[Mixtape Side A & B] - Spring Day
Einen wunderschönen guten Abend & herzlich Willkommenzum letzten Track auf unserem Mixtape namens "Zwischenton" :-)
Vielen Dank, dass ihr mich bis hierhin auf diesem Weg begleitet habt. Danke für eure Reads, Votes und Kommentare!Vor allen Dingen würde ich mich heute darüber freuen, wenn ihr mir vielleicht ein abschließendes Feedback dalasst, dass ich dann mit auf die Reise zu anderen Geschichten nehmen kann. Vielleicht lesen wir uns bald schon wieder - die nächsten Projekte stecken ja schon in den Kinderschuhen :)
Ich empfehle euch "Spring Day" zu diesem Kapitel zu hören. Ich denke, dass der Song ein gebührender Abschluss für dieses Mixtape ist.
In Liebe,
eure Vikki
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mixtape side a & b – spring day
Es dauert mehrere Monate, bis Min Yoongi seine Wohnung wieder aus einer anderen Intention verlässt, als lästigen, alltäglichen Verpflichtungen nachzukommen. Bisher beschränkte sich ein Verlassen seines morbiden Rückzugortes (denn es gab keinen anderen Raum, der ihn so unweigerlich an das erinnerte, was er verloren hatte, wie seine Wohnung, in der er die meiste Zeit mit Park Jimin verbracht hatte) lediglich auf absolut obligatorische Destinationen. Einkaufen gehen. Arbeiten. Fertig.Park Jimins Ableben hatte ein Vakuum in sein Leben gerissen, in der sich omnipräsente Lethargie und süße Apathie stetig die Hand reichten. Oft begleitete ihn die Stille, das Epitom seines Verlustes. Denn mit Park Jimins Tod hatte sich auch die Musik aus Yoongis Leben zurückgezogen. Zu erdrückend waren die Erinnerungen, zu groß der Schmerz. Töne, Melodien und Rhythmen hatten nicht mehr die gleiche Wirkung auf ihn. Sie führten nicht zu dem herbeigesehnten Realitätsverlust, sondern beschworen nur alte Erinnerungen hervor, bei denen Yoongi bisher nicht zu differenzieren wusste, ob er sie negativ oder positiv konnotieren sollte. Er fühlte sich verloren. Und er hatte seinen Geliebten verloren, den er eigentlich schon vorher gehen ließ, aber da nicht für immer, nicht so endgültig und da war es leichter gewesen. Jetzt waren die Tage dunkel, grau und schwarz und insgesamt war Min Yoongi wohl noch nie so weit von sich selbst entfernt, wie in den vergangenen Wochen. Jin hat ihn ein paar Mal dazu gezwungen rauszugehen, um frische Luft zu inhalieren. Hat ihn durch den Park gejagt und mit ihm gemeinsam gegen die Stille angeschwiegen. Manchmal hat er auch Yoongis Hand gehalten. Die Blicke von anderen Passanten wohlweißlich ignorierend, fokussiert auf die eigene Intension, seinem besten Freund Beistand zu leisten. Nonverbal natürlich, denn Jimins Tod hatte Yoongi nicht nur die Musik, sondern auch alle Worte gestohlen.
Sie kehrten mit den Wochen Stück für Stück zurück, jeweils in kleinen Portionen, aber auch nach Monaten war die Anzahl nicht annährend gewaltig genug, um das Loch zu beschreiben, was sich in Yoongis Brust ausgebreitet hatte.
Die sengende Hitze über Daegu hatte sich schon lange zurückgezogen. Der Herbst kam und ging in hellleuchtenden, goldenen Farben, ohne dass Yoongi auch nur ansatzweise daran teilgenommen hat. Für ihn gab es seit dem 12. Juni nur noch eine einzige Farbe: schwarz.
Und so begrüßte er den Winter, mit seinem grauem Himmel und den kurzen Tagen. Die Jahreszeit, in der Dunkelheit omnipräsent und nicht nur in der Nacht zu finden ist. In dem sie sich in die Herzen und Seelen der Menschen schleicht und da ruhig verharrt. Im Winter ist es viel leichter traurig zu sein.
Es ist schon Mitte November, als Yoongi seine schwere, schwarze Lederjacke überwirft, um einem flüchtigen Gedanken hinterherzujagen. Das Kleidungsstück komplementiert sein restliches, ebenso schwarzes Outfit nahtlos, denn seit Yoongi seine Sprachbegabung verloren hat, müssen ersatzweise Farben das ausdrücken, was sich in seinem Inneren abspielt. Trotzdem hat er heute etwas Motivation finden können. Ein Wort, dass sich erst seit einer kurzen Zeit wieder in seinem Sprachgebrauch befindet. Er ist noch meilenweit entfernt von Optimismus, Enthusiasmus oder gar Hoffnung, aber es geht auch mit kleinen Schritten kontinuierlich voran. Für den Moment reicht der Fortschritt namens Motivation aus. Es fühlt sich noch fremd auf seiner Zunge an, vor allen Dingen verstaubt, weil es so lange nicht benutzt wurde. Aber es ist trotzdem ein gutes Wort.
Draußen weht Yoongi ein eiskalter Winterhauch entgegen, den er ehrlich gesagt so nicht erwartet hatte und mit einem beiläufigen Stirnrunzeln quittiert. War nicht eben noch Sommer gewesen? Oder zumindest Herbst? Wo waren die warmen Sonnenstrahlen geblieben? Dann erinnert sich Yoongi mit einem bitteren Lächeln daran, dass er sie vor ungefähr 5 Monaten auf einem Waldfriedhof über Busan beerdigt hat.
Seine schwere Lederjacke bietet nur rudimentären Schutz gegen die bitteren Witterungsverhältnisse. Ein dicker, weicher Parka wäre wesentlich angemessener gewesen. Aber Yoongi fürchtet sich davor, dass ein Wechsel der Kleidungsstücke bedeuten könnte, dass er sein neues Wort Motivation verliert und sich doch wieder nur verkriecht. In seinem Kopf klingen die strengen Worte seines besten Freundes nach, die ihn stringent daran erinnern, dass da draußen noch ein Leben auf ihn wartet. Dass es nicht ewig regnen wird und dass die Gefühle, die ihn zurzeit so zutiefst aufwühlen und determinieren, verblassen werden. Ihre Intensität an Schmerz verlieren werden. Dass es nicht immer Winter sein wird.
Doch das graue Daegu straft Jins Worte bittere Lügen und deswegen vergräbt Yoongi seine Hände noch etwas tiefer in den Taschen seiner schlechtgewählten Jacke. Wünscht sich einen Schal, vielleicht etwas Sonne oder zumindest die Erinnerung daran und bessere Zeiten und macht sich auf den Weg zu seiner angestrebten Destination.
Ein kleines Musikgeschäft an der Ecke, drei Straßen weiter. Früher ist er ständig dort gewesen, um sich durch die Neuerscheinungen zu wühlen und manchmal auch, um mit Bang Yongguk, dem Besitzer des Ladens, eine angeregte Debatte über seine bis dato einzige Leidenschaft, die Musik, zu führen.
Jetzt hat er Bang seit Wochen nicht gesehen. Und er fühlt sich auch nicht danach, eine hitzige Diskussion zu führen. Aber um weiterzugehen ist ein erster Schritt Richtung Musik die existentielle Grundlage. Er kann sich nicht vorstellen, dass Jimin gewollte hätte, dass mit ihm auch die Musik aus Yoongis Leben verschwindet.
Den kurzen Weg hat der traurige Mann in schwarz schnell zurückgelegt. Gedankenverloren betritt er sein Ziel. Das melodische Türklingeln durchschneidet seine Gedankenwelt so sanft wie ein scharfes Messer und weckt ihn auf, fokussiert seine Wahrnehmung. Yoongi bemerkt als erstes, dass ihm in dem Musikgeschäft eine wohlige Wärme empfängt, die er so für eine sehr, sehr lange Weile nicht mehr gespürt hat. Vielleicht ist es die charakteristische Wärme von Musik, die Yoongi aus so einigen dunklen Tälern herausgeführt hat. Vielleicht ist es auch die tröstende Erinnerung daran, dass nicht alles schlecht war. Dass manche Dinge zurückkehren können. Und ein Ende auf einer anderen Seite auch gleichzeitig einen Anfang markieren kann. Wie die zwei Seiten eines Mixtapes. Du musst die Kassette umdrehen, wenn die A-Seite zu Ende gespielt ist. Und plötzlich bemerkst du, dass auf der B-Seite gerade erst am Anfang stehst.
Als zweites bemerkt Yoongi haselnussbraune Augen, die ihn gebannt anstarren und irgendwie den Geschmack eines Wortes in seinem Mund hinterlassen, dass er vor einiger Zeit mal kannte, aber dass ihm ebenfalls verloren gegangen ist. War es Hoffnung? Oder der Geschmack von Bedeutung?
Trotzdem versucht Yoongi alle Gefühle auszusperren. In letzter Zeit ist er nicht sonderlich gut darin, sie zu ertragen. Penetrantes Ignorieren hat sich als bislang als sinnvolle Methode bewährt, um in der Öffentlichkeit seinen Emotionen nicht allzu viel Expressivität zu verleihen. Deswegen begibt er sich ohne Umschweife in die Abteilung für Neuerscheinungen und Rap. Er begrüßt nicht einmal Bang und verweigert es stur, offenkundige Aufmerksamkeit in Richtung des Schülers (denn das muss der Fremde sein, trägt noch eine Uniform und wirkt erstaunlich unberührt von enttäuschten Hoffnungen und zerplatzten Träumen, auffällige Charakteristika eines Kindes) zu symbolisieren, der ihn mit unverhohlener Neugier und Bewunderung aus rehgroßen Augen ausdauernd mustert. Yoongi will ihm keinen Anlass dazu geben, ihn anzusprechen. Er möchte in Ruhe gelassen werden.
Dass sein Plan nicht aufgeht, bemerkt Yoongi schon, als sich der fremde Schüler ihm langsam, aber stetig nähert. Sein erstes „Hey" ist unüberhörbar, die Stimme noch nicht ganz ausgereift, aber bereits etwas zu dunkel für sein noch recht jugendliches Erscheinungsbild. Vorsichtig ausgesprochen, etwas zu hektisch und verwaschen, die Unsicherheit tropft schwer aus jedem Buchstaben.
Obwohl Yoongi ihm nicht antwortet und nicht einen direkten Blick in seine Richtung wirft, kommt er nicht umher, die beneidenswerte Attraktivität zu bemerken, die sich jetzt schon auf den Gesichtszügen des Fremden niederlegt. Er befindet sich mitten im Wandel, steckt fest zwischen dem Aussehen eines ansehnlichen Jugendlichen und dem begehrenswerten Charisma eines jungen Mannes. Er versprüht ein Gefühl von Anfang, dass jedem Wandel unweigerlich auf dem Fuße folgt. Seine Augen buchstabieren Hoffnung in fettgedruckten Lettern.
Yoongi weiß nicht, warum er ihn überhaupt anspricht. Sie haben nichts gemeinsam.
Auch das zweite „Hey" ignoriert er. Und auf die Frage, ob er sich denn mit diesem Musikgenre auskenne, ist seine Zustimmung selbst in seinen eigenen Ohren nur ein unverständliches Brummen.
Yoongi möchte alleine sein. Er bereut die Entscheidung, genau heute seine Wohnung verlassen zu haben. Er bereut, dass er sich für die schwarze Lederjacke und nicht den wärmenden Parka entschieden hat. Er bereut, dass er nicht genug für Park Jimin da sein konnte. Und das er starb, ohne dass Yoongi ihm alles sagen konnte, was es jemals zu sagen gab.
Er greift unwirsch nach der erstbesten CD, die seine Hände erreichen können. Er glaubt, dass er vielleicht ein paar Worte mit dem Schüler gewechselt hat, aber er kann sich nicht richtig daran erinnern. Er überlässt seinem Körper das Handeln und seinem Unterbewusstsein das Sprechen und klinkt sich selbst aus dem Geschehen aus.„Hier kauf die", keift er den Jüngeren unwirsch an, bevor er sich umdreht, um das Musikgeschäft möglichst schnell wieder zu verlassen.
„Junge, was willst du eigentlich von mir?", verliert er kurzzeitig die Fassung, bevor er es endgültig wieder nach draußen in die eiskalte Novemberluft schafft. Die ersten Schritte bringt Yoongi zügig hinter sich, will aus dem Sichtfeld des Geschäfts verschwinden und nicht Gefahr laufen, dass der Braunhaarige ihm folgt. Nicht, dass er sich bedrängt gefühlt hätte, aber sein Herz klopft wie wild und er ist froh, aus der Situation entkommen zu sein. Sie hat ihn überfordert.
Jetzt, wo er es endlich ist, weiß Yoongi nicht mehr sicher, ob er wirklich alleine sein will. In seinem Kopf wird er von funkelnden, haselnussbraunen Augen durchbohrt. Sie versprechen Hoffnung auch in schwarzen Tagen. In Yoongis Mund sammelt sich vor lauter hektischem Atmen Speichel, denn er trocken runterschluckt. Der Geschmack von Bedeutung bleibt.
Und er bemerkt gar nicht, dass ihm die kurzzeitige Begegnung schon jetzt wieder neue Worte geschenkt hat.
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Silvester ist für Yoongi ein neuer Höhepunkt seiner exponentiellen Verzweiflung. Er denkt die ganze Nacht an Park Jimin, sieht die dunklen Wolken am Firmament und bricht beinah unter der Last seiner Traurigkeit zusammen. Ironisch lächelnd denkt er darüber nach, was für ein Glück er doch hatte, mit der Disposition zu diesem Gefühl geboren worden zu sein. Ansonsten hätte er sie in ihrer dammbrechenden Intensität sicher nicht überlebt. Aber so ist Min Yoongi verdammt dazu, sie auszuhalten.
Der nächste Morgen beginnt in den vorsichtigen Rottönen des ersten Sonnenaufgangs des neuen Jahres. Und mit Jin. Der sich nicht einmal die Mühe macht, die Türklingel zu betätigen, sondern das Privileg eines eigenen Schlüssels ausnutzt. Sein Erscheinen trifft Yoongi unvermittelt und schutzlos. In einem fragilen Moment der verzweifelten Sehnsucht, des Bedauerns, Bereuens und Vermissens, erzählt er seinem besten Freund von den letzten zwei Besuchen in Bangs Musikgeschäft. Berichtet von haselnussbraunen Augen, die sich in seine Netzhaut gebrannt haben und von den hoffnungsvollen Versuchen ihres Besitzers, die Liebe in Min Yoongi zu finden, die im vergangenen Jahr verdorrt ist. Yoongi erzählt auch von dem Zettel, der ihm zugesteckt wurde und der dazugehörigen Single, bei der sich bislang nicht dazu überwinden konnte, sie sich anzuhören. Jin hält seine Hand, als er das erste Mal seit Monaten seinen Computer startet, um die CD in das Laufwerk einzulegen. Er ist dankbar für die felsenfeste Beständigkeit, die sein bester Freund verspricht. Und auch dafür, dass da immer eine Hand ist, die bereit ist seine zu halten, wann immer Yoongi sie braucht.
Sie hören gemeinsam einen Track namens Lost Stars.
Es ist das erste Lied, welches er seit Juni bewusst wahrnimmt. Nicht einfach nur beiläufig abspielt, weil es seine Pflicht als Radiomoderator ist, andere mit diesem Medium zu unterhalten.
Der Junge mit den haselnussbraunen Augen schenkt ihm ein Lied. Aber jeder Zwischenton bedeutet Min Yoongi so viel mehr, als er jemals in der Lage dazu sein wird auszudrücken. Der Junge mit den haselnussbraunen Augen schenkt ihm die Wiederentdeckung der Musik. Die Erkenntnis, dass Melodien und Rhythmen nicht mehr nur weh tun. Dass der Schmerz tatsächlich und irgendwie unvorstellbar, zumindest irgendwie verblasst ist.
Und alles was Yoongi tun kann, ist zumindest eine Antwort für ihn zu verfassen. Er wird sie Bang bei seinem nächsten Besuch im Musikgeschäft überreichen. Yoongi schreibt nicht viel, nur einen Ort und eine Uhrzeit. Aber mit etwas Fingerspitzengefühl kann man die Einladung darin erkennen, die er noch nicht bereit ist zu verbalisieren.
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Weitere sechs Monate später bricht der Juli über Daegu herein.
Yoongi ist an einem Ort, den er sich so vor 12 Monaten nicht vorstellen konnte, sowohl räumlich als auch emotional.
Er teilt sich mit Jungkook eine kleine, bescheidene Wohnung. Vielleicht ist es zu früh für die Beiden, jetzt schon zusammenzuziehen. Aber manchmal ist die Zeit auch ein Gegner und wenn es sich richtig anfühlt, dann hat man nicht mal eine einzige Minute zu verlieren.
Min Yoongi ist glücklich. Glück. Vor einem Jahr konnte er sich nicht mal mehr an das Wort erinnern. Er fand es auch erst im Januar wieder, als er gemeinsam mit Jungkook von ihrem ersten Date zurück nach Daegu gefahren ist. Natürlich musste sie ihr erster Weg nach Busan führen, als würden zu dieser Stadt nicht schon genügend erinnerungswürdige Verbindungen bestehen. Auf der Zugfahrt hielt Jungkook zum ersten Mal seine Hand. Es bedeutete so viel mehr als der Kuss, den sie vorher im Sealife miteinander geteilt haben. Er kann sich immer noch daran erinnern, wie die untergehende Sonne das Land in goldene Farbe tauchte und sie gemeinsam in I.U.s – Eight versanken.
Manche Verbindungen können nicht einfach so gekappt werden.
Manche Fäden spinnt das Schicksal und diese sind endgültig unzertrennlich. Yoongi glaubt gerne daran, dass ein solcher Faden ihn mit Jungkook verbindet. Er liebt seine haselnussbraunen Augen und das Hasenzahnlächeln, welches in seiner Anziehungskraft und ansteckender Lebensfreude konkurrenzlos ist.
Wenn er ehrlich zu sich selbst ist, dann muss er wohl zugeben, dass er Jungkook schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen in dem kleinen Musikladen an der Ecke hoffnungslos verfallen ist. Aber damals war er noch nicht bereit dazu, wieder einen Menschen in sein Herz zu lassen, dass erkaltet und starr irgendwie erst daran erinnert werden musste, wieder in rotschwarzer Liebe zu schlagen.
Zum Glück wurde Jeon Jungkook mit der Disposition zur Hoffnung geboren. Ansonsten wäre er wohl wirkungslos an Yoongis kaltem Panzer abgeprallt.
Yoongi glaubt auch daran, dass ihn ein schicksalhafter roter Faden mit Park Jimin verband. Es vielleicht immer noch tun würde, wenn Jimin weiter ein Teil dieser Welt wäre. Aber das ist er nicht. Er ist aufgestiegen an einen höheren Platz. An einen Ort, in dem seine Disposition zum Schmerz hoffentlich von ihm abgewaschen wurde und nur noch das Talent für seinen unglaublichen Gesang übriggeblieben ist. Dass er an diesem Ort mit seinem Vater vereint ist. Und glücklich ist, dass die Welt unter ihm ihn nicht vergisst – niemals – aber sich langsam weiterdreht und vorangeht.
Seine eigene Disposition zur Traurigkeit lässt Yoongi bis heute nicht los. Jungkook sagt immer zu ihm, dass in seinen Augen ein Gewitter ausbricht, wenn die Last in ihm selbst zu schwer wird. Dann hält er ihn ganz fest, bis sich der Sturm gelegt hat, spricht mit ihm und tröstet und liebt ihn so sehr, ist sein sicherer Hafen, in dem er von den rohen Naturgewalten seiner destruktiven Emotionen beschützt wird. Yoongi versteht jetzt, dass man seine eigene Disposition in dieser Welt nicht ausradieren kann. Aber immerhin kann man sie auflösen. Sie muss nur mit dem richtigen Pendant in Verbindung gebracht werden. Und aus der Disharmonie wird ein perfekter Dreiklang.
Am heutigen Tag befindet er sich gemeinsam mit Jungkook in Busan. Wir schreiben den 12.06.2020. Genau heute vor einem Jahr ist Jimin gestorben. Und langsam wird es Zeit, auch diesen Abschnitt seines Lebens mit Jungkook zu teilen. Er hat verdient zu erfahren, warum Yoongi monatelang nur schwarz trug und Worte sammeln musste wie andere Menschen Schätze.
Deswegen seufzt er auch nur ein wenig schwer, als Jungkook endlich die Frage stellt, die er bereits zu Beginn ihrer Reise als vollkommen unumgänglich antizipiert hatte:
„Erzählst du mir von ihm?"
Yoongi erlaubt sich einen Moment, um die Augen zu schließen und der Erinnerung an Park Jimin jeglichen Tribut zu zollen, den dieser verdient hatte. Er erinnert sich an den sorglosesten Moment zurück, als Jimin angestrahlt von der goldenen Abendsonne mit seinen weichrosa Haaren das schönste Wesen der Welt für ihn war. Er erinnert sich zurück an seine Sanftheit und an die Verlockung seiner geschwungenen Lippen. Aber er denkt auch an den Schmerz und all die Narben auf seinem Körper und seiner Seele, die auch die leichtesten Berührungen in ihrer Verzweiflung nicht mildern konnten.
Schließlich atmet Yoongi noch einmal tief ein und hofft, dass Park Jimin einverstanden damit wäre, dass er seine Geschichte erzählt, wenn er noch hier wäre.
Er muss sich zweifach räuspern, damit ihn seine Stimme nicht verlässt und auch nicht der Mut, sie zu erzählen. Die Geschichte von Park Jimin und Min Yoongi.
Jungkooks große, braune Augen funkeln ihm vertraut hoffnungsvoll und voller Zuneigung entgegen. Und in ihnen findet er letztendlich die Kraft, die es benötigt, sich an den Winter zurückzuerinnern, der ihm wie ein Sommer vorgekommen ist:
„Ich kam nach einer ziemlich gewöhnlichen Nacht im Radiosender früh am Morgen nach Hause. Ich hatte in der Nacht einem befreundeten Rapper geschrieben, der in der Musikszene ziemlich gut verknüpft ist. Ich arbeitete in der Zeit an einem Song namens So Far Away, für den ich nach einer Gesangsstimme gesucht habe. Er verwies mich auf den YouTube-Kanal von Park Jimin. ParkJiminOfficial. Wir haben viel über den Namen diskutiert, dem ich absolute Bedeutungslosigkeit zusprach, wohingegen Jimin von seiner absolut professioneller Wirkungsweise überzeugt war. Tja und egal, wie banal die Situation auch klingen mag, so beginnt die A-Seite unserer Kassette..."
ENDE
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