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⚠️ Gewalt, Homophobie, Transphobie⚠️
Taehyung war noch nie in dieser Gegend unterwegs, während es hell war. Normalerweise schlich er sich nachts oder abends raus, wenn seine Eltern schon schliefen und ihn nicht beim abhauen erwischen konnten. Es sah hier im Tageslicht ganz anders aus. Die Dunkelheit verdeckte die Wahrheit, im Licht sah es hier noch elender aus. Große Risse in den mehr als heruntergekommenen Häusern, die alten Leute, die ihnen entgegen kamen, sahen arm und krank aus.
Jimin und Jungkook zuckten nicht mal mit der Wimper, sie waren an solche Anblicke gewöhnt. Taehyung realisierte erst jetzt vollkommen, dass die beiden genauso hierher gehörten, wie die alten, kränklich aussehenden Leute. Der immer präsente Leidensausdruck in Jungkooks Augen. Taehyung schluckte schwer. Er war freiwillig hier. Er hatte ein Zuhause, es ging ihm gut. Und trotzdem ging er hierher. Jimin und Jungkook hatten keine Wahl.
Und sie würden sein Haus sehen. Die riesige Villa mit dem riesigen gepflegten Garten mit eigenem Gärtner. Ohne Risse in der Fassade. Taehyung fühlte sich augenblicklich schlecht. Schlecht und hilflos.
"Taehyung?"
Taehyung zuckte ein bisschen zusammen, hob seinen Blick und sah Jimin fragend an. Dieser lächelte ihn sanft an. "Du träumst."
Leise ausatmend kniff er die Augen für einen Moment zusammen und schüttelte leicht mit dem Kopf. Katapultierte sich wieder in die Gegenwart, anstatt sich innerlich fertig zu machen. Taehyung steckte die Hände in die Hosentaschen, starrte auf seine Füße. Diese steckten in Vans, nicht in Balenciagas.
Jungkook hatte bisher noch kein einziges Wort gesagt. Den ganzen Tag noch nicht, seit er zur Tür in seine eigene Wohnung rein gekommen ist. Taehyung konnte den Gedanken an ihn nicht aus seinen Kopf drängen, immer wieder blitzten Flashbacks von gestern Abend vor seinem inneren Auge auf. Seine Lippen. Seine Fingerspitzen auf seiner Haut.
Taehyung fokussierte sich erst wieder auf das Hier und Jetzt, als am anderen Ende der Straße eine Gestalt auftauchte, die ihm wage bekannt vorkam. Er kniff die Augen leicht zusammen, suchte in seinem Gehirn nach dem Kontext. Natürlich. Das war einer der Typen, die mit Jungkook unterwegs waren, als Taehyung sich betrunken hatte. Er zog die Augenbrauen leicht zusammen, blickte zu Jungkook, dessen Kieferknochen sich angespannt hatten. Er schien immer angespannter zu werden, je näher sie kamen. Aber das waren doch einer von Jungkooks Freunden, oder nicht? Immerhin war er mit ihm unterwegs gewesen. Aus dem Augenwinkel fiel Taehyung auf, dass auch Jimins Gesichtsausdruck sich verdunkelt hatte. Er sah aus, als hätte er eine Fassade aufgesetzt, sein sonst zu einem lieben Lächeln verzogenes Gesicht jetzt emotionslos.
"Was sollen denn die Jungenklamotten Jeon, huh?", lachte der junge Mann, sobald sie in Reichweite waren. Sein Blick war auf Jimin gerichtet, trotzdem antwortete Jungkook. "Halt die Fresse, Lee." Besagter begann böse zu grinsen. "Was ist eigentlich dein Problem? Willst du nichts dagegen tun, dass deine Schwester so rumläuft?" Sein Blick richtete sich gehässig auf Jimin, dessen Fassade langsam anfing zu bröckeln.
Taehyungs Augen waren weit aufgerissen, wortlos stand er daneben und observierte die Situation. Jungkooks Augen funkelten vor Wut, hart griff er den Typ am Kragen, was ihn allerdings keineswegs zum Schweigen brachte. "Du verweichlichst Jeon." Er blickte zu Taehyung rüber. "Wieder mit deinem Boyfriend unterwegs huh? Du bist doch auch nichts weiter als ne kleine Schwuchtel..."
Als Jungkooks Faust ausholte, fing der Typ sie geschickt ab und warf Jungkook auf den Boden, hielt ihn dort fest, bevor seine Aufmerksamkeit sich wieder auf Jimin richtete. "Du kannst dir deine Haare abschneiden und deine Titten wegbinden wie du willst, du hast trotzdem ne Pussy, Jina." Kleine Tränen kullerten aus Jimins Augen, rollten über seine Wangen. Irgendwas in Taehyung tickte aus. Wie konnte er nur sowas sagen, wie konnte er den Jungen beleidigen, den Taehyung so lieb gewonnen hatte?
Er biss die Zähne zusammen, zog den Mann mit einem Ruck von Jungkook runter und schlug ihm kräftig ins Gesicht. Mit einem erschrockenen, schmerzerfüllten Laut fiel er nach hinten, hielt sich die blutende Nase. "What the Fuck, Alter. Du hast mir die Nase gebrochen." Er schaute Taehyung entgeistert an, bevor er aufstand und verschwand. Taehyungs Beine zitterten, er hatte noch nie jemanden geschlagen. Er wusste nicht, dass er so eine Kraft besaß. Aber er hatte es verdient, was zur Hölle fiel ihm ein. Kurz blickte er auf seine Hand. Die Knöchel waren aufgeplatzt und bluteten.
Jungkook starrte Taehyung für einen Moment offen an, Taehyung starrte zurück, bevor er aufsprang und seinen Bruder in die Arme zog. Jimin zitterte und weinte, Taehyung fühlte sich unglaublich unwohl. Leicht biss er sich auf die Unterlippe, bevor er sich umdrehte und ging. Die Situation überwältigte ihn, er wusste nicht, was er tun sollte. Er lief erst langsam davon, wurde immer schneller, bis er rannte. Jungkook und Jimin bemerkten sein Verschwinden erst, als er schon außer Sichtweite war.
Taehyung hörte erst auf zu rennen, als er vor seinem Haus stand. Seine Brust hob und senkte sich schnell, er schnappte tief nach Luft und taumelte langsam zur Haustür. Völlig außer Atem und mit kreisenden Gedanken öffnete er die Tür, striff die Schuhe ab und blieb dann erschrocken stehen.
"Kim Taehyung." Niemand anderes als Taehyungs Mutter stand vor ihm, die Augenbrauen zusammengezogen. In der einen Hand hielt sie seine Balenciagas, in der anderen seine Zigaretten. Die Zigaretten in den Schuhen, die er nicht mehr anziehen wollte, zu verstecken, war also nicht unbedingt die beste Idee gewesen. Taehyung schluckte schwer, senkte den Kopf. Sein Herz raste immernoch, Jimins aufgelöster Blick ging ihm nicht aus dem Kopf.
"Ich kann's überhaupt nicht fassen, Taehyung! Erst tauchst du einfach nicht bei dem Geschäftsessen auf und lässt das arme Mädchen sitzen, dann muss ich mir von Mr. Choi anhören, dass du dich nachts rausschleichst und dann auch noch Zigaretten?! Jetzt warst du auch noch über Nacht weg und-" Während Taehyung den Gärtner innerlich verfluchte, stoppte Taehyungs Mutter mitten in ihrer Schimpftirade, ihr Blick fiel auf Taehyungs Hand. "Und jetzt schlägst du dich auch noch?! Taehyung-"
"Er hat einen Freund von mir beleidigt", verteidigte Taehyung sich leise.
Taehyungs Mutter schaute ihn entgeistert an. "Und deshalb muss man sich schlagen?"
"Mum, du verstehst das nicht-"
"Nein, tue ich nicht. Und das erklärt auch nicht dein sonstiges Verhalten, Clara war wirklich traurig, als du-"
"Mama, ich bin schwul."
Taehyungs Augen wurden groß, er hielt sich die Hände vor den Mund. Die Worte waren einfach so rausgeblubbert, er hatte sich bisher noch nicht mal getraut, sie sich selbst zu offenbaren. Ohne die Reaktion seiner Mutter abzuwarten, rannte er in sein Zimmer.
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