[Mixtape Side B] - Waste it on me
Für die allersüßeste vminsbutterfly - you really made my day with your sweet comments, this update is for you <3
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Jung Hoseok hat die Bezeichnung bester Freund voraussichtlich nicht verdient. Ganz sicher ist sich Jeon Jungkook noch nicht, aber wenn das Lachen seines Gegenübers in den nächsten Sekunden nicht exponentiell abnimmt, wird er ihn aus diesem Stand entheben.
„Das ist NICHT lustig", presst Jungkook zwischen zusammengebissenen Zähnen knirschend hervor, doch seine Worte gehen im Gelächter verloren, verklingen ungehört, und sein armes, geschundenes Herz besitzt nicht die Kraft, sich inbrünstiger zu wiederholen.
Also lässt er sich ergeben rücklings auf sein Bett fallen und erträgt die Schmach, dass sein angeblich bester Freund unangebrachte Belustigung im Angesicht seiner Niederlage empfindet, noch etwas länger.
Hoseok hört gar nicht mehr auf zu lachen und jedes Mal, wenn er bemüht die Luft anhält, um etwas Produktiveres als sein lautes Wiehern wiederzugeben, wird er von dem nächsten Lachanfall gepackt. Irgendwann zucken auch Jungkooks Mundwinkel ungewollt nach oben und er greift blindlings nach seinem Kopfkissen, um es zumindest graduell in die Richtung zu werfen, in der er seinen Freund vermutet. „Hey", versucht er es noch einmal, „reicht jetzt. Wir haben alle verstanden, dass ich mich erbärmlich blamiert habe."
Ein stumpfer Aufprall und der abrupte Abfall der Lautstärke des Gelächters verraten Jungkook, dass sein Wurfgeschoss auch blind sein Ziel nicht verfehlt hat. Geschieht ihm Recht. „Und jetzt mach mal lieber was, was die Bezeichnung bester Freund auch verdient hat. Munter mich auf oder so. Mach mir Mut, schmiede zur Not auch den nächsten Plan mit mir, viel schlimmer kanns ja ohnehin nicht mehr werden, aber hör endlich auf so dämlich zu lachen!", beschwert sich Jungkook weiter, kann den amüsierten Tonfall aus seiner Stimme jedoch nicht gänzlich verbannen.
Er hört, wie sich Hoseok die Lachtränen aus den Augen wischt und schwer atmet. Scheinbar hat er sich endlich wieder unter Kontrolle. Unmöglich zu sagen, wie lange dieser Zustand andauern wird.
„Jungkook", erbarmt sich sein bester Freund dann doch noch zu einer Aussage, „du darfst mir das nicht so böse nehmen. Ich stell mir die ganze Szenerie einfach nur fantastisch vor. Ich wäre so gerne dabei gewesen."
„Um zu sehen, wie ich den Korb des Jahrhunderts kassiere?"
„Absolut. Und dich dafür noch vor Ort auszulachen."
„HOSEOK!"
„Ach was denn, ich hätte dich danach auch auf ein Stück Schokokuchen oder sowas eingeladen, um deine Laune wieder anzuheben. Ich bin ein verantwortungsvoller Hyung", behauptet Hoseok und ist immer noch bemüht darum, das Amüsement aus seiner Stimmlage zu verbannen. Ohne Erfolg.
„Du bist ein Arsch", deklariert Jungkook stattdessen. Das Grinsen in seiner Stimme verrät, dass er es nicht ansatzweise so ernst meint, wie er es gerne hätte.
„Ein Arsch, ohne den du vollkommen aufgeschmissen wärst."
„Ich bin auch mit dir vollkommen aufgeschmissen. Obwohl", überlegt der Jüngere und starrt bemüht angestrengt zur Decke, bevor er sich schwerfällig aufrichtet und das nächste Kissen nach seinem besten Freund wirft. Mit Blickkontakt trifft er genau ins Schwarze und genießt schadenfroh das erschrockene Gesicht von Hoseok, als ihn das Wurfgeschoss an der Stirn trifft. „Ich glaube, ich bin wegen dir aufgeschmissen. Wer hat mir denn den tollen Rat gegeben, dass ich ihn fragen soll, ob er mit mir ausgehen möchte? Hä? Wer von uns kam auf diese glorreiche Idee?"
„Es war eine großartige Idee", insistiert sein Freund. „Zumindest solange, bis du wie ein Trottel auf ihn zu gestolpert bist und ihn mit deinem Anliegen vollkommen überrumpelt hast."
„Ich hab vorher versucht, eine Unterhaltung aufzubauen!", verteidigt sich Jungkook.
„Versucht? Und als es nicht geklappt hat, kam es dir wie ein sicherer Plan vor, jetzt mit der Tür ins Haus zu fallen, ihm deine Verehrung zu gestehen und nach einem Date zu fragen? Es war sowas von sonnenklar, dass du mit der Nummer abblitzen wirst."
Jungkook lässt sich erneut erschöpft nach hinten fallen. Der kurze Moment des Triumphs ist zu schnell vorüber.
„Bla, bla, bla. Ich habs kapiert. Ich hab versagt und es ist unendlich lustig für dich. Krieg dich ein und hilf mir", fleht er verzweifelt und klingt dabei unabsichtlich ziemlich kratzbürstig. Frustration und Niederlagen konnte er noch nie sonderlich gut verkraften. Jungkook ist eigentlich ein Gewinnertyp.
„Was willst du denn jetzt tun? Die Sache ist doch klar."
„Ist sie das?"
„Na klar", besteht Hoseok auf seiner Meinung und wirft in einem schwachen Versuch das Kissen zurück zu Jungkook, der es mit einer lässigen Bewegung aus der Luft fischt, bevor es ihn treffen kann. Gewinnertyp halt.
„Du hast ihm diesen ultra kitschigen Zettel geschrieben und jetzt wartest du. Du hast ihn schon verschreckt und jetzt hör auf, ihn noch weiter zu verschrecken. Wart ab. Wenn er Interesse hat, antwortet er dir schon", belehrt ihn sein bester Freund.
„Also nichts tun?", erkundigt sich Jungkook fragend und wirft das Kissen gedankenverloren hoch, um es kurz darauf selbst wieder zu fangen. Auf und ab. Auf und ab.
Im Hintergrund läuft verloren So Far Away von Agust D aka Suga. Obwohl ihre Begegnung so vollkommen andersartig abgelaufen ist, als Jungkook zuvor antizipiert und vor allen Dingen gehofft hatte, fühlt er sich von seiner Musik nichtsdestotrotz verstanden.
„Nicht ganz", entgegnet Hoseok und zieht solange an den Socken von seinem Freund (das einzige Kleidungsstück, was er von seiner Position aus erreichen kann), bis er sich über dessen ungeteilte Aufmerksamkeit gewiss sein kann.
„Sondern?"
„Zocken natürlich. Muss den Moment deiner Schwäche auszunutzen, um dich fertigzumachen."
„Träum weiter", antwortet Jungkook, während er sich in derselben Bewegung aufrichtet, in der er auch den Controller fängt, dem ihm sein Gegenüber just in diesem Moment zuwirft. „Ich kann gar nicht so verzweifelt sein, dass ich gegen dich verliere", entgegnet er herausfordernd, auch wenn es in seinem Inneren ganz anders aussieht.
Der Jüngere ist nicht sonderlich überzeugt von den Aussagen seines Gegenübers. Die Enttäuschung nagt schwer an seinem Herzen und wenn er die Augen schließt, sieht er funkelnde schwarze Augen vor sich, die das Universum versprechen. Aber die Sterne sind zu weit entfernt, als dass er danach greifen könnte.
Als das Spiel beginnt, ist Jungkook jedoch dankbar für die Ablenkung.
Warten.
Das Wort fühlt sich fremd auf seiner Zunge an.
Jungkook will nicht warten. Aber was bleibt ihm anderes übrig?
Dream, you will fully bloom after all the hardships
Dream, though your beginnings may be humble, may the end be prosperous
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Am nächsten Tag ist Jungkook immer noch vom Schwermut seines Scheiterns erfüllt und kommt entsprechend lethargisch nach der Schule bei dem kleinen Musikladen an der Ecke an. Es ist das erste Mal seit Wochen, dass er nicht einschätzen kann, ob er den Weg wahrhaftig aus Determination oder nur noch aus Routine antritt. Vielleicht ist es Beides.
Als er die Tür öffnet, begrüßt ihn das mittlerweile vertraute Türklingeln und Bangs freundliches Lächeln. Von dem Mann in schwarz ist keine Spur zu sehen und auch hier ist Jungkook das erste Mal seit Wochen unsicher darüber, ob das nicht vielleicht etwas Gutes ist. (Die Unsicherheit hat ihn jedoch nicht davon abgehalten, sich die ganze Nacht Wachträumen hinzugeben, in denen Min Yoongi kapituliert, sich ihm hingibt, ihn begrüßt und seine Hand nimmt und sie gemeinsam nach Sternen tauchen, wenn sie gegenseitig in ihren Augen versinken.)
Nichts davon geschieht heute. Nicht mal in Ansatz. Langsam gewöhnt sich Jungkook an das abstrakte Phänomen namens Realität.
Er hat es nicht mal ganz zum Verkaufstresen geschafft, als ihn Bangs unbekümmerte, erste Worte entgegenwehen: „Er hat gestern noch nach dir gefragt." Das schelmische Grinsen des Verkäufers ist gesichtsbreit. Als könnte er ahnen, was die Worte in dem Jüngeren auslösen.
Er gefriert mitten in der Bewegung. Leichtfüßigkeit entsprach heute ohnehin nicht seinem Naturell, aber jetzt fühlt sich Jungkook plötzlich ganz bleischwer. Seine Beine knicken unter der Last dieser weltbedeutungsschweren Nachricht beinah zusammen.
Er traut sich gar nicht nachzufragen, weiß nicht, ob er das Urteil von Min Yoongi wirklich hören möchte. Oh Gott, Agust D kann Feuer spucken in seinen Reimen und verbrannte Asche hinterlassen. Für umfängliche verbale Destruktion ist Jungkook noch nicht wieder aufgelegt. Er leckt noch seine Wunden, platziert ein paar Flicken auf seinem Herzen und steckt in den Kinderschuhen für die Konzeption des nächsten Angriffs, der nächsten Mission. Er kann seine Hoffnung nicht vollumfänglich verlieren, wenn Yoongis Worte ihn nun in der Luft zerreißen.
Doch Jungkook braucht nicht zu fragen. Bang bemerkt sein Zögern, das völlige Innehalten seines Wesens, ohne dem die geringste Beachtung zu schenken. Er spricht einfach weiter:
„Er wollte wissen, seit wann ich unverschämt nervige kleine Schüler bei mir beschäftige", sein Grinsen wird noch breiter, verschwimmt beinah an den Konturen seines Gesichtes und vor Jungkooks Augen verzieht sich das Gesicht des Verkäufers zu einer gruseligen Fratze, die gerade dazu ansetzt, ihn mit seinen nächsten Worten zu verschlingen. Bei lebendigen Leib und blutenden Herzen.
Der Schüler verpasst sich innerlich eine kleine Ohrfeige, damit er konzentriert bleibt und sich nicht in abstrusen Horrorfantasien verliert. So schlimm wird es nicht werden, redet er sich selbst gut zu. Sie sind Seelenverwandte. Er buchstabiert, seziert das Worte für sich. Ganz egal, wie oft er es wiederholt, es wird nie an Bedeutung verlieren. Und Min Yoongi wird die Bedeutung noch zu erkennen lernen. Jungkook ist so vertieft in seiner schockerstarrten Gedankenwelt, dass die nächsten Worte beinah an ihm vorübergehen.
„Ich hab ihn darauf hingewiesen, dass du größer bist als er. Fand er gar nicht lustig. Ich glaub, er hat mich angeknurrt." Bang beginnt bei der Erinnerung an das Gespräch leicht zu glucksen. ZU GLUCKSEN! Jungkook ist kurz davor, den Verstand zu verlieren.
„Ach, jetzt guck mich doch nicht so an wie ein verstörtes Reh. Es war gar nicht so schlecht, was er über dich gesagt hat, ok? Und jetzt komm näher, damit ich dir die ganze Geschichte erzählen kann. Am Ende willst du es doch so oder so wissen"; unterbricht sich der Verkäufer in seiner eigenen Erzählung. Scheinbar macht es ihm keinen Spaß, die Begegnung zu rezipieren, wenn der Jüngere keinen Anteil daran nimmt.
GAR NICHT SO SCHLECHT ist jedoch das einzige, dass in Jungkooks Gehirn angekommen ist und sich nun verzweifelt an jedem Nervenende festhält. Gar nicht so schlecht bedeutet gleichzeitig auch gar nicht so gut, oder nicht? Denn wenn es nicht so wäre, dann hätte er doch sicherlich ein positiveres Attribut gewählt oder nicht? Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Min Yoongi die Begrifflichkeiten dazu gefehlt haben.
Gar nicht so schlecht ist alles und nichts zugleich. Eine nichtige Aussage. Für den Bruchteil einer Sekunde ist sich Jungkook sicher, dass Min Yoongi ihn verachtet. Es erscheint ihm wie die einzig logische Konsequenz seiner Aussage.
Schwerfällig schleppt sich Jungkook an den Verkaufstresen, sich sehr wohl bewusst darüber, dass Bang jeden seiner Schritte argwöhnisch begutachtet. Er wird ohnehin nicht drum herumkommen, sich die Geschichte des Verkäufers anzuhören. Jetzt, wo er von ihrer Existenz weiß, wird der Jüngere selbst keinen Schlaf mehr finden können, bis er sie bis ins kleinste Detail kennt.
„Okay", atmet er um Contenance bemüht langsam aus, „dann erzähl mir davon. Was hat er gesagt?"
„Geht doch", grinst Bang selbstzufrieden, „obwohl ich ein bisschen mehr Enthusiasmus von dir erwartet habe. Ich dachte, du bist ganz aus dem Häuschen, dass sich der große Min Yoongi über dich erkundigt hat."
„Das kommt ganz darauf an, wie sehr du mich blamiert hast", erwidert Jungkook dumpf.
„Überhaupt nicht, denke ich. Ich hab ihm, wie versprochen, deinen Zettel und die CD überreicht. Hab ihn außerdem darauf hingewiesen, dass du gar nicht bei mir arbeitest, sondern nur in meinem Laden auf ihn gewartet hast, weil du ihn unbedingt nochmal treffen wolltest."
„GEHT'S NOCH?", platzt Jungkook fassungslos dazwischen. „Das kannst du ihm doch nicht einfach so erzählen. Ich komm rüber wie ein abgedrehter Stalker." Er möchte im Boden versinken vor Scham.
Sein Gegenüber lässt sich seine empörten Worte kurz durch den Kopf gehen und nickt bedächtig dazu, insgesamt scheinen sie ihn jedoch nicht sonderlich zu berühren. Jungkook hätte ihm etwas mehr Empathie zugetraut, angesichts dieser erschütternden Blamage seiner Person.
„Möglich"; gibt Bang schließlich zu, „aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass er mir überhaupt großartig zugehört hat. Er hat zwar nachdenklich irgendwas in sich hineingebrummt, aber eigentlich war er auf deinen Zettel konzentriert."
Schlimmer kann es jetzt nicht mehr werden. Jungkook muss sich innerlich nicht mal mehr für die kommenden Worte wappnen. Seine Kapitulation ist bereits allumfänglich und in jeden Knochen seines Körpers gesickert. „Was hat er dazu gesagt?", zwingt sich der Schüler schließlich zu fragen, innerlich überlegend, ob die Antwort überhaupt noch irgendeine Relevanz besitzt.
„Nichts", zuckt Bang unbedarft mit den Schultern und wieder geht Jungkooks Temperament mit ihm durch.
„NICHTS?", wiederholt er aufgebracht. „Hast du nicht gesagt, dass die Konversation GAR NICHT SO SCHLECHT WAR? Willst du mich verarschen? Alles, was ich bisher gehört habe, war nicht gar nicht so schlecht – es war vernichtend. Auf allen Ebenen."
„Chill. Es ist ja nicht so, als hätte er danach gar nichts mehr gesagt. Er hat eben nur nicht auf deinen Zettel reagiert. War auch ziemlich unwahrscheinlich, dass er dir eine Liebesbotschaft zurückschreibt, wenn ich das mal so anmerken darf."
Jungkook wirft ihm einen liquidierenden Blick zu. Seine Augenbraue zuckt bereits bedrohlich nach oben und er weiß nicht, ob er sich auf den Boden werfen und heulen soll oder Bang zum Objekt seiner Frustration auserwählen soll, um alle seine schlechte Laune auf ihm abzuladen. Er beißt sich auf die Zunge, um den Verkäufer nicht noch einmal zu unterbrechen. Er muss die Geschichte jetzt bis zum Ende hören.
„Jedenfalls hat er dir geraten, dass du nicht jedem Wildfremden so offensiv deine Sexualität verkünden solltest. Homosexualität ist in Südkorea schließlich immer noch nicht in jeder Gesellschaftsschicht akzeptiert. Ich glaube, sein genauer Wortlaut war: Andere hätten ihm dafür die süße Fresse zu Brei geschlagen. Dann ist er gegangen. Aber er hat den Zettel mitgenommen. Und die CD auch."
„Entschuldige – und was an diesem Gespräch soll jetzt nicht ganz so schlecht verlaufen sein? Ich glaub, ich steh auf dem Schlauch", erkundigt sich Jungkook mit Grabesstimme, während er weiterhin nach dem passenden Adjektiv sucht, um die Situation angemessen zu beurteilen. Desaströs kommt der Sache nicht mal im Ansatz nahe.
„Hä?", erwidert Bang unelegant und ungläubig. „Das sind doch alles super Nachrichten."
Scheinbar liegt ihr Verständnis von super Nachrichten galaxienweit voneinander entfernt. Aber an dieser Stelle erspart er sich den Kommentar.
„Erstens: Er hätte sich nicht über dich erkundigt, wenn er so gar kein Interesse an dir hätte. Er hat gestern nicht mal etwas gekauft. Es gab also keinen Grund für ihn, ein Gespräch mit mir anzufangen. Und er hat es trotzdem getan. Wegen dir.
Zweitens: Er hat dich süß genannt. Zwar indirekt, aber das ist egal. Das Wort zählt. Das unterstützt meine These, dass sein Interesse nicht auf dem Nullpunkt liegen kann. Weißt du, ich kenn Yoongi echt schon ne Weile. Er öffnet seinen Mund niemals, um Smalltalk zu führen. Er spricht nur, wenn die Sache für ihn von Bedeutung ist. Oder was denkst du, warum das Einzige, worüber man sich wirklich gut mit ihm unterhalten kann, die Musik ist?
Und drittens: Er hat den Zettel eingesteckt und die CD mitgenommen. Jeder Tonträger ist für ihn heilig, deswegen wird ihn niemals einfach nur in die Ecke schmeißen. Was wiederum bedeutet, dass er sich das Lied anhören und dabei automatisch an dich denken wird."
„Okay, stop, stop, STOP", unterbricht Jungkook ihn jetzt. Sein Kopf raucht von der emotionalen Berg- und Talfahrt. Bis eben war er noch am Boden zerstört, aber Bangs Worte sind von einer sinnlogischen Konsequenz, die er nicht einfach ignorieren kann. Die Zweifel in seinem Kopf lassen sich jedoch nicht so mühelos abschütteln. Sie legen Protest gegen Bangs gesunden Optimismus ein und offerieren laut: „Und warum hat er mich dann so rabiat abgewiesen? Er hat sich nicht mal die Mühe gemacht, mich richtig anzusehen."
„Das weiß ich nicht Jungkook, echt nicht", muss der ältere Verkäufer resignierend zugeben. „Vielleicht traut er sich nicht. Yoongi war schon immer sehr introvertiert und vielleicht hast du ihn mit deiner offensiven Attacke schlicht und ergreifend überfordert. Dementsprechend bleibt abzuwarten, ob deine Nachricht ihm eine Reaktion entlockt. Das wär jedenfalls die hoffnungsvolle Erklärung."
„Und was ist die Alternative?", erkundigt sich Jungkook zermürbt.
Bang zuckt entschuldigend mit den Schultern. Es soll seinen nächsten Worten vermutlich die Schärfe nehmen. Tut es aber nicht. Sie treffen Jungkook trotzdem mit ungemilderter Brutalität mitten ins Herz.
„Vielleicht hat er schon jemand Anderen."
Bang scheint zu bemerken, wie schmerzhaft seine Worte für den Jüngeren sind, deswegen bemüht er sich unmittelbar anzuknüpfen. Diesmal mit einem aufmunterndem, kleinen Lächeln im Gesicht.
„Aber ich will dich jetzt auch hier nicht desillusionieren. Ich weiß es nicht, ok? Ich denke nur, dass es definitiv zu früh für dich ist, um aufzugeben. Ich dachte, ihr seid Seelenverwandte oder so? Dann sollte dir der Erfolg mehr Wert sein als einen läppischen Versuch."
Jungkook möchte ihm zustimmen. Wirklich. Aber die leise Stimme des Zweifels ist noch nicht verklungen und erzeugt Disharmonie in der Bilderbuchvorstellung der konfliktlosen Romanze zwischen ihm und dem Mann in schwarz. Natürlich sollte er nicht davor zurückschrecken, wenn sich die Realität nicht mit seinen Fantasiegebilden synchronisieren lässt. Aber die Diskrepanz zwischen sollen und realisieren ist so gewaltig, dass Jungkook die andere Seite nicht einmal erblicken kann.
„Mhm", nuschelt er deswegen in sich hinein, „da muss ich drüber nachdenken."
Der Verkäufer mustert ihn genaustens, seziert ihn mit seinen Blicken und entscheidet sich erst danach für eine wohlplatzierte Erwiderung.
„Und jetzt?", fragt er.
„Wie und jetzt? Jetzt geh ich nach Hause und denk drüber nach, was du gesagt hast", antwortet Jungkook patzig. Er ist überfordert mit seinen Empfindungen. Überfordert von dem unstillbaren Wunsch, Yoongi so schnell wie möglich wiederzusehen und der Angst, dasselbe Debakel noch einmal durchleben zu müssen.
„Und was ist, wenn er heute noch einmal hier auftaucht, weil er seine Antwort von gestern bereut? Soll ich ihm dann sagen, dass du gekniffen hast und es doch nicht ernst meinst?", provoziert ihn Bang, doch er meint es gut. Vielleicht schwingt da auch eine persönliche Note in seinem Gesagten mit, der Hauch von Selbsterlebtem und vielleicht Bereutem, eine Nuance von Bessermachen und Beistand für einen Freund, der so tapfer, Tag ein und Tag aus, auf sein dunkleres Pendant gewartet hat.
„Neee...", entgegnet Jungkook und lässt das Wort mit einem schweren Atemzug ziehen. Es fühlt sich ein wenig nach Loslassen an. Aber auch nach Neuanfang. Nur diesmal vielleicht ein bisschen realistischer und nicht mit dem Kopf himmelhoch in den Wolken versteckt.
„Sehr gut. An deinem Ausdruck arbeiten wir noch, aber immerhin schon mal die richtige Grundeinstellung", lobt ihn Bang mit funkelnden Augen und Jungkook ist sich doch nicht ganz sicher, inwiefern der Verkäufer aufrichtige Anteilnahme zeigt oder nicht doch nur seine eigene Sensationsneugierde befriedigen will. Ihm bleibt keine Zeit darüber nachzudenken, da Bang bereits weiterredet: „Und jetzt hier", er verweist auf zwei große Kartons, die sich hinter dem Verkaufstresen stapeln, „Das ist Neuware. Heute angekommen. Sie muss noch verräumt werden. Viel Spaß."
Der Schüler antwortet mit einem theatralischen Stöhnen. Viel wahrscheinlicher ist, dass Bang Yongguks wahre Handlungsmotivation, die ist, seine kostenlose Arbeitskraft noch etwas länger für sich zu beanspruchen.
Auf diese Weise vergehen auch die folgenden Tage. Jungkook betritt den kleinen Musikladen, nur um von einem bedauernden Kopfschüttelns seitens des Verkäufers begrüßt zu werden. Manchmal gesellt sich ein aufmunterndes Schulterklopfen zu den simplen Gesten seines Freundes, die nichts als stumme Anteilnahme ausdrücken sollen.
Jungkook hatte akzeptiert, dass er dem Älteren zum Dank verpflichtet war. In ihrem Gespräch fand er die Hoffnung wieder, die ihn selbst für einen kurzen Moment verlassen hatte. Aber solange andere noch an die mystische Verbindung zwischen ihm und dem Mann in schwarz glauben konnten, konnte er das jawohl mit Leichtigkeit. Selbst wenn Jeon Jungkook der letzte Gläubige wäre und als Märtyrer für seine Überzeugung sterben müsste, würde er weiter daran festhalten, dass Seelenverwandtschaft ein handfestes Konstrukt ist, welches ihn mit Min Yoongi verbindet. (So mancher könnte an dieser Stelle der Annahme erliegen, dass Jungkook durch die erstmalige Zurückweisung nun vollends dem Fanatismus erlegen ist. Einigen wir uns aber doch lieber darauf, dass Jeon Jungkook in seiner leidenschaftlichen Ambition lediglich zur Übertreibung neigt.)
Der Schüler befand sich nun unerschütterlich auf dem Boden der Tatsachen zurückgeholt und vielleicht genau deswegen, noch ein Stück determinierter in seiner Überzeugung. Nachdem er die tragischen Geschichten der klassischen Helden der Hochliteratur (die er weiterhin mit Inbrunst verehrte) von seinem eigenen Schicksal separiert hatte, war er bereit dazu in die schwarzen Abgründe einzutauchen, die ihm Yoongis Augen versprachen. (Es ist wohl redundant darauf hinzuweisen, dass Jungkook trotzdem die Überzeugung inhärent war, dass ihn in den dunklen Tiefen die Sterne und Galaxien erwarten würden, die ihm bereits Yoongis erster Blick offenbart hatte.)
Und wie ein rotes, vom Schicksal gewobenes Band nicht einfach durchtrennt werden kann, kann Jeon Jungkook nicht aufhören auf Min Yoongi zu warten.
Manchmal bildet er sich ein, in seinem peripheren Blickfeld einen schwarzen Schatten wahrzunehmen, der ihn beobachtet. Intuitiv verbindet sein Unterbewusstsein die Vorstellung mit Yoongi. Doch wenn Jungkook seinen Blick Richtung Fensterscheibe dreht, haben die vorbeiziehenden, grauen Gestalten nicht viel mit der bahnbrechenden Intensität gemein, die in Yoongis Gegenwart auf Jungkook einwirkt.
Auch das schicksalhafte Türläuten war dem ambitionierten Schüler kein weiteres Mal gnädig. Jedes kleines, melodiöses Klingen war einer anderen Präsenz geschuldet und verursachte in dem hoffnungsvollen Herzen nichts anderes als das Gefühl trockener Enttäuschung.
In seiner Verzweiflung hinterlässt er dem Verkäufer einen weiteren Zettel mit dem Auftrag, ihn an den Mann in schwarz zu überreichen, sollte er in seiner Abwesenheit das Musikgeschäft aufsuchen. Er hat die Entscheidung wahrlich nicht leichtfertig getroffen und letztendlich die Textzeile als veränderungsverheißend konstatiert, die sich intuitiv richtig anfühlte:
So if love is nothing more than just a waste of your time – tell me why not waste it on me?
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Es ist mittlerweile Anfang Januar. Sowohl Weihnachten als auch Neujahr sind an Jungkook vorbeigezogen, ohne die wunderverheißenden Versprechungen wahrzumachen. Silvester hat er mit seinem besten Freund Hoseok verbracht, der ihm um Mitternacht einen kameradschaftlichen Kuss aufgezwungen hat, bei dem er aufgrund des erhöhten Alkoholkonsums in halbgarer Treffsicherheit Jungkooks Lippen haarscharf verfehlte. Nicht das Jungkook besonders traurig über diese Tatsache gewesen ist... Und auch wenn die gelallten Worte Hoseoks ihre ursprüngliche Intension verfehlten und den einsamen Seelenverwandten nicht wirklich aufmuntern konnten, war er trotzdem endlos froh und dankbar über die Präsenz seines Freundes.
Alleine hätte er den nachtschwarzen Himmel über Daegu nicht betrachten können, ohne fortlaufend eine Verbindung zu Yoongis dunklen Augen herzustellen. In der Neujahrsnacht bedeckten schwere Wolken das Firmament und versperrten so jeden Versuch, auch nur das kleinste Funkeln eines Sterns aufzuschnappen. Jungkook kam nicht umhin, die Absenz der Sterne als unheilbringendes Omen aufzufassen. Alles was er tun konnte, war fest daran zu glauben, dass es nicht ihm galt, nicht ihm und seiner Verbindung zu Min Yoongi.
Früh am Morgen stolperte er Arm im Arm mit Hoseok nach Hause und geradewegs in ein neues Jahr. Sie sangen betrunkene Lieder, tanzten übermütig ihren Weg über leere Bordsteine und halbhohe Mauern hinweg. Und in seinem Bett fand Jungkook nicht nur Schlaf, er fand auch neue Hoffnung.
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Es dauert genau neun Tage im Januar, als Bang ihm breitgrinsend einen simplen, weißen Zettel überreicht. Er ist in der Mitte exakt einmal akkurat gefaltet. Jungkook hätte sich ein Weltwunder, ehrlich gesagt, weniger zurückhaltend vorgestellt.
Als er den Zettel aufklappt, geht er ganz behutsam vor. Beinah so, als hätte er Angst, einen geheimen Mechanismus auszulösen, der die enthaltene Botschaft zur sofortigen Selbstzerstörung animiert. Doch alles was er erblickt, sind ordentliche, eng aneinander gereihte Hangul-Zeichen, die Yoongis verbaler Zurückhaltung in nichts nachstehen. Doch die wenigen Worte bedeuten für Jungkook eine ganze Welt.
Magic Shop. Heute. 15:00 Uhr. EIN KAFFEE.
„Viel Glück", ruft Bang ihm noch grinsend hinterher, doch die zufallende Tür hinter Jungkook verschluckt seine Worte beinah bis zur Unkenntlichkeit. Es ist wahrscheinlich ziemlich unhöflich, dem älteren Verkäufer nichtssagend den Rücken zuzuwenden und schnellstmöglich aus dem Geschäft zu verschwinden, aber Jungkook kann sich derzeit nicht weniger für seine unmöglichen Allüren interessieren.
Nachdem er den Zettel gelesen hat, schlug sein Herz einen nicht zu verachtenden Looping. Dreifach. Mindestens. Und bis die Paniksignale seiner Synapsen in sein Gehirn vordringen konnten, hatte sich sein Blick schon verselbständigt und auf der großen Uhr hinter Bang die momentane Uhrzeit abgelesen.
14:37 Uhr.
Shit.
Jungkook muss sich beeilen, wenn er noch rechtzeitig im Magic Shop ankommen will. Deswegen bleibt leider keine Zeit für eine Erklärung. Jungkook wird es nachholen, sobald er die Gelegenheit dazu erhält.
Jetzt zählen andere Dinge und er läuft, als würde sein Leben davon abhängig sein und irgendwie ist es das vielleicht auch. Denn der Schüler konnte sich der penetranten Vorahnung nicht verwehren, dass der Mann in schwarz nicht auf ihn warten und es eine nächste Chance womöglich nicht geben würde.
Jungkook ist pünktlich. Eigentlich ist er sogar zu früh, 14:57 Uhr. Er nimmt sich deswegen die Zeit, sein Erscheinungsbild in dem großen Spiegel zu überprüfen, der den Ein- und Ausgangsbereichs des Cafés optisch vergrößern soll. Seine Haare sind durch den Wind noch zerzauster als sonst, es haben sich sogar kleine Locken und Wellen gebildet. Zwei, drei kurze Handgriffe bestätigen, was Jungkook bereits befürchtet hatte: nichts zu machen. Seine Haare sind in den vergangenen Monaten zu lang geworden und führen nun ihr autonomes und rebellisches Eigenleben. Jungkook hat nicht mal ein Haargummi dabei, um sie zumindest irgendwie in Form zu bringen. Auch die Schuluniform ist womöglich nicht das Kleidungsstück, was seine Vorzüge am meisten betont. Er zieht das Schuljackett aus und knöpft die oberen Knöpfe des darunterliegenden Hemdes auf, um wenigstens ansatzweise das Gefühl von Gemütlichkeit zu vermitteln.
Er ist verschwitzt und leicht außer Atem (schließlich ist er den ganzen Weg hierhin gerannt). Seine Wangen sind noch etwas gerötet vor Kälte und der Anstrengung. In seinen Augen liegt ein vorfreudiges Glitzern. Jungkook atmet tief durch und streicht sich mit einer letzten, verzweifelten Geste durch die Haare. Er möchte einen lässigen Eindruck auf den Mann in schwarz machen, doch sein Spiegelbild verhöhnt mit dem gewöhnlichen Look eines aufgeregten Schülers.
Als Jungkook gerade an einem der vorderen Tische Platz nehmen möchte, entdeckt er Yoongi, der bereits im hinteren Abteil des Cafés sitzt, da, wo die Pärchen normalerweise Platz nehmen, um während einer Verabredung ungestört zu sein. Yoongi ist sich seiner Umgebung scheinbar nicht bewusst. Sein Blick ist leer und starr aus der Fensterscheibe gerichtet, während er gedankenverloren auf einem Strohhalm herumkaut.
Es ist mittlerweile so viel Zeit vergangen, seit er Yoongi das letzte Mal gesehen hat, dass er für einen Moment glaubt, dass Abbild vor ihm sei nur eine Fata Morgana. Doch auch als Jungkook sich nähert, verschwimmen die Ränder der Gestalt nicht zu unklaren Konturen, sondern verfestigen sich nur in ihrer Beständigkeit. Der Mann vor ihm ist kein Fantasiegespinst. Er ist real und Jungkooks Herz klopft in doppelter Geschwindigkeit weiter.
Min Yoongi hat sich seit ihrem letzten Aufeinandertreffen kaum verändert. Seine gesamte Positur drückt immer noch Abwehr und mildes Desinteresse aus. Seine Kleidung besteht aus schweren, schwarzen Stoffen. Sicherlich auch, um den abschreckenden Winterwetter dieser grauen Stadt zu trotzen. Aber viel mehr trägt er die Farbe wohl, um eine inhärente Haltung auch nach außen hin zu visualisieren. Es hat sich nichts geändert. Nur die Augenringe. Die sind noch dunkler geworden und verleihen seinem gesamten Wesen nun den Charme eines verzweifelten Poeten.
Wie er so dasitzt – gedankenverloren, einsam in seinem Kaffee rührend, bleich wie Mamor und mit diesen dunkeltiefen Schatten im Gesicht – wirkt er fast ätherisch. Oder wie eine Statur. Unnahbar, unantastbar, unzerstörbar. Die Realität und die kalte Welt außerhalb der Fensterscheibe ziehen an ihm vorüber, ohne ihre Spuren zu hinterlassen. Er wirkt nicht so, als würde er hier hingehören. Und Jungkook ist sich unsicher darüber, ob er die Einschätzung nur trifft, weil er Yoongi als seinen Seelenverwandten zu romantisieren neigt oder lediglich eine objektive Einschätzung des distanzierten Charakters vor sich trifft.
Der Mann ist so vertieft darin, sich vor der Außenwelt abzuschotten, dass er Jungkooks Auftreten bislang nicht bemerkt hat. Auf dem Tisch vor ihm liegen große, ebenso schwarze Kopfhörer. Für einen kurzen Moment erlaubt er sich, darüber nachzudenken, welche Musik vielleicht noch vor wenigen Sekunden durch die verdrahteten Lautstärker gedrungen ist.
Jungkooks Herz klopft im Gleichklang zu rap god und er betet inständig darum, dass ihm nicht schon wieder die Worte fehlen mögen, wenn er sich gleich zu dem Älteren an den Tisch setzt.
„Du bist zu früh", begrüßt Jungkook seinen Seelenverwandten, weil es das Erste ist, was ihm in den Sinn kommt, weil es ihn überrascht und er die Konversation nicht erneut mit einem belanglosen hey initiieren möchte.
„Ich wollte die Chance haben, wieder zu gehen, bevor du hier bist", entgegnet Yoongi, ohne aufzublicken, aber seine Augen klaren dabei auf, die Schatten verziehen sich und er kehrt zurück in die Gegenwart.
„Die hast du jetzt versäumt."
„Ich sehe es. "
„Schlimm?", erkundigt sich Jungkook.
„Ein wenig."
„Aber du hast mich doch eingeladen."
„Du hast noch nicht einmal, was zu trinken bestellt. Also kann man kaum von einer Einladung sprechen."
„Okay, dann hast du mich halt hergebeten. Kommt aufs Gleiche raus."
„Ich denke, es besteht eine gravierende Differenz zwischen einer Einladung und einer Aufforderung zu erscheinen. Es ist nicht das Gleiche."
„Ich hab auch nicht behauptet, dass es das Gleiche ist, sondern lediglich angemerkt, dass derselbe Umstand daraus resultiert. Nämlich, dass wir jetzt zusammen an einem Tisch sitzen."
„Ich hab dich nicht gebeten Platz zu nehmen."
„Das musstest du auch nicht. Der freie Stuhl war Aufforderung genug."
„Ist das nicht unhöflich... Jungkook? Ist das richtig?"
„Und ist es nicht ebenso unhöflich, sich nicht einmal den Namen desjenigen zu merken, den man auf ein Date eingeladen hat?"
„Das hier ist kein Date."
„Aber es könnte eins werden."
Ihr Gespräch wird unweigerlich pausiert, als die Bedienung an ihren Tisch tritt und sich mit einer höflichen Verbeugung erkundigt, was der Neuankömmling trinken möchte. Jungkook bestellt einen Vanille-Milchshake mit Karamellsoße und extra Sahne. Er braucht Zucker gegen die Aufregung und sein durchdrehendes Herz. Er kann nicht glauben, dass er sich tatsächlich mit Min Yoongi unterhält. Er ist viel weniger wortkarg, als Bang ihn beschrieben hat. (Das liegt an ihrer schicksalhaften Konstellation, ist sich Jungkook sicher.)
„Jeon Jungkook."
„Mh?"
„Na, du warst dir doch nicht mehr ganz sicher, wie ich heiße. Ich bin Jeon Jungkook."
„Min Yoongi."
„Ich weiß."
„Ich muss gar nicht fragen woher, oder? Bang, diese alte Plaudertasche."
„So viel hat er gar nicht erzählt."
„So viel? Was hat er denn erzählt?"
„Wie du heißt. Dass du öfter in den Laden kommst und schon seit Jahren Kunde bist. Und dass du selbst Musik machst, Agust D."
Yoongi verzieht das Gesicht bei der Nennung seines Pseudonyms zu einer gequälten Grimasse. Jungkook bereut seine Worte sofort, doch der Mann in schwarz setzt ihren Dialog so unmittelbar fort, dass ihm nicht viel Zeit zum Bereuen bleibt.
„Ich bin schon lange nicht mehr Agust D."
„Und wer bist du jetzt?"
Yoongi zuckt mit den Schultern und zieht an seinem Strohhalm, um etwas Zeit zu gewinnen. Jungkook war sich nicht bewusst darüber, welch elementare Frage er gestellt hatte, bis sie seinen Mund verließ. Jetzt ist es zu spät, die Worte zurückzunehmen.
Stille breitet sich zwischen ihnen aus und über Yoongis Augen legt sich schon wieder dieser dunkle Schatten, den der Schüler schon zu Beginn des Gespräches bemerkt hatte. Das Schweigen ist nicht unangenehm. Jungkook möchte die Atmosphäre nicht durch eine weitere, unbedachte Aussage zerstören, also lässt er seinem Mann in schwarz alle Zeit der Welt, um eine Antwort zu finden. Er genießt es, ihn dabei zu beobachten und ab und an einen Schluck seines eigenen Getränks zu verzehren, was zwischenzeitlich an ihren Tisch geliefert wurde. Nicht, dass auch nur einer der beiden große Notiz davon genommen hätte.
„Yoongi", zuckt sein Gegenüber schließlich kraftlos mit den Schultern. „Einfach nur Yoongi, schätze ich. Manchmal vielleicht Suga."
„Suga?"
„Wenn es ums Musikalische geht, dann bin ich manchmal Suga."
„Machst du noch Musik? Du hast lange nichts mehr veröffentlicht."
„Ich...", Yoongi verschluckt sich beinah an den Worten, so schwerfällig fallen sie über seine Lippen. „... arbeite an Etwas", beendet er seine Aussage wenig eindeutig. Und setzt sofort nach, um den unangenehmen Thema zu entkommen, bevor es ihn auffressen kann.
„Wer hat dir eigentlich erlaubt, so forsch zu sein, Jeon Jungkook?"
„Ich bin nicht forsch, ich bin bloß neugierig."
„Und? Ist deine Neugierde nun befriedigt?"
„Nicht mal ansatzweise."
„Aber du weißt doch schon so viel über mich. Viel mehr gibt es nicht zu wissen."
„Ich bin sicher, wir haben nicht mal partiell den Umfang von dem gestreift, was es über dich zu wissen gibt."
„Wie dem auch sei. Unterhalte mich, Jeon Jungkook. Erzähl mir was von dir."
„Was möchtest du wissen?", erkundigt sich der Jüngere, um seinen Seelenverwandten nicht mit banalen Steckbriefinformationen über sich selbst zu langweilen. Diese Begegnung ist so konträr zu banal, wie es nur sein kann. Es wäre anmaßend, diesem Umstand nicht mit der entsprechenden Würdigung zu begegnen.
„Erzähl mir, wie du darauf kamst, dass Liebe für mich nur Zeitverschwendung ist. Oder warum hast du die Notiz für mich geschrieben?"
„Ich hab gedacht, dass das der einzige Grund dafür sein kann, dass du nein zu mir gesagt hast."
„Und du bist nicht auf die Idee gekommen, dass ich nein gesagt habe, weil ich kein Interesse an dir habe?"
„Dann hättest du das sicher gesagt."
„Aber das ich denke, dass Liebe Zeitverschwendung ist, hätte ich nicht gesagt?"
„Jeder sagt Ich hab kein Interesse an dir oder Sorry, ich steh einfach nicht auf dich. Aber niemand sagt, dass er kein Interesse an der Liebe hat."
„Das klingt nicht sonderlich realistisch."
„Stört mich nicht. Ich war schon immer Optimist."
„Eher naiv."
„Ich nenne es ambitioniert."
„Bist du für dein Alter nicht ein klein wenig zu überzeugt von dir?"
„Ich bin nicht überzeugt von mir. Ich bin überzeugt von uns."
„Von uns?", echote Yoongi ungläubig. „Welches uns? Es gibt kein uns."
„Noch nicht", entgegnet Jungkook gelassen. Das Gespräch fällt ihm deutlich leichter, als er zuvor antizipiert hatte. Sie spielen sich gegenseitig den Ball zu, wie ein langeingeübtes Team. Und was auf den ersten Blick vielleicht wie ein Disput wirkt, ist einfach nur der Nachhall ihres Feuers und ihrer Leidenschaft. Der Jüngere ist sich dem Moment absolut bewusst, hypersensibel für jeden Zwischenton von Yoongis Gestik, Mimik und Modulation.
„Was nicht ist, kann ja noch werden", ergänzt der Schüler seine vorherige Aussage und wundert sich selbst, über das eigenartige Selbstbewusst sein, was ihn in Besitz genommen hat. (Es muss an der Gegenwart von Yoongi liegen. Es ist ganz natürlich, dass man in der Gegenwart seines fehlenden Seelenstücks neue Seiten an sich entdeckt. Denn man wird ja komplementiert, ist das erste Mal im Leben ein Ganzes. Und endlich nicht weiter auf der Suche.)
„Okay, Jeon Jungkook. Was genau willst du von mir?"
„Alles."
Zum Glück klingt er wesentlich selbstsicherer, als er sich eigentlich fühlt.
„Wie alles? Werde präziser in deinen Aussagen. Du kennst mich doch gar nicht."
„Aber ich will dich kennenlernen. Ich denke, dass wir..." und an dieser Stelle muss Jungkook einmal tief durchatmen, um die folgenden Worte geeignet zu präparieren, ihnen die Schwere zu nehmen, die ihnen genuin anhaftet. In den letzten Dialogen, die er über dieses Thema geführt hat – mit Bang und Hoseok – wurde er zweifelnd angeschaut, als er das Wort in den Mund nahm, was ihn unweigerlich mit Yoongi verbindet. Es war ihm bislang immer leichtgefallen, weil er von der existentiellen Bedeutung dieser fünf Silben überzeugt war. Aber nun galt es, auch den Mann in schwarz mit seiner Obsession anzustecken.
„... dass wir Seelenverwandte sind", beendet er schließlich seine Aussage.
Jetzt ist es raus und auch wenn es auf den ersten Blick irrsinnig erscheinen mag, ist Jungkook doch von dem Konzept der Seelenverbundenheit ganzheitlich überzeugt. Die Vorstellung hat sein gesamtes Denken und sein Herz infiltriert und er will sie mit Yoongi teilen. Will alles mit ihm teilen. So unbedingt.
Sein Gegenüber mustert ihn schweigend. Der Blickkontakt zwischen ihnen erweitert sich ganz natürlich zu einem extravaganten Blickduell, bei dem keiner als erstes die Kapitulation verkünden will.
Jungkook findet in Yoongis Augen, die jetzt nicht mehr schattenverhangen sind, sondern ihm hell und funkelnd, wie schwarze Obsidiane, entgegenstrahlen, Antworten auf so manch existentielle Frage. (Es verwundert ihn nicht einmal sonderlich. Yoongis Augen hatten von Anfang an ein neues Universum für ihn bedeutet.) Plötzlich weiß Jungkook, warum er hier ist, was er in seinem Leben noch erreichen möchte und vor allen Dingen weiß er, dass all die Bücher über Liebe, all die Gedichte und die Lieder, alle nur für Min Yoongi und ihn geschrieben wurden.
„Meinst du das ernst? Oder verarschst du mich?"
Jungkook nickt entschieden.
„Ich weiß nicht, ob ich jemals zuvor, etwas so ernstgemeint habe."
„Und ich weiß nicht, ob ich dir das abkaufen kann."
Yoongis tiefer Bariton verursacht eine ganzheitliche Gänsehaut auf seinem Körper. Er ist angespannt und hat sich unwillkürlich aufrechter hingesetzt. Seine nächsten Worte werden entscheidend darüber sein, ob der Mann in schwarz ihm glaubt und ihm eine Chance einräumt, eine richtige Chance, nicht nur ein zweitrangiges Treffen in einem Kaffeeshop, das zeitlich beinah unmöglich einzuhalten war. Oder sich von ihm abwendet und Jungkook es erst in einigen Wochen erneut probieren kann (er wird schließlich Zeit benötigen, um seine Wunden zu lecken, die dieses Mal um einiges tiefer sein werden als noch zu vor, denn meine Güte, er ist so nah dran).
Aber wie immer, wenn man nach den richtigen Worten sucht, weil sie gerade so absolut notwendig sind, findet er sie nicht. Und so muss sich Jungkook mit einem milden: „Wie kann ich es dir beweisen?", zufriedengeben. In seinen Tonfall keine Verzweiflung. Nur Ehrgeiz. (Hoffentlich.)
„Müsstest du das nicht eigentlich selbst wissen?", fragt ihn Yoongi provokativ, „Wenn du wirklich mein Seelenverwandter bist? Müsstest du dann nicht intuitiv spüren, wie du mich überzeugen kannst?"
„Ein Date", schlägt Jungkook schließlich erneut vor. Diesmal mit mehr Determination in der Stimme, als er sich in dem kleinen Musikladen jemals zugetraut hätte. „Ich werde mehr Zeit brauchen, um dich davon zu überzeugen. Der Ort, der Anlass, die Vorbereitung. Das alles hier ist nicht ausreichend, um dich von meiner intrinsischen Ansicht zu überzeugen."
Yoongi wartet einen Moment. Sucht in seinen Augen nach einem Anflug von Schalk, von Unsicherheit oder von Zweifel. Doch er findet nichts davon. In Jungkooks Herzen brennt nichts als das gravierende Konzept der Seelenverwandtschaft.
Und schließlich nickt der Mann in schwarz tatsächlich. Langsam. Bedächtig. Ein wenig ungewiss, ob er sich der Tragweite seiner Entscheidung bereits bewusst ist.
„Wirst du mich beeindrucken, Jeon Jungkook?", fragt er herausfordernd.
„Das werde ich", antwortet der Jüngere im Herzton der Überzeugung.
„Dann komme ich mit."
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