Mixtape Side A - [Lie]
Einen wunderschönen guten Abend ihr Herzen,
willkommen zurück auf der A-Seite unserer Kassette. <3 Ich möchte gerne darauf hinweisen, dass ich in der Zwischenzeit eine Playlist zu Beginn der Geschichte veröffentlicht habe und ich empfehle euch, die entsprechende Musik zu hören, wenn ihr das Kapitel lest. Ich bilde mir jedenfalls ein, dass dadurch das Leseerlebnis intensiviert wird. :]
Grundsätzlich muss ich vor diesem Kapitel eine Triggerwarnung aussprechen. Ich verweise vor allen Dingen darauf, dass selbstverletzendes Verhalten eine Rolle spielen wird und ich bitte euch darum, dass ihr auf euch Acht gebt, wenn euch solche Thematiken sensibel berühren. Falls ihr danach Gesprächsbedarf habt, könnt ihr mich selbstverständlich auch per Privatnachricht kontaktieren.
Mit Kapitel 7 habe ich mir ein bisschen mein eigenes Herz gebrochen. Umso gespannter bin ich auf eure Rückmeldungen! Bitte lasst mich daran teilhaben, ob ich euch auf diese emotionale Achterbahnfahrt mitnehmen konnte. Ich habe noch ganz viel anderes zu diesem Kapitel zu sagen, aber ich möchte euch nicht jetzt schon spoilern. Vielleicht können wir aber in den Kommentaren ein bisschen darüber sprechen. :)
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen.
Mit den liebsten Grüßen,
eure Vikki
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[KAPITEL 7] MIXTAPE SIDE A – LIE
Mittlerweile ist es Dezember geworden und in der vergangenen Nacht hat es das erste Mal für diesen Winter geschneit. Obwohl es bitterkalt draußen ist, friert Yoongi nicht mehr. Seit Jimin an seiner Seite ist, wärmt ihn die Junisonne an jedem einzelnen Tag.
Zuletzt konnten sie sich leider nicht so viel sehen. Für Jimin standen die Zwischenprüfungen an und die Entfernung zwischen Daegu und Busan verhindert leider, dass sie sich nur für einen Kaffee sehen können. Nicht, dass Yoongi nicht bereit gewesen wäre, die Strecke auf sich zu nehmen, nur um mit Jimin einen Kaffee zu trinken. Er hat angeboten, Jimin in Busan zu besuchen, doch der lehnte ab. Wollte nicht, dass Yoongi die lange Fahrt auf sich nehmen muss. Sagte, dass er schon mehr als genug Zeit in seiner WG verbringt und froh darüber ist, wenn sie in Daegu ihre Ruhe haben. Es sei auch förderlich für gewisse andere Aktivitäten, wenn Jimin ihn besuchen würde. Und so war Yoongi leicht zu überreden gewesen, dass jedes einzelne Treffen zwischen ihnen in Daegu stattfand. Auch wenn er deswegen manchmal auf Jimin warten musste. Aber wenn sie sich nicht sehen können, dann schreiben sie. Manchmal telefonieren sie sogar. Die Zeit mit Jimin ist schön. Meistens.
Auch jetzt sind sie wieder in Yoongis Wohnung. Jimin besucht ihn schon seit zwei Wochen. Es sind Schulferien in Busan – Weihnachtsferien, um genau zu sein. Deswegen wird zurzeit der Kurs ausgesetzt, den Jimin besucht, um seinen Schulabschluss nachzuholen.
In den letzten Tagen haben sie gemeinsam Weihnachten gefeiert. Sie haben auch Jimins Mutter angerufen - Videotelefonie. Yoongi hat sich dafür ein Hemd angezogen. Ein richtiges Hemd, faltenfrei und mit Stehkragen. Bevor er es aus der hintersten Ecke seines Kleiderschrankes gefischt hat, war er sich nicht mal mehr über dessen Existenz bewusst gewesen. Während des Telefonats war er für seine Verhältnisse ungewöhnlich nervös und aufgeregt. Aber er hat sich mittlerweile fast daran gewohnt, dass alles, was mit dem rosahaarigen Wunderjungen zu tun hat, sein Herz in ungewohnte Schwingungen versetzt. Und wenn Jimins beruhigende Hand auf Yoongis Oberschenkel, unsichtbar für das Aufnahmefenster der Handykamera, nicht gewesen wäre, hätte er das Telefonat womöglich nicht unbeschadet überstanden.
Yoongi hat Jimins Hand gehalten, als dieser gemeinsam mit seiner Mutter für seinen verstorbenen Vater gebetet hat. Es ist bereits das zweite Weihnachten ohne ihn, doch der Verlust klafft weiter wie eine blutende Wunde zwischen ihnen. Als seine Schultern beginnen zu beben und er stumme Tränen des Vermissens weint, senkt Yoongi betroffen den Blick. Er weiß nicht, was er Tröstendes sagen könnte. Also drückt er lediglich Jimins Hand noch ein bisschen fester und hofft, dass das genug ist.
Yoongi fragt sich kurz, ob das so richtig ist. Dass Jimin Weihnachten mit ihm verbringt und nicht bei seiner Mutter ist. Aber das ist ihr Moment und er will sich nicht einmischen. Später hat er die Frage vergessen. Vielleicht hat sie Jimin ihm aber auch von den Lippen gestohlen.
Danach sind sie zu Jin aufgebrochen, um gemeinsam zu essen. Jin ist so etwas wie Yoongis Familie, seit diese ihn verlassen hat. Oder hat er sie verlassen? Manchmal erinnert er sich nicht an Erinnerungen, die zu sehr weh tun, um gedacht zu werden. Manchmal tun Erinnerungen so weh, dass sie dein Herz immer und immer wieder brechen können. Yoongi hat aufgegeben, dieses verflixte Organ für seine enormen Selbstheilungskräfte zu verfluchen. Aber Yoongis Familie, das ist eine andere Geschichte. Und seit er Jimin kennt, der sein Herz in einem stolpernden Takt schlagen lässt, der nicht mehr von Schmerz diktiert wird, findet er das Körperteil eigentlich gar nicht mehr so furchterregend.
Jetzt ist da Jin anstelle seiner Familie. Das ist in Ordnung. Manchmal ist es sogar gut. Und vielleicht ist da jetzt auch Jimin. Yoongi ist sich dabei noch nicht ganz sicher. Aber wenn er sich den Rosahaarigen so ansieht, sanft lächelnd und mit schimmernden Lippen in sein Telefon flüsternd, um den Älteren nicht zu wecken, dann wünscht er es sich. So, so sehr.
Yoongi liegt noch im Bett und beobachtet Jimin, genießt die ruhigen Momente, in denen der Jüngere sein Erwachen noch nicht bemerkt hat. Er ist heute in den früheren Morgenstunden von einer Nachtschicht in der Radiostation zurückgekehrt. Dann schläft er immer länger als sein jüngerer Freund.
Es ist immer noch komisch, dieses Wort zu benutzen. Aber Yoongi kann sich nicht dazu durchringen, Jimin als seinen Partner zu bezeichnen. Sie haben immer noch nicht darüber gesprochen. Ihre Herzen vielleicht. Aber irgendwo fürchtet sich der Schwarzhaarige davor, dass sie womöglich doch unterschiedliche Sprachen sprechen.
Manchmal verlässt Jimin seine Wohnung, nachdem er morgens aufgestanden ist. Aus Rücksicht, damit Yoongi in Ruhe ausschlafen kann und nicht durch sein ungeschicktes Poltern aufgeweckt wird. Dann geht er einkaufen für sie beide, damit sie ein verspätetes Frühstück haben können. Oder ein frühes Mittagessen.
Oder er erkundigt Daegu. Nutzt die Zeit, um nach Orten zu suchen, in denen er ein neues YouTube-Video drehen kann. In der Öffentlichkeit, in einer fremden Location, ohne großartiges Equipment. Nur Jimin, seine Kamera und seine Stimme.
Yoongi mag diese Videos am liebsten. In denen Jimin so lange ziellos umherwandert, bis er einen Platz findet, der für ihn intuitiv richtig klingt.
Dann setzt er sich einfach. Auf den Boden, auf den grauen Asphalt, in den Dreck und wenn es sein muss, auch in eine Pfütze. Die Aufnahme darf um keinen Millimeter verrücken, wenn der ambitionierte Künstler seine Destination für diesen Tag gefunden hat.
Und Jimin ist so roh in diesen Aufnahmen. Ungeschützt und unverpixelt. So absolut verletzlich und ungestellt. An einem einsamen Ort alleine oder mitten in einer Ansammlung von Menschen. Wenn Jimin singt, dann verstummen alle anderen Geräusche um ihn herum aus Ehrfurcht vor seiner Stimme. Niemand wagt es, auch nur einen Ton zu versäumen. Seine Stimme ist mehr als einzigartig, mehr als nur Talent. Das Singen ist genauso sehr Jimins Disposition wie auch sein Schmerz. Vielleicht genau deswegen. Vielleicht ergänzen sie sich, nähren sich voneinander, verbunden in vollendeter Symbiose.
Suga hat es ihm nach einer weiteren atemlosen Aufahmesession in sein Ohr geflüstert. Hat versucht die Worte wiedergutzumachen, die Yoongi damals falsch gewählt hat oder nicht gewählt hat. Hat ihm gesagt, dass seine Disposition nicht nur im Schmerz ist, sondern auch im Gesang zu finden ist. Suga hat behutsam Jimins Hand in seine genommen und den letzten Ton von glänzenden Lippen gestohlen. In diesem Moment war die Harmonie zwischen ihnen wiederhergestellt. Suga wird es nicht immer für Yoongi richten können. Aber für diesen Moment war es in Ordnung.
Danach haben sie noch einen weiteren Song aufgenommen, der ursprünglich gar nicht mit einer Gesangsstimme unterlegt werden sollte. Aber Seesaw wird durch Jimins Stimme vollendet.
Denn im Singen ist Jimin wirklich präzedenzlos. Yoongi ist der fundamentalen Überzeugung, dass jedes Individuum auf diesem gottverdammten Planeten dazu bestimmt ist, Jimins Stimme zu lauschen. Die Lieder zu hören, die er singt und vielleicht später auch die Geschichten erzählt zu bekommen, die der Verletzte bereit ist mit der Außenwelt zu teilen. Jimin verdient eine Fangemeinde. Wenn es nach Yoongi ginge, wäre es mehr als nur eine Fangemeinde. Vielleicht wäre es dann schon eine Religion.
Und wenn die großen Entertainment-Agenturen in Seoul Jimin ablehnen, wegen den zerschnittenen Armen und auch wegen den Schnitten auf seinem Herzen, weil Kaputtes in der Idol-Welt doch keinen Platz verdient hat, dann fuck it. Dann haben sie den Jungen mit den rosa Haaren, wie die Hoffnung in jedem Sonnenaufgang, auch nicht verdient. Und dann bringt Yoongi ihn eben selbst groß raus. Koste es, was es wolle. Wenn es um Jimin geht, kann sich Yoongi keinen Preis vorstellen, der ihm zu hoch ist.
Gott, er ist so lächerlich verliebt in den Jüngeren, dass es schon fast wehtut. Und vielleicht ist es ein Fluch oder ein Segen, dass er einfach kein Herz in sich finden kann, das groß genug ist, um den Jüngeren seine Gefühle zu gestehen.
Freund. Partner.
Vielleicht müsste er sich dann nicht selbst mit perfiden Gedankengängen über die richtige Bezeichnung quälen.
Jetzt gerade telefoniert Jimin. Yoongi beobachtet ihn dabei. Wie er lacht und wie er lächelt, wie er sich gebärdet und auch wie er schweigt. Mittlerweile kann er die Gestiken ganz gut deuten, hat ein bisschen was über den zerschnittenen Jungen vor ihm erfahren.
Wahrscheinlich spricht er gerade mit Namjoon. Und wahrscheinlich versuchen sie sich wieder gegenseitig zu übertrumpfen, in ihren Produktionen, in den geklickten Zahlen, den Likes. Als wäre sowas von Bedeutung. Aber wenn der Wettbewerb Jimin guttut, wenn er ihn motiviert und ihn erfreut, dann ist es okay. Dann fordert Yoongi gerne seine Zuhörerschaft bei K-Hop FM dazu auf, Jimins YouTube-Channel anzuklicken, um ihn dadurch einen kleinen, unfairen Marktvorteil zu verschaffen.
Er träumt vor sich hin, während er den Jüngeren beobachtet. Romantisiert den kommenden Tag in seinen Vorstellungen. Oder vielleicht steht er auch gleich auf, schnappt sich das Handy und wirft es teilnahmslos in irgendeine Zimmerecke, krallt sich sein Opfer und erlegt es, bevor die Mittagssonne hoch am Himmel steht, das erste Mal. Nach dem Mittagessen das zweite Mal. Und gegen eine dritte Runde mit Jimin, hatte Yoongi noch nie irgendwelche Einwände vorzubringen.
Als Jimins Gesicht sich allerdings verstimmt verzieht, unruhig irgendwie, so mulmig und unangenehm berührt, zwingt der Ältere seine Gedanken zurück zur Realität und schärft seine Wahrnehmung soweit, bis er den Worten folgen kann:
„Natürlich mache ich meine Übungen, Namjoon. Du musst mich nicht immer danach fragen.
...
Ja. So, wie es mein Arzt mir verordnet hat und ich es in der Therapie gelernt habe. Morgens und abends und nach Bedarf.
...
Ich schlafe auch besser. Mit Yoongi an meiner Seite, so oder so.
...
Jaaahaaaa. Ich weiß, dass ist kein Grund auf meine Übungen zu verzichten.
....
Nein, ich werde nicht einfach damit aufhören, nur weil ich gerade bei Yoongi bin. Ich kann mich gut daran erinnern, was beim letzten Mal passiert ist. Besser als du, Namjoon. Brauchst mich nicht drauf hinzuweisen."
Yoongi stutzt. Kann sich nicht daran erinnern, dass Jimin jemals irgendwelche Übungen in seiner Wohnung absolviert hat, außer den Gesangsübungen vor ihren gemeinsamen Aufnahmen. Aber darüber wird sich Namjoon nicht erkundigen. Die hat Jimin nicht in der Therapie erlernt, nicht von seinem Therapeuten empfohlen bekommen.
Natürlich kann er nicht ausschließen, dass Jimin den ärztlichen Empfehlungen nachkommt. Wenn er abends zur Nachtschicht in den Radiosender aufbricht, ist Jimin noch wach. Und wenn er morgens aufsteht, dann schläft Yoongi oft noch. Natürlich kann er da Übungen machen, ohne dass es Yoongi mitbekommt. Vielleicht müssen sie nicht täglich durchlaufen werden. Er beruhigt sich selbst mit diesen Gedanken. Jimin würde seinen besten Freund nicht anlügen. Und Jimin wird auf sich selbst aufpassen. Er hat es gelernt in den vergangenen Monaten. Und es geht ihm gut. Ansonsten würde er ja mit Yoongi darüber sprechen. Oder?
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Noch im selben Gespräch wird beschlossen, dass sie Silvester zu dritt verbringen werden. Yoongi hat irgendwann später zu erkennen gegeben, dass er wach ist. Als das Gespräch abgeflacht ist und sich die Sorgenfalten auf Jimins Stirn geglättet haben. Und kurz darauf stand fest, dass Namjoon sie über den Jahreswechsel in Daegu besuchen wird. Yoongi hat ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Er kann sich an das letzte Mal kaum noch erinnern. Und auch Jimin berichtet, dass er zwar regelmäßig mit seinem besten Freund telefoniert, sie sich jedoch nur selten sehen. Umso mehr freuen sie sich alle auf das baldige Wiedersehen. Denn mit einem Blick auf den Kalender und einem kleinen Schrecken registriert Yoongi, dass der Jahreswechsel schon in zwei Tagen stattfinden wird. Zeit, erklärt er sich gedanklich, vergeht anders, wenn man sie mit Park Jimin verbringt.
Als die Sonne schon lange untergegangen ist und sie erschöpft keuchend nebeneinander liegen, traut sich Yoongi endlich zu fragen, was ihn schon den ganzen Tag beschäftigt: „Weiß Namjoon das eigentlich? Also von uns? Hast du's ihm erzählt?"
Jimins Antwort ist ein Kuss, der jeden weiteren Zweifel im Keim erstickt. „Natürlich", nickt er und Yoongi kann die Bewegung auf seiner Brust spüren. „Wie könnte ich nicht? Ich hab es allen erzählt."
Yoongi ist sich sicher, dass sein Lächeln auch in der Dunkelheit zu sehen sein muss, so sehr strahlt er.
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„Kann ich das anziehen?", fragt Jimin und zupft unsicher an seinem Outfit herum. Er trägt ein gestreiftes Hemd aus Seide in Gold- und dunklen Blautönen. Es besitzt einen tiefen V-Ausschnitt und entblößt dadurch mehr von seiner Brust, als es für Yoongis keusche Gedankenwelt gut ist. Um Jimins Hals schmiegt sich sinnlich ein Choker der gleichen Farbkombination. Dazu trägt er eine enge, schwarze Lederhose, die seinen muskulösen Oberschenkeln schmeichelt. Jimin ist wieder Versuchung, Verführung, Verlockung auf zwei Beinen. Seine Lippen glänzen in einem zurückhaltenden Rosé-Ton. Das Deckenlicht reflektiert sich in dem auffälligen Highlighter auf seinen Wangenknochen. Yoongi weiß nicht, wo er als erstes hinsehen soll.
Jimins Augen sind nur dezent betont, werden lediglich von einer schmalen Eyeliner-Linie und unauffälligem Lidschatten umrahmt. Als er seine Augen bescheiden niederschlägt, ist es bloß ein weiteres Mal um Yoongi geschehen.
Das Blickduell, was zwischen ihnen entflammt, wird eventuell etwas zu feurig, denn Namjoon räuspert sich verlegen und antwortet schließlich auf die gestellte Frage: „Ich denke schon, Jimin. Ich kanns zwar vielleicht nicht am besten beurteilen, aber zumindest Yoongi sind eindeutig die Augen aus dem Kopf gefallen, als du reingekommen bist. Damit solltest du dein Ziel erreicht haben."
Yoongi nickt bestätigend. Er würde sich ja verteidigen, aber aus Namjoons Worten spricht nichts als die Wahrheit.
Jimin wirkt erleichtert. „Puh. Das ist gut. Ich wusste nicht, ob das Hemd nicht ein bisschen zu übertrieben ist. Zu tief ausgeschnitten, zu viel Bling-Bling oder so."
„Es ist perfekt, Baby", entgegnet Yoongi und kann sich der betörenden Wirkung seines Gegenübers nicht länger entziehen. In einer fließenden Bewegung greift er nach seiner Hand, zieht ihn nah an sich heran. Umfasst mit der anderen Hand den Choker um Jimins Hals, um die Reißfestigkeit des Stoffes zu überprüfen. Er stiehlt sich ein Kuss von den plumpen Lippen, ohne danach zu fragen.
„Vielleicht würg ich dich später ein bisschen damit", flüstert Yoongi leise in Jimins Ohr und zieht verspielt an dessen Halstuch.
Namjoons verlegenes Räuspern wird zu einem ausgeprägten Hustanfall. „Yo Leute, ist gut jetzt. Muss ich dieses Geturtel jetzt den ganzen Abend ertragen? Fuck. Wir hätten noch Taehyung einladen sollen. Dann wäre ich wenigstens nicht der einzige Single hier im Raum gewesen."
Yoongis Reaktion darauf ist nur ein weiterer, gestohlener Kuss von den betörenden Lippen. Sein Grinsen ist dabei jedoch zu breit, als dass eine sexuelle Spannung hätte entstehen können. Er ist glücklich.
„Taehyung hätte dich auch nicht gerettet. Der hat doch auch ne Freundin, oder nicht? Hattest du das nicht letztens noch geschrieben?", erkundigt sich Yoongi an Jimin gewandt.
Der winkt teilnahmslos ab und tritt unwillkürlich ein paar Schritte von Yoongi zurück. Will die Situation vielleicht für seinen besten Freund angenehmer gestalten, dass sich Namjoon nicht mehr so einsam neben ihnen fühlen muss. „Ne, die haben sich schon vor ner ganzen Weile voneinander getrennt. Hab gedacht, ich hätte es dir erzählt."
„Ne, hast du nicht", erwidert Yoongi, doch kann seinen Satz nicht fortsetzen, weil er unwirsch von Namjoon unterbrochen wird: „Was? Der hatte ne Freundin? Wie hat er das denn geschafft?"
Jimin senkt den Blick zu Boden und zupft weiterhin an seinem Outfit herum. Zieht es sich über die Handgelenke und kontrolliert, ob seine Unterarme bedeckt sind, auch wenn er die Hände ein wenig anhebt. Ist immer pedantisch darauf bedacht, dass niemand seine Narben sehen kann, dass sie immer bedeckt von verzauberten Stoffen sind, die von der verstörenden Wahrheit darunter ablenken können.
„Ach Namjoon, du bekommst auch gar nichts außerhalb von deiner Musik mit", winkt Jimin teilnahmslos ab. „Du kennst Taehyung doch gar nicht so richtig. Er ist echt toll. Total traurig für ihn, dass ihn seine Freundin verlassen hat..."
Namjoon schaut skeptisch, aber sagt nichts weiter dazu. Auch Yoongi beschließt für sich, das Thema ruhen zu lassen. Er kennt diesen Taehyung ja gar nicht. Da kann es ihm auch egal sein, ob er jetzt Single ist oder nicht. Auch wenn er sich ziemlich sicher ist, dass er erst vor wenigen Tagen mit Jimin über ihn gesprochen hat. Sie saßen in seinem Musikzimmer und haben sich die bisherigen Aufnahmen von Seesaw angehört. Yoongi war ein bisschen genervt gewesen, weil Jimin unverhältnismäßig viel mit seinem Handy beschäftigt war und dem Track, Yoongis Meinung nach, nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt hat, wie dieser es verdient hat. Er hat Jimin danach gefragt, mit wem er schreibt und Taehyung als Antwort bekommen. Sein Mitbewohner. Der Streit mit seiner Freundin hatte und deswegen bei Jimin Trost gesucht hat. Oder? Oder hat Jimin erzählt, dass sie sich bereits getrennt haben und er deswegen getröstet werden musste?
Yoongi hat die Erklärung jedenfalls anstandslos akzeptiert und sich darauffolgend wieder mit voller Konzentration seiner Aufnahme gewidmet. Wenn es um Musik geht, dann handelt nur noch der Perfektionist in ihm. Wenn es darum geht, einen Track seinen endgültigen Schliff zu erteilen, dann ist da kein Platz in Yoongis Gedanken dafür, warum ein fremder Mitbewohner getröstet werden muss.
Wahrscheinlich hat er Jimin falsch verstanden, weil er zu abgelenkt war.
Jimins weiche Lippen pressen sich auf seine und holen Yoongi zurück aus dem Musikstudio, zurück in die Gegenwart.
„Wo warst du denn mit deinen Gedanken?", fragt ihn der Rosahaarige weich lächelnd.
„Egal", antwortet Yoongi. Er ist so schwach für den Jüngeren. Am liebsten würde er ihm das glänzende Stück Stoff auf seinem Oberkörper sofort wieder ausziehen. „War nicht so wichtig", ergänzt er, „Was hab ich verpasst?"
„Ich hab gefragt, ob wir loswollen", wiederholt sich Jimin.
Namjoon nickt bekräftigend: „YES, PLEASE. Im Club kann ich euch wenigstens aus dem Weg gehen, wenn ihr mir zu viel werdet."
„Neidisch?", zwinkert ihm Yoongi zu und beugt sich für einen weiteren, schnellen Kuss zu Jimin.
„Niemals", antwortet Namjoon wie aus der Pistole geschossen.
Yoongi lacht bloß und greift blindlings nach seinem Schlüsselbund. Kontrolliert in den Hosentaschen, ob er Portemonnaie und Handy bereits eingepackt hat. Dann nickt auch er: „Kann losgehen. Leute, ihr wisst, ich bin eigentlich nicht so der Feier-Mensch, aber dieser Abend gehört uns, okay? Das letzte Jahr war durchzogen von Höhen und Tiefen, aber heute fallen wir nicht, wir fliegen, okay? Und wenn ihr richtig Glück habt, denn seht ihr mich heute Abend sogar tanzen."
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich will...", erwidert Namjoon, doch seine Augen funkeln voller Vorfreude.
„Ach, halt du die Fresse. Du tanzt wie ein Nilpferd, Namjoon", wendet Jimin ein, während er sich gelassen seinen dicken Wintermantel überzieht.
„Ey, was ist eigentlich dein Problem? Ich tanze mit Ausdruck, klar? Vielleicht nicht so elegant und grazil wie du, aber dafür hinterlasse ich Eindruck bei den Leuten."
„Eindruck? Furcht kann man das auch nennen. Oder Angst. Du machst den Leuten Angst, wenn du tanzt. Red dir das nicht schön." Jimins Stimme klingt gelöst und frech. Sie verrät ihn, dass keine seiner Aussagen nur ansatzweise böse gemeint sein könnte. Auch er ist im letzten Jahr gefallen, nur um dabei zu bemerken, dass er fliegen kann.
Yoongi lacht. Er ist glücklich.
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Die Nacht zieht an ihnen vorbei. Die Schatten und Lichter des flackernden Stroboskoplichts bilden Schlieren, die vor ihren alkoholverhangenen Augen wirken, wie der Schweif eines Kometen.
Sie tanzen, bis sie schweißbedeckt und atemlos sind. Jimin hat nicht untertrieben. Namjoon ist extravagant in seinem Tanzstil. Nimmt sich selbst nicht allzu ernst damit. Manchmal wird ihnen vor Lachen ganz schwindelig und dann drehen sie sich um sich selbst und umeinander und heute Abend, da sind sie zusammen ein ganzes Universum. Wenn Jimin tanzt, dann hält die ganze Tanzfläche ihren Atem an. Er wird von Blicken verfolgt und ausgezogen, eingeladen und durchbohrt. Die Menge leckt sich ihre schmutzigen Finger nach ihm. Und Yoongi kann gar nicht glauben, dass er derjenige ist, der die ganze Zeit Jimins Hand hält. Sie stehlen sich gemeinsam auf die Toilette und voneinander verbotene Küsse, die auch für einen schäbigen Club in Downtown Daegu zu intim sind, um sie in der Menge zu teilen. Alles dreht sich, verschwimmt miteinander und ineinander und die vielen Farben sind wie ein Komet. Sie trinken, bis sie Glück und Wehmut nicht mehr voneinander unterscheiden können.
Um Mitternacht bestellt Yoongi Sekt für sie drei. Er weiß nicht, warum er das tut. Hat nie zuvor Sekt getrunken. Doch er möchte Jimin etwas bieten. Etwas, das funkelt und glitzert und perlt, in dem sich das Licht bricht und Regenbogenfarben mischt. Etwas, nicht ganz so dunkel wie Yoongis Herz. Obwohl er Jimin auch das anbietet.
Das Klirren ihrer Gläser steht für den Neuanfang, den jedes neue Jahr verspricht. Namjoon kippt den Sekt auf Ex, umarmt sie flüchtig und verschwindet wieder in der Menge. Weiter feiern, weiter trinken, weiter von Exzessivität kosten.
Doch in Jimins Augen funkeln die Lichter, Liebe und Verheißung. Yoongi kann sich von ihrem Anblick nicht losreißen. Bemerkt auch die Nuance von Schmerz, welche die Augen dieses wunderschönen Jungen nicht mal in der sorglosesten Nacht loslässt. Sie stoßen noch einmal miteinander an, diesmal nur sie beide. Wünschen sich, dass dieses Jahr gut wird. Besser als das letzte. Wünschen sich, dass so manch verbitterte Narbe endlich aufhören kann wehzutun. Dass traurige Erinnerungen im kommenden Jahr von schöneren übermalt werden können. Das neue Jahr soll nicht dienen, um zu vergessen. Aber es soll Platz bieten für all die Hoffnung, die in Yoongis Herzen überquillt.
Seine Lippen formen Ich liebe dich, doch es klingt selbst in seinen eigenen Ohren nur wie ein betrunken-lallendes frohes neues Jahr.
Als sie aus dem Club nach draußen stolpern, bildet er sich für einen kurzen Moment ein, aus dem Augenwinkel einen Blick auf eine Sternschnuppe zu erhaschen. Unwillkürlich schließt er die Augen und formuliert seinen Wunsch. Jimin. Mehr braucht es nicht. Der Schweif der vermeintlichen Sternschnuppe hat sich wie ein Tattoo auf seine Retina gebrannt. Er sieht sie auch bei geschlossenen Augen. Lächerlich, oder? Über Daegu waren doch schon ewig keine Sterne mehr zu sehen.
Zuhause schläft er mit Jimin zusammen in seinem Bett. Namjoon liegt auf einer ausgerollten Matratze in seinem Musikzimmer.
Heute Nacht schlafen sie nicht miteinander. Sie halten sich lediglich aneinander fest. Halten sich so fest, als wären sie alles, was sie im kommenden Jahr brauchen werden. Und das sind sie auch. Zumindest in diesem Moment.
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Yoongi wacht auf, weil aus seinem Nebenzimmer leise Geräusche an sein Ohr dringen. Er erkennt die Reihenfolge der Töne sofort. Es ist Seesaw, sein noch ungeschliffenes Projekt, an dem er in den letzten Tagen gemeinsam mit Jimin gearbeitet hat.
Scheinbar ist Namjoon schon wach und konnte nicht widerstehen, in Yoongis Heiligtum vorzudringen. Er lebt genauso sehr für die Musik, den Hip-Hop und Rap. Kann kaum einen Tag ohne sie verbringen, ähnlich wie Yoongi. Letztendlich ist es ja auch das Element, was ihre beiden Wege miteinander verbunden hat.
Jimin neben ihm schläft noch. Seine Lippen sind dabei leicht geöffnet und er atmet leise durch den Mund ein und aus. Wenn er schläft, lässt endlich der Schmerz von ihm ab, der ansonsten stets versteckt in seinen Gesichtszügen zu finden ist. Yoongi hofft, dass ihm die Traumwelt heute gewogen ist und ihm schöne Welten schenkt. Ein neues Jahr sollte immer mit einem schönem Traum beginnen.
Er bleibt noch einen Moment neben Jimin liegen. Ist sich unsicher, ob er ihn wecken oder alleine zu Namjoon schleichen soll. Letztendlich ist es ihr Song... Er sollte vielleicht nicht mit einer anderen Person daran arbeiten. Andererseits sind sie alle miteinander befreundet. Jimin kann dazu stoßen, sobald er aufwacht.
Yoongi versucht jedes Geräusch zu vermeiden, als er die Bettdecke leise zurückschlägt und sich in Boxershorts, einem alten T-Shirt und barfuß auf den Weg ins Nebenzimmer macht. Namjoon schaut nicht einmal auf, als er die Tür öffnet. Seine Haare sind noch ganz durcheinander vom Schlaf und er hat sich ebenfalls nicht die Mühe gemacht, etwas überzuziehen, bevor er den Computer hochgefahren hat. Yoongi lässt sich auf dem Boden neben ihm nieder und beobachtet den anderen stumm in seinem Tun. Hat genug Vertrauen in das künstlerische Genie neben ihm, um zu wissen, dass er seinen Song nicht ruinieren wird. Durch seine Anmerkungen ist Yoongis Musik bislang immer nur gewachsen.
„Das ist gut", erklärt Namjoon schließlich, verzichtet auf die überflüssige Begrüßung, wenn sie doch auch über Musik sprechen können. „Jimins und deine Stimme passen gut zusammen. Er lässt den Song verzweifelter wirken. Authentischer. Ihr seid wie die zwei Seiten der Wippe. Stetig auf und ab."
Yoongi nickt still. Ähnliche Überlegungen hat er selbst getätigt, bevor er sich dazu entschlossen hat, Jimins Tonspur in den Track aufzunehmen.
„Aber was hältst du davon...", fragt Namjoon und fängt gleichzeitig an, in dem Musikprogramm herumzuklicken. Er separiert Yoongis ersten Rappart und kopiert ihn. Die zweite Spur setzt nun zeitversetzt ein, aber nur ganz wenig und viel leiser. Ist kaum zu hören, lässt die erste, viel prominentere Spur langsam aushallen.
„Wie ein Echo, oder?", erkundigt sich Yoongi, während er aufmerksam den Bewegungen seines Freundes folgt.
„Genau", nickt Namjoon und klickt weiter. Spielt mit der Lautstärke und dem Reproduktionsfaktor, bis er zufrieden ist und den Takt mit dem Kopf mitzählt.
„Wir müssen auch noch am Pluck Synthie arbeiten... Ich bin damit nicht zufrieden. Er wirkt irgendwie... Ich weiß auch nicht. Stumpf, vielleicht? Transportiert nicht den Sound des restlichen Songs. Weißt du, was ich meine?"
Namjoon reagiert nicht verbal, sondern lässt die Gesangsspuren verschwinden, während er den entsprechenden Synthesizer im Programm aufruft. Sie hören ihn sich mehrfach stumm an. Kommentieren nicht, sondern lauschen andächtig jedem Ton. Sie sitzen ohnehin schon nah beieinander, doch Yoongi klettert nun beinah auf Namjoons Schoß, als ihm endlich auffällt, was ihn schon die ganze Zeit gestört hat. Er greift hektisch nach der Maus, um nun seinerseits die Tonhöhe und die Geschwindigkeit zu regulieren. Spielt damit, wie mit der Bewegung einer Welle. Auf und ab. Seesaw. So muss es klingen.
Yoongi bemerkt überhaupt nicht, wie sehr er Namjoon bei seinem Tun auf die Pelle rückt. Bemerkt den Atem in seinem Nacken nicht, wie er über seinen Hals streicht und an seinem Ohr kitzelt. Bemerkt nicht, dass Namjoons Arm ihn umfasst hat, um seinen eigenen Körper zu stabilisieren, damit er sich an Yoongi vorbeiräkeln kann, um ebenfalls den Bildschirm zu betrachten. In seinem Kopf spielen nur noch Töne, Melodien, Klänge. Alles andere im Raum wird zum Statist.
„Jaaaa...", gibt Namjoon lediglich gedehnt von sich, als er endlich erkennt, was Yoongi mit seinen hektischen Bewegungen dabei ist zu kreieren. „Das passt viel besser. Lass mal so laufen, veränder nicht noch mehr, sonst geht das ursprüngliche Feeling verloren."
Und dann konzentrieren sie sich erneut die Spur des Synthesizer. Ihre Körper immer noch eng miteinander verwoben, aber gedanklich nur fokussiert auf die Musik und ihr Funktionieren. Das Perfektionieren. Das Synchronisieren, bis jede Tonspur in Vollendung miteinander harmoniert. Ihre Köpfe zählen den Takt.
alright, i'm sick of this seesaw game
"Wollt ihr mich eigentlich verarschen?", Jimins Stimme liegt fernab seiner gewohnten Stimmlage. Schwankt irgendwo zwischen hysterisch und wutentbrannt.
„Ich liege im Nebenzimmer und schlafe, während ihr euch still und heimlich ins Nebenzimmer verkriecht, um miteinander rumzumachen? Tickt ihr noch ganz sauber?"
Jimin lässt ihnen in seiner Rage keine Chance zu Wort zu kommen.
„Und dabei hört ihr UNSEREN SONG, Yoongi? Was ist das? Gibt dir das so 'ne perfide Art von Befriedigung, wenn du mit 'nem anderen rummachst, während ich im Hintergrund singe? Macht dich das geil?"
Yoongi ist so verletzt von seinen Worten, dass er vergisst, sich zu verteidigen. Und Jimin ist noch lange nicht fertig. Er holt nur tief Luft, um weiter böses Blut auf sie niederregnen zu lassen.
„Und du Namjoon? Stehst du jetzt plötzlich auf Kerle? Hat es dir nicht mehr gereicht, dass du mir früher die Mädels ausgespannt hast? Musst du jetzt auch noch ausprobieren, ob du auch bei meinen Kerlen landen kannst? Was ist das hier für eine Scheiße? Wie lang läuft das schon?"
Namjoon reagiert wesentlich gelassener als Yoongi. Verzieht keine Miene bei den ungerechtfertigten Anschuldigungen. Hat Jimin wahrscheinlich schon öfter vollkommen ekstatisch erlebt.
„Beruhig dich mal. Wir haben überhaupt nichts gemacht. Guck doch mal genauer hin, wir sitzen nur nebeneinander. Hier läuft gar nichts", entgegnet Namjoon ruhig, hält den Blickkontakt mit Jimin aufrecht, dessen Schultern unkontrolliert zu beben begonnen haben.
„Nichts gemacht?", wird ihm wütend entgegengeschleudert. Jimin hat nun eindeutig die Grenze zur Hysterie überschritten. „Er sitzt auf dir, verdammt nochmal. Ihr seid beide halbnackt. Du hast deinen Arm um ihn gelegt und knabberst ihm am Ohrläppchen rum. Ich bin nicht blind, okay? Und dumm bin ich auch nicht, auch wenn ich vielleicht nicht so intelligent bin, wie Mr. Genious Kim Namjoon. Verkauf mich nicht für blöd. Ich weiß mittlerweile, wie du drauf bist, wenn du jemanden haben willst. Nimmst nie Rücksicht auf irgendwelche Verluste. Dann ist dir alles scheißegal."
Jimin schnauft, um Luft zu holen. Will weitermachen mit seinen Anschuldigungen. Yoongi ist zu geschockt von der Situation, um zu reagieren. Er hat den rosahaarigen Jungen noch nie so erlebt, ist vollkommen überfordert.
Zwischen Jimin und Namjoon fliegen Worte umher wie Punching-Bälle. Yoongi ist beschäftigt genug damit, ihnen zu folgen. Verfolgt das Gespräch wie einen Kinofilm, dessen Haupthandlung gerade eine tragische Wendung genommen hat. Irgendwann verlässt auch Namjoon den Rahmen kühler Gelassenheit und wird ebenfalls wütend.
„Jimin, jetzt halt endlich mal die Luft an. Ich wiederhole mich nur ungern, aber: WIR HABEN NICHTS GEMACHT. Punkt. Ende der Diskussion. Wir saßen nebeneinander und haben an eurem beschissenen Song gearbeitet. Ich war neugierig und hab den PC hochgefahren. Yoongi ist irgendwann dazu gekommen. Das wars."
„Ende der Diskussion? Ich hab noch nicht mal richtig angefangen. Immer, wenn dir irgendwas nicht passt, beendest du das Gespräch, so wie es dir passt. Ich bin nicht blind, verdammt nochmal. Ich weiß, was ich gesehen hab, also hör doch bitte endlich auf, mir hier so eine Scheiße zu erzählen und zu erwarten, dass ich sie dir auch noch abkaufe", entrüstet sich Jimin. Seine Schultern beben weiterhin unkontrolliert. Seine Gesichtsfarbe hat sich in einem unschönen Rotton verfärbt. Er wirkt so verzweifelt in seiner Wut. Yoongi möchte ihn trösten. Etwas sagen, um die Situation zu erklären. Es besser machen. Aber aus seinem Mund kommen einfach keine Worte.
„Ich erzähl dir keine Scheiße. Ich steh nicht mal auf Männer, was hätte ich also davon, mich hier an Yoongi ranzumachen? Mh?", entgegnet Namjoon provokativ. Hat eindeutig die Nerven und die Geduld verloren, um den Streit auf einem konstruktiven Weg beizulegen.
„Was hattest du davon, mir die Mädels auszuspannen, mit denen ich was hatte? Was weiß ich? Vielleicht deine kranke Ader, den Zwang, dass du dich immer wieder beweisen musst? Beweisen musst, dass du besser bist als ich? Dass du alles haben kannst, was ich auch habe?"
Yoongi möchte sich die Ohren zuhalten. Geht es in dem Gespräch überhaupt noch um ihn? Oder haben sie diese Grenze schon lange überschritten? Doch Jimins Worte sind wie Peitschenhiebe und jeder Schlag trifft Yoongis Herz.
„Ich wollte mich dir gegenüber nie beweisen. Alter. Ich hab mich nicht einmal mit dir verglichen. Das ist hier doch kein Konkurrenzkampf, verdammt. Die Mädels, auf die du anspielst, man, das ist Jahre her. Ich war damals viel jünger und hab keine Grenzen akzeptiert, ok? Aber mittlerweile weiß ich schon, was ich anfassen kann und was ich sein lassen sollte", erklärt sich Namjoon und reißt sich sichtlich zusammen, um nicht genauso hilflos seinen Emotionen zu verfallen wie Jimin.
„Ganz eindeutig weißt du das nicht. Oder warum liegen deine dreckigen Hände auf MEINEM Mann? Du bist so erbärmlich, Namjoon. Erzählst mir lang und breit von deinen ganzen Affären und Betthäschen und den Mädels, bei denen du nach einer Stunde schon wieder das Interesse verlierst und wie stolz du darauf bist. Und kaum siehst du, wie glücklich ich mit einer EINZIGEN Person sein kann, setzt du alles daran, es mir kaputt zu machen."
„Sag mal" und jetzt sieht man Namjoon an, dass er die Beherrschung endgültig verloren hat, „Wer will denn jetzt hier wen verarschen, mh? Glücklich mit einer einzigen Person? Vielleicht solltest du mal anfangen damit, ehrlich zu Yoongi zu sein, bevor du hier so ne beschissene Show abziehst. Was ist das mit Taehyung, hä? Du hast absolut kein Recht darauf, hier so ne Show abzuziehen. Und jetzt beruhig dich endlich oder verpiss dich. Ich hab kein Bock auf dieses unnötige Drama."
Und damit ist das Gespräch beendet.
In Yoongis Ohren klingen die Worte der beiden Kontrahenten noch nach, als so viele Dinge gleichzeitig geschehen.
Jimins Blick trifft ihn. Er ist verletzt, vielleicht auch schockiert und irgendwie entblößt. Da ist Angst, aber auch so viel Wut und insgesamt einfach viel zu viele Emotionen auf einmal, als dass Yoongi sie innerhalb dieser einen Sekunde differenzieren kann. Dann dreht sich Jimin um und verlässt den Raum.
Namjoon rückt von ihm ab und massiert sich gestresst seine Schläfen. Seine Atmung ist hektisch und gequält. Obwohl es sicher nicht der erste Streit mit Jimin ist, scheint es ihn trotzdem stark mitzunehmen.
Yoongi versucht noch, sich zu sammeln und Worte zu sammeln, um auf das Geschehene zu reagieren. Möchte Jimin trösten und ihm sagen, dass er nicht sauer sein muss, weil Namjoon die Wahrheit spricht. Weil wirklich nichts zwischen ihnen geschehen ist. Gleichzeitig möchte er aber auch nachfragen, was die letzte Äußerung zu bedeuten hat.
Vielleicht solltest du mal damit anfangen, ehrlich zu Yoongi zu sein
Die Worte klingen in ihm nach wie das Echo, dass sie eben noch künstlich erschaffen haben.
Als Yoongi endlich die Kraft gefunden hat, sich von seinem Platz zu erheben und in sein Schlafzimmer zu wanken, steht Jimin schon fertig angezogen vor ihm. Seine Augen sind vor lauter ungeweinter Tränen schon ganz rot angeschwollen. Aus seiner Nase läuft ungehindert Rotz, den er mit einigen unbeholfenen Versuchen wieder hochzieht. Er zirkuliert durch das Zimmer wie ein Orkan. Wirft hektisch alle seine Kleidungsstücke in seine Reisetasche, ohne Yoongi auch nur einen Blick zu schenken.
„Wir sind dann auch fertig miteinander, oder was?", fragt Jimin herausfordernd. Seine Stimme hat nicht ein bisschen an Hysterie verloren, seit er angefangen hat zu sprechen.
„Was? Hä? Nein", reagiert Yoongi intuitiv. „Nein, auf keinen Fall. Wir müssen nur miteinander reden, Jimin. Was ist da eben passiert? Namjoon hat Recht, zwischen uns..."
„Nicht du auch noch", unterbricht ihn Jimin rigoros. „Jetzt stell dich nicht auch noch auf seine Seite. Ich kann es nicht ertragen, wie sich immer alle auf seine Seite stellen."
„Ich stell mich nicht auf seine Seite, aber er hat Recht. Da lief...", Yoongi kommt nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Er fühlt sich so hilflos und kann nur mitansehen, wie Jimin achtlos mit Worten um sich wirft, als wären sie Messer. Und wie Kleidungsstück für Kleidungsstück in seiner Tasche verschwindet. Wie er sich bereit macht zu gehen. Bereit macht, Yoongi zu verlassen.
„Da lief nichts BLA BLA. Jetzt lügst du auch noch für ihn. Ich kann es nicht mehr hören. Ich ertrage es nicht, verstehst du das?"
Jimin blickt ihm noch ein letztes Mal intensiv in die Augen, bevor er blindlings in seine Schuhe schlüpft und sich die Reisetasche über die Schulter wirft.
„Ich gehe, okay?"
Nichts ist okay.
„Ich will nicht, dass du mich anrufst."
In Yoongis Augen sammeln sich Tränen.
„Viel Spaß mit ihm", Jimin nickt verachtend in Richtung des Musikzimmers. „Hoffentlich macht es dich jetzt nicht mehr geil, mit ihm rumzumachen, während meine Stimme im Hintergrund läuft."
Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss.
Yoongi versucht immer noch zu begreifen, was gerade geschehen ist.
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Namjoon hat ihm einen Tee gekocht, um ihn aus seiner Schockstarre zu befreien. Er selbst hat sich wesentlich schneller wieder gefangen und lächelt nachsichtig, als Yoongi die Tasse mit beiden Händen festumklammert und immer wieder einen kleinen Schluck aus ihr trinkt.
Seit Jimin weg ist, schweigen sie. Sein Abgang hat sie sprachlos hinterlassen.
Sie beide waren zwischenzeitlich duschen. Getrennt voneinander, natürlich. Namjoon hat schon seine Sachen zusammengeräumt und ist ebenfalls bereit für die Heimreise.
„Kann ich dich allein lassen, man? Du siehst nicht gut aus."
Yoongi nickt, während sich sein Blick in der Teetasse verliert. Er hat nicht die Kraft dafür, Namjoon in die Augen zu blicken. Dabei haben sie sich überhaupt nichts vorzuwerfen. Aber irgendwie fühlt es sich trotzdem so an.
„Ich denk nur", fährt Namjoon fort, „Es ist besser, wenn ich nicht mehr hier bin, wenn er wiederkommt. Sonst denkt Jimin nur wieder was Falsches."
„Du denkst, er kommt wieder?", erkundigt sich Yoongi zweifelnd.
„Klar. Er ist ausgetickt. Ich kenn das von ihm. Dann ist er überfordert und rennt weg, weil er nicht einsehen kann, dass er etwas falsch gemacht hat. Es dauert zwar manchmal ein bisschen, aber er wird wiederkommen."
„Ich bin mir da nicht so sicher...", Yoongis Stimme ist nur ein Flüstern.
„Ich mir schon. Er mag dich. Er wird zurückkommen. Seine Verfassung wird vielleicht nicht die Beste sein, aber ich denke, dass er noch heute wieder vor deiner Tür stehen wird. Er steigt nicht in den Zug und fährt einfach so zurück nach Busan", Namjoons Stimme transportiert eine Sicherheit, der sich Yoongi gedankenlos ergeben will.
„Was meinst du eben damit, als du sagtest, dass Jimin ehrlich zu mir sein soll?" Es kostet ihn so viel Kraft, diese Worte laut auszusprechen.
„Man, das tut mir so leid, dass ich das eben gesagt hat. Mir steht es nicht zu, mich da einzumischen. Ich bin auch mit Jimin befreundet und hab schon zu viel gesagt. Red' mit ihm darüber, okay? Mehr kann ich leider nicht tun, Kumpel. Sorry."
Yoongi nickt verstehend. Hat mit dieser oder einer ähnlichen Antwort gerechnet.
Schlussendlich ist ihm klar, muss er sich diesem Monster alleine stellen.
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Als es schließlich endlich klingelt, stürzt Yoongi zur Haustür. Er hat gehofft, dass Jimin zurückkehren wird. Gehofft, mit jedem Schlag seines Herzens.
bum, bum, bum
Er hat sich die Situation in unterschiedlichen Varianten ausgemalt. Doch auf den tatsächlichen Anblick von Park Jimin ist er nicht vorbereitet. Ähnlich wie das Foto, dass ihm sein Gegenüber vor gefühlt einhundert Jahren geschickt hat, trifft ihn auch diesmal der Anblick der zerfetzten Unterarme mit der vollen Wucht eines ungebremsten Kinnhakens.
Das Blut läuft Jimins Hände hinab und kommt mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf.
platsch, platsch, platsch
Ironischerweise tropft Jimins Blut im Gleichklang zu Yoongis Herzschlag.
Ursprünglich hat er geplant, sauer auf Park Jimin zu sein. Wegen seinem überdramatisierten Abgang. Den Sorgen, die er sich gemacht hat, während er verschwunden war. Der grundlosen Eifersuchtsszene. Den ungerechten Vorwürfen bezüglich seiner Handlungen. Und wegen den Lügen, von denen Yoongi nicht sagen konnte, welche sich davon nur als Wahrheiten getarnt hatten.
Doch diesen irrsinnigen Gedankengang hatte er genauso schnell wieder verworfen, wie er gekommen war. Yoongi weiß, dass er nicht sauer auf Jimin sein kann, wenn dieser erst einmal in persona vor ihm steht. Er hat dem rosafarbenem Haar, den großen, grüngrauen Augen und dem verführerischen Schwung seiner Lippen nichts entgegenzusetzen. Also kapituliert er lieber vorzeitig.
Stattdessen plante Yoongi ein ruhiges Gespräch zu führen. Sachlich. Ohne überkochende Emotionen und überlaufende Herzen. Ohne spitze Worte, nur ausgesprochen, um das Gegenüber möglichst grobschlächtig zu verletzen. Noch einmal die Situation von heute Morgen erklären. Sich dafür entschuldigen, dass Jimin sie so leicht falsch verstehen konnte.
platsch, platsch, platsch
Ruhig nachfragen, was Namjoon mit seinen Worten meinte. Keine voreiligen Schlüsse ziehen, bevor er nicht Jimins Version der Geschichte kennt.
Yoongi wollte seine Hand nehmen und mit ihm auf sein Zimmer gehen. Die Vorhänge zuziehen, um jedes noch so kleine Quäntchen Licht der Außenwelt auszusperren. Nur sie beide und er, wie er Jimins Hand hält. Sie hatten sich schon immer stumm darauf verstanden, dass so manche Wahrheit nur in der Dunkelheit ihren Platz fand. Und diesmal war sich Yoongi sogar sicher gewesen, dass sie beide auch nur im Dunkeln die Kraft für das Aussprechen dieser Wahrheiten finden würden.
platsch, platsch, platsch
bum, bum, bum
Jimins Blut und Yoongis Herz tropfen-klopfen immer noch im Einklang. Die Zeit zwischen ihnen ist eingefroren, stillgestanden.
Unweigerlich muss Yoongi daran denken, wie ihm Jimin seine Angstzustände beschrieben hat. Dass er objektiv weiß, dass es keinen Grund für seine extremen Emotionen gibt. Aber dass er in seiner Angst trotzdem nicht mehr die Kraft findet, auch nur einen einzigen Muskel seines Körpers zu bewegen.
So muss es sich also anfühlen.
Angst bedeutet Stillstand. Bewegung bedeutet Hoffnung. Das Schneiden bedeutet für Jimin Hoffnung.
platsch, platsch, platsch
Yoongi versucht sich an den Worten festzuhalten, wie er sich an dem Türgriff seiner geöffneten Haustür festkrallt.
Bewegung bedeutet Hoffnung.
Jedoch viel mehr, als ein Schnitt es jemals könnte.
Plötzlich wird ihm bewusst, dass Jimin Recht mit seiner Aussage hatte. Und sich gleichzeitig geirrt hat.
bum, bum, bum
Es gibt mehr Bewegung in deinem Körper, als nur das fließende Blut aus einer offenen Wunde. Auch wenn die Angst dich lähmt, es gibt mehr Bewegung als das.
bum, bum, bum
Yoongis Herzschlag ist überlaut in seinen eigenen Ohren. Er spürt die Vibration zuerst in seinem Brustkorb. Von dort bis in seine Fingerspitzen. Konzentriert sich darauf.
Da! Jetzt ist sie auch in seinen Fußspitzen angekommen. Sein Herzschlag ist überall. Er vibriert. Er bewegt sich. Und er ist schnell und er ist polternd, stolpernd, ein bisschen holprig, aber eben auch kräftig.
bum, bum, bum
Bewegung bedeutet Hoffnung. Und bedeutet auch, seine Angst zu überwinden. Ohne sich zu verletzen. Und plötzlich ist da Bewegung in Min Yoongis Körper, während Jimin immer noch versteinert vor ihm steht.
platsch, platsch, platsch
Sie werden reden. Und höchstwahrscheinlich werden sie auch den schützenden Deckmantel der Dunkelheit für ihr Gespräch benötigen. Aber jetzt, jetzt muss er sich erst einmal um Jimins Verletzungen kümmern. Die Äußerlichen. Die, die er behandeln kann, auch wenn er noch nicht weiß, wie das geht. Die, die sich nicht auf dem Herzen des Jungen vor ihm festgesetzt haben und ihn mit jedem weiteren dumpfen Aufprall innerlich vergiften.
platsch, platsch, platsch
Park Jimin sieht so verloren aus. Seine Haarfarbe beißt sich mit der kleinen Blutlache, die sich zu seinen Füßen gebildet hat.
Yoongi weiß, dass er ihn liebt.
Yoongi weiß nur nicht, ob er es auch kann.
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Es ist fast eine ganze Stunde später, als sie sich endlich in Yoongis Zimmer zurückziehen können.
Jimin ist wieder ansprechbar. Seine Wunden sind gesäubert, desinfiziert und säuberlich verbunden. So gut, wie Yoongi es eben hinbekommen hat. Irgendwo zwischen drin hat Jimin angefangen zu sprechen. Hat ihm Anweisungen gegeben, was zu tun ist, um die Blutung zu stillen, um die Entzündungsgefahr zu senken und um einen ordentlichen Verband anzulegen. Yoongi ist den Anweisungen stumm nachgekommen. Dankbar, nicht weiter alleine und überfordert mit der Situation zu sein. Aber Bewegung bedeutet Hoffnung und deswegen hatte er sich nicht aufgehört zu bewegen.
Die Vorhänge sind zugezogen, obwohl es schon lange Nacht geworden ist. Aber auch der schwache Schein der Straßenbeleuchtung hat nichts mehr zwischen ihnen verloren.
Sie sitzen nebeneinander auf Yoongis Bett, weil sich liegen, nebeneinander liegen, zu intim angefühlt hätte. Jetzt ist da kein Platz mehr für Intimitäten. Jetzt ist nur noch Platz für die Wahrheit. Von der Yoongi nicht weiß, ob er sie bekommen würde. Aber er krallt sich ebenso inbrünstig an der Hoffnung fest, wie eben noch am Türgriff.
Es dauert eine Weile, bis sie ihre Worte wiedergefunden und sortiert haben. Aber als es soweit ist, fangen sie beide gleichzeitig an zu sprechen. Und beide stoppen sie gleichzeitig wieder in ihrem Versuch.
Klischee. Sie sind ein gottverdammtes Klischee einer unglücklichen Liebesbeziehung. Denn das sind sie doch, oder? Unglücklich. Die frischen Schnitte an Jimins Unterarmen sind der schreiende Beweis dafür.
Jetzt müssen sie nur noch das Herz finden, die Worte auszusprechen, Klarheit zu schaffen.
Vielleicht ist die Dunkelheit für diesen Moment nicht genug.
Yoongi schließt die Augen und stellt sich schwarz vor. Er stellt es sich so lange vor, bis er vergisst, wie die Sterne aussehen, wenn sie am Himmel funkeln. Erst dann schafft er es, erneut seinen Mund zu öffnen. Diesmal spricht er, ohne das Jimins Stimme gleichzeitig ertönt.
„Was hat Namjoon gemeint, als er gesagt hat, dass du endlich ehrlich zu mir sein sollst? Wegen Taehyung? Anstatt dich so aufzuführen?"
Yoongi ist noch nicht bereit dafür, über die frischen Schnitte an Jimins Armen zu sprechen. Vielleicht müssen sie das auch nicht. Aber vielleicht ist das auch nur sein Wunschdenken. Er schluckt trocken und kneift die Augen noch etwas fester zusammen. Versucht, sich für die kommende Antwort zu wappnen, obwohl er es besser weiß. Für Worte gibt es kein Schutzschild.
„Das war eine Lüge", gibt Jimin schließlich ein bisschen ungeschickt zu. Ungeschickt in seiner Wortwahl, weil die Antwort nur noch mehr Fragen aufwirft, die sich Yoongi allesamt nicht traut zu stellen. Aber das muss er auch nicht, denn Jimin spricht nach einer langen Pause weiter.
„Also... ich hab nicht dich angelogen. Ich hab Namjoon angelogen. Hab ihm erzählt, dass etwas zwischen uns läuft. Habs ihm erzählt, weil es ja auch stimmt, es läuft ja etwas zwischen uns. Aber vor allem hab ichs erzählt, um vor ihm anzugeben."
Yoongi hat seinem besten Freund auch von Jimin erzählt. Weil Jimin ihn glücklich macht.
"Ich wollt besser sein als er. Verstehst du? Namjoon ist seit Ewigkeiten Single. Prahlt mit seinen losen Affären wie mit Pokalen bei einem Wettbewerb. Wenn er möchte, dann hat er jedes Wochenende ein anderes Mädchen in seinem Bett. Dass er ein bisschen bekannt ist, in bestimmten Szenen, macht ihm die Abschleppnummer noch leichter. Außerdem sieht er gut aus, dass ist dir ja wahrscheinlich auch schon aufgefallen."
Eigentlich hat Yoongi nur Augen für Jimin.
„Kräftig. Groß gewachsen. Süße Grübchen. Beschützertyp halt, mit genau der richtigen Prise Teddybär, sodass man keine Angst vor ihm haben braucht. Und alle Mädchen fallen auf ihn rein. Also wollte ich auch mal damit angeben, dass ich jemanden gefunden habe. Und dass es etwas Festes ist. Weil was Festes doch besser ist, als all diese losen Affären. Ich hab mich endlich gut gegenüber Namjoon gefühlt, so, als hätte ich seit langer Zeit mal wieder gegen ihn gewonnen. Vielleicht auch zum ersten Mal gewonnen."
Bis hierhin kann Yoongi noch keine Lüge entdecken. Er ist auch davon ausgegangen, dass da was Festes zwischen ihnen ist. Keine lockere Affäre. Auch wenn sie nie darüber gesprochen haben.
Aber Jimin ist noch nicht fertig mit seiner Erklärung.
„Aber Namjoon war nicht beeindruckt. Gar nicht. Hat nicht verstanden, was daran so erstrebenswert sein soll, sich den Zwängen und Ketten einer monogamen Beziehung hinzugeben. Monogamie sei doch ohnehin nichts weiter als ein überholtes Konzept.
Verstehst du? Ich hatte nicht gewonnen. Ich hatte zwar jemanden, aber ich hab trotzdem nicht gewonnen."
Doch, will Yoongi einwerfen, du hast doch mich gewonnen. Ist das nichts? Oder ist das nur nicht genug? Aber er traut sich nicht, etwas zu sagen. Seine Lippen bleiben verschlossen, die Augen fest zusammengekniffen. Er braucht eine Panzerung für sein Herz. Dringend. Sonst wird Park Jimin es zerfetzen, genauso wie er es mit seinen eigenen Armen tut. Ohne Rücksicht. Denn Schneiden bedeutet Hoffnung für Park Jimin.
Yoongi kann sich nicht einmal mehr an den Klang seines eigenen Liedes erinnern.
„Also hab ich zurückgerudert, oder viel mehr, ich bin weitergerudert. Hab noch mehr erzählt. Hab ihm zugestimmt und gesagt, dass du ja auch gar nicht der Einzige bist, mit dem ich mich treffe. Dass mir mein Mitbewohner schöne Augen macht. Dass ich mitbekomme, wie er mich in den Tanzstunden abcheckt, meinen Körper beobachtet, Kontakt sucht. Hab erzählt, dass Taehyung der schönste Junge der Welt ist."
Nein, unterbricht ihn Yoongi, wiederum stumm. Du bist der schönste Junge der Welt. Du bist die Junisonne an Wintertagen und machst, dass ich niemals frieren muss. Also warum tust du mir das an?
Dabei ist noch gar nicht wirklich klar, was Park Jimin Min Yoongi denn wirklich antut.
„Und natürlich hab ich dann weitererzählt, dass ich auf die Annäherungsversuche eingegangen bin. Dass wir miteinander geschlafen haben, ein paar Mal. Aber dass ich euch beide mag und deswegen so weitermachen möchte. Dass du der Typ für feste Beziehungen bist und ich es dir deswegen nicht sagen kann. Taehyung hingegen ist da ein bisschen offener eingestellt. Er hat sich nicht daran gestört, als ich von dir erzählt habe.
Aber das war alles gelogen, okay?"
Einmal angefangen sprudeln die Worte aus Jimin, wie eben noch das Blut aus seinen Armen. Und es ist fast genauso schmerzhaft für Yoongi. Wobei. Vielleicht tut das hier noch ein bisschen mehr weh.
„Ich hatte nie was mit Taehyung. Wir hatten nie Sex, wir haben uns nie geküsst. Wir sind nur Freunde, die miteinander tanzen. Taehyung hat sich nicht einmal an mich rangemacht."
Und warum hast du mir dann erzählt, dass er vergeben ist, obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon Single war? Und warum schreibt ihr euch tausende Textnachrichten, wenn du bei mir bist? Obwohl ihr Beide zusammenwohnt und euch ansonsten täglich seht? Bin ich nicht wichtig genug, um dein Handy aus der Hand zu legen, wenn du bei mir bist, um Taehyung zu ignorieren? Wenn er doch nur ein Freund ist?
Yoongi hat tausende Einwände und Rückfragen. Wenn er doch nur mutig genug wäre, auch nur eine davon zu stellen. Doch statt ihm, spricht Jimin weiter.
„Ich hab das Namjoon nur erzählt, um vor ihm anzugeben. Wirklich. Ich wollte nicht als die verweichlichte Pussy dastehen, die sich in die nächste Beziehung stürzt, nur weil sie endlich jemand haben will."
Jimin ist weiterhin ein bisschen ungeschickt mit seinen Worten. Sie spazieren auf Yoongis Herzen herum. Sie zerstampfen es.
„Ich wollte angeben und ich hab Namjoon angelogen. Nicht dich! Das musst du mir glauben. Dass mit Taehyung nichts lief, niemals. Du bist mir so wichtig, Yoongi. Lass es nicht durch diesen einen beschissenen Abend kaputtgehen."
Scheinbar bin ich dir nicht so wichtig, wie vor Namjoon gut dazustehen, denkt sich Yoongi tonlos. Sollte diese Geschichte tatsächlich die ehrliche Variante des Geschehens wiedergeben.
Yoongi war früher genauso. War in der gleichen Situation, zwar aus anderen Gründen, aber trotzdem in genau der gleichen Situation. Hatte auch was mit mehreren Typen gleichzeitig am Laufen. Hat ohne mit der Wimper zu zucken gelogen, wenn es darum ging, die Situation vor jemanden zu verheimlichen.
Und gerade in der Dunkelheit lassen sich Lügen ganz gut tarnen. Besonders gefährlich sind ohnehin die Lügen, die man glauben will. Von denen man sich wünscht, dass sie eigentlich die Wahrheit wären.
Yoongi könnte Licht in die Dunkelheit bringen. In ihrer momentanen Situation sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Den Lichtschalter umlegen und in Park Jimins Augen nach der Wahrheit suchen, die sich dann nicht mehr hinter irgendwelchen düsteren Schatten verstecken kann.
„Glaubst du mir?", durchbricht Park Jimins Stimme ein letztes Mal die Stille zwischen ihnen.
Yoongi antwortet nicht.
Er weiß, dass er ihm glauben will.
Er weiß nur nicht, ob er es auch kann.
Das Zimmer um sie herum bleibt schwarz.
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