer unfreiwillig gegeben hat, war es eben so. Und wenn du Clove jetzt tötest, kannst du was erleben«, sagt Cato ohne aufzublicken.
Glimmer lässt den Bogen sinken und Marvel lockert seinen Griff, sodass ich mich endlich freikriege.
»Wo ist Marina?«, frage ich als ich mich umsehe.
»Dort hinten«, sagt Marvel und deutet Richtung Wald.
Jetzt sehe ich sie auch. Sie ist nicht allein. Irgendjemand folgt ihr. Als sie näher kommen, sehe ich den Jungen hinter ihr. Es ist Peeta.
»Na sieh mal einer an«, sagt Cato als die beiden vor uns stehen.
»Solltest du nicht bei deiner Geliebten sein, Loverboy?«, fragt Marvel grinsend.
Cato steht auf und schlägt Peeta ins Gesicht, sodass dieser heftig nach hinten taumelt.
»Halt!«, schreit Marina und geht dazwischen. Doch Cato hat bereits zum erneuten Schlag ausgeholt und trifft anstelle von Peeta, Marina. Sie gibt einen stummen Schrei von sich und hält sich die blutende Nase.
»Marina!«, rufe ich und renne zu ihr. Aus ihrer Nase läuft ungehindert jede Menge Blut.
»Cato verdammt! Pass doch auf!«, zische ich und sehe mich suchend nach etwas um, dass die Blutung stoppen könnte.
»Schon okay. Es geht«, näselt Marina durch ihre Hände hindurch.
»Leg dich hin, sonst hört es nie auf«, sage ich sanft und drücke sie nach unten. Sie legt sich hin und tatsächlich legt sich der Blutschwall wieder etwas.
»Hier, trink etwas«, bietet Peeta an, der sich neben Marina gesetzt hat. Er reicht uns eine Wasserflasche. Feine, rote Striemen ziehen sich über sein Gesicht, dort wo Catos Schlag ihn getroffen hat.
Misstrauisch nehme ich die Wasserflasche und gebe sie Marina.
»Wieso hilfst du uns?«, frage ich.
Peeta schaut uns verlegen an. »Also, ich wollte mich mit euch verbünden«, sagt er.
Darauf erntet er die Lacher von Cato, Glimmer und Marvel. »Träum weiter Loverboy!«, kichert Glimmer.
»Er kann uns zu ihr führen«, sagt Marina.
Cato sieht sie einen Moment unschlüssig an, aber ich glaube ihn hat das schlechte Gewissen gepackt, weil er Marina getroffen hat und nicht Peeta. Jetzt sieht er mich an. Kaum wahrnehmbar nicke ich. Wenn Peeta uns zu Katniss führen kann, wird das die Spiele um einiges leichter machen. Trotzdem lässt mich das Gefühl nicht los, dass Peeta irgendeinen Plan im Hinterkopf hat.
»Gut Loverboy. Du kannst dich uns anschliessen«, sagt Cato und legt sein Schwert nieder. Marvel und Glimmer sehen ihn fassungslos an. Aber anscheinend ist beiden klar, wer hier der Anführer ist.
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