5
Tom reichte mir wieder den Arm. Ich beäugte ihn misstrauisch.
"Das erste Mal ist immer das Schlimmste. Nun komm schon", meinte er ungeduldig.
Zögernd hob ich die Hand und platzierte sie auf seinem Arm.
Und es ging los. Ich hatte das Gefühl, als ob ich innerlich zerrissen wurde nochmal mehr. Mein Magen machte Saltos und mein Kopf wummerte.
Und dann hörte es auf. Ich fiel, perplex, dass wir wieder festen Boden unter den Füßen hatten.
Er war jedoch so geistesgegenwärtig, dass er mich davon abhielt, den Boden zu küssen.
Ich hielt mich an meinem ehemaligen Kater fest. "Tom, das tun wir nie wieder, hörst du"
Tom lachte leise. Dann ließ er mich los. Mit wackeligen Beinen stand ich nun da.
Erst jetzt nahm ich wahr, wo wir uns befanden. Wir standen vor meinem Mietshaus. Das alte, in die Jahre gekommene Haus.
Ich suchte nach meinem Schlüssel und musste bis nach unten in meinem Rucksack greifen, um ihn zu finden.
Dann schloss ich auf.
Mein Blick fiel auf das, in alter Schrift geschriebene, Schild.
Vorsicht, Treppe frisch gebonert.
Die Treppe war alles andere, als frisch gebonert. Zu den Seiten her war das Holz noch braun, doch in der Mitte war alles schon hell und ausgeblichen.
Oben angekommen, steuerte ich auf meine Kaffeemaschine zu, die ich dringend mal wieder entkalken musste. Aber ich war ja zu nichts mehr gekommen, weil ich so ausgeplant war.
Ich griff nach meiner alten Tasse und spülte sie aus, ehe ich sie wieder mit Kaffee befüllte. Mit Toms Tasse machte ich genau dasselbe.
"Du trinkst ihn schwarz, nicht wahr?", fragte ich ihn. Er nickte.
Ich grinste. "Du weißt, was man über Leute sagt, die ihren Kaffee schwarz trinken?"
Er hob eine Augenbraue. "Elaboriere"
"Sie sind Psychopathen" Toms Mundwinkel zuckten.
"Vielleicht bin ich das", meinte er dann sarkastisch. Ich verdrehte die Augen.
"Also, Tom, mein lieber Cousin. Jetzt kläre mich doch über die Welt auf, von der ich nichts wusste"
"Gut", seufzte er und nahm einen Schluck vom Kaffee.
"Es gibt Magie. Du hast es gesehen. Nun ja, es gibt Zauberer und Hexen und Bergtrolle, Einhörner und noch so viel mehr Geschöpfe. Ich habe eine spezielle Schule besucht, um das Zaubern zu erlernen. Hogwarts. Eine Schule für Hexerei und Zauberei. Gegründet vor etwa tausend Jahren von Godric Gryffindor, Helga Hufflepuff, Rowena Ravenclaw und Salazar Slytherin"
Ich konnte das alles irgendwie ganz schlecht verarbeiten. Ich meine, hier saß ich und Tom erzählte mir etwas von einer geheimen Schule, die nur von Zauberern besucht und gesehen werden konnte.
Mein Hirn fühlte sich an, als würde es gleich implodieren.
"Wir haben sogar ein Ministerium, sowie einen Zaubereiminister", sagte er erheitert. Wohl aufgrund dessen, dass ich immer verzweifelter aussah.
"Ihr habt ein Ministerium?", hakte ich nach. "Und die suchen dich?"
Alles Lachen war aus seinem Gesicht gewichen. Er nickte.
"Deren Polizei?"
"Die Auroren, ja"
Ich schluckte. "Und wofür genau?"Ich beobachtete seine Reaktion genau. Seine Augen leuchteten einen Moment lang rot auf und ich wich automatisch zurück.
Das Licht musste mir einen Streich gespielt haben.
"Ich soll Hepzibah Smith getötet haben"
Ich spürte wieder diesen dicken Kloß in meinem Hals.
"Du sollst? Hast du, oder hast du nicht?", fragte ich ihn entrüstet.
Tom beugte sich nach vorne zu mir. "Natürlich nicht"
"Warum stellst du dich dann nicht einfach?", wollte ich nachdenklich wissen.
"Weil ich für sie so, oder so schuldig bin und sie mich vermutlich nach Askaban stecken würden, wenn sie mir nicht vorher noch den Kuss des Dementors auferlegen würden"
Ich runzelte die Stirn. "Kuss des Dementors?"
Tom lächelte gequält. "Der Kuss eines Dementors ist der Akt, dass er einem die Seele komplett aus dem Leib saugt. Es ist ein Schicksal, schlimmer als der Tod. Der Körper lebt noch, aber der Geist ist weg"
Ich biss mir auf die Lippe. "Und greifen die auch uns Normale an?"
Tom schüttelte zögerlich den Kopf. "Es sind Wesen, die an Orten entstehen, an denen unglaublich viel Leid und Schmerz vorherrscht.
Sie unterscheiden nicht zwischen Freund und Feind. Und sie sind dem Ministerium für Zauberei unterstellt", erläuterte Tom mir.
Ich atmete tief durch, gegen das Engegefühl in meiner Brust.
"Ich glaube, ich brauche noch eine Zigarette", murmelte und stand auf, die Kaffeetasse in der Hand lief ich zu meinem Balkon.
Ich zündete die Zigarette an und sank auf die kleine Bank, die ich dort stehen hatte.
Den Rauch inhalierte ich und ich spürte, wie er bis in die kleinste Alveole eindrang.
Es dauerte noch zwei Atemzüge, bis ich spürte, wie ich allmählich ruhiger wurde. Es wirkte fast so gut, wie Toms Zaubertrank.
"Dir ist es zu viel, nicht wahr?"
Ich nickte und aschte ab in meine Metalldose, die hinter mir auf dem Fensterbrett stand.
"Zu erfahren, dass es eine andere Welt gibt, in der, neben der, in der wir leben, ist nicht einfach. Ich meine, wie soll ich jetzt weitermachen?", erklärte ich mich ihm meine Gefühle und das durcheinander.
"Und ich bin ein Muggel, wie du schon sagtest?"
Tom nickte. "Ich stecke in Schwierigkeiten, nicht nur bin ich auf der Flucht, nein, ich habe auch noch einem Muggel von unserer Welt erzählt"
Ich hob eine Augenbraue. "Was ist die Strafe dafür?", fragte ich ihn neugierig.
"Es wird wie Hochverat geahndet. Meist mit dem Kuss des Dementors, oder der Todesstrafe"
Ich riss die Augen auf. "Todesstrafe? Wie barbarisch!"
Tom zuckte mit den Schultern. "Aber es funktioniert. Kaum einer versucht das Gesetz zu brechen"
Ich schnaubte. "Es ist barbarisch. Man lässt den Leuten ja nicht einmal die Chance auf eine Besserung des Charakzters"
Tom schüttelte den Kopf. "Es mag für dich barbarisch klingen, für mich ist es das alles, was ich kenne, seitdem ich elf Jahre alt bin"
Ich schnitt eine Grimasse und nahm einen letzten Zug von meiner Zigarette.
"Was ist mit deiner Familie? Warum bist du nicht dort?"
Toms Gesichtausdruck wurde von gelassen zu wütend. Es war, als würde er eine Maske fallen lassen. Doch das hielt nur zwei Sekunden an und er blickte mich wieder entspannt an.
"Meine Familie ist tot oder in Askaban", sagte er kalt.
"Askaban? Deine Eltern sind auch dort?", fragte ich verwirrt.
"Askaban ist das Zauberergefängnis, das von Dementoren bewacht wird. Meine Mutter starb in einem Waisenhaus, als sie mich zur Welt brachte. Sie nannte mich Tom nach meinem Vater und Vorlost nach meinen Großvater", spuckte er förmlich.
"Du kannst, äh-konntest sie nicht leiden?", hakte ich nach. Tom spannte seinen Kiefer an.
"Ich hasse sie. Sie haben in ihrem Leben nichts gemacht, haben all ihr Geld verspielt und meine Mutter war vermutlich ein Squib, ein Mensch, der nicht zaubern kann, aber zum Beispiel Magie in sich trägt"
Ich riss die Augen auf. "Es ist deine Familie, du solltest sie nicht hassen" Tom lachte bitter auf.
"Ich habe sie besucht und sie wollten nichts von mir wissen" Ich meinte, für einen Moment Verletztheit
durchscheinen zu sehen. Wie die eines verletzten Jungen.
"Das tut mir Leid, Tom", seufzte ich. Tom nickte abwesend.
Was ihm wohl gerade durch den Kopf ging?
Ich starrte gerade aus, dankbar, dass über dem Balkon ein Dach war.
Meine Gedanken rasten noch immer. So viele neue Informationen, das machte mein Kopf nicht mit.
Tom war also ein Waise.
Wie schlimm es sein musste, niemanden auf der Welt zu haben. Alleine zu sein.
"Was ist mit deinem Vater?", fragte ich ihn zögerlich und leise.
Der Regen prasselte rhythmisch aufs Dach. Er beruhigte mich.
"Mein Vater? Er hat vom Geld seiner Eltern gelebt und nie wirklich etwas gearbeitet. Er wurde von Vorlost Gaunts Sohn, meinem Onkel Morfin, umgebracht"
Meine Augen wurden groß. "Wieso umgebracht?"
"Weil mein Vater ein Muggel war und Merope, meine Mutter, ihn mit einem Liebestrank verführt hat
Ich wurde unter Einfluss eines Liebestranks gezeugt. Solche Magie zu verwenden hat seine Konsequenzen.
Ich bin verflucht. Ich werde nie je echte Liebe für jemanden empfinden können"
Er war verflucht? Ich spürte noch mehr Mitleid für ihn in mir aufkommen. Niemals Liebe empfinden zu können, klang nach einem furchtbaren Schicksal.
Meine Zigarette war schon ausgegangen, weil ich ihm gelauscht hatte, wie er mir seine Welt erklärte. Ich zündete sie erneut an.
"Ich habe Hunger, ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich mache mir jetzt etwas zu essen", meinte ich schließlich und stand auf.
"Ich würde eine warme Mahlzeit nicht ausschlagen", sagte er kühl.
Jetzt hatte er seine Gesichtszüge in die einer ausdruckslosen Maske geschult.
Ich schlurfte zurück in die Küche. Mein Kaffee musste jetzt schon kalt sein, aber wie sagte man doch?
Kalter Kaffee macht schön und ist gut für die Blumen - Laut einem ehemaligen Patienten von mir.
Ich griff meine Katzentasse und stürzte den Rest hinunter.
"Maya, was willst du kochen?", fragte er und krempelte die Ärmel seines Pullovers nach oben.
Ich überlegte kurz und öffnete den Kühlschrank.
"Irgendetwas mit Pasta"
Er nickte. Noch immer waren seine Gesichtszüge so ruhig und sein Blick abwesend.
Ich griff nach einem Päckchen Nudeln und befüllte den Topf mit heißem Wasser.
"Welche Soße?" Tom kam mir jetzt hungrig vor. Ich zuckte mit den Schultern. "Tomatensauce?"
Mein Magen begann zu knurren.
Ich lehnte mich gegen den Herd. "Wirst du sie nehmen?" Ich sah ihn verständnislos an.
"Was? Wovon sprichst du?"
Er verdrehte die Augen. "Deine Tabletten", meinte er kurz angebunden.
Ich ging zu meinem Rucksack und zog das Rezept heraus.
Haldol, Bayer , N3 (100 Stck)
Stand darauf. Ich zögerte, ehe ich es ihm abnahm und in den Müll warf.
Ich glaubte, ein wenig wollte ich doch noch verrückt sein.
"Diese Dementoren, sie greifen aber keine Muggel an, oder?"
Tom schüttelte den Kopf. "Wie ich schon sagte, solange sie den Befehlen des Zaubereiministeriums unterstehen, nicht. Aber ich hörte, dass vor ein oder zwei Jahren, ein Muggel und ein junger Zauberer angegriffen worden sind", versuchte er mich zu beruhigen.
"Kann man diese Dinger nicht irgendwie aufhalten?", hakte ich noch immer verwirrt und zugleich überfordert nach.
"Mit dem Patronuszauber. Man erschafft einen Schild, aus positiven Erinnerungen, aber sie muss stark sein"
"Und deiner? Hast du einen, wie hieß das doch gleich, Parronus?"
Tom schüttelte den Kopf. "Ich schätze, dass es mit an dem Fluch liegt, dass ich keinen Patronus erschaffen kann. Denn dazu braucht man Liebe, und die kann ich nicht empfinden", meinte er.
"Das klingt ja furchtbar. Du hast doch aber Freunde, oder?"
Tom lächelte sarkastisch. "Ich habe Anhänger, keine Freunde. Freundschaft wird überbewertet"
"Du hast nicht einen einzigen Freund?"
Toms Blick ruhte auf meinem Gesicht. Genauer gesagt auf meiner unteren Gesichtshälfte. Er starrte ganz ungeniert.
Ich drehte mich, innerlich und äußerlich rot werdend, zu dem mittlerweile kochendem Wasser und gab die Nudeln, bis auf eine, in den Topf.
Die eine Nudel aß ich mit einem lauten Krachen.
Tom verzog das Gesicht.
"Du machst dir damit noch deine Zähne kaputt", tadelte er mich.
Ich ignorierte ihn und zog eine Pfanne heraus. "Wenn du mir helfen willst, kannst du eine Zwiebel schneiden. Also die Hälfte davon", sagte ich und drückte ihm die violette Knolle in die Hand.
Tom ging neben mich zur Herdplatte und zog ein Brett hervor. Ich wollte fragen, woher er wusste, wo meine Brettchen waren, aber dann fiel mir wieder ein, dass er ja als Katze ein Jahr gelebt hatte.
Ich beobachtete, wie er die Zwiebel perfekt schnitt. "Ich brauche die Zwiebeln gleich!"
Tom hob das Schneidebrett hoch und über die Pfanne, die mit Öl beträufelt war.
Mein Cousin, Tom.
Tom, der mich geküsst hatte. Ich musste das aus meinem Gedächtnis streichen.
Vor allem wegen Scott.
Ich betrachtete ihn kurz, ebenfalls so ungeniert, wie er mich. Gönnte es mir, seine Schönheit anzusehen.
Sein dunkles Haar, das perfekt saß, aber etwas zu lang im Nacken war. Er musste mal wieder zum Frisör.
Seine wundervoll ausbalancierten Gesichtszüge, die an die Marmor-Statuen im alten Rom erinnerten.
Himmel, war das ein schöner Mensch.
Man konnte sich an ihm gar nicht sattsehen!
Ich wusste jetzt schon, aus irgendeinem Grund, dass es noch eine Menge Ärger geben würde.
Aber ich konnte ihn doch nicht einfach auf die Straße schicken, wenn sie ihn gefangen nehmen würden.
"Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass Starren unhöflich ist?", ertappte mich der Dunkelhaarige leicht belustigt.
"Ich habe nicht
gestarrt", sagte ich Langsam und groggy. Das war heute mein erster freier Tag seit
langem.
Toms Mundwinkel zuckten.
Ein vertrauter Geruch schoss mir im die Nase.
Verbrannt.
Die Zwiebeln waren angebrannt.
AN:
Die ersten Kapitel muss ich mein AU establishen. Daher passiert hier noch relativ wenig.
Sie sind fast wie Füllkapitel :s
Ich hasse es sie zu schreiben, aber sie sind eben für die Handlung doch wichtiger, als man denkt.
Wie fandet ihr das Kapitel?
Ich sage das zwar schon seit ein paar Kapiteln, aber es wird sich noch aufklären, weshalb sich Tom so un-Tomhaft verhält.
Habt einen schönen Tag (:
LG, H.
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