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"Ja, Mum. Ich werde einen Termin beim Zahnarzt ausmachen. Nein, ich werde Scott nicht sagen, dass er sich einen anderen Job suchen soll", seufzte ich entnervt, während ich die Treppen zu meiner kleinen Wohnung mitten im Herzen Londons erklomm. Meine Schuhe quietschten auf dem Steinboden der Treppe vom vielen Regen draußen.
Es war ein richtiger Glücksgriff gewesen, die Wohnung. Sie war zwar klein, mit zwei Zimmern, aber genau richtig für mich und meinen Kater Lucky.
Lucky, mein Kater, war jetzt schon ein Jahr an meiner Seite. Der weiße Kater mit den bunten Tupfen und der aristokratischen Nase war mir in der Zeit wirklich ans Herz gewachsen. Er war ein Findelkind gewesen, halb verhungert mit stumpfem Fell und eingefallenem Bauch. Jetzt hatte er sein Idealgewicht bei mir erreicht.
Laut der Tierärztin war er zum Zeitpunkt, zu dem ich ihn gefunden hatte bereits zwei Jahre alt. Also ausgewachsen.
Mich beschlich schon ein schlechtes Gefühl, als ich den Schlüssel umdrehen wollte und mir auffiel, dass die Türe gar nicht verschlossen war. Hatte jemand bei mir eingebrochen? War Lucky durch die offenstehnde Tür abgehauen?
Ich stellte meine Tasche vor der Wohnungstüre ab und griff nach meinem Handy, um im Notfall gleich die Polizei verständigen zu können. Außerdem griff ich nach meinem Regenschirm, um den Einbrecher, wenn er denn noch da war, ordentlich verdreschen zu können.
Leise öffnete ich die Tür weiter auf und trat in meine kleine Wohnung. Es sah alles aus, wie immer. Das Einzige war, dass das Sofa und die Kissen so aussahen, als hätte jemand drauf gelegen. Hatte er, der Einbrecher, etwa hier geschlafen? Ich hielt den Regenschirm erhoben, für den Fall, dass mich der Mann angreifen würde.
Plötzlich, es ging so schnell, dass ich kaum reagieren konnte, wurde ich gegen eine Tür gedrückt und etwas piekste mich in den Hals.
Es war düster, ich hatte die Rollos noch nicht nach oben gemacht.
Meine Hände suchten meinen Regenschirm und mein Handy, die ich wohl beide fallen gelassen hatte, als ich so unwirsch hier gegen die Tür gepresst wurde.
"Wenn ich du wäre, würde ich das lassen", sagte die Person, die mich hier gegen die Türe presste. "Was willst du? Ich bin nicht reich, habe nichts von Wert", stieß ich panisch hervor. "Ich habe die Polizei bereits verständigt", log ich.
Er lachte finster. "Die Polizei wird dir nichts nützen" Und presste den Stock noch weiter in meinen Hals. Hinter mir tastete ich nach dem Lichtschalter.
Gefunden!
Ich machte das Licht an. Er blinzelte überrascht.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber nicht das. Vielleicht hatte ich mit einem kapuzierten Mann gerechnet, aber nicht mit so einer schönen Person.
Er hatte ein Gesicht, wie aus Marmor geschnitzt. Mit hohen Wangenknochen, geraden Brauen einer aristokratischen Nase und geschwungenen Lippen. Und dunkle Augen, bei denen ich bei dem Licht hier drin gar nicht genau sagen konnte, welche Farbe sie überhaupt hatten.
Ich war so perplex, dass ich erst gar keine Angst verspürte.
Der junge Mann vor mir hätte genauso gut Model sein können.
"Was willst du dann?", fragte ich verwirrt.
Wenn ein Einbrecher keinen Schmuck wollte, was denn dann, außer... Ich riss die Augen auf.
"Bitte bring' mich nicht um, ich bin gerade mal zwanzig Jahre alt und ich habe einen Job. Und einen Kater, den ich versorgen muss", stotterte ich jetzt doch etwas panischer. Schließlich hing ich an meinem Leben.
"Keine Sorge, Maya. Ich brauche dich noch", meinte der Größere vor mir und strich mir mit seinem weißen Holzstock über den Hals. Ich riss erschrocken die Augen auf. "Woher weißt du-" Er lachte erneut dunkel auf. Mein Herz hämmerte panisch in meinem Brustkorb. Ich glaubte, dass es jeden Moment ausbrechen würde.
"-Woher ich weiß, dass du Maya heißt? Ich habe jetzt ein Jahr bei dir gelebt", spuckte er mir entgegen, so als sei das eine Beleidigung. Ich zog die Augenbrauen zusammen.
Also ich hätte es doch wirklich gemerkt, wenn ein Mann ein Jahr lang bei mir gewohnt hätte.
"Suchst du nicht etwas? Einen gewissen Kater vielleicht?" Ich versuchte mich von ihm loszureißen, aber sein Griff war eisern. "Lucky!", rief ich ihn. Doch nichts passierte Wieder lachte der junge Mann auf, wobei er beim Lachen zwei weiße Zahnreihen entblößte.
Meine Mutter hätte ihn vielleicht als stattlich bezeichnet. Ich bezeichnete ihn lieber als ein verdammtes Arschloch, das aus meiner Wohnung zu verschwinden hatte.
"Lucky!", versuchte ich es erneut. Doch nichts passierte. "Was hast du mit meinem Kater gemacht?", fauchte ich. Lucky war mein Baby. Wenn ihm jemand Leid zugefügt hatte, dann war derjenige dran.
Seine Mundwinkel zuckten so, als wisse er etwas, das ich nicht wusste. Wieder bohrte sich das dünne Stück Holz in meinen Hals. Ich schlug es weg.
"Du hast doch gar keine Waffe, ist es nicht so?" Der junge Mann vor mir zwirbelte seinen Stock in seiner Hand. Es sollte wohl bedrohlich wirken. Ich schluckte, denn das tat es auch irgendwie.
"Ich bin dein Kater"
Meine Augen wurden erst groß und dann brach ich in ein schallendes Lachen aus. Ich lachte so herzhaft, dass mir der Bauch schließlich weh tat. "Du siehst schon auch sehr katzig aus", meinte ich.
Ich lachte und lachte, während der Blick des jungen Mannes finsterer und finsterer wurde.
Er stand abwartend da, das weiße- Nein, knochenfarbene Holz in der linken Hand, die Arme vor der Brust verschränkt.
"Das war ein guter Scherz", meinte ich immer noch kichernd
"Hör' mir ganz genau zu. Du wirst mich hier weiter wohnen lassen, haben wir uns verstanden?"
Mir verging das Lachen gehörig. Was glaubte er denn jetzt, wer er war?
"Und wieso sollte ich das erlauben? Was denkst du eigentlich wer du bist? Ich habe einen Freund!", stieß ich entrüstet hervor.
Er lehnte sich wieder zurück. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt und schmunzelte finster.
"Ich bin dein Kater", wiederholte er die Worte von gerade eben nochmal. Ich ging einen Schritt auf ihn zu.
"Da du ja offensichtlich keine Waffen hast, sag' mir jetzt wo mein Kater ist! Was hast du mit ihm gemacht?", verlangte ich aufgebracht. Wenn er Lucky etwas angetan hatte...
Der junge Mann Schrägstrich Einbrecher schmunzelte noch immer.
"Kann ich", meinte er kalt. Schließlich tippte er sich selbst mit dem Stock auf die Brust und begann zu schrumpfen.
Ich riss die Augen auf. Ich starrte an den Punkt, an dem der Einbrecher gestanden hatte. Nur, dass da kein Einbrecher mehr stand, sondern mein Kater Lucky dasaß und sich mit der Pfote übers Auge fuhr. Der hölzerne Stock war verschwunden.
Mein Herz hämmerte gegen die Rippen. Ich dachte, verrückt geworden zu sein. Ich musste es sein. Ich musste es mir eingebildet haben.
Mein Kater saß aber genau an der Stelle, an der der Einbrecher gestanden hatte.
Mir wurde übel. Ich musste das gerade eben halluziniert haben. Anders konnte ich mir nicht erklären.
Immer noch zitternd beugte ich mich nach unten zu meinem Handy und dem Schirm.
Ich legte mein Handy auf dem Esstisch ab und öffnete meinen Kühlschrank. Eine große Flasche Rosé-Wein steuerte ich an.
Ohne mir ein Glas zu holen, trank ich direkt aus der Flasche. Ich musste mir den Kopf gestoßen haben, oder es war der Stress heute gewesen. Das konnte doch jetzt nicht wirklich passiert sein.
Mein Blick glitt zu Lucky, der mich fast schon misstrauisch beäugte, wie ich meine Weinflasche leerte.
"Lass mich, Lucky. Das habe ich mir heute verdient! Und im Übrigen kommst du auf Diät!", maulte ich und stellte die Flasche auf die Arbeitsplatte.
Dann ging ich auf den Kater zu und hob ihn hoch. Er sah aus wie immer. Ich musste es mir doch eingebildet haben. Doch dann hob der zierliche Kater sein schönes Gesicht und starrte mir direkt in die Augen.
Katzen taten so etwas nicht. Für sie war Augenkontakt ein Angriffsgrund. Als hätte ich mich verbrannt, ließ ich ihn los. Der Kater landete elegant auf seinen vier Pfoten.
Ich spürte die Panik erneut in mir aufsteigen. Es fühlte sich an als hätte ich eine Hand um meinem Hals, die sich immer enger darum schloss.
"Lucky, du bist doch noch mein Kater und kein Mensch, oder?", fragte ich leicht panisch in den Raum und bückte mich gleichzeitig, um aus der Schublade eine Schüssel zu holen.
Eis musste es sein. Mein Tag war die Hölle gewesen. Ich hatte heute versehentlich einem Gast im Café Kaffee über das Bein geschüttet. Gut, ich gab ja zu, dass es wehtun konnte, oder wehgetan haben musste.
Ich war gestolpert.
Es war mein Fehler gewesen, aber mich derart anzufahren, nachdem ich mich zum zehnten Mal entschuldigt hatte, war aber auch nicht die feine, englische Art.
Und danach hatte ich eine Vorlesung über die Geschichte der Pflege gehabt. Alles Dinge, die ich in meiner Ausbildung zur Krankenschwester schon gehört hatte.
Ich war gerade dabei, mir mein Eis in die Schüssel zu füllen und stand also mit dem Rücken zu meiner Katze.
Mein Handy begann zu vibrieren. Mit einer zittrigen Bewegung hob ich es auf und ging ran.
"Hey", erklang Scotts Stimme. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.
"Hey Scott", ich war erleichtert seine Stimme zu hören
hören.
"Na meine Hübsche, wie war dein Tag?", wollte er von mir wissen.
Ich zuckte mit den Schultern, bis mir einfiel, dass er das ja gar nicht mitbekam.
"Er war furchtbar", sagte ich seufzend.
"Erst habe ich im Cafe einem Gast versehentlich Kaffee über das Bein geschüttet, dann hatte ich eine wirklich extrem langweilige Vorlesung über die Geschichte der Pflege und in der Nazi-Zeit und dann stand meine Wohnungstüre offen und ein Mann hat mich bedroht und behauptet meine Katze zu sein", sprudelte es aus mir heraus.
Scott lachte leise. "Du hast eine blühende Fantasie, Maya"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, Scott. Da war wirklich jemand in meiner Wohnung und hat das gesagt und dann sich in meine Katze verwandelt. Ich habe mir das nicht eingebildet", zischte ich jetzt.
"Er hat mich bedroht, Scott!" Ich konnte förmlich hören, wie mein Freund die Augenbrauen zusammen zog.
Ich hörte ihn ausatmen. "Maya, du hattest einen anstrengenden Tag. Da kommt so etwas schon mal vor. Das legt sich wieder. Komm erstmal wieder runter!", bat er mich.
Ich griff nach der Flasche und nahm einen großen Schluck.
"Ich bin mir sicher, was ich gesehen habe, Scott", verteidigte ich mich. Meine Zunge wurde allmählich schwer von dem süßen Wein.
"Wenn man müde und überarbeitet ist, kann das schon einmal passieren, dass man halluziniert", wollte mich mein Freund beruhigen.
Ich gab nach. "Vermutlich hast du recht. Aber es erklärt immer noch nicht die offene Wohnungstüre"
Scott seufzte. Ich konnte mir förmlich vorstellen, wie er die dunklen Brauen zusammen zog.
"Maya, du bist ein kleiner Schussel. Du hast sie vermutlich offen gelassen. Und ich habe immer Recht" Ich konnte ihn schmunzeln hören.
"Okay. Es macht Sinn", sagte ich und glaubte kein einziges Wort von dem, das ich da sagte. Ich hatte seinen Holzstock - Gott, klang das falsch- an meinem Hals gespürt. Hatte ihn gesehen. Seine Stimme gehört.
Hatte gesehen, wie er zu Lucky geworden war.
Konnte es sein, dass mein Gehirn tatsächlich nur überarbeitet war?
Ich hatte schließlich die Woche im Café durchgearbeitet, dazu noch meine Vorbereitung auf die Klausurenphase und mein schlechter Schlaf und das Chaos war perfekt.
"Ich wusste, dass du einsiehst, dass ich recht habe", lachte er.
"Gute Nacht, Maya" Ich lächelte wieder leicht. "Gute Nacht, Scott"
"Liebe dich", sagte er die zwei Worte, die mein Herz hüpfen ließen. Jetzt grinste ich. "Ich liebe dich auch", entgegnete ich.
"Bye" Ich seufzte. "Bye, Scott"
Ich legte auf.
Lucky war verschwunden. Vermutlich hatte er sich schon auf mein Bett gelegt. Dort schlief er nämlich immer am Fußende.
Lucky war eine dieser Katzen, die nicht sehr offensichtlich ihre Zuneigung zeigten. Aber dadurch, dass er zum Beispiel in meinem Bett schlief.
Ich trank noch einmal von dem süßen Wein und stellte ihn dann zurück in den Kühlschrank. Mein Eis hatte ich ganz vergessen. Ich holte das Vanilleeis aus dem Gefrierfach und tat mir drei Kugeln Eis in die kleine Schüssel.
Vanilleeis war meine Liebingseissorte.
Ich stürzte es hinunter. Vielleicht hätte ich mir doch noch eine Tiefkühlpizza in den Ofen schieben sollen, aber, na gut.
Ich stand langsam von Boden auf und stellte die Schüssel mit dem Löffel einfach neben die Spüle.
Ich ging ins Bad und schloss die Tür ab. Ein wenig Paranoia spürte ich jetzt schon in mir aufkommen.
Ich versuchte es zu ignorieren.
Ich hatte die Tür abgesperrt. Niemand konnte hinein. Alles war gut.
Doch die Tatsache, dass ich das halluziniert hatte, machte es nicht besser. Scott hatte recht. Auch wenn es mir so unglaublich real vorgekommen war.
Ich hatte selbst schon Patienten mit Halluzinationen betreut und wusste, wie quälend es sein konnte.
Dass ich es einmal selbst erleben würde, hätte ich nicht gedacht.
Ich schlüpfte in meinen Pyjama und löste meine Haare aus dem Ballerina-Dutt. Meine Haare waren lang geworden. Ich kam ja nicht mehr dazu zum Frisör zu gehen, weil ich so ausgeplant war, mit Studium, Nebenjob und Scott.
Nachdem ich meine leicht gelockten Haare endlich mit meinem Tangle-Teezer entwirrt hatte, putzte ich mir eilig die Zähne.
Jetzt fuhr mein Körper langsam runter. Die Müdigkeit kroch in meine Knochen.
Ich flocht mir die Haare zu einem französischen Zopf und verließ das Bad.
Ich schaltete die Feenlichter ein und steuerte auf das Bett zu. Lucky hob den Kopf als ich näher kam und gurrte vor sich hin.
Ich blieb vor ihm stehen und beäugte meinen flauschigen Freund.
"Du benimmst dich zwar manchmal wie ein kleiner Mensch, aber du bist ein Kater, nicht wahr?"
Lucky blinzelte mich verschlafen an und gähnte, wobei er den Mund weit aufriss.
Ich kletterte ins Bett und zog die kuschelige Decke über meinen Körper und verfiel nach zwei geschlagenen Stunden in einen unruhigen Schlaf.
AN:
Das ist also das erste Kapitel.
Ich bin dein Kater -> Ich musste beim Schreiben so lachen ^^ Ich hoffe, ihr musstet auch schmunzeln.
Was ist euer Lieblingseis so?
Meines ist Mozart-Eis.
Anbei noch ein paar alte Coverversionen
LG, H.
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