Kapitel 19
Als meine Augenlider sich am nächsten Morgen öffneten und mein Blick sich langsam geklärt hatte, sah ich direkt in Chishiyas wachsame Augen. Ein dezentes Lächeln umspielte seine Lippen. Genau das war der Moment, in dem ich mich daran erinnerte, was letzte Nacht zwischen uns passiert war. Sofort begannen meine Wangen wieder warm glühen und das aufregende Kribbeln in meinem Inneren kehrte wieder zurück. Es genügte nur in sein engelsgleiches Gesicht zu blicken, um mich erneut schwach werden zu lassen. Mir fiel es noch immer schwer zu realisieren, dass ein Mann wie er neben mir im Bett aufwachte. Und dann auch noch.... nackt. Auch wenn seine Bettdecke gerade den Großteil seines Körpers verdeckte, kam ich nicht umhin zu bemerken, dass er noch immer keine Kleidung trug. Genauso wenig wie ich nebenbei bemerkt.
"Hast du jetzt genug gestarrt?", fragte er belustigt.
Ich kicherte etwas verlegen.
"Nein."
"Soll ich dir vielleicht lieber wieder meinen Ausweis zum Anschmachten zurückgeben?"
Diesmal wurde sein Lächeln etwas zynischer, während ich mich ein wenig ertappt fühlte. Es war wohl schwer irgendwas vor ihm geheim zu halten. Ich zog eine beleidigte Schnute.
"Tss. Und wie lange hast du mich schon beobachtet bevor ich aufgewacht bin?", konterte ich.
"Also das....hm. Das waren nur ein paar..." Er lächelte verschlagen. "Stunden."
Ich grinste breit.
"Achso, na dann. Wer von uns beiden ist denn jetzt der Stalker, huh?"
"Auf jeden Fall du. Sonst wärst du jetzt nicht hier in meinem Bett."
"Nun, es war eine Menge Arbeit mir diesen Platz hier zu erkämpfen."
"Ah, jetzt verstehe ich. Du hast mich nur verführt, weil du einen Platz auf der Matratze wolltest. Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?"
Ich setzte ein charmantes Lächeln auf und richtete mich etwas auf, um mich ein wenig über ihn zu beugen.
"Verdammt, jetzt hast du meinen Plan durchschaut."
Dann legte ich ungeduldig meine Lippen auf seine. Chishiya zog mich unwillkürlich etwas enger zu sich. Meine Hände berührten sanft seinen Hals und glitten dann sehnsüchtig über seine Brust. Ich schob seine Decke ein Stückchen nach unten um meine Hände weiter zu seiner Hüfte hinab wandern zu lassen. Doch Chishiya griff schon bald nach meinem Handgelenk um mich zu stoppen.
"Was hast du denn jetzt schonwieder vor?", flüsterte er gegen mein Ohr.
Ich schob meine Unterlippe ein wenig nach vorn und sah ihn flehend an.
"Nur ein wenig... du weißt schon..."
Seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen.
"Nein, was?", fragte er neckend.
"Nur ein wenig rummachen...", nuschelte ich und drehte verlegen an einer Haarsträhne.
Chishiya hob gespielt erstaunt eine Augenbraue.
"Rummachen also?"
"Jetzt tu doch nicht so überrascht oder dachtest du ich würde ab jetzt nur enthaltsam neben dir liegen?"
"Wenn ich gewusst hätte, dass du so versessen darauf bist, hätte ich mir das nochmal überlegt."
Ich gab ihm einen leichten Klaps auf die Stirn.
"Hör auf mich zu ärgern, sonst kannst du sehen, wo du bleibst."
Er lachte leise.
"Du würdest nicht gehen."
"Oh, doch. Ich hab es schließlich schonmal getan", erinnerte ich ihn.
"Aber du bist wieder zurück gekommen. Du kommst immer zu mir zurück. Du bist so vernarrt in mich", zog er mich auf und strich mir vorsichtig eine Locke hinters Ohr.
Ich rollte mit den Augen.
"Ach komm, hör schon auf dich selbst zu beweihräuchern. So toll bist du dann auch wieder nicht."
Was natürlich eine dreiste Lüge war, aber das musste ich ihm ja nicht unter die Nase reiben.
"Mann, jetzt kränkst du mich aber wirklich."
"Zu Recht."
"Okay, du hast gewonnen." Er schlug ergeben seine Decke zurück und zog mich dann auf seinen nackten Körper. "Lass uns ein wenig Rummachen", sagte er weitaus versöhnlicher und gab mir einen heißen innigen Kuss, während unsere Körper dicht aneinander gepresst waren.
Chishiyas Hände wanderten meinen Rücken hinab und fuhren begierig über meinen Po. Dann presste er meine Beine fest an seine Hüften. Ich richtete meinen Oberkörper ein wenig auf und griff nach seiner harten Erektion, um sie eingehend zu massieren. Währenddessen genoss ich den einmaligen Anblick wie Chishiyas Augenlider vor Erregung auf und zu flatterten und ihm anmutig ein paar Schweißperlen von der Stirn liefen. Seine Lippen waren leicht geöffnet und ihm entfuhr ein schwacher Seufzer als mein Griff ein wenig fester wurde. Ich ließ ihn absichtlich kommen und erfreute mich sichtlich an seinem abgekämpften Gesichtsausdruck, als ich meinen Kopf anschließend auf seiner Brust ablegte.
"Warum hab ich den Eindruck, dass du das mehr genossen hast als ich?"
Ich grinste durchtrieben.
"Ich weiß nicht, was du meinst."
"Ich hätte dich ja nicht für so niederträchtig gehalten."
"Bist du jetzt enttäuscht?", fragte ich unschuldig.
"Ganz und gar nicht. Eher überrascht."
Ich lächelte sanft und legte mein Ohr genau auf die Stelle, wo sein Herz kräftig in der Brust schlug. Dann hielt ich einen Moment lang inne, bevor ich wieder das Wort ergriff.
"Sag mal...was genau ist passiert in deinem letzten Spiel?", fragte ich vorsichtig, während ich mit den Fingern nachdenklich über seine Brustwarze strich.
Eine abrupte Stille legte sich über uns. Nur sein gleichbleibender Herzschlag war zu hören. Irgendwann hob ich verwundert den Kopf.
"Chishiya?"
Er sah mich an und seufzte nur.
"Es ist... kompliziert."
"Aha. Geht's auch genauer?"
"Die Aufgabe drehte sich darum den Wert eines Lebens zu bestimmen. Das Spiel war so konzipiert, dass jeder Spieler die gleiche faire Chance hatte zu gewinnen. Aber..."
"Aber?", hakte ich nach als er nicht fortfuhr.
"Der Karo-König und ich: wir waren die letzten Verbleibenden in dem Spiel. Ich habe ihm die Möglichkeit gegeben mich zu töten, aber er...hat sich stattdessen selbst geopfert. Für seine Ideale wie er es ausdrückte..."
Ich hob meinen Kopf ein Stückchen höher und starrte ihn entgeistert an.
"Warte, du wolltest, dass er dich tötet? Wieso?"
Chishiya seufzte erneut und klang etwas ungehaltener.
"Weil ich wissen wollte, wofür er sich entscheiden würde. Er war der Meinung, dass sich der Wert eines Lebens nicht bemessen lässt. Und damit hatte er Recht. Ich wollte ihm eine faire Wahl lassen. Er hätte es zu Ende bringen können, aber er hat seinen eigenen Tod stattdessen vorgezogen."
Ich schüttelte den Kopf, weil ich nicht glauben konnte, was er mir da sagte.
"Wie konntest du nur sowas Leichtsinniges tun? Hast du überhaupt eine Sekunde daran gedacht, wie es mir dabei gehen würde?", fragte ich sichtlich aufgebracht, während Zornestränen in meine Augen traten.
"Tsuki..."
Er streckte seine Hand nach mir aus, doch ich wich automatisch zurück.
"Natürlich hast du nicht daran gedacht. Weil du nur an dich selbst denkst. Du denkst du hast ein ach-so-furchtbares Leben und siehst dabei nichtmal wie gut es dir eigentlich geht, während du die Menschen, die dir wirklich vertrauen, rücksichtslos verletzt ohne an ihre Gefühle zu denken."
Aufgelöst rappelte ich mich auf und suchte dann meine Kleidung auf dem Bett zusammen. Chishiya schien milde erstaunt von meiner heftigen Reaktion, sagte jedoch nichts. Mit meiner Kleidung unter dem Arm verschwand ich kurz darauf im Badezimmer, wo ich das Schloss von innen verriegelte und mich anschließend schwächelnd gegen die Tür sinken ließ.
Warum verletzte es mich so sehr, dass ihm sein eigenes Leben so wenig wert war, dass er es einfach so leichtsinnig geopfert hätte? Und das nur...weswegen eigentlich? Nur um sich selbst etwas zu beweisen?
Der Gedanke daran, dass Chishiya jetzt tot sein könnte, aufgrund seiner eigenen Entscheidung ließ mich hart schlucken. Aufgewühlt zog ich mir den dünnen Morgenmantel über und überlegte, ob ich wieder zu ihm zurückgehen sollte. Womöglich war meine Reaktion ja übertrieben. Immerhin war alles gut gegangen. Aber trotzdem war ich verletzt, weil ich ihm offensichtlich nicht so wichtig war, wie ich bisher geglaubt hatte.
Als es an der Tür klopfte, antwortete ich zuerst nicht.
"Tsuki, komm raus. Bitte!", drang Chishiyas Stimme durch die Tür. "Lass uns nochmal drüber reden, okay?"
Ich holte tief Luft und versuchte mich damit wieder zu beruhigen. Eigentlich wollte ich nicht mit Chishiya streiten. Das hatten wir schon zu oft getan. Andererseits konnte ich sein eigensinniges Verhalten oft so gar nicht nachvollziehen, auch wenn ich es wirklich versuchte.
Nach einer Weile entriegelte ich das Schloss wieder und öffnete zögerlich die Tür. Mit gesenktem Blick trat ich ihm gegenüber. Chishiya hatte sich in der Zwischenzeit wieder angezogen und legte nur schweigend seine Arme um mich.
"Denkst du wirklich eine Umarmung macht alles wieder gut?", fragte ich etwas schroff.
"Nein. Aber ich dachte es wäre der Situation angemessen."
"Sag mir warum du das getan hast?", fragte ich und sah ihm jetzt wieder in die Augen, während Chishiya ruhig seine Hände auf meine Schultern legte.
"Tsuki, als ich in dem Spiel war, dachte ich, dass wir uns ohnehin nie wiedersehen würden. Ich habe dich damals weggeschickt, weil ich zu dem Zeitpunkt bereits wusste, dass du in mich verliebt bist und es nur schmerzhaft für dich werden würde, wenn du bei mir bliebst. Denn, wenn wir ehrlich sind, dann ist es in dieser Welt nicht die klügste Entscheidung eine Liebesbeziehung miteinander einzugehen. Das wissen wir beide. In dem Spiel dachte ich, dass es womöglich besser wäre, wenn ich dem Ganzen ein Ende mache. Aber auch wenn es meine eigene Entscheidung war dich gehen zu lassen, habe ich innerlich immer noch darauf gehofft dich irgendwann wiedersehen zu können. Ich war zu dem Zeitpunkt sehr unschlüssig und dachte ich würde lieber jemand anderen über mein Schicksal entscheiden lassen als es selbst tun zu müssen. Ich wollte wissen, ob ich das Leben überhaupt verdiene."
Für einen kurzen Moment war ich sprachlos von seiner Rede und wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.
"Okay...", war alles, was mir einfiel.
"Du musst mir nicht verzeihen, Tsuki. Ich gebe zu, dass ich in dem Moment egoistisch gehandelt habe. Aber ich bin dabei mich zu bessern."
"Woher wusstest du es?", fragte ich schließlich. Chishiya runzelte die Stirn. "Ich meine, dass ich in dich verliebt bin."
Er lachte kurz amüsiert auf.
"Also das war jetzt wirklich nicht so schwer zu bemerken. Mal abgesehen von deinen Haaren in meinem Bett gab es unzählige Hinweise. Mein Ausweis unter deinem Kissen zum Beispiel. Dann der Umstand, dass du mir Penecillin gegeben hast obwohl du selber welche brauchtest. Verdammt, du bist nichtmal gegangen, als ich mich wie ein rücksichtsloser Vollidiot aufgeführt habe. Und dann war da noch..."
Er brach ab und starrte kurzzeitig ins Leere.
"Dann war da was?"
Sein Blick glitt wieder zu mir zurück.
"Kurz nach dem Massaker vor unserer Tür, hast du nachts Alpträume gehabt. Erinnerst du dich?"
Ich nickte stumm.
"Du hast die ganze Zeit voller Panik meinen Namen gerufen und so verzweifelt dabei geklungen. Das hat mich irgendwie berührt."
Ich hatte tatsächlich Chishiyas Namen gerufen? Ich wusste, dass ich heftig geweint hatte, aber an mehr erinnerte ich mich nicht. Ich erinnerte mich jedoch wie besorgt er in der Nacht um mich war und jetzt im Nachhinein ergab das sogar Sinn.
"Das war mir nicht bewusst."
"Jedenfalls wusste ich ab da, dass ich mehr für dich bin als nur eine harmlose Schwärmerei."
"Ich habe dich wohl einfach mehr ins Herz geschlossen als es gut für mich ist", gestand ich leise und drückte mich dann wieder gegen seine Brust.
"Ich weiß und ich werde in Zukunft versuchen dich nicht mehr zu verletzen. Du bist mir inzwischen wichtiger als ich es mir selbst bin."
Sein Daumen fuhr über meine Wange und wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel.
"Sagst du das jetzt nur, um mich zu besänftigen?"
Er gluckste leise.
"Auch."
"Wusste ich."
"Ich werde jetzt Frühstück für uns machen. Du kannst in der Zeit duschen gehen."
Ich schmollte ein wenig.
"Kommst du nicht mit?"
"Zum Duschen?", fragte er stirnrunzelnd.
Ich nickte eifrig und sah ihn eindringlich an.
"Würden wir denn auch duschen?"
Ich lächelte gewieft.
"Unter anderem..."
Chishiyas Hand schob langsam den glatten Stoff meines Morgenmantels von meiner Schulter und hauchte ein paar Küsse auf meine Haut.
Er nestelte an dem Band herum und öffnete die Schleife. Anschließend schob er mich zum Badezimmer.
Ich musste zugeben, dass der Sex mit Chishiya mich tatsächlich ein wenig auf andere Gedanken brachte und sich immerhin die negativen Gedanken so für eine Weile effektiv verdrängen ließen, jedoch nicht gänzlich verschwanden.
Noch am selben Abend ging Chishiya mit mir nach unten vor die Haustür, um die aktuelle Lage zu prüfen. Nur noch drei Luftschiffe waren jetzt am Himmel zu sehen. Ich brauchte nur in Chishiyas Gesicht zu sehen, um zu erahnen, was das für uns bedeutete. Vielleicht hatten wir nur noch die eine letzte Nacht zusammen und dann würde diese Welt in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus.
Vor Chishiya versuchte ich weiterhin stark zu sein, obwohl er inzwischen wusste, wie es mir damit erging. Unser Abendessen lief größtenteils schweigend ab. Jeder von uns schien mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt zu sein. Es wirkte nicht so als würde Chishiya sich diesmal darum reißen ein letztes Spiel zu spielen. Nicht so wie beim letzten Mal. Aber wir beide wussten, dass es nicht viele Alternativen gab.
Nachts im Bett lagen wir eng beieinander, während Chishiya seine Arme von hinten um mich gelegt hatte und mich fest an sich drückte. Auch dort sprachen wir kaum. Als wir dann von draußen plötzlich Lärm und laute Explosionen vernahmen, wussten wir, dass das nächste Luftschiff zerstört wurde.
"Was glaubst du welches es diesmal war?", flüsterte ich in die Dunkelheit.
"Hm...der Herz-König vermutlich. Er war am nächsten von uns platziert. Aber wir werden es morgen schon sehen. Wir sollten versuchen noch etwas Schlaf bis dahin zu bekommen."
Ich nickte nur und drückte seine Hand dann ein wenig fester. Dann versuchte ich meine Gedanken nur auf Chishiya zu konzentrieren anstatt darauf ihn verlieren zu können. Ich versuchte nur an die schönen Momente zu denken. Unser erstes Gespräch im Gefängnis. Unser gemeinsamer Ausflug zum Krankenhaus und ins Einkaufscenter. Unser erster Kuss auf dem Spielplatz. Unser erstes Mal. Und genau dieser Moment in dem er mich liebevoll festhielt und ich mich einfach nur geborgen fühlen konnte. Das alles würde für immer in meiner Erinnerung bleiben, egal was passierte: ich wollte es auf ewig festhalten und nie wieder loslassen. Ich schwor mir das alles niemals zu vergessen bis ich meinen allerletzten Atemzug tat...
"Der Pik-König und die Herz-Königin sind die einzig verbliebenen Bildkarten. Ich habe mich heute morgen vergewissert", eröffnete mir Chishiya bei unserem gemeinsamen Frühstück.
Mein Herz sank wie ein Stein in meine Magengrube und ich hielt für einen langen Moment inne.
"Verstehe... und was hast du jetzt vor?", fragte ich und stocherte lustlos in meinem Reis herum.
Nichtmal, wenn ich Hunger gehabt hätte, hätte ich jetzt irgendwas runterbringen können.
"Beide Luftschiffe sind offensichtlich im Moment direkt über Shibuya. Ich habe ein paar Spieler gesehen, die sich dorthin auf den Weg machen."
"Also willst du, dass wir da auch hingehen?"
Chishiya zögerte und sah dabei ungewohnt ernst aus, was mich sofort misstrauisch machte.
"Nicht wir. Ich. Du wirst in der Zeit hier bleiben."
Ich starrte ihn sprachlos an und ließ meine Schüssel sinken. Dann schüttelte ich energisch den Kopf.
"Denkst du wirklich, dass ich einfach hier zurückbleiben werde, während du sterben könntest?", fragte ich mit bebender Stimme. "Ich lasse dich nicht alleine in den Tod gehen."
"Tsuki, du kannst nicht einmal vernünftig laufen mit deinem Fuß. Wie willst du es da schaffen in einem Spiel zu gewinnen? Zudem wärst du mir nur eine unnötige Last. Also sei doch vernünftig. Nur dieses eine Mal", sagte er vollkommen ruhig.
Als ich zu ihm aufsah, bildete ich mir ein, dass seine Augen dabei leicht glasig wirkten. Dennoch schien Chishiya sich so weit unter Kontrolle zu haben um seine Tränen vor mir zurückzuhalten.
Trotzdem war es vor allem sein trauriger Blick, der mich in diesem Moment so sehr berührte, dass ich sogar eine Gänsehaut davon bekam. Ich stellte die Schüssel auf den Tisch und senkte den Kopf, weil ich Chishiyas bemüht ausdruckslose Miene nicht länger ertragen konnte.
"Ich werde gleich aufbrechen", sagte er dann und stellte seine Schüssel ebenfalls beiseite. Dann begann er schweigend den Tisch abzuräumen, während ich noch immer reglos da saß, unfähig irgendwas zu antworten, und dabei mit meinem eigenen Schmerz kämpfte.
Ich wusste, dass Chishiya Recht mit den Dingen hatte, die er sagte, aber dennoch sträubte sich alles in mir das als entgültige Wahrheit zu akzeptieren.
Plötzlich fiel ein Schatten vor mir auf den Boden und ich blickte auf. Chishiya hielt mir die Packung mit den Sesam-Mochis hin.
"Iss eine Kleinigkeit. Du hattest kaum was vom Frühstück."
Seine Stimme klang fast schon ein bisschen vorwurfsvoll.
"Nein, danke. Ich habe jetzt wirklich keinen Hunger."
Chishiya stellte die Schachtel seufzend auf dem Tisch ab.
"Was soll ich tun, damit du dich besser fühlst?"
Ich sah auf und blickte ihn ernst an.
"Stirb nicht."
Chishiya lächelte.
"Gut, wenn das alles ist. Ich geb mir Mühe."
"Wenn du es doch tust, dann..."
Ich brach ab, weil mich ein leiser Schluchzer überkam.
Chishiya zog die Augenbrauen zusammen.
"Dann was? Bin ich dann nicht mehr dein Hauptcharakter?", fragte er mit gespieltem Entsetzen und reichte mir ein Taschentuch aus seiner Jackentasche.
Ich nahm es um mir ein paar Tränen aus dem Gesicht zu wischen und schnäubte anschließend meine Nase.
"...dann will ich auch nicht mehr weiterleben", beendete ich meinen Satz schließlich.
"Jetzt hör auf so einen Schwachsinn zu erzählen. Du kannst auch ohne mich ein schönes Leben haben. Vorher hast du auch ohne mich gelebt und du wirst es wieder können. Daran musst du immer denken. Du bist nicht von mir abhängig, hörst du!"
Seine forschen Worte ließen mich ein weiteres Mal heftig Aufschluchzen, obwohl mir klar war, dass Chishiya wieder einmal Recht hatte. Doch im Moment wollte ich das nicht wahr haben.
"Tsuki, gib mir wieder einen Grund dich für deine Stärke und deinen Optimismus zu bewundern. Das ist das, was mich immer am meisten an dir beeindruckt hat. Aber jetzt wirkst du eher wie jemand, der die Hoffnung in sich selbst verloren hat. Wo ist die Tsuki, die niemals aufgegeben hat? Ist sie noch irgendwo da drin?"
Er hob die Hand und klopfte mit dem Finger symbolisch gegen meine Stirn. Meine deprimierte Miene verwandelte sich schnell in Trotzigkeit.
"Mach dich nicht schon wieder über mich lustig."
"Was soll ich denn sonst mit einem traurigen Häufchen Elend wie dir anstellen, hm?", fragte er und zog mich zu sich um mir einen Kuss auf die Stirn zu setzen. Dann erst nahm er mich tröstlich in den Arm.
"Darf ich wirklich nicht mit dir kommen?", fragte ich leise, obwohl ich die Antwort bereits kannte.
"Es ist wirklich besser, wenn du hier bleibst."
"Okay...", sagte ich, während ich in meinem Kopf bereits Pläne schmiedete, wie ich ihm womöglich doch irgendwie unauffällig folgen könnte, ohne, dass er es bemerkte.
"Mach dir nicht so viele Sorgen."
Ich nickte nur stumm, während er mich eine Weile lang nur in seinen Armen festhielt. Irgendwann seufzte er hörbar auf.
"Ich sollte jetzt wirklich gehen."
Er ließ mich los und stand auf, während ich verzweifelt zu ihm hinaufsah. Dann sah ich hinüber zu seinem Rucksack.
"Wirst du nichts mitnehmen?", fragte ich und stand dann ebenfalls auf.
"Diesmal nicht. Entweder wir schaffen es alle Bildkarten zu bekommen oder nicht. Egal welches Szenario eintrifft. Die Sachen werde ich dann wohl nicht mehr brauchen."
"Und deine Waffe?", fragte ich.
Chishiya gluckste.
"Ist ohnehin nur eine Schreckschuss-Pistole. Damit kann man höchstens jemanden aus der Nähe verletzen und mit viel Glück vielleicht auch töten, aber das wird mir gegen den Pik-König kaum helfen."
"Verstehe", murmelte ich resigniert.
"Vielleicht kann ich unterwegs etwas Nützlicheres auftreiben", sagte er schulterzuckend.
Dann sah er mich ungewöhnlich lange an und wir verfielen in betretenes Schweigen.
"Das war's dann also", sagte ich nach einiger Zeit.
"Das war's."
Ich lächelte etwas gezwungen, weil wir genau dieses Gespräch schon einmal geführt hatten.
"Versprich mir nur noch eine Sache, Tsuki." Fragend sah ich zu ihm auf. "Schwöre, dass du mir diesmal nicht folgst." Ich biss mir auf die Unterlippe und blickte verlegen zur Seite. Wie konnte er nur wissen, dass ich daran gedacht hatte? "Ich weiß genau was in deinem kleinen Stalker-Hirn vorgeht. Also denk gar nicht erst dran!"
"Tss...als ob..."
Selbst mein abschätziges Gemurmel klang nicht mehr wirklich überzeugend.
Chishiya trat plötzlich näher an mich heran und beugte sich zu mir vor bis sein Atem auf mein Gesicht traf.
"Bleib einfach hier und versuche nichts Leichtsinniges zu tun."
Dann überbrückte er den letzten Abstand zwischen uns und küsste mich so sehnsuchtsvoll wie nie zuvor, während seine Arme mich fest an sich pressten. Ich kostete seinen innigen Kuss ausgiebig aus, immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass es unser letzter sein könnte. Ich konnte den bevorstehenden Verlust fast auf meinen Lippen schmecken.
Chishiya war derjenige, der sich zuerst wieder von mir löste. Wäre es nach mir gegangen, würden wir wohl für den Rest des Tages hier stehen und uns küssen, wenn das dann wenigstens bedeutete, dass er mich nicht verlassen würde.
Er zog etwas aus seiner Jackentasche und hängte es mir dann um den Hals. Ich griff danach und sah überrascht zu ihm auf. Es war sein Ärzte-Ausweis.
"Damit du mich nicht vergisst", sagte er mit einem amüsierten Lächeln.
"Als ob ich das je könnte, Chishiya."
"Wir sehen uns dann im nächsten Leben."
Seine Hand tätschelte zärtlich über meinen Kopf und zerstrubbelte dabei meine Haare ein wenig, dann ging er zur Tür und entriegelte alle Schlösser.
"Chishiya!" Er drehte sich noch einmal zu mir um. "Danke für Alles."
Er lächelte sanft und mit einem letzten kurzen Winken ging er hinaus und schloss die Tür hinter sich. Dann brach ich zusammen.
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