
•𝐂 𝐇 𝐀 𝐏 𝐓 𝐄 𝐑 𝟐𝟐•
Nach dem Wochenende bei meinen Eltern bin ich mehr als froh, wieder arbeiten zu können. Mein Zimmer dort gleicht einem Schlachthof. An den Wänden hängen Zettel, Bilder und Notizen. Der Boden ist gekachelt mit Büchern, Stiften und Schreibblöcken. Die sterilisierte Umgebung des Krankenhausinneren ist im Vergleich dazu eine Therapie für meine Seele. Und diese nehme ich mit Begeisterung entgegen.
Im Gegensatz zum Anfang habe ich mich irgendwann gegen Pumps und jegliche Schuhen mit Absatz entschieden. Stattdessen laufe ich nun in bequemen Sportschuhen durch die Flure. Ich frage mich wirklich wie Cher es schafft den ganzen Tag in solchen hohen Dingern zu laufen.
Meine Augen sind auf den Unterlagen in meinen Händen geheftet und ich merke nicht, wie ich in jemanden hinein laufe. Sofort gerate ich ins Straucheln, bereite mich schon vor, mit dem Po auf dem Boden aufzuschlagen, als sich ein Arm um meine Taille schlingt und mich somit vor dem Sturz bewahrt. Mein Herz beginnt in exakt der Sekunde einen Marathon zu laufen und ich hebe meinen Blick. Der Geruch nach Apfel und Zimt fährt mir in die Nase und ich schnappe überrascht nach Luft.
Chandlers braune Augen bohren sich in meine blauen und ich merke wie er amüsiert schmunzelt.
»Manchmal frage ich mich, ob ich ein Magnet für hübsche Frauen bin. Ansonsten kann ich mir unsere Anziehungskraft nicht erklären.«
»Bitte was?« stammle ich vor mich her, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Was macht er hier? Ich dachte, Chandler wäre beschäftigt.
»Wie geht es mit der Planung für den Ball voran? Machst du Fortschritte?« fragt mich Chandler. Verwirrung zeichnet sich auf meinem Gesicht aus. Was hat jetzt dieser lahme Spruch mit dem Ball zu tun? Und wer hat bitteschön in den letzten drei Sekunden die Klimaanlage aufgedreht? Warum ist es so verdammt warm hier? Ich räuspere mich und suche mein Gleichgewicht wieder, ehe ich mich aus seinem Arm befreie. Die Hitze in mir bleibt immer noch bestehen.
Ich versuche, meinen Kopf erneut zu sortieren. Wo waren wir erneut stehen geblieben? Ach genau. Chandler hat bezüglich des Balls gefragt. Vorbereitungen. Genau.
»Es rollt zwar rückwärts und bergab, aber es rollt.« sprudelt es prompt aus meinem Mund. Chandler sieht mich einen Moment dümmlich an, ehe er in schallendes Gelächter ausbricht. Meine Wangen werden feuerrot und ich wünsche mir sehnlichst, dass sich der Abgrund unter meinen Füßen auf macht. Was zum Henker ist mit mir falsch? Rückwärts und bergab. Wer bitteschön sagt so einen Mist?
Ich versuche, die Hitze aus meinen Wangen mit recht wenig Erfolg zu löschen. Doch stattdessen breitet sie sich weiter in meinem Gesicht aus und mittlerweile bin ich der Überzeugung, einer Tomate Konkurrenz zu machen. Verdammt, warum bin ich gerade nur so? Kann Chandler nicht einfach in seinem verdammten Büro bleiben?
Besagter Mann lacht immer noch, was mir kurz Zeit gibt, ihn zu mustern. Sein braunes Haar liegt unordentlich auf seinem Kopf und verleiht Chandler ein wildes Aussehen. Dazu trägt er ein weißes Hemd, Jeans, Stiefel und einen Mantel. Mein Unterleib beginnt, gefährlich zu kribbeln und gerade so kann ich es verhindern, wie ein ertrinkender Fisch nach Luft zu schnappen. Auch wenn ich ihn immer noch hasse, kann ich es nicht verleugnen, dass er in diesem Moment zum Anbeten aussieht. Gott und sein Haar. Was ich dafür geben würde, durch dieses zu fahren.
»Sam, du bist mir eine. Aber immerhin klappt es, was mich freut, zu hören. Und ich hatte schon Angst, dass meine Mutter dich vergrault hat.« gesteht Chandler und reibt sich eine kleine Träne aus dem Augenlied. Diese Geste ist scharf und lässt einen flammenden Tornado in meinem Inneren erzeugen.
»Naja, immerhin habe ich ein Grundkonzept in den letzten zwei Tagen erarbeitet. Aber ich bin mehr oder weniger optimistischer Ansicht, dass es gut wird.« erzähle ich und schüttle meinen Kopf. Unbewusst presse ich meine Unterlagen an die Brust und versuche auf andere Gedanken zu kommen. Gedanken, die nicht Chandler beinhalten.
»Dann bin ich gespannt. Du wirst das schon schaffen.« Chandler schenkt mir ein warmes Lächeln. »Okay, ich muss dann auch weiter. Wir sehen uns sicherlich nochmal die Tage.«
Mit diesen Worten schiebt er seine Hände in die Hosentaschen und spaziert an mir vorbei, als wäre nichts passiert. Verwirrt bleibe ich einen Moment stehen, ehe ich meine Schultern straffe und mich selbst wieder in Bewegung setzte. Einige Schritte später höre ich nochmal Chandler meinen Namen rufen. Ich drehe mich zu ihm um.
»Sag mir nur rechtzeitig, welche Farbe dein Kleid haben wird.« ruft er mir zu. Ich versteife mich sofort. Verdammt. Um dieses muss ich mich auch noch kümmern.
»Ich habe noch keines.« gestehe ich ihm. Erneut schmunzelt Chandler. Doch er sagt nichts dazu, sondern legt nur seinen Kopf schief, was einige seiner braunen Strähnen dazu verleitet, in seine Stirn zu fallen.
»Gut zu wissen.«
***
Mit dem Kaffee in der einen und einer blauen Farbtabelle in der anderen Hand starre ich auf mein Moodboard an der Wand. Hinter mir steht Polly mit verschränkten Armen und runzelt die Stirn. Nach der Arbeit habe ich sie förmlich mit in mein altes Kinderzimmer gezogen, damit sie mir bei der Planung helfen kann. Nun stehen wir beide mit Kaffee in der Hand vor der Wand und versuchen das Chaos an dieser zu ordnen.
»Was war nochmal dein Konzept?« fragt Polly nach.
»Blau, das sieht man doch.« ertönt eine weitere Stimme hinter uns. Zeitgleich zucken Polly und ich zusammen und drehen uns zu der Quelle der Stimme um. Maise lümmelt auf meinem Bett und legt ihren Kopf schief. Genau wie es Chandler getan hat, als ich ihn auf der Arbeit gesehen habe. Wie zum Teufel ist dieses Mädchen in mein Zimmer gekommen? Polly und ich sehen uns an. Die Fragezeichen schweben nicht nur über meinem Kopf herum. Erneut sehe ich zu Maise herüber. Sie ist immer noch da.
»Naja, ein wirkliches Konzept habe ich noch nicht wirklich. Ich dachte bisher nur, dass Blau passend ist. Für die Dekorationen oder den Dresscode.« sage ich und wende mich wieder der Wand zu. Ich schiebe die Farbtabelle irgendwo zwischen zwei Zetteln. Passen tut das ganze nicht. Ich brauche definitiv eine Art System. Man kann bei diesem Durcheinander an der Wand nicht einmal ordentlich durchblicken.
»Das ist doch wenigstens ein Anfang.« ich höre, wie mein Bett raschelt und kurz darauf stellt sich Maise neben mich. »Dennoch würde ich vorschlagen, dass wir erst einmal alles hier sortieren und dann ein System in das Ganze bringen. Nicht wahr Polly?«
»Da stimme ich dir zu. Ich verstehe auch gar nicht, wie du hier am Wochenende überhaupt arbeiten konntest.« stimmt die rothaarige Maise zu. Ich seufze und wende mich von den Zetteln ab. Mein Blick wandert hinaus zum Fenster, das in unserem Garten zeigt. Um ehrlich zu sein, ich habe selbst keine Ahnung. Irgendwie hat für mich alles Sinn ergeben, als ich alles zusammen geworfen habe. Oder es war eine Methode um alles aus meinem Kopf zu bannen, das in diesem Moment nicht in diesen gehört hat. Ich trinke einen Schluck Kaffee.
»Dann lass uns starten. Bevor die Sonne untergeht. Vielleicht blickt man am Ende dann mehr durch als noch am Anfang.« gebe ich optimistisch von mir. Gut, vielleicht war der Optimismus jetzt nicht zu hundert Prozent wahr, aber irgendwie muss man sich selbst doch motivieren, nicht wahr?
Still einigen wir uns. Polly und ich stellen unsere Tassen auf meinen Schreibtisch, der noch halbwegs ordentlich ist, ehe wir beginnen, die Zettel von der Wand zu nehmen und die vom Boden auf mehrere Stapel zu packen. Schweigend arbeiten wir nebeneinander her, bis Maise nach ihrem Handy greift und Musik anmacht. Schon nach kurzer Zeit merken wir, wie die Musik beginnt, uns mehr zu motivieren. Schließlich beginnen wir den aktuellen Song mit zu singen.
Es kommen mehrere Stapel auf meinem Boden zusammen. Wir haben uns darauf geeinigt, erstmals meine Ideen zu sortieren. Entweder nach Farbe, Dekoration, Musik oder auch Themen. Und mit den Liedern im Hintergrund kommen wir auch schnell voran. Ebenso bemerken wir, dass meine Ideen nicht alle wahllos aus mir herausgekommen sind. In der Tat hat mein Kopf schon unbewusst ein System gehabt. Als es schließlich abends wird, sitze ich mit meinen Freundinnen in der Küche. Polly und ich mit einem Glas Rotwein, Maise mit einem Glas Wasser. Meine Mutter steht am Herd und wärmt die Suppe auf, die sie zuvor am Wochenende gekocht hat. Sie ist der Auffassung, dass Suppen nach etwas Ruhe und Garzeit besser schmecken als frisch.
»Mein Kopf explodiert gleich. Wie kann man nur so ein undefinierbares, unordentliches System haben?« murrt Maise und fährt sich durch ihre kurzen Haare.
»Ich habe keine Ahnung.« gebe ich ehrlich von mir. Wenn ich ehrlich bin, habe ich selber keine Ahnung, wie ich dieses Durcheinander geschaffen habe. Mich würde es auch nicht wundern, wenn ich plötzlich während des Schlafens Notizen geschrieben und aufgehängt habe. Aber immerhin ist es ein mehr als befriedigender Anfang, dass wir zusammen nun ein System in das Chaos gebracht haben. Auch wenn es heißt, dass wir zusammen sicher noch weitere Nerven und Stunden mit dem Sortieren und Ausarbeiten verbringen werden.
»Also ich werde dir von nun an nur noch helfen, wenn ich von den Kochkünsten deiner Mutter profitieren kann. Missis Greenwood, sie sind wahrlich ein Meister im Kochen.« sagt Maise und sieht zu meiner Mutter herüber, die sich mit einem Lächeln bedankt. Sie ist wirklich ein Engel.
Ich schmunzle leicht und nippe gleichzeitig an meinem Rotweinglas. Der Ball rückt immer näher und mittlerweile spürt man auch schon die Aufregung im Ort. Frauen beginnen darüber zu philosophieren, was der Dresscode ist, Männer beginnen sich zu recht zu machen. Und ich würde am liebsten gar nicht erst hingehen. Nicht zuletzt, da ich an diesem Abend an Chandlers Seite sein werde. Eigentlich sollte mich dieser Gedanke übel werden lassen, doch bleibt dieses Gefühl. Stattdessen seufze ich auf und kippe den letzten Schluck Wein in mich rein.
»Willst du gleich die ganze Flasche Rotwein inhalieren?« fragt mich Polly belustigt und schiebt die genannte Flasche zu mir rüber. Ich verdrehe meine Augen und kippe mir trotzdem nach. Doch anstatt den Glasinhalt in einem Zug zu exen, halte ich mich zurück und schiebe das Glas in meinen Händen hin und her. Mein Blick wandert von dem Rotwein hinaus aus dem Fenster zu unserem Garten. Die Sonne ist kaum noch zu erkennen, stattdessen hat die Dunkelheit die Welt ergreift und taucht alles um das Haus herum in ein dunkles Blau.
Ich mag den Winter. Irgendwie. Aber ich mag es nicht, dass es immer so früh dunkel wird. Abgesehen von den kalten Temperaturen, die teils unmenschliche Höhepunkte erreichen. Gut, dass wir nicht in Kanada leben. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Menschen oder Werwölfe dort überleben. Kurz schüttle ich mit dem Kopf, ehe ich mich wieder Polly zu wende.
»Wenn es nach mir geht, würde ich sogar mehr als eine Flasche Wein trinken.« gebe ich tonlos zurück und nehme mein Glas in die Hand. Kurz darauf ist es nur noch halb leer.
»Ein Glück, dass du hier nicht mehr wohnst und wir dich nicht mehr versorgen müssen. Jede Woche neue Flaschen Rotwein kaufen geht auch auf das Portmonee.« sagt meine Mutter, die vor Polly und mir eine große Schale mit Suppe stellt. Maise folgt ihr und verteilt fünf Teller auf dem Tisch.
»Gut für dich, dass ich deinen Sarkasmus verstehe Mom.« murmle ich und fülle mir erneut nach. Meine Mutter schmunzelt leicht und ruft anschließend nach meinem Vater, der in die Küche kommt. Er gibt meiner Mom einen Kuss auf die Wange, ehe er sich zu uns an den Tisch setzt. Maise und Mom gesellen sich ebenso zu uns und gemeinsam beginnen wir zu essen.
Es ist nett mit den Mädels und meinen Eltern. Wir reden über dieses und jenes. Mein Vater fragt Polly etwas über ihren Mate aus, während sich meine Mutter angeregt, mit Maise unterhält. Ich schweige, genieße die entspannte Atmosphäre um mich herum und trinke seelenruhig meinen Rotwein. Erneut sehe ich aus dem Fenster und lasse meine Gedanken kreisen. Erneut denke ich an Chandler. Denke erneut an die Begegnung mit ihm im Krankenhaus. Meine Augen beginnen, draußen einen willkürlichen Punkt zu fixieren.
Was hat er eigentlich dort gemacht? Ich wüsste nicht, dass wir jemanden auf den Stationen haben, mit dem er näher ist. Die Gespräche am Esstisch rücken immer mehr in den Hintergrund, während ich meinen Kopf zerbreche. Gedanken vermischen sich miteinander, bis sie keinen Sinn mehr ergeben.
Derweil beginne ich draußen etwas zu bemerken. Zwei glühenden Punkte, die immer näher kommen. Meine Hand versteift sich um mein Glas, während ich mich vorlehne und die Punkte anvisiere. Je näher sie kommen desto klarer sehe ich, dass es sich um einen Wolf handelt. Ich blinzle kurz, doch der Wolf bleibt immer noch zu sehen. Kurzerhand überlege ich, ob ich ihn kenne, doch in meinem Kopf kann ich ihn nicht zuordnen. Der Wolf kommt noch näher und ich schnappe nach Luft. Mit dem Stuhl rutsche ich zurück und springe schon fast in die Luft. Mein Glas fällt mir aus der Hand und augenblicklich wird es still um mich herum.
»Alles in Ordnung Krümmel?« fragt mich mein Vater besorgt. Ich schaue immer noch aus dem Fenster. Er sieht mich an, lässt seine Zunge um seine spitzen Zähne fletschen. Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie mein Vater aufsteht und auf mich zugeht. Er legt eine Hand auf meine Schulter. Ich zucke zusammen und sehe zu ihm hoch.
»Bitte was?« Frage ich atemlos. Ich habe nicht bemerkt, wie mein Herz schneller zu schlagen begonnen hat.
»Ich habe gefragt, ob es dir gut geht.« Wiederholt mein Vater erneut. Derweil dreht sich meine Mutter zum Fenster um und sieht hinaus.
»J-ja. Mir geht es gut. Entschuldige bitte, ich dachte ich...« ich schüttle meinen Kopf. »ich glaube ich war nur zu sehr in Gedanken das ich Geister gesehen habe.«
Mühsam bringe ich ein Lächeln hervor. Mein Vater runzelt die Stirn und sieht nicht sonderlich überzeugt aus. Auch meine Freunde und meine Mutter sehen besorgt zu mir. Innerlich versuche ich mich zu beruhigen. Ich kann es nicht glauben.
Lucien ist hier. Direkt vor dem Haus meiner Eltern.
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