Verheerende Folgen (3)
Die nächsten Tage vergingen wie in einer Art Trance. Ich funktionierte nur noch, ging zur Arbeit, lächelte mechanisch und versuchte, meine Sorgen zu verdrängen. Doch jede Nacht, wenn ich allein auf der Couch lag, holten mich meine Ängste und Gedanken wieder ein.
Nur wenige Tage später, mitten im Englischunterricht, brummte mein Handy in der Tasche. Mit einer kurzen Entschuldigung zog ich es heraus und las Chishiyas Namen auf dem Display.
Ich runzelte die Stirn. Normalerweise rief er mich nie auf Arbeit an. Hastig wischte ich den Anruf weg und entschuldige mich erneut bei meinen Schülern, die mich alle neugierig beäugten.
Ich lachte nervös.
"Wo war ich stehengeblieben?", fragte ich und fuhr mir unruhig durch die Haare.
Ein Schüler in der ersten Reihe hob die Hand und rief: „Sie haben uns gerade die neue Vokabelliste erklärt, Sensei!"
Ein anderer Schüler ergänzte: "Ja, und Sie wollten uns noch ein Beispiel für das Wort 'irritated' geben."
Ich nickte lächelnd.
"Ah, richtig. Danke, dass ihr mich daran erinnert habt. Also, 'irritated' bedeutet verwirrt oder verärgert. Zum Beispiel: 'I was irritated when my phone rang during class.'"
Die Klasse lachte und ich fuhr fort: "Nun gut, lasst uns weitermachen."
Im selben Moment vibrierte es erneut und diesmal wirkte es noch eindringlicher als beim ersten Mal.
"Entschuldigt mich", sagte ich schnell und warf erneut einen Blick auf das Handy.
Dieses Mal war es Nakamura.
Was um alles in der Welt wollte der denn von mir?
Ich drückte den Anruf weg und stellte das Handy auf lautlos. Kurz bevor ich es jedoch wegsteckte, ploppte eine Nachricht auf dem Display auf.
Ich hielt kurz inne. Sie war von Nakamura. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch öffnete ich sie und las:
𝙲𝚑𝚒𝚜𝚑𝚒𝚢𝚊 𝚒𝚜𝚝 𝚐𝚎𝚛𝚊𝚍𝚎 𝚠ä𝚑𝚛𝚎𝚗𝚍 𝚎𝚒𝚗𝚎𝚛 𝙾𝙿 𝚣𝚞𝚜𝚊𝚖𝚖𝚎𝚗𝚐𝚎𝚔𝚕𝚊𝚙𝚙𝚝, 𝚊𝚋𝚎𝚛 𝚔𝚎𝚒𝚗 𝙶𝚛𝚞𝚗𝚍 𝚣𝚞𝚛 𝚂𝚘𝚛𝚐𝚎. 𝚆𝚒𝚛 𝚑𝚊𝚋𝚎𝚗 𝚍𝚊𝚜 𝚒𝚖 𝙶𝚛𝚒𝚏𝚏. 𝙳𝚊𝚌𝚑𝚝𝚎 𝚗𝚞𝚛, 𝚍𝚞 𝚜𝚘𝚕𝚕𝚝𝚎𝚜𝚝 𝚎𝚜 𝚠𝚒𝚜𝚜𝚎𝚗.
Entgeistert starrte ich auf das Display, konnte meine Augen kaum davon losreißen. Meine Hand fing an zu beben und in meinem Hals bildete sich ein unangenehmer Kloß. Alles um mich herum verschwamm, und die Geräusche des Klassenzimmers wurden zu einem dumpfen Rauschen.
"Ist etwas passiert, Sensei? Sie sehen blass aus."
Ich löste mich aus meiner Starre und legte das Telefon beiseite. Schnell setzte ich ein fahriges Lächeln auf.
"Also....nein...ich meine j-ja", brachte ich unsicher hervor. Ich blickte auf die Uhr. "Ich glaube, es ist besser, wenn wir für heute Schluss machen. Tut mir ehrlich Leid."
Die Verwirrung war den Kindern ins Gesicht geschrieben.
"War das Ihr Freund? Der gutaussehende Doktor?", fragte eines der Mädchen.
In dem Moment schaffte ich es kaum, mich darüber zu wundern, woher sie dieses Wissen über mein Privatleben hatten. Dafür stand ich viel zu sehr unter Schock.
Ich stand abrupt auf.
"Lest euch nochmal die neuen Vokabeln durch. Ich komme gleich wieder", ich griff nach dem Handy und eilte damit vor die Tür, wohl wissend, dass ich damit eigentlich meine Aufsichtspflicht verletzte, doch ich konnte einfach nicht anders.
Ich probierte es zuerst auf Chishiyas Handy, doch dort kam nur die Info, dass der Teilnehmer derzeit nicht erreichbar war. Kurz darauf wählte ich Nakamuras Nummer.
"Hey", begrüßte er mich knapp. "Du hast die Nachricht also gelesen?"
"Ja, was ist passiert? Wie geht es ihm?", sprudelte es aus mir heraus.
"Im Moment den Umständen entsprechend gut. Er war heute als Assistenz für eine wichtige Herz-OP eingeteilt. Zuerst lief alles gut, aber dann ist er plötzlich mitten im OP zusammengebrochent."
Ich biss mir fest auf die Lippe.
"Wurde etwas festgestellt?", fragte ich zögerlich.
„Es sieht so aus, als wäre es eine Kombination aus extremer Erschöpfung und Dehydrierung. Seine Blutwerte zeigten einen deutlichen Mangel an Elektrolyten und seine Herzfrequenz war ungewöhnlich hoch. Er scheint sich in den letzten Wochen sehr verausgabt zu haben."
Ich atmete tief durch und versuchte, mich innerlich zu beruhigen.
"Wird er sich wieder erholen?"
„Auf jeden Fall, aber er muss sich unbedingt ausruhen", sagte Nakamura ungewöhnlich ernst. „Wir haben ihm mindestens zwei Wochen strikte Ruhe verordnet. Sein Körper muss sich wieder regenerieren und das braucht Zeit."
"Verstehe, ich danke dir" ,sagte ich erleichtert, doch ich spürte Nakamuras Zögern am anderen Ende der Leitung.
"Hast du zufällig eine Ahnung, wie es dazu gekommen sein könnte? ", fragte er schließlich. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nur wegen der Arbeit ist. Es war nicht stressiger als sonst auch."
Ich schluckte schwer.
„Ähm... also, um ehrlich zu sein, hat er nebenbei öfters seiner Mutter in der Schönheitsklinik ausgeholfen. Er hat nur versucht, ihr damit zu helfen, aber... er hat es wohl etwas übertrieben", murmelte ich und wurde gegen Ende immer leiser.
Vermutlich wäre Chishiya nicht allzu erfreut, dass ich Nakamura von seinem Zweitjob erzählte, doch ich wollte ihn auch ungern anlügen.
"Mann, wirklich?", stöhnte er. "Dieser Idiot. Das hat er mit keiner Silbe erwähnt, aber dann wird mir natürlich so einiges klar. Kein Wunder, dass er neuerdings immer so neben sich steht."
"Ja, ich habe bereits versucht, es ihm auszureden, aber du kennst ihn ja."
"Oh ja", sagte er mit einem trockenen Lachen. "Er kann ein echter Dickschädel sein."
"Ich muss jetzt auflegen, aber ich werde so schnell wie möglich ins Krankenhaus kommen", versicherte ich ihm mit fester Stimme.
"Nur keine Eile", entgegnete er ruhig. "Er ist hier in guten Händen."
"Danke dir, Nakamura. Wir sehen uns dann", sagte ich und legte dann auf.
Resigniert ließ ich mich gegen die Wand hinter mir sinken und drückte das Handy fest an meine Brust.
Erleichterung durchflutete mich. Zum einen, weil es ihm gut ging, zum anderen, weil ich hoffte, dass er jetzt endlich zur Vernunft kommen würde.
Ich atmete tief durch und ging dann zurück in meine Klasse.
"Es tut mir Leid, aber ich muss dringend weg. Bitte verhaltet euch ruhig und arbeitet weiter an euren Aufgaben. Ich werde eine Vertretung für euch organisieren", erklärte ich sachlich.
Die Schüler nickten verständnisvoll und ich verließ schnell den Raum. Ich informierte die Schulleitung und machte mich sofort auf den Weg zur Klinik.
Auch, wenn ich wusste, dass Chishiya gut im Krankenhaus aufgehoben war, waren meine Nerven dennoch bis zum Zerreißen gespannt. In den letzten Tagen hatten wir nur nebeneinander her gelebt, statt miteinander. Wir hatten getrennt geschlafen, kaum ein nettes Wort füreinander übrig gehabt und unsere Berührungen hatten sich auf ein äußerstes Minimum beschränkt.
Doch trotz unserer derzeitigen Distanz liebte ich Chishiya noch immer über alles und die Vorstellung, dass es ihm schlecht ging, war nur schwer zu ertragen.
Als ich endlich am Klinikgebäude des Tokyo University Hospitals angekommen war, stürmte ich kopflos an die Rezeption der chirurgische Abteilung. Inzwischen wollte ich keine Sekunde länger mehr warten. Ich musste ihn sehen.
"Guten Tag! Ich möchte zu Chishiya", keuchte ich abgehetzt und vergaß dabei sogar die höfliche Anrede.
Die ältere Schwester am Tresen lächelte jedoch freundlich, als sie mich sah.
"Ah, Sie müssen seine Freundin sein", sagte sie vollkommen ruhig.
Ich nickte hastig.
Sie drehte ihren Kopf nach hinten.
"Nakamura-sensei. Sie ist da!", brüllte sie ins Hinterzimmer.
Kurze Zeit später stand der Angesprochene vor mir.
"Hey Izzy", begrüßte er mich mit meinem Spitznamen und musterte mich skeptisch. "Bist du gerannt? Ich hab doch gesagt, wir haben alles unter Kontrolle."
Ich fächelte mir mit der Hand etwas Luft zu.
"I-ich...ich weiß", brachte ich atemlos hervor. "Aber ich wollte ihn unbedingt sehen."
Er grinste leicht und seufzte dann gespielt auf.
"Muss Liebe schön sein. Komm mit!", fügte er dann hinzu und ging voraus.
Ich folgte ihm durch den langen Korridor, während ich versuchte, meine Atmung wieder in den Griff zu bekommen.
Vor einer der unzähligen Türen blieb er stehen und zog einen Schlüssel aus seiner Tasche.
"Warte mal, habt ihr ihn dort eingesperrt?", fragte ich verdutzt, als ich beobachtete, wie er das Zimmer aufschloss.
Er hielt kurz inne, um mich anzusehen.
"Ja, zu seiner eigenen Sicherheit. Nachdem er wieder zu sich kam, wollte er sofort aufstehen und aus seinem Zimmer flüchten, um weiterzuarbeiten. Es war nicht so leicht, überhaupt Untersuchungen an ihm durchzuführen. Obwohl er kaum Kraft hatte, mussten wir ihm leichte Beruhigungsmittel verabreichen, damit er sich endlich ausruht."
Ich seufzte leise, weil das so verdammt typisch für ihn war.
Er öffnete die Tür und ich folgte ihm in das kleine Zimmer, in dem nur ein einziges Bett stand. Als ich Chishiya dort liegen sah, fahl und kränklich, mit dunklen Schatten unter den Augen und eingefallenen Wangen, zog sich mein Herz schmerzlich zusammen. Meine Tasche fiel achtlos zu Boden und ich eilte schnellen Schrittes auf das Bett zu. Ohne zu zögern, warf ich mich auf das Bett, schlang die Arme fest um seine hagere Gestalt und drückte mein Gesicht gegen seinen Brustkorb.
"Chishi", wimmerte ich leise. "Ich bin so froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist."
"Es geht mir gut, Tsuki", entgegnete er mit ruhiger, gedämpfter Stimme.
"Ich lass euch dann mal lieber alleine", sagte Nakamura hinter uns und ließ dann hörbar die Tür ins Schloss fallen.
Ich rührte mich nicht vom Fleck, sondern schlang meine Arme nur noch fester um seinen Körper. Sein pulsierender Herzschlag an meinem Ohr schien mich auf eigenartige Weise zu beruhigen.
Dann legte er seine Arme um mich und streichelte zaghaft über meinen Kopf - unsere erste Annäherung seit fast zwei Wochen. Sofort wurde mir ein wenig leichter ums Herz.
"Ich hab dich so vermisst, du Idiot", schluchzte ich, überwältigt von meinen eigenen Emotionen.
"Ich weiß", sagte er nur leise. "Es tut mir Leid."
Unter Tränen löste ich mich von seiner Brust und sah zu ihm auf.
"Weißt du überhaupt, wie verantwortungslos das war? Du hast nicht nur dein Leben gefährdet, sondern auch das deiner Patienten. Ist dir das eigentlich klar?"
Meine Stimme klang noch immer verschnupft und zitterte leicht vor angestauter Wut. Ich versuchte, einen strengen Gesichtsausdruck aufzusetzen, während ich ihn erwartungsvoll musterte.
Chishiya schloss die Augen und seufzte.
"Es ist ja nichts passiert. Außerdem war ich nur als Assistenz in der OP."
"Jetzt vielleicht nicht, aber was, wenn du den Eingriff selbst durchgeführt hättest? Du kannst nicht so leichtsinnig mit dem Leben von anderen umgehen."
Erschöpft ließ er sich zurück in das große Kissen sinken.
"Hör zu, ich bin jetzt nicht in der Stimmung, das mit dir auszudiskutieren!", knurrte er. "Wenn du mir nur eine Moralpredigt halten willst, dann solltest du lieber wieder verschwinden."
Ungehalten machte ich mich von ihm los.
"Verschwinden?" wiederholte ich fassungslos. "Ich bin hergekommen, weil ich mir Sorgen um dich mache, Chishiya, und jetzt sagst du mir, ich soll einfach gehen? Dein Körper hat dir deutliche Signale gegeben und du willst wirklich weiterhin so tun, als wäre alles in Ordnung? Ehrlich, ich verstehe dich einfach nicht mehr. Egal, was ich tue oder sage, du blockst jedes Mal ab. Bin ich dir denn so unwichtig geworden?"
Chishiya öffnete die Augen und starrte an die Decke, als suche er nach den richtigen Worten.
"Tsuki, es ist nicht so, dass du mir unwichtig bist. Es ist nur... alles so überwältigend. Die Arbeit in Mutters Klinik, die Verantwortung, meine Arbeit hier... Ich weiß, dass ich es übertrieben habe, aber ich weiß nicht, wie ich den ganzen Erwartungen an mich gerecht werden soll. Ich dachte, ich schaffe es irgendwie, aber offensichtlich lag ich falsch."
Gerührt von seiner Ehrlichkeit presste ich die Lippen aufeinander.
"Das verstehe ich, aber du bist nicht alleine, Chishiya", versicherte ich ihm und schluckte die Tränen herunter. "Du musst nur anfangen auch Hilfe anzunehmen und nicht denken, dass du alles mit dir selbst ausmachen musst. Wir sind ein Team. Schon vergessen? Ich bin für dich da, aber du musst mir auch vertrauen und dir helfen lassen."
Er drehte den Kopf und sah mich an. Der Ausdruck in seinen müden Augen war ein bisschen weicher geworden.
"Ich weiß, dass du recht hast, aber manchmal ist es schwer für mich, die Kontrolle abzugeben."
"Kontrolle?", wiederholte ich stirnrunzelnd."Du verlierst die Kontrolle über dein Leben, wenn du so weitermachst. Bitte, Chishiya! Hör auf, dich selbst zu zerstören! Das hilft weder dir, noch deinen Patienten und deiner Mutter erst recht nicht."
Als er seinen Kopf in meine Richtung wandte, konnte ich sehen, dass meine Worte ihn zum ersten Mal erreichten.
Er nickte langsam.
"Ich werde es versuchen", sagte er schließlich. "Aber du musst geduldig mit mir sein."
Voller Erleichterung griff ich nach seiner Hand. Diesmal erwiderte er meinen Händedruck sanft und verschränkte unsere Finger ineinander.
"Ich werde immer an deiner Seite sein. Versprich mir nur, dass du dich bemühst und auch an deine Gesundheit denkst."
"Das werde ich", entgegnete er und richtete sich träge auf, um mein Gesicht zu umfassen. Zärtlich hauchte er einen längst überfälligen Kuss auf meine Lippen. "Es tut mir Leid, wie ich dich behandelt hab, Tsuki. Ich denke, ich war... einfach überfordert mit der Situation. Ich weiß, dass du nur mein Bestes wolltest."
"Schon gut", sagte ich, besänftigt durch den Kuss und seine liebevollen Worte. "Ich verzeihe dir. Lass uns das Ganze vergessen und konzentriere dich darauf, wieder zu Kräften zu kommen."
"Ich bin froh, dass du da bist", sagte er und zog mich dann fest in seine Arme.
Diese Worte waren Balsam für meine geschundene Seele und für das Herz, das er beinahe in Stücke gerissen hätte.
"Ich liebe dich, Chishi", murmelte ich gedämpft gegen seine Schulter.
"Und ich dich, kleine Stalkerin."
Ich gluckste bei dem Kosenamen. Sofort spürte ich wieder die einstige Vertrautheit zwischen uns, die uns auf besondere Weise miteinander verband. Ich lehnte mich zufrieden in seine Umarmung, während seine Finger zärtlich meine Kopfhaut kraulten.
"Ich habe ja damals gesagt, dass du mich nie wieder los wirst."
Er seufzte gespielt auf.
"Ich hätte meine Chance nutzen sollen, als ich sie noch hatte", entgegnete er in fast vergnüglichen Ton.
"Wie geht es dir im Moment?", fragte ich dann wieder eine Spur ernsthafter und löste mich wieder von ihm, um ihm anzusehen.
"Besser", antwortete er und legte seinen Kopf in meiner Halsbeuge ab. "Weil du hier bist."
Es war kaum zu glauben, dass dieser Mann, der jetzt so verletzlich in meinen Armen lag, vor einigen Tagen noch kurz davor gewesen war, mich aus der Klinik seiner Mutter zu werfen. Vielleicht aber war es auch nur die Wirkung der Beruhigungsmittel, die ihn jetzt so sanft und zugänglich machten.
"Denkst du, du schaffst es, mit mir nach Hause zu fahren?", fragte ich zaghaft, als ich merkte, dass er fast wegdöste, als er an meiner Schulter gelehnt war.
"Wenn Nakamura mich nicht hier eingeschlossen hätte, hätte ich schon längst die Entlassungspapiere unterzeichnet. Schließlich weiß ich, wo sie liegen", nuschelte er mit träger Stimme an meinem Hals.
"Ich rede mit ihm. Ich werde nicht ohne dich hier weggehen", sagte ich entschieden und schob Chishiya von mir. Wie ein schwerer Sack Reis kippte er kraftlos nach hinten in das Bett. "Rühr dich nicht von der Stelle. Ich komme gleich wieder."
Doch Chishiya sah inzwischen so mitgenommen aus, dass es eher unwahrscheinlich war, dass er in nächster Zeit davonlaufen würde. Ich tätschelte kurz seinen Arm, bevor ich aufstand und aus dem Zimmer ging.
Ich fand Nakamura recht schnell. Er war in ein dienstliches Gespräch mit einem anderen Arzt vertieft, als ich mich näherte. Sobald er mich registrierte, beendete er seine Unterhaltung.
"Alles gut bei euch?", fragte er.
"Ja, also, ich wollte eigentlich nur wissen, ob Chishiya schon entlassen werden kann."
Nakamura griff sich nachdenklich ans Kinn.
"Also eigentlich hätte ich ihn lieber noch für eine Nacht unter Aufsicht behalten, aber so wie ich ihn kenne, würde er sich ohnehin weigern, hier zu bleiben. Und zwingen können wir niemanden."
Ich nickte verstehend.
"Ich denke, ich möchte auch, dass er wieder nach Hause kommt. Ich verspreche, dass ich mich gut um ihn kümmern werde und ihn nicht aus den Augen lasse."
"Was anderes hab ich auch nicht erwartet", gab er belustigt zurück. "Warte kurz, ich hole die Entlassungspapiere."
Mit einem etwas schlechten Gewissen, weckte ich Chishiya auf, als ich zurück ins Zimmer kam, damit er die Dokumente unterzeichnen konnte.
Nakamura gab ihm außerdem noch ein leichtes Schlafmittel und ein paar Nahrungsergänzungsmittel mit, die ihm dabei helfen sollten, seine Erholung zu fördern und wieder besser zur Ruhe zu kommen.
"Wie wollt ihr eigentlich nach Hause kommen?", fragte Nakamura, als alles erledigt war und Chishiya wieder halbwegs ansprechbar war. "Du wirst ja hoffentlich nicht fahren, Chishiya."
"Das werde ich ja wohl noch hinkriegen. Ich hatte nur einen kleinen Zusammenbruch, keinen Schlaganfall."
Skeptisch ließ ich meinen Blick zu Chishiya wandern, der zwar inzwischen wieder etwas munterer wirkte, aber dennoch alles andere als fit aussah.
"Ich halte es auch für keine gute Idee, wenn du fährst", sagte ich und holte tief Luft. "Aber ich könnte ja fahren."
Chishiya neben mir schnaubte.
"Das letzte Mal, als ich dich ans Steuer gelassen hab, hast du fast eine alte Frau angefahren" , erinnerte er mich unnötigerweise.
Ich funkelte ihn an.
"Ja, eben. Nur fast", entgegnete ich und plusterte trotzig die Wangen auf.
"Und was ist mit dem Verkehrsschild, das du davor beim Ausparken geschrammt hast? Ich habe den Kratzer als Mahnmal extra an meinem Auto gelassen, um mich selbst daran zu erinnern, dich nie wieder ans Steuer zu lassen."
Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. Auch, wenn ich jetzt beleidigt tat, so war ich insgeheim doch ziemlich froh nicht fahren zu müssen.
Nakamura seufzte.
"Ich kann euch mitnehmen", bot er schließlich an, um die ziellose Diskussion zu beenden. "Ich habe eh gleich Feierabend. Dein Auto kannst du ja auch ein anderes Mal hier abholen."
Chishiya nickte, wenn auch etwas widerwillig, das konnte man ihm ansehen. Wäre es nach ihm gegangen, wäre er sicherlich selbst gefahren.
Nakamura setzte uns direkt vor der Haustür ab und ermahnte uns noch einmal eindringlich, dass Chishiya sich wirklich schonen müsse. Mit einem dankbaren Lächeln verabschiedeten wir uns von ihm und betraten unser Zuhause.
Selbst der kurze Weg vom Krankenhaus hierher schien Chishiya körperlich ausgelaugt zu haben.
Ich legte meine Hand auf seine Schulter.
"Du solltest dich lieber hinlegen. In der Zeit werde ich was zum Abendessen zubereiten."
"Danke, Tsuki", sagte er und gab mir einen kleinen Kuss auf die Stirn. "Es wäre schön, wenn du heute Nacht wieder oben schläfst."
Ich lächelte und nickte energisch.
"Das mache ich. Ich habe Nakamura schließlich versprochen, auf dich Acht zu geben."
"Ich hoffe, das ist nicht der einzige Grund, dass du wiederkommst."
"Nein, Chishiya", sagte ich sanft. "Das ist es ganz bestimmt nicht."
Er wirkte zufrieden mit meiner Antwort und wandte sich dann ab, um ins Schlafzimmer hochzugehen.
Motiviert ging ich zum Kühlschrank und suchte ein paar Zutaten für eine leichte Udonnudelsuppe mit viel Gemüse heraus.
Als ich fertig war, stellte ich Chishiyas Schüssel auf ein Tablett und legte die Medikamente hinzu, die er mitbekommen hatte und trug alles zusammen hoch an unser Bett.
Chishiya lag bereits auf seiner Bettseite, hatte jedoch das Handy in der Hand und tippte etwas ein. Als er mich reinkommen sah, warf er es schnell auf die Decke.
Vorsichtig stellte ich das Tablett auf seinem Schoß ab und lächelte breit, als ich mich zu ihm auf die Bettkante setzte. Ich war so erleichtert, dass wir unseren Streit endlich begraben hatten, dass ich nicht anders konnte als permanent zu grinsen.
"Sie hat extra viel Vitamine. Ich hoffe, sie schmeckt dir", flötete ich.
"Danke, Tsuki", murmelte er, klang dabei jedoch deutlich weniger begeistert, als ich.
Nur zögerlich griff er nach den Stäbchen, während der Rest von ihm vollkommen abwesend wirkte.
"Also wenn du jetzt nichts willst, dann kann ich es dir auch später nochmal aufwärmen", bot ich an.
"Das ist es nicht."
Er legte die Stäbchen wieder beiseite und sah mich dann ernst an. Etwas verwundert legte ich den Kopf zur Seite und wartete auf eine entsprechende Erklärung.
Er holte tief Luft.
"Nakamura hat mir grad nochmal geschrieben. Er hat gemeint, dass ich mich trotz des Nebenjobs bei meiner Mutter nicht überanstrengen soll."
Er ließ eine kurze Pause und starrte mich dabei finster an. Ich schluckte und presste dann fest die Lippen aufeinander.
"Wirklich eigenartig, wie er davon wissen konnte", sprach er in ironischem Tonfall weiter. "weil ich ihm nämlich gar nichts davon erzählt habe."
Ich spürte, wie mein Magen sich verkrampfte. Unwillkürlich entfuhr mir ein nervöses Kichern. Chishiyas Züge hingegen waren zu einer unbeweglichen Maske aus Beton erstarrt, als er auf eine Antwort von mir wartete.
"A-also...ähm...ich habe es ihm gesagt...", gestand ich kleinlaut und machte mich anhand seines Gesichtsausdrucks auf das Schlimmste gefasst.
Fortsetzung folgt....
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