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>>𝐍𝐮𝐧, unsere Bräuche besagen, dass Seelenverwandte zusammen leben und das so bald wie möglich<<, äußert Markus sich zögernd.
Ich kneife meine Augen zusammen, löse mich von ihm und fauche ihn wütend an, dass dieser Brauch veraltet und ich nicht so leicht zu haben sei.
Der überraschte Ausdruck jedoch erweckt den Eindruck, dass er davon nicht einmal direkt ausgegangen ist. Und ich glaube ihm.
Ich schnaufe frustriert und stampfe ohne ein weiteres Wort in mein Zimmer. Dort angekommen, werfe ich mich flach mit dem Bauch auf mein Bett und brülle in mein Kopfkissen.
Nachdem ich mich wieder beruhigt habe, drehe ich meinen Kopf zur Seite, damit ich nicht in meinen eigenen Laken an Selbsthass ersticke und werde von Markus besorgtem Gesicht begrüßt.
Was macht der denn noch hier?
>>Ich werde um dich kämpfen, Juli. Solange es nötig ist.<<
Seine Stimme ist ruhig, aber in seinen grauen Augen tobt ein Sturm, den ich beim besten Willen nicht deuten kann.
>>Den ersten Schritt musst aber du machen.<<
>>Mir geht das aber deutlich zu schnell. Ich meine, wir leben nicht mehr im Mittelalter. Ich habe dabei eindeutig ein Mitspracherecht und außerdem...<<
Ja, außerdem was? Ich habe schon alles gesagt und merke selber, dass mein schwacher Protest lächerlich ist. Lykaner sind ein sehr emotionsgeladenes Volk. Wir tun die Dinge, die uns richtig erscheinen, ohne lange Überlegungen und erst recht nicht in so einem Fall.
Einer solchen Verbindung darf niemand, mich eingeschlossen, im Weg stehen und trotzdem tu ich es, weil ich Angst habe. Und auch das ist unbegründet, schließlich würde Markus mich nie absichtlich verletzen. Im Gegenteil, würde ich ihn nur lassen, würde er mich wahrscheinlich jeden Meter, den ich gehen will, tragen. Er würde mir jeden Wunsch erfüllen, bevor ich ihn aussprechen könnte.
Markus würde mein Wohl über alles stellen, aber das ist nicht richtig, denn er muss dem Rudel mit eben jener Aufmerksamkeit begegnen und ich wäre der Störfaktor.
Ich will gerade >>Nein.<< sagen, als er meine linke Hand ergreift und >>Bitte.<< sagt.
Er liebkost meine Fingerknöchel mit einer sanften Massage, drückt auf jede freie Stelle mit feuchten Lippen einen Kuss und bringt mein Blut zum Kochen.
>>Ja<<, sage ich, um der süßen Folter zu entkommen.
Was habe ich getan?
>>Und wann?<<, säuselt er, dreht meine Hand und küsst vorsichtig und mit einer solch unbeschreiblichen Zärtlichkeit meine Handinnenfläche, dass ich das Gefühl habe, meinem ersten Orgasmus näher zu sein, als je zuvor.
Unter schweren Liedern sehe ich zu ihm, doch er achtet nur auf meine Reaktionen bei jeder Berührung. Meine rechte Hand krallt sich bei jeder noch so leichten Empfindung in mein Kopfkissen. Markus scheint es nicht zu bemerken, denn seine gesamte Aufmerksamkeit widmet sich meinen langen schlanken Fingern.
Immer wieder stöhne ich leise. Er nimmt es jedes Mal mit einem leichten Schmunzeln hin.
Als es mir zu viel wird und ich das Gefühl habe schließe ich meine linke Hand zur Faust und verwehre Markus seine süße Folter.
Überrascht hebt er seinen Blick und betrachtet mein Gesicht schweigend.
Dass diese Verbindung, die ich mit Markus einzugehen versuche ziemlich stimmungsgeladen ist, habe ich schon vorher gehört, konnte mir aber nicht annähernd vorstellen, wie intensiv...
>>Markus<<, hauche ich, unwissend wie es nun weitergehen soll.
Meine Gedanken sind wie weg gefegt. Als hätte ein Sturm getobt und sie alle mitsamt all meiner Sorgen genommen.
>>Ja?<<
Er grinst mich an und ich habe das Gefühl tiefer in seine Seele zu blicken, als würde er mir nur durch seine Augen den Schlüssel dazu geben.
Sie sind so wunderschön. Sonst fasziniert mich alles dunkle, aber diese hellen grauen Augen scheinen fast zu leuchten.
>>Du hast echt schöne Augen<<, stelle ich das Offensichtliche fest.
Irritiert legt er seinen Kopf schief.
>>Danke, denke ich<<, lacht er leise nach einem längeren Moment des Schweigens.
>>Du hast aber auch ziemlich tolle... Haare... und Augen und... naja... du bist insgesamt total scharf<<, versucht er sich unbeholfen zu revanchieren.
Ich grunze lediglich, aber immerhin: er findet mich attraktiv.
Zumindest habe ich das irgendwie raus hören können.
>>Du wirst heute wohl nicht zu mir ziehen, oder?<<, hakt er nach.
>>Naja... man könnte ja mit einer ersten Probeübernachtung anfangen<<, schlage ich als Kompromiss vor.
>>Dann packst du deine Sachen jetzt?<<
Eigentlich wollte ich ihm anbieten hier zu übernachten, aber warum auch nicht?
Schließlich wohne ich im Haus von Judd und Erin. Sie haben es meiner Mutter abgekauft, als diese dringend Geld für ihre Behandlung benötigt hatte. Und die große Holzhütte von meinem Vater im Wald steht seit geraumer Zeit nicht mehr.
>>Wohnst du im Rudelanwesen oder bei deiner Familie?<<, überlege ich laut.
Denn, wenn ich im Rudelanwesen wohnen müsste, bekäme ich wohl ziemlich bald einen Anfall. Jedes ungebundene Rudelmitglied, jeder ohne eigene Bleibe darf sich dort einnisten und dementsprechend riecht es dort und auch die Stimmung dort soll laut Judd recht interessant sein...
Wenn Markus aber noch bei seiner Familie lebt, stehen die Chancen gut, dass wir ungestörter sind, denn seine beiden älteren Brüder sind längst ausgezogen und auch seine Eltern sind ständig unterwegs und bringen Erin und Judd und manch anderen kleine Geschenke mit. Außerdem stünden die Chancen besser, seine Familie kennenzulernen.
>>Im Rudelanwesen<<, antwortet er.
Na, super! Nicht.
Ich schicke Markus in die Garage, um aus einem der Schränke eine Reisetasche zu holen. Währenddessen packe ich das Nötigste zusammen; bequeme Unterwäsche, bestehend aus einer Boxershort und einem Sport-BH für die Nacht und einer normalen Unterhose und einen normalen BH für den nächsten Tag.
In den Tiefen meiner Wäsche ziehe ich doch noch Socken und ein viel zu großes Nachthemd hervor, welches ich meinem Vater an einem ersten April schenken wollte, den er nie erleben sollte.
Einigermaßen ordentlich staple in alles auf meinem Bett und schlurfe ein wenig demotiviert ins Bad, klaue Mareas Duschgel, die Mascara von Erin und eines der frischen neuen extra großen Handtücher, die, wenn man die sich nach dem Duschen umwickelt locker als elegantes Abendkleid durchgehen und bei jedem Schritt den Dreck auf dem Boden aufwischen.
Marea mag sie nicht so. Sie wickelt sich lieber ein kleines um den Kopf und eines, nicht wirklich größer als das andere um die nötigsten Stellen.
>>Hast du alles?<<
Markus steht mit dem großen Koffer von Erin im Türrahmen, den sie sich lange erspart hat und mit dem sie nur in lange Urlaube zieht.
>>Du bist doch verrückt! Ich wollte nur eine Reisetasche! Nicht... sowas<<, beklage ich mich, greife nach meiner Zahnbürste und eine der rumliegenden Tuben.
>>Ja... dann bringe ich den mal zurück<<, sagt er schulterzuckend.
>>Hmm<<, murmle ich und gehe in mein Zimmer, während Markus ziemlich laut die Treppe runter stampft.
Ich fasse kurzer Hand den Entschluss alles in meinen Wanderrucksack zu stopfen. Das Handtuch schaut zwar oben noch ein bisschen raus, als Markus wieder hoch kommt, aber mich stört es nicht. Ehe ich mir den Rucksack mit Schwung auf den Rücken schwingen kann, da er doch etwas mehr Gewicht auf die Waage bringt, als ich dachte und deshalb genervt vor mich hin brumme, greift Markus um mich herum und hebt ihn hoch, als wäre nichts drin.
>>Ich hätte das schon geschafft.<<
>>Das glaube ich dir, aber ich möchte nicht, dass du Rückenschmerzen bekommst. Ich werde dich dann zwar gerne massieren, aber der Schmerz ist es nicht wert. Und ich würde dich auch einfach so massieren<<, fügt er mit einem anzüglichen Grinsen hinzu.
Ich verdrehe die Augen, kann aber nicht verhindern, dass meine Mundwinkel dennoch leicht zucken.
>>Dann geh doch schon mal runter, ich komme gleich nach.<<
>>Jawohl, Sir<<, ruft er und salutiert.
Ich warte, bis er unten ist und in seine Schuhe schlüpft, bevor ich mich nochmal zu Marea ins Zimmer schleiche, aber sie schläft tief und fest, also versuche ich mir keine Sorgen zu machen. Einen letzten Blick werfe ich noch mal in ihre Richtung, als ich aus dem Zimmer gehe. Sie sieht aus, wie Schneewittchen, nur dass ihre Haare nicht schwarz, sondern dunkel wie Zartbitterschokolade sind und ihre Haut nach dem Schock endlich wieder etwas Farbe angenommen hat.
Mit einem leisen Seufzen ziehe ich die Tür hinter mir zu.
Dann gehe ich die Treppe runter und habe das Gefühl ein ganzes Ameisenvolk feiert in meinen Eingeweiden Party.
Markus erwartet mich mit einem strahlenden Lächeln, das ich angesichts der Situation nicht erwidern kann. All das ist für mich Neuland. Noch nie habe ich mich für einen Jungen oder ein Mädchen interessiert.
Nicht einmal einer der unzähligen Romane in meinem Zimmer hat mich dermaßen erregt, lieben und leiden lassen, wie Markus es tut. Dass unter der Oberfläche meines harten Kerns Gefühle brodeln, deren bin ich mir immer bewusst gewesen bin, aber nicht, dass sie sich in eine solche Richtung bewegen könnten und dann auch schon mit siebzehn... Nein, damit hätte ich nie gerechnet.
Ja, manchmal habe ich mir vorgestellt, ich würde irgendwann einen freundlichen, netten Mann kennenlernen, der dazu noch ein paar Manieren hat und vielleicht sogar einen gut bezahlten Job. Mit dreißig. Vielleicht.
Aber nie habe ich es auch nur in Betracht gezogen, den Richtigen sogar vor meiner Volljährigkeit zu finden. Beziehungsweise, vor ihm weg zu laufen. Mehrmals.
>>Worüber denkst du nach?<<, unterbricht Markus meine Überlegungen, während ich grob in meine Stiefel trete.
>>Meine Zukunft<<, antworte ich.
Irgendwann wird es soweit sein, dass ich mich ihm voll und ganz hingeben werde. Mit jeder Faser meines Körpers. Das Paarungsritual ist die elementare Verbindung zwischen Seelenverwandten. Darüber lernen wir nicht viel. Die, die es bereits vollzogen haben, sagen nur, dass es etwas ganz besonderes ist und man danach nicht mehr dieselbe Person ist.
In manchen Büchern, die ich lese, heißt es oft nach dem ersten Mal auch, dass die Protagonisten danach andere Menschen sind, die Welt anders wahrnehmen. Aber bei Lykanern ist es wahrscheinlich ein bisschen anders.
>>Was weißt du eigentlich über das Paarungsritual?<<, wende ich mich an Markus, der ebenfalls mit seinen Gedanken woanders ist.
Ertappt sieht er mich an.
Hoffentlich hat meine direkte Art ihn nicht verstört...
>>Na, du weißt doch wie Sex funktioniert, oder?<<, lacht er leise.
Meine Gesichtsmuskeln haben einen totalen Aussetzer. Als hätte ich einen Schlaganfall oder in die Steckdose gegriffen, zucken meine Mundwinkel in alle Richtungen.
Wieso ist es mir plötzlich so peinlich, über etwas so natürliches zu reden? Sonst ziehe ich Marea damit auf, wenn sie davon rot, wie ein Signallämpchen anläuft.
>>Äh... ich... ähm... äh<<
Was war das denn bitte?
Markus zieht vergnügt die Nase kraus und die kleinen Sommersprossen darauf scheinen zu tanzen.
>>Davon kriegt man Falten<<, sage ich und bin genauso überrascht wie er, über diesen flotten Spruch.
Wenigstens scheint mein Kiefer keinen Wackelkontakt mehr zu haben und auch meine Zunge ist nicht mehr wie gelähmt.
>>Wir werden gleich abgeholt. Ich hab da schon etwas organisiert<<, verrät er nach einem weiteren längeren Moment des Schweigens.
Einem recht unangenehmen, peinlichen Moment.
>>Ist okay.<<
Er beobachtet mich die ganze Zeit. Als wir aus dem Haus gehen, während wir vor dem Haus warten und auch, als wir in einen vollkommen leeren Linienbus einsteigen und uns in einen der vorderen Vierer setzen. Und auch die gesamte Fahrt über, bis wir vor dem großen schwarzen Tor anhalten und aussteigen.
>>Kannst du dir vorstellen, wie viel es mir bedeutet, dass du diesen riesigen Schritt gewagt hast?<<
Markus blickt mich an, als hätte er mir gerade eröffnet, dass es in der Nacht dunkel und am Tag hell ist.
Bedächtig nicke ich. Für mich bedeutet es auch viel. Vor allem eine Menge an Mut und Überwindung.
>>Ich weiß, dass du Judd und Erin und... deine Schwester natürlich auch, sehr vermissen wirst. Vor allem in der Anfangsphase<<, erzählt er weiter und endlich öffnet sich das Tor vor uns.
Wie von Geisterhand schwingt es nach außen auf. Die Scharniere quietschen und etwas vom Lack splittert ab und rieselt in kleinen Flocken zu Boden.
>>Wir haben aber nur eine Nacht vereinbart<<, erinnere ich ihn.
Er nickt und lächelt mich dabei seltsam an. Nicht auf diese nette freundliche Art und auch nicht, als hätte er böses im Sinn, sondern als wüsste er etwas, dass so offensichtlich ist und nur ich kapiere mal wieder nichts.
Ich sehe mich um. Überall liegt buntes Laub. Gelbe, braune, rote, orangene und grüne Blätter segeln durch die Luft, fallen zu Boden und werden bei jedem Schritt wieder aufgewirbelt.
Markus scheint sich nicht sonderlich für die Schönheit der Natur zu interessieren und trampelt den Weg zwischen den von beiden Seiten von Bäumen gesäumten Schotterweg entlang. Die Steine knirschen und die großen, etwas spitzeren Brocken kann ich sogar durch die Sohle spüren.
-2060 Wörter
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