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>>𝐖𝐚𝐬 ist, wenn sie mich nicht mögen?<<, spreche ich eine Frage aus, die mich schon die ganze Zeit wurmt.
>>Das werden sie<<, antwortet Markus zuversichtlich.
>>Sie haben gar keinen Grund dazu<<, argumentiere ich.
>>Doch, denn du bist nicht nur unglaublich hübsch, innerlich, wie äußerlich, super heiß und ziemlich clever, sondern auch das zukünftige Alphaweibchen<<, argumentiert er dagegen und grinst schief.
>>Hm.<<
Ich möchte nicht, dass sie mich nur meiner Stellung wegen tolerieren. Nie war ich ein Teil eines Rudels gewesen, den man aufgenommen hat, seines Wesens wegen, sondern entweder, weil ich die Alphatochter war oder die Nichte des anführenden stärksten Betawolfs und nun weil ich die Partnerin des zukünftigen Alphas bin.
Hätte ich nicht zur Familie gehört, hätte Judd mir keine Erlaubnis erteilt, in diesem Rudel zu verweilen und ich wäre wohl ein Wildling geworden.
>>Wie viele leben eigentlich im Anwesen, aktuell?<<
Markus scheint ein wenig überrascht.
>>Ähm... nun ja... manche verweilen nur für die ein oder andere Nacht. Heute Morgen waren wir nur zu viert in der Küche, aber das heißt nichts. Von Zeit zu Zeit sind wir mehr und mal weniger. Da der nächste Winter heran rückt, werden es wohl wieder mehr. Im Sommer sind wir meist sehr wenige bis niemand, denn in schwül heißen Nächten will niemand in dieser Muffelbude bleiben.<<
Muffelbude? Na das klingt ja super...
>>Wie lange noch?<<, erkundige ich mich und klinge dabei schon fast wie ein kleines nörgelndes Kind.
Das letzte Mal, als ich hier war, bin ich mit Judd zu einem Rudeltreffen gekommen und wir sind mit dem Auto her gefahren, da hat es deutlich weniger lang gedauert.
>>Siehst du da vorne den krummen Baum? Ab da kannst du es schon sehen<<, antwortet er und deutet auf eine Birke, die wohl von einem Lastwagen mitgenommen wurde, weil sie so niedrig über der Straße schwebt.
Der Stamm hat etwa auf meiner Schulterhöhe einen ordentlichen Knick, als hätte Arnold Schwarzenegger einmal dagegen geboxt.
Wie Markus es gesagt hat; man kann das große Anwesen erst ab dem krummen Baum sehen. Zumindest sind die grauen Dachschindeln in der Form von Biberschwänzen zu sehen. Das Haupthaus ragt hoch hinaus. Alles ist aus roten Backsteinen errichtet. Die Fensterrahmen sind weiß gestrichen und die schwarzen Fensterläden klappern im Wind leise gegen die Hausmauer. Der linke Flügel wird von Tannen abgeschirmt und vor dem rechten, der ein wenig nach hinten versetzt ist, tummelt sich eine Gruppe beim großen Pavillon.
Je näher wir dem Gebäude kommen, desto mulmiger wird mir.
Markus scheint es zu bemerken und greift nach meiner linken Hand.
Überall rieche ich den Geruch des Rudels. Schließlich soll er Eindringlinge fernhalten oder zumindest warnen, dass sie sich auf fremdem Territorium befinden. Er schwebt wie eine Drohung über dem Revier. Hoch oben in den Wipfeln streiten kleine Vögel und nicht weniger weit entfernt klettern Eichhörnchen die Bäume hoch und runter.
Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Mit Abstand sind sie meine Lieblingsbeute.
>>Nicht jetzt<<, raunt Markus in meine Richtung und ich wende mich wieder unserem Ziel zu.
Ein wenig verärgert, dass ich meinen Jagdtrieb in einer solch wichtigen Situation nicht vollständig unter Kontrolle habe, versuche ich mich darauf zu konzentrieren, dass ich die Chance, die ich Markus hier gebe, nicht selbst vermassle.
Plötzlich wird ein Fenster im Erdgeschoss geöffnet und zwei Wölfe springen hintereinander hindurch. Als sie aufkommen, knurren und fletschen sie die Zähne, springen immer wieder aufeinander zu, berühren sich aber nicht. Die Aggression ist eindeutig, aber dies ist kein Machtkampf, sondern ein Interessenkonflikt. Da hält man sich besser raus, wenn man kein Alpha ist.
Die, die unterm Pavillon stehen oder sitzen, scheint es nicht zu interessieren. Würfel und Karten, die durch die Gegend fliegen, sind wohl von größerer Bedeutung, bis einer von ihnen aufsieht und uns entdeckt.
Unseren Geruch unter all diesen Duftmarken in der Umgebung auszumachen ist eine Sache der Unmöglichkeit. Deshalb bin ich auch nicht im Geringsten überrascht, dass sie uns bis jetzt noch nicht bemerkt haben.
>>Hey, Mark!<<, ruft der Typ und ich bin mir sicher, dass wir uns schon einmal begegnet sind, aber ich kann mich beim besten Willen nicht an seinen Namen erinnern.
Nun drehen sich alle zu uns um und auch die Rangelei findet ein Ende. Die beiden kommen in Wolfsgestalt auf uns zu. Je näher sie kommen, desto besser kann ich auch ihre Fellfarbe erkennen. Im Schatten der Bäume und des Hauses sahen sie beinahe schwarz aus. Aber ihr beider Fell hat die Farbe von Karamell.
Wenige Meter entfernt bleiben sie stehen, als auch die andere Gruppe sich neugierig dazu gesellt.
Und auch aus dem Wald tauchen immer mehr zwischen den Bäumen auf.
Von Sekunde zu Sekunde wird mir unwohler und das Bedürfnis weg zu laufen, bis ich wieder allein bin wird immer stärker. Markus scheint das überhaupt nicht mit zu bekommen. Mit meinem Wanderrucksack immer noch auf seinem Rücken, begrüßt er seine Freunde.
>>Juli? Wie tief bist du gesunken?<<, fragt mich plötzlich jemand hinter mir.
Erschrocken drehe ich mich um.
Ein blonder, wirklich großer Kerl, schaut traurig auf mich herab. Seine Stimme kommt mir bekannt vor, aber an sein Gesicht erinnere ich mich ebenfalls nicht. Die langen Haare sind stramm in einen kleinen Dutt an seinem Hinterkopf gebunden. Er sieht aus, wie Mitte dreißig, aber das täuscht. Lykaner altern ab einem gewissen Grad äußerlich nur noch sehr langsam. Eine modische schwarze Sonnenbrille verdeckt seine Augen und wirft einen langen Schatten über keine hervorstehenden Wangenknochen.
>>Was fällt dir ein?<<
Fassungslos schüttle ich den Kopf.
Wer ist dieser Lykaner, dass er es wagt, über mich zu urteilen?
Er verschränkt seine äußerst muskulösen vor der Brust und scheint sie noch zusätzlich anzuspannen.
>>Nur, weil du die erste bist, die er mitbringt?<<, spottet er abfällig.
Die erste, die er mitbringt?
Markus hatte also andere vor mir? Und sogar hier?
Das ganze liegt wie ein schwerer Stein in meinem Magen. Kalt und unerbittlich.
Nie hätte ich gedacht, dass mir etwas so zusetzen kann, wie der Tod von meinem Vater, aber das hier ist fast genauso schlimm.
Mir wird schwindelig.
Ich habe mich für ihn, für das, wofür er steht, aufgehoben. Aber er? Offenbar nicht.
>>Juli, kommst du mal rüber? Ich will dich den anderen... Was ist hier los?<<
Markus tritt an meine Seite.
Ich muss mittlerweile schneeweiß im Gesicht sein. Selbst meine natürliche Blässe ist wohl schon übertroffen, denn der Typ sieht mich besorgt an.
>>Äh...<<
Er will mir einen Arm um die Schultern legen, aber ich werfe ihm schnell einen abweisenden Blick zu.
>>Was ist hier los?<<, knurrt Markus bedrohlich.
Ach, er soll still sein! Ich fühle mich so betrogen. Als hätte er mich hintergangen. Mich und diese Partnerschaft. Auch wenn es vor uns gewesen ist, möchte ich mir gar nicht vorstellen, was er alles schon getan hat. Oder mit wem...
>>Was hast du ihr erzählt?<<, brüllt Markus und ich zucke vor Schreck zusammen.
Noch nie hatte ich eine solche Angst. Wenigstens kann ich die Tränen noch zurück halten, aber ich beginne auch zu zittern. Nicht vor Kälte, die merke ich selbst im tiefsten Winter kaum. Sondern vor lauter Unsicherheit und Panik.
>>Nur die Wahrheit. Ich habe befürchtet, sie wäre eine von deinen Flittchen.<<
Das letzte Wort spuckt der blonde Riese beinahe aus.
Markus scheint nun zutiefst geschockt zu sein. Er dreht sich zu mir, doch ich drehe mich verletzt von ihm weg. Es tut so weh. Und er ist der Auslöser dieses Schmerzes. Wie konnte ich nur so blind sein und denken, ihm würde all das hier so viel wie mir bedeuten.
>>Juli...<<
>>Ne, lass... Bitte...<<
Erschöpft drücke ich seine Hände, die er nach mir ausstreckt, nach unten.
>>Können wir bitte einfach wieder gehen?<<, flehe ich und verliere all meine Kontrolle, als die ersten Tränen sich ihren Weg über meine Wangen bahnen.
Ich will nur noch nach Hause. In mein Zimmer und mich unter der Bettdecke verstecken. Und wenn ich mich wieder beruhigt habe, möchte ich in meine Höhle Unterwasser. Dort kann niemand mich finden.
>>Oh, Juli... Es tut mir so, so unglaublich leid<<, sagt er traurig, wagt es aber nicht, mir näher zu kommen.
Ja, unglaublich ist es in der Tat.
Ich verstehe es sogar irgendwie. Er ist dann halt doch nur triebgesteuert. Und Kerle, Lykaner wie Menschen, sind in diesem Alter sehr unkontrolliert.
Markus ist wohl keine Ausnahme, leider.
Niemand hat es bis jetzt geschafft mich zu brechen und das wird auch jetzt nicht passieren, denn das werde ich nicht zulassen. Ich werde ihn deshalb nicht verstoßen, schließlich hat jeder eine Vergangenheit. Auch habe ich noch nie aufgegeben und deshalb werde ich auch damit jetzt nicht anfangen.
>>Ich bleibe, aber ich will ein eigenes Zimmer<<, erkläre ich ihm meine Bedingungen und er stimmt sofort, ein wenig erleichtert, zu.
>>Alles, was du willst. Nur bitte, bitte verlass mich nicht. Ja? Ich werde alles tun, was du verlangst.<<
Wieso? Wieso sagt er jedes Mal so bedeutende Dinge?
>>Keine Geheimnisse<<, antworte ich, wissend, dass ich diese Forderung selbst nicht einhalten kann.
Zumindest wird es lange Zeit dauern, bis ich mich ihm und auch sonst irgendwem öffnen kann, denn die Wunden sind alle noch zu frisch.
>>Dann darf ich dich ihnen jetzt vorstellen?<<
Ich überlege kurz, aber je früher ich es hinter mir habe, desto besser. Rasch trockne ich meine Tränen und mit meinem Einverständnis nimmt er meine linke Hand und verschränkt unsere Finger ineinander.
>>Meine Freunde...<<, beginnt er mit lauter Stimme und der Kreis um uns herum wird immer dichter, denn es kommen noch einige dazu.
Frauen und Männer. Klein und groß, dick und dünn.
Hier zählen keine Äußerlichkeiten.
Ich sehe niemandem in die Augen, betrachte aber ihre Gesichter, während Markus sich im Kreis dreht und mich hinterher zieht.
Mit meiner rechten Hand halte ich mich an seinem starken Oberarm fest.
Manche mustern das Schauspiel skeptisch, andere eher neugierig. Zum Glück aber niemand feindselig.
>>Ich möchte euch meine Gefährtin vorstellen: Juli.<<
Markus klingt überglücklich und grinst mich frech an.
Ein Typ mit schulterlangen braunblonden Dreadlocks und Vollbart jubelt als Erster und nach und nach stimmen weitere ein.
Ich verzeihe Markus. Das muss ich, denn ich habe mir selbst ebenfalls verziehen.
In der Menge kann ich nur wenige Weibchen ausmachen, aber wenigstens kann ich mich dann bei Frauenproblemen im Notfall an jemanden mit Erfahrung wenden.
Den blonden Hulk bekomme ich nicht mehr zu Gesicht. Zum Glück. Aber dennoch würde ich ihn gerne noch einmal sprechen und in Erfahrung bringen, woher er mich kennt und wie viel er zu wissen glaubt.
Auf dem Weg in >das rote Haus<, wie es die meisten hier zu nennen scheinen, knurrt mein Magen und mir fällt ein, dass ich außer meinem spärlichen Trauben-Frühstück heute noch nichts gegessen habe.
>>Hunger?<<, fragt Markus und ich nicke brummend.
>>Na dann zeige ich dir mal, wo die Küche ist.<<
Ich weiß schon wo die Küche ist, möchte ihn aber nicht nochmal vor den Kopf stoßen und folge ihm schweigend.
Der lange Flur, der durch das Erdgeschoss führt, endet im großen Wohnzimmer. Von dort aus gelangt man über eine ähnliche Terrasse, wie die bei uns zu Hause in einem großen mit dunklen Steinen gepflasterten Innenhof.
Markus jedoch öffnet die erste Tür auf der linken Seite und ich bleibe amüsiert im Gang stehen und warte kurz. Mit hochrotem Kopf kommt er nur einen Augenblick später wieder raus.
>>Die Besenkammer<<, gibt er beschämt zu.
>>Die dritte auf der rechten Seite<<, kommentiere ich schmunzelnd und lasse ihm wieder den Vortritt.
Und ich habe mich tatsächlich sogar richtig erinnert. Die Küche ist nicht so klein, wie ich sie in Erinnerung habe.
Ich trete hinter Markus ein und mache automatisch das Licht mit dem Schalter direkt rechts neben dem Türrahmen an und die Deckenstrahler tauchen den Raum in einem sterilen Farbton.
>>Wie oft warst du schon hier?<<, fragt Markus geknickt, während er meinen Rucksack vorsichtig abstellt und ihn an die weiß gekachelte Wand lehnt.
In der Mitte des Raumes liegt auf einem grauen Betonklotz, der in etwa an meinen Bauchnabel reicht, eine weiße, spiegelglatte Marmorplatte. Erin hat diese Anrichte vor ein paar Wochen nach ihrem eigenen Design aufbauen lassen. Meistens wird sie jedoch als Stehtisch benutzt.
In der Wand gegenüber sind zwei Doppelfenster eingelassen und an der linken Seite des Raumes sind mehrere Herdplatten auf weiß lackierten Einbauschränken angebracht. Darunter zwei Spülmaschinen und darüber hängt von der Decke eine silbergraue Abzugshaube. Sie erinnert mich an Markus' Augen und ich wende mich wieder ihm zu.
>>Ein paar Mal<<
-2048 Wörter
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