«2» ...Alltag hilft auch nicht gerade...
𝔰𝔬𝔫𝔤: daylight,
David Kushner
𝕰s wurde Nachmittag. Die Sonne neigte sich gen Westen und ich hatte den stickingen, gelb-blauen Linienbus zum Heim genommen. Da die Bushaltestelle nur an die zwanzig Meter links von dem Eingangstor lag, war es frühmorgens manchmal wirklich eine Erleichterung hier zu wohnen.
Nachdem ich die alte, schon vom Rost zerfressene Metalltür aufstieß, wurde ich im Vorraum, nochnichtmal Schuhe ausgezogen, schon mit einer Schipftirade a lá große böse Heimleiterin begrüßt. Mit beiden Händen in die nicht mehr so schlanke Hüfte gestemmt, stand sie breitbeinig in der Eingangshalle.
,,Was glaubst du egentlich, was du hier tust? Den zweiten Verweis diesen Monat kassieren und deiner Lehrerin die Nase brechen? Das ist der Dank für alles? Immer haben wir dich durchgefüttert, deine Bildung finanziert,..." Blaa, Bla, Bla.
Und nein, Berichtigung, meine Bildung hatte der Staat finanziert.
Nachdem der alten Furie nach einer geschlagenen Viertelstunde die Luft ausging, wurde ich hoch in mein 5 Quadratmeter Zimmer geschickt, um meine Hausaufgaben zu erledigen.
Ganz ehrlich ?
Wir hatten bloß Spanisch paar Vokabeln auf und da ich Fremdsprachen glücklicherweise so schnell erlernte wie Spinnen das Rennen, wenn sie auf Legolas treffen, konnte ich die Dinger getrost und angstfrei kurz vor Unterrichtsbeginn anschauen. Wieso sollte ich da extra noch irgendwelche Hausaufgaben machen? Lieber würde ich die alte Hausordnung der Schule, den dämlichen Schmierlappen der mir - wie eben liebevoll von Ms. Schubert, der Heimleiterin, erwähnt - nach dem Verweis zum Abschreiben aufgebrummt wurde, in eine Tasche packen, um sie dann mitzunehmen und das Ding dann heimlich zu verbrennen.
Ein böses Grinsen schlich sich in mein Gesicht. Genau so würde ich es dann machen. Direkt nach dem Training wollte ich ja eh spazieren gehn, da kann ich das Mistding ja gleich als Wärmeversicherung mitnehmen. I mean...wenn man schon von fast allen als durch und durch böser Mafioso angesehen wird, kann man ja wenigstens die Erwartungen erfüllen.
Ich warf meine knapp über die Schulterblätter reichenden weißen Haare über die Schulter und betrachtete kritisch ihre Länge in meinem großen Spiegel, der an dem alten, farbabblätternden Schrank in meinem Zimmer hing.
Ja, sah so aus, als wären sie schon etwas mehr gewachsen...oder? Mit gespitzten Lippen musterte ich sie genauestens.
Im Thema Haare war ich sehr kritisch. Weiße Haare zu haben reichte allein schon aus, um schräg von der Seite gemustert werden, da konnten sie ja wenigstens ordentlichen sitzen. Auch hatte ich noch eine weitere ,,Superability", wie sie von meinen Mitmenschen aus Karate liebevoll genannt wurde. Zusätzlich zu den weißen Haaren, dem aggressiven Verhalten und der kleinen Größe hatte ich auch noch zwei unterschiedliche Augenfarben.
Ich betrachtete eben genannte im Spiegel. Während das Linke beinahe grün leuchten zu schien, strahlte das rechte eine stahlblaue Kälte aus. Man könnte meinen, das Auge versuche den Angeblickten einzufrieren, so hart und kristallisierend starrte es vor sich hin. Vereinzelt durchzogen es unscheinbare anthrazitfarbene Tigerstreifen, die ihm nur noch mehr Kälte verliehen.
Mein Blick fiel aufeinmal auf meine schwarzen second-hand Kunstlederstiefel. War das da ein Dreckfleck ? Kurzerhand packte ich mein eh schon altes, schwarzes Oberteil und wischte kurz über die Schuspitze. Ha. Scia vs. Schmutz. Scia wins.
Ich blickte auf meinen T-shirt-Rand unten, mit dem ich gewischt hatte. Ein riesiger dunkler Fleck prankte dort. Shit!
Scia vs. Schmutz. Eins zu eins. Ich verzog mein Gesicht, zugleich amüsiert und gequält.
Mal so nebenbei. Für meinen Namen kann ich nichts. Dabei habe ich schon allen körperliche Gewalt angedroht die meinen vollen Namen benutzen sollten. Ich meine...Sciathar Scarrì? Was zum Geier ist denn das für ein Name?? Na klar, ich hab mal auf den Schulcomputern gegoogelt was er bedeutet könnte. Sciathàn meint Flügel auf schottisch, rì König auf schwedisch, so wie ich mich erinnere, und scar war narbe auf englisch. Hoffen wir, dass ich mich bei dem schottischen und englischen irre. Aber König? Immer gerne. Ich musste schmunzeln. Natürlich konnte man so wahnsinnig viele verschiedene Kombinationen von verschiedenen Wörtern in verschiedenen Sprachen probieren, da hab ich es dann einfach gelassen. Ich hatte schon die Heimleiterin gefragt, was dieser Name bedeutet, aber sie hatte bloß erwiedert, dass mir den meine Eltern verpasst hätten. Solle ich die doch fragen.
Ha. Ha.
Die Wand hatte damals dann ein Loch mehr...
Ich blickte zurück auf mein Oberteil. Da musste ich wohl morgen noch ne Wäsche machen. Ein Glück hab ich beinahe nur schwarze beziehungsweise dunkle Klamotten, da war das mit verschiedenen Waschungen nicht so drastisch.
Apropos Anziehsachen...ich müsste mir für nach dem Training gleich neue Einpacken. Die, die ich jetzt anhatte, waren immernoch mit Blut besudelt.
Mein schönes schwarzes Imagine Dragons T-shirt mit dem roten Aufdruck ,,You made me a believer" und meine schwarze bootcut-Jeans hatten überall kleine Punkte, sodass es aussah, als hätte ich eine Marienkäferkolonie bestohlen.
Und halt den Schmutzfleck.
Nicht das es mit soviel ausmachte, auf schwarz sieht man ja ein Glück nicht, dass es Blut ist, aber nach einer gewissen Zeit fängt es an zu stinken und geht nur noch mäßig aus den Klamotten raus. Ich betrachtete zweifelnd den Haufen auf meinem Bett.
,,Ach, was soll's", ertönte noch mein Gemurmel. Kurzerhand packte ich also noch zu meinem weißen Karateanzug einen schwarzen Hoodie mit der Aufschrift ,,Arschloch und Stolz drauf" und eine ebenso farbenfrohe, elastische Leinenhose, die ich mal auf einer Comic-Con, Thema Mittelerde und co. gewonnen hatte. Meine Freunde und ich waren damals zu einem Karatewettbewerb in der Nähe gewesen, und ich habe unseren Trainer angefleht, ob wir wenigstens einen kurzen Blick drauf werfen können.
Letztendlich hatte er nachgegeben, aber nur, weil er wusste, dass ich absoluter Tolkien-Fan war. Mir war dann der Stand aufgefallen, an dem man Fragen zu Hobbit beantworten musste, um etwas gewinnen zu können. Quasi ne Art Quiz, wo man von Kleidungsstücken bis zu Schlüsselanhängern alles rausbekommen konntest.
Und meine Kumpels, freundlich wie immer, hatten natürlich darauf beharrt, dass ich da mitmischte. Das Resultat: Jeder von ihnen hatte nun etwas von diesem Stand und der Besitzer war verzweifelt.
Ich musste bei dieser Erinnerung schmunzelt. Genauestens konnte ich mich an die sogenannte Endgegnerfrage erinnern, die mir der Besitzer mit siegessicherm Grinsen ins Gesicht geworfen hatte: Wie viele Drachen sind in Tolkiens Werken je vorgekommen?
Ebenso grinsend hatte ich dann angefangen aufzuzählen:,,Also...der erste Urulóki war Glaurung der Betrüger - der Dude war im Silmarillion einfach nur Legende. Dann waren da noch Scatha, der Wurm und Ancalagon der Schwarze. Und natürlich Smaug. Die goldene Bestie aus dem Norden war ja wohl der Berühmteste aller Feuerspeier."
Nach weiterer Aufzählung verschiedener Drachen, die in weiteren Werken genannt wurden, hatte man förmlich sehen können, wie ihm das Grinsen aus dem Gesicht gerutscht war, nachdem ich einfach nicht aufgehört hatte, alle möglichen von Morgoths Laborratten herunterzurattern. Dieses Spiel hatten wir, unterwandert mit den Fragen, von wem Aragorn alles Abstammte - elendig lange Liste plus Arathorn und Isildur, wie das mit der Familiensache unter Elben so gelaufen ist - alles nur Inzest, etc., dann solange gespielt, bis er keine Fragen mehr hatte. Und ich keine Leute mehr, die etwas haben wollten.
Plötzlich schrillte mein Handywecker laut auf. Nach einem laueten Hörnertröten folgte "Highway to Hell" von ACDC, was ich als Signalbotschaft zum Losgehen zum Training festgelegt hatte.
Als ich völlig in Gedanken versunken war, hatte auch die Zeit sich verabschiedet. Kurzerhand packte ich den Haufen auf meinem Bett und stopfte ihn in meine Tasche. Kurzer Jackencheck: Hausschlüssel-vorhanden, Taschentücher-vorhanden, Dolch-ebenfalls, fragt nicht warum. und letztendlich, Kopfhörer-vorhanden.
Berichtabgabe: alles da.
Ich schnappte mit meine Tasche vom Bett, rannte beim rausgehen aus meinem Zimmer beinahe Lily, meine Nachbarin um und schloss meine Tür ab. Sicher ist sicher. Nach einem kurzen Plausch - is ja nicht so, dass ich zu spät war, neeiiin... - mit Lily ging es auch schon zu Fuß zum Dojo. Da es nur ca. 30 Minutem vom Heim entfernt war, ging dies eigentlich noch ganz klar.
Unterwegs dachte ich wieder über Lilys Ideen zu meinem schmerzenden Auge nach. Sie war der Meinung, dass es entweder ein Gerstenkorn sein musste oder wenn nicht, ich einen grauenvollen Todes sterben musste.
Lustig.
Aber gut. Ich war schon immer diejenige gewesen, bei der man mit Galgenhumor am besten ankommen konnte. Naja. Wie auch immer. Lils jedenfalls hatte mir auch geraten, wenn es nicht besser werden sollte, einen Arzt aufzusuchen. Da ich aber beim Thema Geld nicht viel zu sagen hab, weil halt einfach nichts da ist bzw. Für die wichtigsten Dinge draufgehen musste konnte mich die amtierende Doktorin nicht so richtig umstimmen. Ich grübelte weitet und weiter, fand dabei aber keine plausible Erklärung für die Schmerzen. Man konnte soviele Bücher lesen wie man wollte, und sooft dem Doktorchen Lily über die Schulter schauen...irgendwie half es nix.
Kurzerhand steckte ich mir einen Kopfhörer ins linke Ohr um die nervigen Gedanken zu vertreiben. Warum nur einen ? Es ist nicht so, dass ich den anderen verloren habe, nein *hüstel, hüstel*. Aber Kevin, dessen Eltern aus Deutschland stammen, unser Trainer, hat uns von Anfang an eingebleut, das wir niemals! Unter keinen Umständen! Jemals die Dinger auf offener Straße reinmachen. Die Gefahr, einen Überfall zu übersehen ist einfach zu groß.
Deshalb hatte ich auch einen Dolch mit einstecken. Wie ich von der Heimleiterin erfuhr, hatte er mit in meiner Wiege, die komischerweise aus so ner Art Weidenholz war, gelegen und so trug ich ihn immer mit mir rum.
Er war aus einem Stück Metall gefertigt und im Griff fanden sich Einkerbungen ein, die stark an Ranken oder ähnliches erinnerten. Auf beiden Seiten befanden sich dazu wie kleine Handschützer, etwa ein bis zwei Zentimeter lang. Auf der zweischneidigen Klinge fanden sich zwischen den Schneiden, in der dickerern Mitte, kleine Einkerbungen. Diese erinnerten an Ranken, Efeu mit Stacheln oder verschlungene Bänder, und verliehen dem sauscharfen Mordwerkzeug überraschende übernatürliche Eleganz. Außerdem besaß der Dolch einen hölzernen Griff, der vereinzelt mit silbernen Adern durchzogen war. Da mich das stutzig gemacht hatte, war mein Blick in die Herstellung des Dolchs gewandert. Das Holz war bloß eine mahagoni-rötliche Verkleidung. Der Kern war Metall und Teil der unterarmlangen Klinge, verband sich aber durch die Metallranken fest mit dem Griff. Alle drei Schmiede in der nahegelegenen Ortsschaften waren ratlos, was die Herkunft und Herstellung betraf. Erst ein Ausflug ins verschneite Sibirien - ursprünglich waren wir mit dem Verein zu einem Turnier dagewesen - hatte Klarheit gebracht. Die Ranken waren vorgeschnitten gewesen und waren dann mit flüssigem Stahl aufgefüllt worden. Diese Methode war, laut dem Schmiedemeister da oben, jedoch kaum angewendet, da es ein zu hohes Risiko, dass das Holz ankokeln könnte. Daher konnte ich mir das mit der Herkunft herausfinden, abschminken. Außerdem hatte allein der Besuch bei dem Schmied dort mich Unsummen gekostet.
Als ich den Dolch das erste Mal genau gemustert hatte, erinnerte er mich stark an die Klingen der Elben, die im Buch ähnlich beschrieben wurden. Nur die zweischneidige Klinge und der Griff stellten mich noch vor ein Rätsel.
Doch zurück zu meinem Kopfhörer.
Durch die Erklärung meines Trainers hatte ich mit meinem Gewissen so Einklang gefunden und mich nicht weiter über den verlorenen Kopfhörer ärgern müssen und mich freuen können, das ich den anderen noch hatte.
Ganz weglassen konnte ich das Ding nämlich nicht. Musik half mir, das zornige Etwas und damit meine immer währende Aggression etwas unter Kontrolle zu halten.
So kam es auch, dass ich wieder einmal eines meiner Lieblingslieder, "Human" von "the Killers" anmachte und summend meinen Weg fortsetzte.
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