[Mixtape Side B] - Lost Stars
Jeon Jungkook hört seit einer Woche ununterbrochen Eminems The Marshell Mathers 2. Zunächst ist er etwas abgeschreckt von der aggressiven Stimmlage, den wütend ausgespuckten Worten, dem dröhnenden Bass und den harten Beats. Eminems Musik hat nicht viel mit dem gemein, was Jungkook ansonsten hört. Verspielte Klänge, sanfte Melodien, berauschende Worte und sinnliche Stimmen. Daraus bestand das Gebiet, in dem sich der Neunzehnjährige bislang auskannte. Lieder, die von Liebe singen, die hat er am liebsten.
Und dann kommt ein amerikanischer, weißer Rapper daher, betitelt sich als Rap God, weil why be a king when you can be a god? und zerstört mit ein paar groben Vocals das romantisierte Bild, welches sich Jungkook bisher von Musik gemacht hat. Klar, war ihm vorher bewusst, dass er sich mit Hip-Hop auf einem ganz neuen musikalischen Kontinent bewegt und dass ihm eine härtere Ausdrucksweise bevorsteht, als er sie bislang gewöhnt ist, aber musste es gleich so derb sein?
Nun gut, er wäre nicht Jeon Jungkook, wenn er schnell aufgeben würde. Seine Hartnäckigkeit ist schließlich eine seiner prominentesten Eigenschaften. Und da ihm das Album von der Liebe seines Lebens empfohlen wurde, muss mehr dahinterstecken, als vulgäre Reime und diffamierende Beleidigungen.
Also hört er das Album so oft, bis er auswendig aufsagen kann, in welcher Reihenfolge sich die einzelnen Tracks darauf befinden.
Er hört das Album so oft, bis er den Refrain und einzelne Teile der Strophen auswendig kennt.
Und schließlich hat er das Album so oft gehört, dass er die Poesie hinter den provokanten Raplines entdeckt. Und als er sie findet, verliert er sich genauso darin, wie in den sanften Klängen seiner Liebeslieder. Denn im Endeffekt sind Eminems Tracks nicht anderes – eine Hymne an die Liebe, nur anders ausgedrückt, denn vielleicht sind es Hymnen an die Selbstliebe, den Glauben in die eigenen Fähigkeiten und der persistente Widerstand gegen alles, was einen auf dem Boden liegend sehen will.
Die aggressive Stimmlage enttarnt sich als Leidenschaft, die wütend ausgespuckten Worte tropfen kraftvolle Intensität in jede Zelle seines Gehörgangs. Natürlich ist da immer noch Wut, aber eben auch Kampfwille, Entschlossenheit, Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein.
Und genau das braucht Jeon Jungkook in diesen Tagen, denn er hat eine Mission: Er muss Min Yoongi nach einem Date fragen.
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Mit hämmernden Beats und Herzen betritt Jungkook am darauffolgenden Tag erneut das kleine Musikgeschäft. Der Nachmittagsunterricht ist seit zwei Stunden vorbei und er hat die Zwischenzeit damit verbracht, seine Aufgaben für den morgigen Tag zu erledigen. Außerdem hat er noch eine Kleinigkeit gegessen, denn er hat vor, den gesamten restlichen Abend im Laden auf den Mann in schwarz zu warten. Seinen Eltern hat er gesagt, dass er später nach Hause kommen wird, weil er den Tag mit Hoseok verbringt. Jungkook ist zuversichtlich, dass er Yoongi heute noch antreffen wird. Schließlich ist es Schicksal.
Er begrüßt Bang, den Besitzer des Musikgeschäfts, mit einem knappen Knopfnicken. Für mehr fühlt er sich gerade nicht in der Lage, denn er ist aufgeregt und muss fokussiert bleiben. Stattdessen nimmt er seine Kopfhörer ab und beendet damit die Dauerbeschallung durch Bad Guy. Das tut ihm ein wenig leid, denn schließlich verlieht ihm der Song Selbstbewusstsein. Seine Füße tragen ihn automatisch in Richtung der angestrebten Abteilung: Hip-Hop. Denn hier ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass er Yoongi nicht verpassen wird.
Diesmal hat sich Jungkook einen Plan überlegt, um nicht wieder so unvorbereitet und wortlos dazustehen, wie beim letzten Mal. Wenn sein Traummann den Laden betritt, wird sich der Jüngere wie selbstverständlich zu ihm umdrehen und ihn begrüßen (schließlich sind sie ja bereits so etwas wie Bekannte). Daraufhin wird er sich für die gute Empfehlung bedanken (höflich und mit einer tiefen Verbeugung, denn er hat schließlich eine anständige Erziehung genossen) und Yoongi wird sich dafür entschuldigen, dass er das letzte Mal so einen genervten Eindruck gemacht hat, er hat es gar nicht so gemeint und nur einen stressigen Tag gehabt oder so ähnlich wird er sein Verhalten begründen. Und Jungkook wird erklären, dass das wirklich gar kein Problem war und das er ihn ja als kleine Entschädigung auf einen Kaffee einladen könnte, in dem Café gegenüber. Wahlweise würde er seinen Kaffee natürlich auch selbst bezahlen. Es ist im Endeffekt nur wichtig, dass sie gemeinsam diesen Laden wieder verlassen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass sein Plan aus drei einfachen Schritten besteht (und ja, er hatte diesen Plan eventuell mit Hoseok entwickelt, der an solche Dinge immer etwas strategischer rangeht als Jungkook selbst):
1) Lokalisierung des Zielobjektes
2) Kommunikation mit Zielobjekt herstellen
3) Offensive Konfrontation des Zielobjektes mit dem Missionsziel
So weit, so gut.
Jungkook hat sich an einer strategisch günstigen Stelle am Einsatzort positioniert und muss jetzt nur noch das Auftauchen des black targets (aka Min Yoongi aka Hoseok zockt wahrscheinlich zu viele Egoshooter) abwarten.
Um die Wartezeit zu verkürzen, vertieft sich Jungkook in die Betrachtung unterschiedlicher CDs und als bereits nach ein paar Minuten tatsächlich das ersehnte Türklingeln ertönt, erleidet er beinah einen kleinen Herzstillstand, nur damit das stolpernde Organ bereits im nächsten Moment in der doppelten Geschwindigkeit weiterschlagen kann. Seine Atemfrequenz erhöht sich zwar, aber mit unerschütterlichem Willen zwingt er sich zur Ruhe. Er ist ein Kämpfer und das hier ist seine Mission. Bevor er sich umdrehen kann, zeigt ihm seine blühende Fantasie bereits, wie das Wiedersehen und Wiedererkennen ablaufen wird. Die einzelnen Szenen kennt Jungkook schon ziemlich genau. Sie liefen in den letzten Vorstellungen seines Kopfkinos.
Also nimmt er einen letzten, tiefen Atemzug und dreht sich herum.
Die Enttäuschung schmeckt so bitter wie ein knapp verpasster Sieg bei einem Hürdenlauf. Zwei kichernde Schulmädchen haben den Musikladen betreten und befinden sich bereits mitten in einem Gespräch mit Bang, der die Beiden sofort mit seinem Bad-Boy-Außenseiter-Charme bezirzt. Verkaufsstrategie, nennt er das bestimmt.
Falsche Kundschaft, sagt Jungkook dazu. Nicht der Mühe und vor allen Dingen nicht der Aufregung wert, die sein schnellschlagendes Herz immer noch in seinem Nervensystem verursacht.
Er wendet sich deswegen erneut dem Sortiment der Hip-Hop-Abteilung zu und betrachtet neugierig die ganzen unterschiedlichen Cover des neu-entdeckten Musikkontinents. Damit wird er sich eine Weile beschäftigen können. Und er ist immer noch optimistisch, dass er nicht allzu lange auf das Erscheinen von Yoongi wird warten müssen. Ein schicksalhaftes Läuten hat ihre erste Begegnung angekündigt und das gleiche Läuten wird ihm zeitnah ein zweites Treffen symbolisieren. Jungkook muss nur noch ein klein wenig mehr Geduld haben. Zumindest sieht so seine Traumvorstellung aus.
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Nach mehreren Tagen und unzählige Türklingeln später, muss Jungkook einsehen, dass die Realität anders aussieht.
Denn die Realität besteht aus Bang Yongguk statt Min Yoongi, der Jungkook jeden Tag stetig freundlich lächelnd im Laden erwartet und begrüßt. Er guckt zwar jedes Mal etwas skeptischer, wenn der Jüngere mit der Pünktlichkeit eines Schweizer Uhrwerkes nach der Schule bei ihm vorbeischaut, aber ansonsten sagt der Ladeninhaber nichts weiter dazu.
Es dauert exakt sieben Tage (in denen Jungkook vergeblich auf die Ankunft seines Seelenverwandten wartet), bis Bang ihn auf sein ungewöhnliches Verhalten anspricht.
„Hey", sagt er vorsichtig, aber mit dem gleichen freundlichen Lächeln wie immer, „kennst du das Sortiment nicht mittlerweile schon auswendig?"
Jungkook befindet sich erneut in der Abteilung für Hip-Hop.
Er seufzt als Antwort. Tief und innig und so, so ernstgemeint und eigentlich hat er schon viel früher mit einer solchen Nachfrage gerechnet. Denn mittlerweile ist er fast verzweifelt, aber auf jeden Fall frustriert und wirklich, wirklich ungeduldig. Deswegen lässt er sich dazu hinreißen, etwas ehrlicher zu antworten, als er es noch vor drei Tagen getan hätte.
„Ich bin gar nicht wegen dem Sortiment hier", erklärt er schwammig und ein Hauch der empfundenen Frustration lässt sich in seiner Stimmlage nicht unterdrücken.
Bang sieht überhaupt nicht überrascht aus, wahrscheinlich hat er mittlerweile damit gerechnet. Vielleicht hat er nur so lange mit einer Nachfrage gewartet, weil er davon ausgegangen ist, dass Jungkook schon zu ihm kommen wird, wenn er über irgendetwas sprechen möchte. Auch jetzt wirkt er ein bisschen mitfühlend, aber hauptsächlich wohl neugierig, auf jeden Fall mustert er sein jüngeres Gegenüber mit aufmerksam-funkelnden Augen.
„Das hab ich mir schon gedacht. Die Frage ist, was stattdessen los ist. Hast du Stress Zuhause und kommst deswegen jeden Tag nach der Schule her?"
Jungkook ist für einen kurzen Moment versucht zu lügen und die Ausrede anzunehmen, die der Ladenbesitzer ihm so freizügig vor die Füße wirft. Aber dann erinnert er sich an seine Mission, an sein Ziel und an schwarze Augen voller Sterne und er weiß, dass er mit Lügen keine Fortschritte machen wird. Mit der Wahrheit aber vielleicht schon und, mein Gott, warum eigentlich nicht. Bang wird ihn schon nicht für einen verrückten Stalker halten (hoffentlich. Und obwohl Jungkook wohl genau das ist, zumindest laut Aussage von Hoseok).
„Ich warte auf Yoongi", tastet er sich vorsichtig an das eigentliche Thema heran. Man muss ja nicht immer direkt mit der Tür ins Haus fallen (obwohl mit dem Kopf durch die Wand und mit dem Herz auf der Zunge schon immer viel mehr Jungkooks Temperament entsprach). Bang scheint jedenfalls schon damit zu rechnen, dass das nicht alles sein kann und irgendwie ist es ja auch keine Erklärung dafür, dass der andere seit neustem seine komplette Freizeit in dem Musikgeschäft verbringt. Also schweigt er beharrlich und betrachtet ihn weiter mit diesen neugierig-aufmerksamen Blick, der irgendwo auf der Schwelle zwischen mitfühlend und amüsiert steckengeblieben ist.
Jungkook muss sich räuspern, damit seine Stimmbänder nicht mehr ganz so belegt sind, bevor er weitersprechen kann. „Wir sind nicht verabredet oder so", versucht er zu erklären.
Bangs Blick überschreitet die Grenze und funkelt ihm nun offen amüsiert entgegen und als der Jüngere mit einem Zähneknirschen antwortet, statt weiterzusprechen, lässt er sich doch zu einem weiteren Kommentar hinreißen:
„Aber du wärst gerne mit ihm verabredet?", erkundigt sich Bang neugierig. Es klingt nicht wirklich nach einer Frage.
„Mhm", macht Jungkook unbestimmt. Wenn er nur nicht so verdammt frustriert und ungeduldig wäre, dann könnte er bestimmt weniger offensichtlich mit dem Verkäufer über sein Vorhaben sprechen. Vielleicht unauffällig ein paar Informationen über den Mann in schwarz erhaschen, anstatt dafür sein ganzes Herz offen legen zu müssen. Er geht zwar nicht davon aus, dass Bang ein Problem mit seiner Sexualität haben wird (er wirkt generell nicht so, als würde er sich etwas aus gesellschaftlichen Konventionen machen), aber im Endeffekt kann man es vorher nie zu 100 Prozent wissen und bislang hat sich Jungkook noch nicht vor allzu vielen Personen geoutet. Vor seinem besten Freund – klar. Er war der Erste, mit dem er jemals darüber geredet hat. Und Hoseok hat ihm auch den Rücken gestärkt, als er schließlich das Gespräch mit seinem Eltern gesucht hat. Aber ansonsten gab es nicht viele enge Bekannte oder Freunde in Jungkooks Leben (berühmte, tote Schriftsteller außen vorgelassen), denen er eine solch fundamentale Wahrheit über sich selbst mitteilen wollte. Und deswegen hat er es auch nicht getan.
Und jetzt steht er hier vor Bang und hat keine Ahnung, was er zu dessen Vermutung sagen soll, ohne ein öffentliches Outing hinzulegen und meine Güte, es gibt gar keine andere Erklärung für sein Verhalten, als dass er auf Min Yoongi steht, oder? Und es ist noch so viel mehr, aber darüber möchte Jungkook erst recht nicht sprechen und deswegen belässt er es eben bei seiner vagen Antwort und wartet erstmal ab, was sein Gegenüber damit anfängt.
„Stehst du auf ihn?", bohrt Bang weiter nach. Seinem aufmerksamen Blick entgeht dabei nicht, dass Jungkook sich irgendwie unwohl zu fühlen scheint, denn er ergänzt nach einem kurzen Augenblick: „Ich hab damit kein Problem oder so, falls du das denkst."
„Mhm", macht Jungkook wieder, obwohl er sich darüber bewusst ist, dass er nicht mehr lange mit seinem undeutlichen Murmeln davonkommen wird.
„Kann ich das als Zustimmung werten?"
Diesmal zuckt er mit seinen Schultern, was zwar auch als Geste der Ungewissheit verstanden werden kann, aber in diesem Fall seine lautlose Zustimmung ausdrücken soll. Bang interpretiert es jedenfalls richtig.
„Wow, du stehst du Yoongi? Kennt ihr euch denn?", erkundigt er sich unbekümmert. Er scheint eher über die Tatsache überrascht zu sein, dass es der Mann in schwarz ist, dem Jungkooks Interesse gilt, als das seine Sexualität im Ganzen thematisiert werden müsste.
„Nicht so richtig", gibt der Jüngere zu. Dann erinnert er sich an seine Mission und an Eminem und an bad guy, strafft seine Schultern, räuspert sich und ergänzt in einem hoffentlich selbstbewussten Tonfall: „Aber das möchte ich ändern. Deswegen bin ich hier."
„Mhm", entgegnet diesmal Bang, „ganz schön mutig, Junge. Yoongi ist nicht unbedingt der umgänglichste Typ, falls du verstehst, was ich meine."
„Ne, nicht so richtig, was meinst du?", fragt Jungkook nach, denn das ist seine Chance, endlich mehr über den unbekannten Fremden zu erfahren, der sein Herz im Sturm eingenommen hat, ohne dafür mehr tun zu müssen, als ihm einen müden Blick aus schwarzen Augen zuzuwerfen.
Bang antwortet, ohne zweimal darüber nachdenken zu müssen: „Naja, Yoongi ist immer kurz angebunden, nicht unbedingt unfreundlich dabei, aber halt auch nicht so richtig freundlich. Er wirkt immer ein bisschen genervt und abweisend? Ich weiß nicht, ob das die richtige Wortwahl ist... Keine Ahnung, er wirkt meistens so, als würde es ihm ziemlich viel Überwindung kosten, den Mund zu öffnen und Wörter daraus fallen zu lassen... außer du redest mit ihm über Musik, dann kann er auch anders. Musik ist irgendwie das Einzige, worüber er freiwillig mehr als drei Worte verliert. Früher war er noch ein bisschen offener, weniger lethargisch, aber keine Ahnung was sich geändert hat."
„Klingt als würdet ihr euch schon lange kennen", wirft Jungkook ein und hofft, dass er den Ladenbesitzer dadurch animieren kann, weiter zu sprechen. Bislang hat er jede Informationen begierig in sich aufgenommen und auf seinem geistigen Notizzettel akribisch notiert.
„Joa, mittlerweile sind es schon ein paar Jahre", überlegt Bang laut vor sich hin, „wir kennen uns eigentlich, seit ich diesen Laden hier eröffnet hab. Yoongi war sowas wie mein erster Kunde. Er hat angeboten, ein bisschen kostenlose Werbung für mich zu machen, dafür hab ich zugestimmt, dass sein Mixtape bei mir im Laden verkauft werden kann. Seitdem kommt er regelmäßig her und wenn er in der Stimmung dazu ist, plaudern wir ein bisschen über die aktuellen Neuerscheinungen."
„Yoongi macht Musik?!", platzt Jungkook aufgeregt dazwischen.
„Ja, ein bisschen. Ich müsste das Mixtape hier auch noch irgendwo rumfliegen haben, wenn du mich kurz entschuldigst..."
Und natürlich wird er nur allzu gerne dafür von Jungkook entschuldigt. Dieser fühlt sich plötzlich ganz berauscht, fast betrunken, von der Vorstellung, dass Yoongi eigene Musik macht. Musik, die er selbst geschrieben, komponiert und aufgenommen hat. Dieses Mixtape bietet eine ganze Galaxie an Informationen über den Mann in schwarz, von denen Jungkook sich nicht mal gewagt hat zu träumen. Er wird so viel über sein Inneres erfahren, über seine Gedanken, Gefühle, Träume, Ängste, Sehnsüchte... einfach alles. Musik sagt so viel und dann noch etwas mehr und Jungkook ist sich ziemlich sicher, dass ihm von Yoongis Mixtape nicht nur elektronische Beats entgegenschallen werden. Aber selbst Melodien und Beats beherbergen ungesagte Worte und verborgene Emotionen und zur Not wird Jungkook das Mixtape einfach noch viel öfter als The Marshell Mathers 2 hören und irgendwann wird er schon verstehen, was ihm Yoongi mit seiner Musik mitteilen möchte.
„Hier", tritt Bang zurück aus der Hip-Hop-Abteilung und hält Jungkook auffordernd eine CD entgegen. Überrascht muss dieser bemerken, dass ihm das Cover bekannt vorkommt. Er hat es bereits in den vorherigen Tagen öfter in der Hand gehabt, aber es dann immer wieder zurückgestellt, weil ihm der Name des Künstler nicht bekannt vorkam. Irgendein koreanischer Underground-Rapper, dem Jungkook ungehört platte, wütende Hymnen auf eine vergiftete Stadt vorgeworfen hat, als er bemerkte, dass dieser aus Daegu stammt.
Agust D lautet der Künstlername. Und Agust D lautet auch der Titel des Mixtapes. Agust D aka Min Yoongi aka sein Mann in schwarz. Hätte er vorher gewusst, welcher Schatz sich hinter dem Synonym verbirgt, hätte er keine einzige Sekunde gezögert, um die CD zu kaufen.
„Du siehst aus, als hätte ich dir gerade den heiligen Gral gebracht", scherzt der Verkäufer und betrachtet den Jüngeren mit einem breiten Schmunzeln. Er hat keine Vorstellung davon, wie nah er mit seiner Aussage an der Realität vorbei schrabbt.
„Fühlt sich auch ein bisschen so an", versucht Jungkook mit der gleichen Leichtigkeit zu erwidern, aber letztendlich tropft aus seinen Worten nur eiserne Ernsthaftigkeit. Nicht mal seine Mundwinkel heben sich auch nur um einen Millimeter an, so konzentriert ist er auf die Vorstellung davon, einen Einblick in Yoongis Herz zu erhalten (denn natürlich wird er das, denn Musik ist die Sprache der Liebe und Jungkook ist nun mal ein Liebender und Yoongi sein Geliebter und er ist insgesamt ziemlich überzeugt davon, dass er das Mixtape besser verstehen wird, als irgendjemand vor ihm).
Und Bang durchschaut ihn sofort und bricht nun endgültig in schallendes Gelächter aus. „Ich nehme an, dass du es kaufen willst?", aber eigentlich ist die Frage gar nicht mehr notwendig. Jungkook würde auch den fünffachen Preis dafür bezahlen. Im Endeffekt kann er den Wert des Mixtapes gar nicht in Won aufwiegen.
Aber Bang bleibt ein fairer Geschäftsmann und berechnet ihm keine extra Kosten.
Jungkook verlässt das Musikgeschäft heute ausnahmsweise ein wenig früher, weil er es kaum abwarten kann, nach Hause zu kommen und sich in der Musik – Yoongis Musik – zu verlieren. Er hinterlässt bei Bang seine Nummer, damit er ihn kontaktieren kann, sollte sich der besagte Mann in schwarz ausgerechnet heute Abend dazu entscheiden, dem Laden einen erneuten Besuch abzustatten. Oh Gott, mittlerweile hat er wirklich schon ein ganz neues Level an Stalking erreicht (aber Jungkook weigert sich beharrlich, das Wort Stalking in Zusammenhang mit seinem Tun zu bringen. Er hat lediglich ernsthaftes Interesse und eventuell verfolgt er seine Ziele mit einer gewissen Determination. Aber daran ist sicherlich nichts verkehrt). Dabei übergeht er den Fakt, dass mittlerweile sogar Spione existieren, die für ihn im Einsatz sind. Hoseok wird ihn dafür so gnadenlos auslachen.
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Das Mixtape besteht aus acht Tracks.
Jungkook hat sich, daheim angekommen, sofort in seinem Zimmer verkrochen, Kopfhörer angezogen und die Musikanlage auf volle Lautstärke gestellt. Danach hat er sich mit entschlossener Disziplin konzentriert auf dem Boden gesetzt und mit geschlossenen Augen jedem einzelnen Lied gelauscht, als hinge sein Leben davon ab. Zwischendurch ist er kurz versucht gewesen, sich einen Block und Stift zu holen, um sich Notizen anfertigen zu können, ganz so als würde er in der Schule sitzen und einem Vortrag besonders ambitioniert lauschen. Er hat sich nur schwerlich davon abhalten können.
Stattdessen ist er sitzen geblieben und hat nach dem ersten Hören sofort auf replay geschaltet. Er hat nicht vor, heute Abend noch etwas anderes zu machen.
Und er hat sich nicht darin getäuscht, dass Agust D mit seiner Musik einiges über sich selbst verrät. Einen halben (okay, zugegebenermaßen einen kompletten) Herzinfarkt hat Jungkook erlitten, als Track sieben mit einem ausgedehnten Gähnen von Yoongi beginnt und himmel, klingt er so, wenn er morgens aufwacht? Herrgott, Jungkook wagt nicht sich vorzustellen, wie er dann klingen mag, wenn dieses Geräusch lustvoll gestöhnt seinen Gehörgang erreicht. Er ist jetzt schon sowas von geliefert. Er hat sich noch nie einer Stimme so hilflos ausgeliefert gefühlt, wie der von Agust. Sie vibriert in seinem Inneren nach, bringt ihm zum Zittern und zum Warmfühlen, irgendwie klingt sie nach Zuhause, aber kein Wohnort, sondern eher so ein emotionaler Zustand. Ein Zuhause seiner Gefühle, auch der ungefühlten, unverstandenen und ungeträumten. Agust vereinigt sie alle zusammen in seiner Stimmlage, in seinen Texten und in seinem gesamten Mixtape.
Jungkook fühlt sich überwältigt, irgendwie unterworfen, aber es war auch von Anfang an kein freier Wille, sich in Min Yoongi zu verlieben, sondern nun mal Schicksal und jetzt fühlt er sich ihm schon so viel näher und ist nur noch so, so viel entschlossener den Mann in schwarz für sich zu gewinnen.
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Es sind mittlerweile so viele Tage vergangen, dass Jungkook sogar aufgehört hat sie mitzuzählen. Seinen Eltern hat er schon vor einiger Zeit erzählt, dass er jetzt nach der Schule in einem Musikladen aushilft, weil ein Nebenjob die einfachste Variante darstellt, um sein dauerhaftes Fortbleiben zu erklären.
Seit dem Gespräch mit Bang, ist er auch dazu übergegangen, seine Hausaufgaben im Laden hinter der Theke zu erledigen. Weil der Ältere jetzt in seinen Plan eingeweiht ist, akzeptiert dieser sein Verhalten stillschweigend. Vielleicht drückt er auch so seine Unterstützung aus oder, was eigentlich viel wahrscheinlicher ist, ist er auch einfach neugierig mitanzusehen, was passiert, wenn Yoongi und Jungkook erneut aufeinander treffen.
Weil der Jüngere ohnehin so viel Zeit in dem kleinen Musikgeschäft verbringt, hilft er sogar ab und an wirklich mit aus. Das erleichtert ihm zumindest sein schlechtes Gewissen, welches er seinen Eltern gegenüber empfindet, weil er sie anlügt. Wenn er mithilft, fühlt es sich zumindest ein wenig nach einem tatsächlichen Nebenjob an und weniger danach, als würde er seit Wochen seine gesamte Freizeit darauf verwenden, auf einen mysteriösen Mann in schwarz zu warten.
Zuerst hat es damit angefangen, dass Bang Hilfe dabei gebraucht hat, ein paar neue Plakate an den Wänden zu befestigen. Er unterstützt vor allen Dingen die lokale Musikszene und so bringen in regelmäßigen Abständen kleinere Veranstalter und unbekannte Künstler ihre Flyer in dem Laden vorbei, um für ihre Auftritte zu werben.
Außerdem kennt Jungkook das gesamte Sortiment mittlerweile so in und auswendig, dass er auch die Kundschaft berät, wenn Bang bereits in ein Gespräch vertieft ist. Seine Verkaufszahlen sind dabei erstaunlich gut, weswegen er mittlerweile nur noch als goldenes Maskottchen von dem Ladeninhaber betitelt wird. Scheinbar hat sich seine Anwesenheit sogar schon in bestimmten Kreisen herumgesprochen, denn im Laufe der Nachmittage erscheinen immer mehr kichernde Schulmädchengruppen aufgeregt im Geschäft und tuscheln neugierig hinter vorgehaltener Hand. Sie sind dabei nicht sonderlich unauffällig.
Jungkooks süßes Hasenzahnlächeln hat ihm bereits die ein oder andere Handynummer eingebracht, welche ihm stets mit roten Wangen scheu entgegengehalten wurde. Der Jüngere hat jedes Mal dankend und ein wenig peinlich berührt abgelehnt. Aber das hat nur dazu geführt, dass immer mehr Mädchen kommen, um ihr Glück bei der neuen „Aushilfe" zu probieren.
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Nach Jahren (und vielleicht kommt es Jungkook auch nur so vor, denn er ist mittlerweile wirklich ungeduldig, hat das Wort Ungeduld mittlerweile in all seinen schillernden Facetten durchleben dürfen) ertönt erneut das schicksalhafte Türläuten und diesmal ist es endlich das Richtige.
Durch die Tür tritt tatsächlich der Mann in schwarz und vielleicht ist ein Traum, aber eigentlich ist es so viel süßer, wenn es die Realität ist, aber die schwarze Gestalt mit der gebückten Körperhaltung, kann nur eins bedeuten: Min Yoongi ist tatsächlich zurückgekehrt.
Und er wirkt dabei so unbekümmert, vollkommen teilnahmslos, denn natürlich, er kann ja auch nicht wissen, dass Jungkook seit Tagen, nein, Wochen, sprach er nicht eben noch von Jahren? auf genau diesen Augenblick gewartet hat.
Der Neunzehnjährige ist für einen kurzen Moment so perplex, dass er vergisst sich zu bewegen, vergisst zu atmen und nur sein Gehirn buchstabiert ihm das Wort Schicksal in Großbuchstaben auf die Netzhaut. Er wusste von Anfang an, dass sich seine unerschütterliche Hartnäckigkeit bezahlt machen wird. Schritt eins seiner Missionsagenda wurde soeben erfüllt: Das Zielobjekt wurde lokalisiert.
Es ist bereits mehr als genug Zeit seit ihrem ersten Aufeinandertreffen verstrichen, deswegen zögert er keine Sekunde länger als notwendig (und ein paar Sekunden braucht er, um seinen Körper an alle überlebensnotwendigen Funktionen zu erinnern), bevor an das black target herantritt, um Schritt zwei seines Planes einzuleiten: Kommunikation mit dem Zielobjekt aufbauen.
„Hey", spricht er ihn an und auf seiner Zunge schmeckt das Wort wie ein Déjà-vu. Und auch Yoongi ist wieder irgendwie der Gleiche, denn seine Kleidung ist komplett schwarz, die Haare schwarz, sie stehen wieder in der Abteilung für Hip-Hop und seine Augen scannen erneut die Auslage ab. Nur seine Augenringe, die sind vielleicht noch eine Nuance dunkler als bei ihrem ersten Treffen. Jungkook erinnert sich an sein Missionsziel und an Schritt zwei seines Planes und dass er sich die Wörter schon zurechtgelegt hat und sie nur noch aussprechen muss und meine güte, dass kann doch nicht so schwer sein.
„Vielen Dank für deine Empfehlung letztes Mal. Ich hab mir das Album dann wirklich gekauft und ich finds super. Deswegen nochmal Danke dafür", sagt er ziemlich auswendig gelernt auf und vielleicht auch ein wenig zu hastig und überhaupt – in seinen Gedanken klang das doch gar nicht so gestellt. Scheiße. Er verbeugt sich trotzdem förmlich, so wie es der Plan vorschreibt und es wird schon gut gehen. Jungkook erinnert sich selbst daran, dass die beiden Seelenverwandte sind, also was kann da noch schieflaufen?
„Du schon wieder", reagiert Yoongi diesmal sofort und okay, das ist zwar nicht die erwünschte Reaktion, aber immerhin erkennt er den Jüngeren wieder und das bedeutet doch, dass er bei ihrem ersten Aufeinandertreffen Eindruck hinterlassen hat, oder? Jungkook wertet es als positives Zeichen und ignoriert den eindeutig genervten Tonfall wie ein Profi.
„Ich bin Jungkook", setzt er gleich fort und verbeugt sich tiefer, als die Höflichkeit es vorgegeben hätte. Verdammt, wenn er nur nicht so erbärmlich aufgeregt wäre. Zum Glück zittert seine Stimme nicht ganz so doll wie sein Herz, denn das schlägt kunterbunte Purzelbäume und bleibt dabei manchmal einfach kopfüber stehen.
Yoongi erwidert seine Geste in keinster Weise. Er zeigt lediglich erneut seinen müden Augenaufschlag und wendet sich desinteressiert ab. „Gern geschehen", murmelt er vor sich hin, aber es klingt viel mehr nach Gespräch beendet, lass mich in Ruhe.
Aber Jungkook hat so lange auf diesen Moment gewartet, dass er sich sicherlich nicht von einer kalten Schulter entmutigen lässt. Gleichzeitig erinnert er sich daran, dass Bang ihn vorgewarnt hat, dass Yoongi ohnehin eher wortkarg unterwegs ist und ungern mehr als drei Wörter freiwillig sagt, außer es geht um Musik und okay, wenn es so sein soll, dann werden sie jetzt halt über Musik sprechen (auch wenn Jungkook lieber über Liebe und Schicksal und über Sterne und Galaxien reden würde).
„Falls du dich nicht mehr daran erinnerst, du hast mir Eminems The Marshall Mathers 2 empfohlen. Welches Lied gefällt dir darauf am besten? Mir persönlich hat ja Rap God und Bad Guy ziemlich gut gefallen", plappert der Jüngere aufgeregt vor sich hin und spricht sich gleichzeitig selbst Mut zu wie ein inneres Mantra. Er kann das und er schafft das und er hat in den letzten Wochen so viel Rapmusik gehört, dass er ja wohl ein halbwegs ordentliches Gespräch darüber führen kann.
Der Mann in schwarz schenkt ihm einen gelangweilten Seitenblick, aber immerhin straft er ihn nicht vollkommen mit Ignoranz und das ist eindeutig ein Fortschritt. Jungkook klammert sich daran fest, als wäre es überlebensnotwendig.
„Du siehst nicht aus wie jemand, der Rapmusik hört", Yoongis verschlafener Bariton durchdringt jedes Nervenende in seinem Körper und obwohl er seiner Stimme auf Band bereits in Dauerschleife gelauscht hat, trifft ihn die Realität härter als erwartet. Da ist so viel Gänsehaut auf ihm, dass sein Körper gar nicht genug Fläche dafür bietet kann.
„Wie sehe ich denn sonst aus?", erkundigt sich Jungkook sofort. Feste Stimme, fester Blick, bloß kein Zittern und kein Quietschen, verdammt, er ist doch kein Mädchen, und dabei lächeln, schließlich überzeugt sein Hasenzahnlächeln scheinbar die Schulmädchengruppen, also wird es irgendwie Charme haben und okay, Yoongi ist dagegen wohl immun, denn sein Halbblick konzentriert sich nun wieder voll und ganz auf das CD-Regal vor ihm.
„Wie ein kleiner Junge, der Lovesongs hört und sie kichernden Mädchen ins Ohr flüstert, um ihr Herz zu erobern", antwortet Yoongi spöttisch und ist dabei kurzzeitig über seine eigene Aussage so amüsiert, dass sich sogar sein desinteressierter Gesichtsausdruck in Schmunzeln auflöst.
„Ich bin kein kleiner Junge", erwidert Jungkook sofort und ist dabei nicht mal ansatzweise so schlagfertig, wie er sich das in diesem Moment gewünscht hätte. „Außerdem steh ich nicht mal auf Mädchen", ergänzt er unmittelbar, weil ihm diese Information so unheimlich relevant erscheint. Und wenn ihm sein Outing vor Bang noch irgendwie schwergefallen ist, so hatte sich dieses Gefühl in der Gegenwart von Yoongi in Nichtigkeit verwandelt, denn hier kam es ihm ganz genuin vor, geradezu natürlich, denn wie könnte er an Frauen Gefallen finden, wenn dieses Ebenbild von schwarzer Eleganz sich genau vor seinen Augen befindet.
„Ich interessiere mich eher für jemanden, den ich gerade sehen kann", setzt er todesmutig fort und schluckt den großen, nein, viel mehr riesigen Kloß in seinem Hals einfach wieder runter. Das war einfach so typisch Jungkook – das Herz auf der Zunge und mit dem Kopf durch die Wand. So viel zu einem taktisch klugen und durchdachten Vorgehen.
Yoongi zeigt sich von seinem Geständnis allerdings gänzlich unbeeindruckt, vielleicht huscht da ganz kurz ein kleiner Schatten über seine ohnehin schon schwarzen Augen, aber das ist aus der Seitenperspektive schwer zu beurteilen.
„Schön für dich", erwidert er lediglich und betrachtet weiterhin unbekümmert die CD-Sammlung vor sich. Ganz so, als hätte ihm Jungkook nicht gerade sein Herz vor die Füße geworfen.
Der Jüngere wird von dieser Nicht-Reaktion das erste Mal wirklich so richtig aus dem Konzept gebracht. Deswegen bleibt er einfach stumm neben Yoongi stehen und beobachtet ihm bei seinem Tun und fragt sich, wie ein solch offensichtlicher Kommentar einfach ignoriert werden kann. Und warum Yoongi diese spezielle Verbindung zwischen ihnen denn nicht auch spürt und ob er sich bewusst dagegen wehrt, denn himmelhergottnochmal, er kann doch nicht so falsch liegen, wenn sich die Entscheidung seines Herzens so einmalig richtig anfühlt. Also steht er weiterhin dort und beobachtet, oder starrt viel mehr, und ist dabei so stumm wie ein Fisch, dem man gerade das Wasser unter den Flossen gestohlen hat.
„Wars das dann? Ich würde es wirklich zu schätzen wissen, wenn ich mir diesmal alleine und in Ruhe die Neuerscheinungen angucken könnte", erkundigt sich Yoongi, nachdem er bemerken musste, dass der Jüngere noch immer kein Stück von seiner Seite gewichen ist. Sein Tonfall so monoton wie zuvor und trotz der eiskalten Abfuhr treibt sie immer noch heiße, gänsehautverursachende Schauer über Jungkooks Körper.
„Willst du dazu nichts sagen?", fragt Jungkook leise nach, weiterhin fassungslos und um Contenance bemüht.
„Nein", antwortet Yoongi prompt.
„Gar nichts?", versucht es der Jüngere noch einmal, denn er möchte nicht so schnell aufgeben, auch wenn ihm die momentane Situation trotz aller vorheriger Zuversicht doch recht hoffnungslos erscheint. Ob er nochmal erklären sollte, dass er dem Mann in schwarz gerade offenbart hat, dass er auf Männer steht und an ihm Interesse hat? Aber seine Aussage war doch recht eindeutig gewesen, oder? Schwer falsch zu verstehen. Und vielleicht kann sich Jungkook nur nicht dazu durchringen, seine Aussage zu wiederholen, weil er es nur schwerlich verkraften könnte, erneut so abgewiesen zu werden.
„Nein", wiederholt sich dafür Yoongi und wirkt ziemlich endgültig dabei.
Okay, das ist zwar eine herbe Niederlage, aber Jungkook darf das Missionsziel nicht aus den Augen verlieren. Positiv denken, das ist die Devise. Und er hat wirklich sehr lange auf diesen Moment gewartet. Als Hoseok ihm zum ersten Mal vorgeschlagen hat, dass er doch mit Yoongi ausgehen solle, klang das alles noch viel einfacher.
Trotzdem: Von seinem Missions-Dreischritt sind die ersten zwei Punkte mittlerweile erledigt. Schließlich hat Jungkook das black target lokalisiert und anschließend haben sie miteinander kommuniziert. Das war vielleicht nicht ganz erfolgreich und erst Recht nicht so, wie in den alltäglichen Vorstellungen von Jungkooks Kopfkino, aber immerhin haben sie geredet und Yoongi hat mehr als drei Wörter zu ihm gesagt und das wird als Kommunikation zählen, also kratzt Jungkook seinen gesamten Restmut zusammen, erinnert sich an den dritten und finalen Schritt (knallharte Konfrontation und ganz ehrlich, bislang ist alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte und irgendwann muss doch auch mal irgendwas funktionieren) und fragt gerade heraus:
„Möchtest du dann vielleicht später mit mir ausgehen und dann mehr dazu sagen?"
„Nein", antwortet Yoongi erneut und dieses Mal klingt es nicht nur endgültig, sondern vernichtend. Er macht sich nicht einmal die Mühe, Jungkook anzusehen, während er seine gesamten Hoffnungen und Träume unter dem brutalen Deckmantel der Realität begräbt.
Mission fehlgeschlagen blinkt in großen, roten Lettern in Jungkooks Kopf auf.
Und er ist deswegen so niedergeschlagen (und tatsächlich schon wieder etwas sprachlos), dass er sich umdreht und bereit dazu ist, den Laden zu verlassen.
Natürlich kommt er vorher an Bang vorbei, der ihr Gespräch von seiner Position aus zwar nicht mithören konnte, aber zumindest visuell aufmerksam verfolgt hat. Scheinbar ist Jungkooks Gesichtsausdruck aussagekräftig genug, denn er spart sich die Frage danach, wie es denn gelaufen ist.
Stattdessen fragt er und klingt dabei ein wenig herausfordernd: „Willst du so schnell schon aufgeben?"
„Er hat nein gesagt", erklärt der Jüngere mit Grabesstimme. Keine weitere Erklärung notwendig und er möchte jetzt gerade auch nicht weiter über dieses Thema sprechen, nein danke.
„Das ist keine Antwort auf meine Frage. Es war vorher schon klar, dass er heute ablehnen wird. Die Frage ist aber, ob du aufgeben wirst", wiederholt Bang geduldig.
Und nein, Jungkook war vorher nicht klar gewesen, dass Yoongi nein sagen wird. Er ist davon ausgegangen, dass der Mann in schwarz ihn mit offenen Armen und Herzen empfangen und seiner freimütigen Einladung freudestrahlend zustimmen wird (so oder so ähnlich). Jetzt weiß er nicht, ob er nicken oder den Kopf schütteln will und am Ende entscheidet er sich für ein Seufzen, weil das wohl am ehesten seine aktuelle Gefühlslage widerspiegelt.
„Du bist doch sonst immer so idealistisch", neckt ihn Bang weiter, aber er klingt liebevoll dabei und immer noch ein wenig herausfordernd. Es erinnert Jungkook daran, dass er verdammt nochmal ein Kämpfer ist und Kämpfer geben nicht auf.
Bei einem Egoshooter beginnt man die Mission einfach nochmal, wenn man beim ersten Mal gescheitert ist und okay, er spielt vielleicht nicht so oft Computerspiele, aber wie viele Bücher hat er schon darüber gelesen, in denen der Protagonist einmal oder zehnmal, am besten hunderte Male von seiner Geliebten abgewiesen wurde, bevor er dann letztendlich doch und vor allem aufgrund seiner Starrköpfigkeit ihr Herz erobern konnte.
Jungkook wäre zwar lieber die Art von Protagonist, die von Anfang an Erfolge aufweisen kann, aber er wird auch diese Art von Protagonist in seinem eigenen Liebesfilm sein. Egal, wie viele Hürden es gibt – er wird sie alle überwinden. Und auch ein nein kann ihn nicht davon abhalten. Manche Menschen würden sein Verhalten vielleicht als fanatisch bezeichnen, aber Jungkook selbst ist überzeugt davon, dass er lediglich ambitioniert ist. Er ist neunzehn Jahre alt und ist auf die Liebe seines Lebens getroffen und das ist gottverdammtes Glück, also wird er das jetzt auch durchziehen.
„Du hast Recht", erklärt er deswegen Bang schon wieder mit einer wesentlich festeren Stimmlage, „ich werd' so schnell nicht aufgeben."
„Dacht ich mir doch", schmunzelt der Geschäftsinhaber und wirkt dabei ziemlich zufrieden mit sich selbst. „Also, was ist jetzt dein Plan?"
„Mhm", überlegt Jungkook laut und er ist ein bisschen unter Zeitdruck, weil er nicht weiß, wie lange Yoongi brauchen wird, um sich durch die Neuerscheinungen zu kämpfen, aber er geht davon aus, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, deswegen entscheidet er sich für die erste Idee, die ihm in den Sinn kommt.
„Hast du nen Zettel und nen Stift für mich?", fragt er hektisch und wirft einen rückversichernden Blick zurück über seine Schulter. Black Target befindet sich immer noch abgelenkt in der Hip-Hop-Abteilung. Check.
„Klar", reagiert Bang gelassen und kramt beides hervor, „willst du ihm jetzt ganz platt deine Handynummer aufschreiben? Denkst du echt, das hat mehr Erfolg?"
Doch Jungkook macht sich gar nicht mehr die Mühe, verbal darauf einzugehen, sondern wirft ihm lediglich einen abwertenden Blick zu. Er hat augenscheinlich mehr Romantik im kleinen Zeh, als Bang in seinem gesamten Körper.
„Hast du Adam Levines Lost Stars als Single hier?", erwidert er stattdessen und beginnt bereits damit, eine kleine Nachricht auf dem Notizzettel zu hinterlassen.
Bang antwortet sofort und ohne nachgucken zu müssen: „Sicher. Ist momentan der totale Renner bei den ganzen Schoolgirls. Bist du sicher, dass du ausgerechnet mit dem Lied, Yoongi um den Finger wickeln wirst?"
„Gib sie ihm einfach, okay? Bitte. Ich bezahl sie dir auch morgen. Aber ich verschwinde jetzt besser. Und gib ihm auch den Zettel, ja? Danke dir. Bist der Beste. Bis morgen!", ruft Jungkook bereits halb im Gehen und drückt Bang noch schnell den Zettel in die Hand, bevor er in Windeseile und mit klopfendem Herzen das kleine Musikgeschäft verlässt.
Er hat Yoongi die folgende Nachricht hinterlassen:
May you take my hand and let's see where we wake up tomorrow?
Und er hofft inständig, dass er sie verstehen wird.
Denn natürlich hört er Liebeslieder und er würde sie nur zu gerne in Yoongis Ohr flüstern, wenn das bedeuten würde, dass er ihm dadurch sein Herz stehlen kann.
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