Der letzte Wille (6)
Als ich das Zimmer erreichte, fand ich meinen Vater auf dem Bett liegend vor. Seine Haut war aschfahl, Schweiß stand ihm auf der Stirn und sein Gesicht war schmerzverzerrt. Instinktiv prüfte ich seine Vitalzeichen. Sein Puls war kaum spürbar und seine Atmung war flach und unregelmäßig.
"Er hat sich gerade übergeben und klagt über starke Brustschmerzen", brachte meine Mutter weinerlich hervor, die ein paar Meter hinter mir stand und mich beobachtete.
Ihre Stimme bebte vor Angst. Ohne eine Antwort zu geben, positionierte ich Vater etwas höher, um seine Atmung zu erleichtern. Seine Hand lag auf seiner Brust, und er atmete nur noch in kleinen, stoßartigen Zügen.
"Tsuki, ruf einen Rettungswagen!", wies ich sie an.
"Okay."
Auch ihre Stimme war in Alarmbereitschaft.
"Mein Junge...", sagte Vater leise und suchte meinen Blick.
"Versuch ruhig zu bleiben, Vater. Nicht sprechen!", sagte ich und hoffe, dass uns noch ein paar Minuten Zeit blieben.
Immer wieder prüfte ich seinen Puls und seine Körpersignale. Er röchelte leise, versuchte mehr zu sagen.
"Ich... bin..", er unterbrach sich, hustete quälend auf. Ich griff nach seiner Hand. Sie fühlte sich kalt und zerbrechlich an. "stolz... auf dich."
Ich spürte einen federleichten Händedruck, dann wurde seine Hand schwächer und sank kraftlos nach unten. Seine Augenlider begannen unkontrolliert zu zucken.
"Nein, Vater."
Mein Finger legte sich an sein Handgelenk.
Herzstillstand.
Mein eigenes Herz hämmerte dumpf in meiner Brust, aber mein Verstand schaltete automatisch in den Arztmodus. Meine Ausbildung und meine Erfahrung übernahmen die Kontrolle. Im Hintergrund hörte ich meine Mutter rufen, doch ich hatte ihn bereits in die Horizontale gebracht und sein Hemd geöffnet.
Ich positionierte meine Hände auf seiner Brust und begann sofort mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung. Die Bewegungen waren routiniert, mechanisch, fast wie ein Reflex. Dreißig Kompressionen, zwei Beatmungen. Ich wiederholte den Vorgang immer wieder, während meine Mutter hinter mir verzweifelt wimmerte. Nur nebenbei bekam ich mit, wie Tsuki versuchte, sie zu beruhigen.
„Komm schon, Vater!", murmelte ich zwischen den Kompressionen. „Gib nicht auf!"
Meine Hände drückten rhythmisch auf seinen Oberkörper, die Sekunden zogen sich endlos hin. Doch tief in mir wusste ich bereits, dass es vergeblich war. Sein Körper zeigte keine Reaktion, kein Lebenszeichen. Nach mehreren Minuten der unermüdlichen Anstrengung hielt ich inne, keuchend und schweißgebadet.
Ich ließ von ihm ab, starrte ihn nur reglos an, den Mann, der mir nie ein Vater gewesen war, den ich mein ganzes Leben mit Inbrunst verabscheut hatte. Und jetzt war er tot.
"Zeitpunkt des Todes...", sagte ich schwer atmend mit Blick auf die Uhr an der Wand. "Dreizehn Uhr Zweiund..."
Meine Stimme erstarb, als Mutter schluchzend hinter mir zusammenbrach. Ich wandte mich um und sah, wie Tsuki ihre Arme um sie legte, um sie zu trösten, während ich nur reglos da stand und ihnen dabei zusah.
Ich fühlte mich seltsam leer und ausgebrannt. Die Erkenntnis, dass mein Vater nun wirklich tot war, traf mich schwerer als erwartet. Trotz all der Differenzen und der Kälte zwischen uns, war er immer noch mein Vater gewesen. Und nun war er für immer fort.
Seine letzten Worte hallten noch in mir nach, Worte, auf die ich schon mein ganzes Leben lang gewartet hatte. Und doch kamen sie 26 Jahre zu spät.
Tsuki sah hilflos zu mir auf. Mutters Tränen strömten unaufhörlich. Noch nie hatte ich sie so verletzlich gesehen. Da wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie sehr sie meinen Vater geliebt hatte.
Langsam half Tsuki ihr wieder auf die Beine und führte sie ans Bett meines Vaters, wo sie kraftlos auf einen Stuhl sank.
Eine plötzliche Berührung ließ mich zusammenzucken. Es war Tsuki, die zärtlich meinen Arm tätschelte.
"Lassen wir sie doch kurz allein", sagte sie mit trauriger Miene.
In dem Moment hörten wir bereits entferntes Sirenengeheul von draußen.
"Ich rede mit dem Notarzt", sagte ich tonlos, während wir das Zimmer verließen.
"Soll ich das nicht lieber übernehmen?", flüsterte Tsuki vorsichtig.
Ich schüttelte mechanisch den Kopf.
"Es tut mir so Leid, Chishiya", murmelte sie und drückte sich fest an meine Brust.
"Schon gut. Ich komme klar."
Die Worte verließen meinen Mund, doch sagen wollte ich etwas ganz anderes.
Dennoch ging ich gefasst nach unten und tat, wozu Mutter nicht in der Lage war. In diesem Moment stellte ich jegliche Gefühle ab, führte stoisch Handlungen aus. Funktionierte.
Ich schilderte dem Notarzt knapp die Situation. Da er jedoch verpflichtet war, die Leichenschau zur Todesfeststellung durchzuführen, musste ich die Sanitäter kurz darauf wieder nach oben lassen.
Auch wenn ich Mutter gern mehr Zeit mit meinem Vater eingeräumt hätte, um sich von ihm zu verabschieden, konnte ich die Rettungskräfte nicht ewig hinhalten.
Währenddessen hatte ich mich zusammen mit Tsuki auf die Couch gesetzt. Sie hielt meine Hand fest umschlossen, ohne etwas zu sagen. Sie war einfach nur da und gab mir den nötigen Freiraum, um meine Gefühle zu ordnen. Es tat gut, sie bei mir zu wissen, und dennoch, im Moment wäre ich lieber allein gewesen.
Nur wenig später traf auch die Polizei und ein Leichenwagen ein. Mutter kam irgendwann nach unten, immer noch völlig verstört.
"Geh mit ihr nach draußen", sagte ich zu Tsuki. "Ich kümmere mich die Formalitäten."
Tsuki nickte nur stumm. Sie führte meine Mutter hinaus in den Garten, in eine abgelegene Ecke des Hauses, wo sie nicht mitbekam, wie Vaters Leichnam aus dem Haus transportiert wurde.
Selbst in diesem Moment schaffte ich es nicht, auch nur eine einzige Gefühlsregung aus mir heraus zu bekommen. Ich war wie paralysiert. Ich hatte schon so viele Menschen in meinem Leben sterben sehen. Das brachte mein Beruf einfach mit sich. Doch diesmal war es anders. Persönlicher.
Die Professionalität, die ich sonst an den Tag legte, war brüchig, fast bedeutungslos geworden. Der Notarzt legte mir eine Hand auf die Schulter.
„Mein Beileid, Chishiya-san. Wenn Sie soweit sind, können wir die Einzelheiten besprechen."
Ich nickte stumm und folgte ihm ins Wohnzimmer, wo ich die notwendigen Papiere ausfüllte. Während er sprach, zog alles wie in einem dichten Nebenschleier an mir vorbei. Ich hörte seine Worte, verstand ihre Bedeutung, aber es war, als wäre ich nicht wirklich anwesend, nur ein Beobachter in meinem eigenen Leben. Schließlich legte ich den Stift beiseite und erhob mich.
„Danke", sagte ich mechanisch und begleitete ihn zur Tür.
Der Leichenwagen war bereits abgefahren, und die Polizei hatte ihre Fragen gestellt und sich verabschiedet. Das Haus fühlte sich nun eigenartig leer an, als hätten sie das Leben darin ebenfalls mitgenommen.
Eine Weile stand ich nur da, unfähig mich zu bewegen, während ich das Geschehene zu verarbeiten versuchte. Ich stellte mir vor, ich wäre nicht hier gewesen, hätte mich nicht dazu entschlossen meine Eltern zu besuchen. Dann hätte ich heute nur eine Nachricht von meiner Mutter auf meinem Handy gehabt, dass Vater tot ist.
Hätte ich bereut nicht hier gewesen zu sein oder hätte ich einfach weitergemacht wie bisher? Hätte sein Tod mich genauso in Schockstarre versetzt wie jetzt?
Vaters Worte kamen wir plötzlich wieder in den Sinn. Dass ich mich um meine Mutter kümmern sollte. Mit diesen Gedanken setzte ich mich wieder in Bewegung und ging beinahe ferngesteuert hinaus in den Garten. Der Himmel hatte sich aufgezogen und die Luft fühlte sich jetzt deutlich wärmer an.
Mutter saß auf einer Bank, den Blick starr auf den Teich gerichtet, als ob sie in den Bewegungen der Kois Trost suchen würde. Sie wirkte verloren, gebrochen. Mein Herz zog sich bei ihrem Anblick schmerzlich zusammen. Tsuki saß daneben und hatte ihren Arm tröstlich auf ihrem Rücken liegen. Sie sah auf, als ich mich näherte, Mutter nicht.
"Er ist weg", sagte ich leise.
Tsuki nickte betreten. Mutter schluchzte auf und schnäuzte in ihr Taschentuch, während Tsuki mir einen hilflosen Blick zuwarf.
"Ich übernehme das", sagte ich, obwohl ich noch keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte.
Tsuki stand auf und blieb vor mir stehen.
"Alles gut bei dir?", fragte sie zaghaft.
"Danke, dass du dich um sie gekümmert hast", entgegnete ich, statt auf ihre Frage einzugehen.
Sie lächelte leicht.
"Das ist selbstverständlich. Ich drehe mal eine Runde im Garten, dann könnt ihr in Ruhe reden."
Ich nickte dankbar. Bevor sie ging, hauchte sie einen kleinen Kuss auf meine Wange.
Zögerlich nahm ich neben meiner Mutter Platz. Eine kurze Stille trat ein. Lediglich ihre spontanen Schluchzer waren noch zu vernehmen.
"Es tut mir Leid, dass ich nichts mehr tun konnte", sagte ich mit belegter Stimme, als ich das Schweigen nicht länger aushielt.
Sie schüttelte vehement den Kopf.
"Es ist nicht deine Schuld, Shun."
Ich seufzte tief und kämpfte mit den Worten.
"Ich weiß, dass es nicht meine Schuld ist, aber ich wünschte, ich hätte mehr tun können."
Ihre Augen waren rot und geschwollen, als sie mich ansah.
"Du hast getan, was du konntest. Mehr als das. Du hast uns geholfen, indem du überhaupt hier warst."
Ich nickte langsam, versuchte ihre Worte in mein Herz zu lassen. Doch auf einmal wurde sie von einem weiteren Heulkrampf erfasst.
"Ich wusste ja, dass es mit ihm zu Ende geht", schniefte sie mit zittriger Stimme. "aber jetzt, wo es passiert ist, fühlt es sich trotzdem so endgültig und auch überwältigend an. Ich weiß nicht, wie ich ohne ihn weitermachen soll."
Ich schaute in den Teich, beobachtete die Kois, die ruhig ihre Bahnen zogen, während ich versuchte, die richtigen Worte zu finden.
"Mach dir keine Sorgen, Mutter! Du hast mich und Tsuki. Du bist nicht allein."
Um meine Aussage zu unterstreichen, legte ich meine Hand auf ihre.
Für einen kurzen Moment verstummte ihr Wimmern und sie sah erstaunt, aber auch gerührt zu mir auf.
"Es tut mir Leid, dass ich dir so eine schlechte Mutter war, Shun. Ich weiß, dass ich das nie mehr gut machen kann, aber ich will, dass du weißt, dass ich mir nie einen anderen Sohn als dich gewünscht habe. Und ich weiß, dass dein Vater das genauso sieht... gesehen hat", korrigierte sie sich.
Ich schluckte und schloss die Augen. Es fiel mir zunehmend schwerer, meine Selbstbeherrschung aufrecht zu erhalten.
"Ihr habt mir immer das Gefühl gegeben, nie genug zu sein. Und manchmal denke ich das heute noch. Dass ich es euch nie recht machen konnte, egal, was ich getan habe."
"Ich weiß, Shun. Aber ich würde nichts an dir ändern wollen. Leider habe ich viel zu spät begriffen, dass wir dich vernachlässigt und viel zu sehr unter Druck gesetzt haben. Wir haben nur an uns gedacht, an unsere Karriere. Aber jetzt weiß ich, dass das nicht alles ist." Diesmal war sie diejenige, die meine Hand umschloss und sie drückte. Eindringlich sah sie mich an. "Bitte gib mir eine Möglichkeit, dir eine bessere Mutter zu sein!"
Ich sah ihr tief in die Augen und konnte die Ehrlichkeit darin erkennen, sowie den eisernen Willen, sich zu verändern. Erwartungsvoll sah sie mich an und wartete auf eine Antwort von mir.
Langsam nickte ich.
"In Ordnung."
Ich hatte die Worte kaum ausgesprochen, da hatte sie mich bereits in eine feste Umarmung gezogen. Zuerst war ich überrascht über ihre überschwängliche Geste, dann musste ich die Tränen mühsam herunterschlucken. Zögerlich erwiderte ich ihre Umarmung und tätschelte ihren Rücken.
Auch, wenn ich wahrscheinlich niemals vergessen könnte, was passiert war, so fühlte ich mich schlagartig viel leichter, als wäre mir eine schwere Last von den Schultern genommen geworden, die ich jahrelang mit mir herumgeschleppt hatte. Und obwohl gerade das Leben meines Vaters zu Ende gegangen war, so fühlte ich trotzdem einen Hauch von Neuanfang in der Luft.
Eine Woche später:
Als wir das Haus meiner Mutter betraten, schlug uns eine fast bleierne Stille entgegen. Während der letzten Stunden hatten wir kaum ein Wort miteinander gewechselt, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Die Trauerfeier war vor einer halben Stunde aufgelöst worden. Zahlreiche Verwandte waren dort gewesen, Menschen, die ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte, hatten mir ihr Beileid für den Tod meines Vaters bekundet. Es war eine langatmige Zeremonie und noch immer hatte ich den schweren Geruch von Weihrauch in der Nase.
Meine Mutter war gerade dabei, die unzähligen Blumenarrangements, die sie bekommen hatte, auf den provisorischen Schrein zu stellen, den sie für Vater hergerichtet hatte. In der Mitte der Holzvorrichtung stand eingerahmt ein großes Foto meines Vaters. Darauf war er so abgebildet, wie ich ihn in Erinnerung hatte: mit dunklem schütterem Haar, strenger Miene und einem Hauch von Überheblichkeit.
Als Tsuki hoch ins Badezimmer ging, unterbrach Mutter die Stille, indem sie aufstand und zu einer Schublade im Schrank ging. Sie holte einen kleinen, abgenutzten Umschlag heraus und kehrte damit zu mir zurück
"Ich wollte dir noch etwas geben, von deinem Vater", sagte sie und setzte sich mir gegenüber auf die Couch, um mir den Umschlag über den Tisch zu schieben.
Ich starrte ihn stirnrunzelnd an.
"Was ist das? Ein Brief?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Öffne ihn", sagte sie nur.
Zögerlich griff ich nach dem Umschlag und zog ein dünnes, gelbes Stück Papier daraus hervor.
Ungläubig starrte ich auf die Schrift darauf. Dann sah ich wieder zu Mutter auf und wartete schweigend auf eine Erklärung.
"Das ist ein Geldscheck. Dein Vater hat dieses Geld in den letzten Jahren für dich angespart. Und ich denke jetzt ist der richtige Zeitpunkt, dass du es bekommst."
Ich war völlig perplex.
"Das sind 4 Millionen Yen*. Wieso sollte mein Vater das getan haben?", fragte ich skeptisch.
"Weil er dich geliebt hat und wollte, dass du glücklich wirst. Ich weiß nicht, wann er damit angefangen hat. Ich weiß auch erst seit kurzem davon, Shun. Vielleicht hat er gedacht, dass er so zumindest ein bisschen Wiedergutmachung für seine Taten leisten kann."
Ich schüttelte immer noch fassungslos den Kopf und ließ den Umschlag sinken.
"Mit diesem Geld könntest du die Klinik retten. Du bräuchtest keine Sparmaßnahmen und du könntest auch das Personal davon bezahlen. Alle deine Probleme wären im Handumdrehen gelöst."
Sie nickte, lächelte jedoch unbekümmert dabei.
"Das weiß ich, aber es ist dein Geld. Du solltest damit das machen, was dich glücklich macht. Verwirkliche deine Träume! Du und Tsuki, ihr habt euer gesamtes Leben noch vor euch und könnt euch damit eine gemeinsame Zukunft aufbauen."
Ich schnaubte, verstaute den Scheck wieder in dem Umschlag und legte ihn auf den Tisch zurück.
"Das kann ich nicht annehmen. Nicht nur, weil du es im Moment viel dringender brauchst als ich, sondern auch, weil es mir meine Kindheit nicht zurückbringt. Ich brauche keine Entschädigung oder eine Mitleidsbekundung. Behalte dein Geld!", entgegnete ich forsch und stand ungehalten von dem Sofa auf. "Ich denke wir gehen jetzt!"
Mutter erhob sich ebenfalls und stellte sich mir in den Weg, als ich Anstalten machte die Treppe nach oben zu nehmen, um Tsuki zu holen.
"Du siehst das falsch, Shun. Es ist keine Entschädigung, es ist nur eine kleine Unterstützung", sagte sie ruhig und legte beschwichtigend ihre Hände auf meine Arme. "Bitte, ich möchte, dass du es annimmst. Es würde mir so viel bedeuten."
Ich seufzte schwer, als ich ihren flehenden Gesichtsausdruck sah. Irgendwas in mir sträubte sich, Geld von ihnen anzunehmen. Hatte mein Vater wirklich geglaubt, dass damit alles gegessen wäre? Dachte er, dass er oder meine Mutter sich mit diesem Geld meine Vergebung erkaufen könnten?
Andererseits hatte ich die letzte Woche viel Zeit mit meiner Mutter verbracht.
Ich hatte ihr bei den Vorbereitungen für die Abschiedsfeier geholfen und auch die gemeinsame Arbeit an den Plänen für die Klinik hatte uns wieder ein bisschen näher zusammen gebracht.
"Du bist mir absolut nichts schuldig, wenn du es annimmst. Das verspreche ich. Du kannst damit tun und lassen, was du willst", versuchte sie es erneut.
Meine Züge wurden ein wenig nachgiebiger und ich seufzte leise.
"Okay, schön", knirschte ich noch immer etwas widerwillig. "Ich nehme es."
Mutter presste erleichtert die Handflächen zusammen und machte einen kleinen Knicks vor mir.
" Dankeschön, Shun."
Sie klang überaus erleichtert. Dann ließ ich den Umschlag unauffällig in die Taschen meines Anzugs gleiten.
Erst gegen Abend, als Tsuki und ich wieder bei uns zu Hause waren und wir gemeinsam im Wohnzimmer saßen, holte ich ihn wieder hervor. Seit Mutter ihn mir gegeben hatte, konnte ich nicht aufhören darüber nachzudenken. Tsuki musterte den Umschlag neugierig.
"Was ist das?", fragte sie vorsichtig.
Ich stieß einen leisen Seufzer aus und hielt Tsuki den Umschlag hin.
"Hat Mutter mir vorhin gegeben", erklärte ich knapp.
Zögerlich nahm sie ihn entgegen und öffnete ihn. Als sie den Scheck herausgeholt hatte, starrte sie reglos auf die Summe.
"Vier Millionen? Sind die etwa für dich?"
Ich nickte ruhig.
"Ja, mein Vater hat das Geld angeblich für mich beiseite gelegt."
"Wow, das ist..."
"Schräg?"
"Also, ja auch, aber ich meine, bedeutet das nicht, dass du ihm doch schon immer etwas bedeutet hast?"
"Ich weiß es nicht. Mit jedem Tag, der vergeht, habe ich das Gefühl, dass ich eigentlich nichts über meinen Vater wusste."
"Denkst du er hatte nur ein schlechtes Gewissen?", fragte sie.
Ich zuckte mit den Schultern.
"Vermutlich. Es kommt mir fast so vor, als würde meine Mutter mir sowas wie Schmerzensgeld zahlen wollen, deshalb wollte ich es zuerst auch nicht annehmen."
"Aber du hast es angenommen", gluckste sie leise und versteckte sich dabei hinter dem Papier.
"Viieerr Milliooonen. Oh, ich würde zu gerne mal eine große Reise machen. Nur wir beide", schwärmte sie verträumt und drückte sich dabei innig an mich. "Das würde sogar fast für eine Weltreise reichen, meinst du nicht?"
Vergnügt wedelte sie mit dem Scheck vor meinem Gesicht herum. Ich seufzte erneut und rieb mir konzentriert die Stirn. Ihr Lächeln erstarb langsam und sie ließ das Papier in ihrer Hand langsam wieder sinken.
"Oder etwa nicht? Willst du davon lieber was anderes kaufen? Es ist ja schließlich dein Geld. Ich dachte nur, dass es irgendwie romantisch wäre, zu zweit zu verreisen", murmelte sie kleinlaut, während sie am Reißverschluss meiner Jacke herumnestelte.
Mit großen fragenden Augen sah sie mich an.
"Ja, sicher. Das wäre schön", sagte ich tonlos und starrte dabei nachdenklich ins Leere.
"Aber?", hakte sie nach, offensichtlich nicht überzeugt von meinen Worten.
"Meine Mutter könnte das Geld verwenden, um die Klinik zu retten, stattdessen gibt sie es mir. Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl dabei, das Geld einfach zu nehmen."
Sie nickte und ließ den Kopf hängen.
"Verstehe, du willst es ihr also wieder zurückgeben?"
"Ehrlichgesagt habe die ganze letzte Woche damit verbracht, darüber nachzudenken, wie wir die Klinik vor dem Ruin bewahren können. Eine Nachfolge für die Leitung zu finden kann dauern. Da ich aber ab morgen wieder arbeiten gehe, schaffe es auch nicht, mich darum zu kümmern, jedenfalls nicht so, dass ich Mutter eine große Hilfe wäre. Deshalb habe ich bei mir auf Arbeit angefragt, ob es möglich wäre, sowas wie ein Sabbatjahr zu nehmen. Dann hätte ich genug Zeit, die Klinik zu leiten und alles zu regeln, bis die größten Baustellen beseitigt sind."
Tsuki hob den Kopf und blinzelte mich ungläubig an.
"Du... willst eine Auszeit nehmen? Von deinem Job? Für die Klinik deines Vaters? Die Klinik, die du niemals übernehmen wolltest, weil dein Vater dich dazu zwingen wollte?"
Ich stöhnte auf.
"Ich weiß, wie das klingt, aber ich würde es nicht für ihn tun, sondern für Mutter. Und es wäre ja auch nicht für immer."
"Du würdest also wirklich deine Zeit als Assistenzarzt abbrechen wollen? Musst du dann nicht nochmal ganz von vorne anfangen?"
"Durchaus möglich, ja, aber ich bin ja erst im 1. Jahr. Das hole ich auch schnell wieder auf."
Tsuki kniff die Lippen zu einem dünnem Strich zusammen. Ich konnte sehen, dass ihr meine Entscheidung nicht passte.
"Aber wenn du das Geld deiner Mutter geben würdest, wäre das ja nicht nötig, oder? Dann würde sie es auch ohne dich schaffen?"
Ich nickte langsam.
"Ja, vermutlich."
Sie gab ein frustriertes Geräusch von sich.
"Das ist so unfair", jammerte sie und drückte sich wieder an meine Brust, diesmal noch energischer als zuvor. "Ich will nicht, dass du deine Stelle dafür aufgibst. Du hasst diese Klinik und diesen ganzen Schönheits-Schnickschnack doch!"
Beschwichtigend legte ich meine Arme um ihre Gestalt und tätschelte zärtlich ihr Haar.
"Dann müssen wir uns von dem Geld trennen. Und von der Vorstellung, dass wir zusammen eine Weltreise machen können."
Als sie diesmal zu mir aufblickte, hatte sie ihre Lippen demonstrativ zu einer Schnute gezogen.
"Wirklich?"
"Nun, vielleicht können wir ja mal eine kleine Reise machen. Wenn du mit deinem Studium fertig bist und dein eigenes Geld verdienst", sagte ich ein wenig belustigt über ihre Reaktion.
Sie stöhnte theatralisch auf und sank mit dem Gesicht nach unten auf meinen Oberkörper.
"Dafür muss ich erstmal bestehen", nuschelte sie in meine Jacke hinein.
"Dann solltest du dich wohl ein bisschen ins Zeug legen. Aber vielleicht ist die Aussicht auf eine Reise ja auch ein guter Ansporn für dich", zog ich sie ein wenig auf und ließ meine Hand unter ihrem Oberteil verschwinden.
Sachte strich ich über ihren nackten Rücken und gab ihr einen kleinen Kuss auf die Lippen. Ich zog sie ein wenig näher zu an mich heran, mein Mund war direkt neben ihrer Ohrmuschel.
"Ich habe übrigens nicht vergessen, was ich dir schuldig bin", raunte ich mit tiefer Stimme.
Ein verlegenes Glucksen kam über ihre Lippen, bevor ich sie mit beiden Händen packte und rücklings auf das Sofa drückte.
*4 Millionen Yen entsprechen etwa 23 300 €
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