41 - Unter dem Mantel der Nacht (II)
„Das Feuer des Holzes erlischt, das Feuer der Liebe brennt ewig."
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Meine Finger krallten sich in Zafars Arm, den er angewinkelt an seinem Körper hielt. Ich befürchtete, dass er von einem Schwächeanfall heimgesucht werden und uns beide in den Abgrund der Düne reissen könnte, aber er hielt mich sicher und fest an seiner Seite. Die wenigen Tage der Erholung hatten ihm offenbar gutgetan.
Hinter uns folgten die anderen. Allein Karim blieb am Fusse der Düne stehen.
Zahir wartete zwischen etlichen Windkerzen und knetete sich die Hände, während seine Augen unablässig auf mir lagen.
Mein Herz ging in einen wilden Galopp über, als mich nur noch wenige Schritte von meinem Sandleser trennten.
Er trug dasselbe Mitternachtsblau, das ich ihm beim Eid Ajiral geschenkt hatte. Über seinen Schultern hing eine mit goldenen Fäden bestickte Robe, die im Mondlicht glänzte und ihm ein fürstliches Aussehen bescherte.
Er sah umwerfend aus.
Pures, unbefangenes Glück durchströmte mich und ich konnte nicht anders, als zu lächeln. Von ganzem Herzen. Meine Kraft erwachte und floss aus mir heraus, bevor ich es verhindern konnte. Ich war so unfassbar glücklich, dass der Platz in meinem Herzen dafür zu klein war. Meine Haut begann zu schillern, als bestünde sie aus Sternenstaub und als schiene Altair aus meinem innersten Kern.
„Hübscher Trick", hörte ich Zafar neben mir staunen. Er schielte auf meinen glitzernden Arm.
„Ich glaube, ich war noch nie so glücklich", hauchte ich und behielt meine Augen ununterbrochen auf meinem Verlobten.
Zafar lachte brummend auf. „Das merkt man."
Er stupste mich an und deutete mit einem Kopfnicken in den Nachthimmel. Die ganze Himmelskuppel funkelte. Mit mir strahlten die Sterne heller, als wollten sie dieses Ereignis, diese Vereinigung in die Welt leuchten, damit es jeder sah.
Wir erreichten den höchsten Punkt der Düne.
Zahir streckte seine Hand nach meiner aus, um mich aus den Armen seines Bruders zu empfangen. Sein Lächeln war einladend, seine Augen warm.
Mein Sandleser, mein König der Sterne. Es war ein Bild, das ich niemals in meinem Leben vergessen würde.
Ich griff nach seiner Hand.
Seine Finger waren klamm und bebten in meinen. Zahir schluckte mehrmals leer, als ich vor ihm stehenblieb.
„Du bist wirklich gekommen", brachte er heiser hervor.
Amela hatte nicht untertrieben. Zahir war unglaublich hasenherzig. Sogar mehr als ich, wie es schien! Ich schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und hoffte, dass es ihm seine Nervosität nehmen würde.
„Selbstverständlich bin ich gekommen. Ich folge dir überall hin, Zahir. In deinen Palast, zum Ursprung der Zeit, in dunkle Zisternen, in den Krieg und in die Wüste."
Es war geradezu sichtbar, wie die Anspannung von seinem Körper fiel. Seine sandhellen Augen begannen zu strahlen. Mit der Gewissheit, dass ich tatsächlich wegen ihm hier war und diese Ehe genauso aus freien Stücken wollte wie er, schienen auch seine Ruhe und Zuversicht wieder zurückzukehren.
Zahirs Blick geriet in Bewegung. Träge und aufmerksam musterte er meine Kleidung, meine Hände, mein Gesicht und als er genug gesehen hatte, schüttelte er ungläubig den Kopf.
„Du bist wunderschön."
Das Kompliment und seine gierigen Augen liessen die Hitze in meine Wangen und Ohren steigen. In derselben eingehenden Manier betrachtete ich ihn sodann von Kopf bis Fuss. Stolz flutete meine Brust, ihn in meiner Farbe zu sehen. Der Kaftan und die Robe standen ihm ausgezeichnet.
„Du ebenso", erwiderte ich.
Er bewunderte meine kunstvoll bemalten Hände und liess sich von mir erklären, was die Texte und Zeichen bedeuteten. Währenddessen bildeten unsere Freunde einen Kreis um uns herum.
„Lasst uns beginnen", hörte ich Luay sagen, als er sich zu uns stellte.
Sein klarer Bariton holte mich zurück auf den Boden. Wir waren hier, nicht bloss um uns anzuhimmeln, sondern um zu heiraten.
Es war die letzte und innigste Verbindung, die Zahir und mir bevorstand.
Nicht nur im Herzen und mit unserer Magie hatten wir uns vereint, vor dem weissen Dschinn waren wir schon längst zu einer unzerstörbaren Kraft fusioniert, welche selbst die Zeit nicht hatte spalten können. Wir hatten allen Widrigkeiten getrotzt und standen nun da, bereit, um auch vor unserer Gesellschaft, vor unseren Völkern als eine unzertrennliche Einheit zu gelten.
„Wir haben uns hier versammelt, weil Najmah Beduni und Zahir Tall-Qubar in Anwesenheit ihrer engsten Freunde die Ehe schliessen wollen", fing Luay an.
Zahir strich mit seinem Daumen über mein Vergissmeinnicht, das ich seit unserer gemeinsamen Nacht neuerdings an meinem Handgelenk trug. Ich lächelte, tat es ihm gleich und fuhr mit meinen Fingerkuppen über das Band an seinem Arm.
Es war unser Versprechen, dass wir uns längst gegeben hatten, sichtbar gemacht durch das einfache Leder einer Ziege.
„Nun möchte ich euch bitten, mit dem Eheschwur zu beginnen", wies uns Luay an.
Zahir nahm meine Hände in seine. Ich vertraute darauf, dass er mir sagen würde, was ich tun musste.
„Sprich mir nach", flüsterte er.
Ich nickte. Seine Augen fielen auf unsere verbundenen Hände. Erste Tränen glänzten in seinen langen Wimpern und ich musste das Bedürfnis unterdrücken, ihn auf der Stelle zu küssen.
„Dies sind die Hände, die mit dir eine gemeinsame Zukunft bauen werden", begann er mit rauer Stimme.
Kaum hatte er gesprochen, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Meine Tränen brachen aus mir heraus, als ich den Satz wiederholte.
Zahir fuhr damit fort, den Treueschwur des magischen Wüstenvolkes aufzusagen und nach jeder Zeile versprach ich ihm dasselbe:
„Dies sind die Hände, die dich leidenschaftlich lieben werden, dich mit ihren Berührungen trösten und dich halten werden."
„Dies sind die Hände, die dich vor Leid und Schmerz bewahren und immer für dich kämpfen werden."
„Dies sind die Hände, die — selbst wenn sie alt sind — immer nach deinen greifen werden, ob bei Licht oder in Dunkelheit."
Als ich Zahir den letzten Satz krächzend nachgesagt hatte, wäre ich ihm am liebsten um den Hals gefallen, aber Luay schien andere Pläne mit uns zu haben.
Das unfassbar charmante Lächeln des Windflüsterers blitzte im hellen Licht meiner Sterne auf.
„Im Namen des mir zugeschriebenen Rechtes ernenne ich euch zu Mann und Frau."
Luay machte eine Pause, in welcher er von mir zu Zahir blickte und allein das Lied des Windes die Nacht erfüllte.
„Ihr dürft nun den Herzenstropfen auszutauschen", verkündete er.
Ich blinzelte überrascht und verwirrt zugleich durch meine Tränen, denn ich wusste nicht, was das bedeutete. Zahirs Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln.
„Wir haben das schon einmal getan", verriet er. „Als die Zeit uns trennte, ist ein kleiner Teil meiner Kraft bei dir geblieben."
„Und ein Teil von meiner bei dir", hauchte ich, als ich verstand. Zahir stimmte mir nickend zu.
Luay lehnte sich vor. „Wenn ihr das schon erledigt habt, können wir gerne zum nächsten Teil übergehen."
„Nein", befand ich kopfschüttelnd. „Damals haben wir unsere Kräfte aus Verzweiflung nacheinander ausgestreckt. Ich will es noch einmal machen. Richtig."
Ich wollte es erneut tun, aber ohne die ganze Angst, die Panik und die Traurigkeit. Ich wollte Zahir einen Tropfen meiner Magie schenken, entsprungen aus dem grenzenlosen Glück und der Liebe, die ich für ihn fühlte.
Luay trat höflich zur Seite.
Zahir schlang einen Arm um meine Taille und zog mich zu sich. Ganz instinktiv hob ich mein Gesicht zu seinem an, doch ehe ich ihn küssen konnte, entzog er sich mir. Verwundert schielte ich zu ihm hoch.
„Wie willst du es?", hauchte er an meine Lippen.
Ich runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?"
„Manche Ehepaare tauschen den Tropfen ihrer Kraft aus, während sie sich küssen. Andere während ..."
Er sprach nicht weiter, aber ein wölfisches Grinsen formte sich auf seinem Mund, sodass mir die Hitze ins Gesicht schoss und ich ihn für diese Unverschämtheit in die Flanke kneifen musste. Er lachte kehlig auf.
„Beim Küssen, du Wurm!", fauchte ich und rüttelte an seinem goldenen Gewand.
„Wie Ihr wünscht, Prinzessin!"
Er gab mir keinen Moment mehr, um nach Atem zu schnappen. Seine Lippen legten sich auf meine. Innig, heiss und fordernd.
Während wir uns küssten, brachen unsere Kräfte aus unseren Herzen und drangen zueinander vor. Seine Magie war in meiner Brust und meine in seiner. Zahir musste mir nicht erklären, wie der Tausch funktionierte. Ich spürte es. Es war wie ein Instinkt, einen Tropfen meiner Kraft in den Winkeln seines Herzens zurückzulassen, denn dort gehörte ich schliesslich hin.
Ich taumelte, als sich unsere Lippen voneinander lösten und sich mit ihnen unsere Kräfte an ihren Ursprungsort zurückzogen — mit dem winzigen Unterschied, dass ein Teil von mir nun für immer bei ihm bleiben würde und umgekehrt. Zahirs Hand um meine Taille hielt mich, während ich von dem angenehm warmen Gefühl seiner Magie in meinem Herzen staunen musste. Meine Hand wanderte an meine Brust, als könnte ich diese tiefe Liebe, die ich verspürte, mit den Fingern greifen.
Urplötzlich wurde die schlafende Wüste durch zwei laute Rufe geweckt.
Amela und Jasmila stiessen ihre Freude in langer Ululation aus ihren Kehlen, sodass ihre helles Heulen vom Wind in die Nacht getragen wurde. Gelächter und männliches Gejohle folgten kurz darauf und dann wurde ich in Arme geschlossen und mit Küssen berieselt.
Ich merkte vor lauter Lachen und Weinen gar nicht, wie wir uns vom Dünenkamm auf eine flache Ebene zubewegten.
Karim wartete dort auf uns.
Kissen und Teppiche lagen bereits ausgebreitet auf dem Wüstensand und wurden von Windlichtern umringt. Tee und Kuchen waren zur Feier aufgetischt worden.
„Karim!", stiess Amela aus. „Es fehlen noch Blumen für unsere neue Prinzessin!"
Der Pflanzensäer wandte sich mir zu, nahm meine freie Hand und führte sie an seine Lippen, die unter seinem Turban steckten. „Die Blumenwahl wollte ich der Braut überlassen", murmelte er und hob meine Finger an seine Stirn. Eine Geste des tiefen Respektes. „Ich gratuliere zur Vermählung", fügte er an, als er meine Finger wieder losliess und damit Zahirs Hand schüttelte.
„Danke, Karim", sagte mein Ehemann.
Ehemann. Das klang aussergewöhnlich gut in meinem Kopf.
„Also?", verlangte Karim und heftete seinen Blick wieder auf mich. „Welche Blume soll es sein, Najmah?"
Die Antwort war so klar wie eine wolkenlose Vollmondnacht. Ich musste grinsen.
„Wüstenrosen."
Karim nickte. „Die Rose von Tulhaia."
Im selben Augenblick füllte sich die Luft mit dem Surren seiner Magie. Rosenbüsche sprangen aus dem Sand und wuchsen in die Höhe, Knospen bildeten sich in Windeseile an ihren Ästen und liessen junge, bildschöne Blumen hervorquellen.
Mit dem einfachen Wischen seiner Hand hatte Karim den grossen, runden Teppich, auf welchem sich mittlerweile alle niedergelassen hatten, mit den schönsten Wüstenrosen umkränzt, die ich je in meinem Leben gesehen hatte.
Mein Herz war so voll, dass mir schon wieder die Tränen kamen.
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Zur Feier gab es Honigkuchen mit Orangen, Dattelkeksen und Basboussa. Dazu wurde Schwarztee und Pfefferminztee serviert.
Ich fühlte mich dem Himmel in dem Moment so nahe wie noch nie.
Zahir sass im Schneidersitz neben mir, seine Hand ruhte auf meinem Oberschenkel. Immer wieder fuhr sein Daumen in langsamen Zügen über mein Bein. Er war mit Karim und Zafar in ein Gespräch verwickelt, in welchem sie debattierten, wie schnell sich die Hauptstadt wieder aufbauen liesse. Daneben redete Amela gerade auf Luay ein und erklärte ihm, wie sie und Runa es geschafft hatten, ganze vierzig Familien bis nach El Banawi zu schleusen.
Meine Freundin, die Schneiderin, nahm währenddessen einen Nähauftrag von Jasmila entgegen.
„Diese blaue Farbe gefiel mir wirklich sehr!", hörte ich die Wundheilerin sagen. „Vielleicht wird ja nach dem Krieg irgendwann wieder ein Ball veranstaltet, bei welchem ich einen Sari in dieser Farbe tragen könnte!"
Sie sprach von dem schillernden Tuch, das sie aus meiner Kleiderkiste gezogen hatte. Die Farbe, die ihr wirklich sehr gestanden hatte. Jasmilas Augen fielen auf mich. Sie musste gemerkt haben, wie ich sie beobachtet hatte.
„Ausser es stört dich, wenn ich Kleider in einer ähnlichen Farbe trage wie du", meinte sie etwas kleinlauter.
Ich schüttelte den Kopf. „Keineswegs."
Jasmila atmete erleichtert aus. In dem Moment spürte ich plötzlich eine Hand an meinem Kinn. Mein Kopf wurde zur Seite gezogen. Zahir erschien vor meinem Gesichtsfeld und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen. Ich trank ihn geradezu, denn seine Küsse waren so betörend.
„Du bist das Licht meines Lebens", raunte er.
„Und du meins", erwiderte ich.
Das Lächeln, das ich dafür bekam, war herzerwärmend. Dann liess er von mir ab, um sich wieder dem Gespräch mit seinem Bruder und Karim zuzuwenden.
Jasmilas Augen lagen noch immer auf mir und als ich ihrem Blick begegnete, da musste sie leer schlucken. Sie hatte unseren Zärtlichkeitsaustausch mitverfolgt. Ich linste von ihr zu den zwei Sandlesern rüber und machte eine eindeutige Bewegung mit meinem Kopf.
Sprich mit ihnen, sagte ich ihr über meinen Gesichtsausdruck.
Unsicher biss sie sich auf die Unterlippe, doch ich blieb beharrlich. Jetzt oder nie.
Jasmila atmete tief ein und wieder aus. Dann nickte sie und erhob sich räuspernd, sodass alle Augen auf sie fielen. Sogar Amela, die mittlerweile so laut geworden war, dass man denken könnte, der Kuchen wäre in dohadischem Feuerwasser getränkt gewesen und hätte ihre Zunge gelockert, verstummte kurzerhand.
„Zafar." Jasmilas Stimme bebte, aber ich schenkte ihr ein ermutigendes Lächeln. „Ich ... Ich würde gerne mit dir reden."
Stille hüllte sich um uns.
„Jasmila", reagierte Zahir alarmiert. „Ich denke nicht, dass es—"
Ich rammte meinen Ellbogen in seine Rippen, woraufhin ich einen empörten Blick seinerseits erntete.
„Geh mit", orderte ich an. „Ihr habt Einiges zu klären."
Die Verwirrung im Gesicht meines Ehemannes musste ich ungelöst lassen und so schob ich ein „Vertrau mir, ihr braucht das." hinterher, was ihn endgültig dazu bewegte, sich zu erheben.
Zafars Augen ruhten auf mir und auch ihm nickte ich gebieterisch zu. Meine Augen mussten tatsächlich gefunkelt haben, denn er legte seine Teetasse auf den Boden und hievte sich wortlos auf die Beine.
Sie folgten Jasmila und entfernten sich von uns.
Amela lehnte sich über den Kuchen zu mir vor, sodass ich befürchtete, ihre Brüste könnten ihr aus ihrem Oberteil springen, doch die Träger schienen stabil genug zu halten.
„Was läuft da?", wollte sie sogleich wissen.
Ich zuckte ahnungslos mit den Schultern. „Du musst nicht alles wissen."
Runas Mund klappte auf, als sie ungläubig zwischen mir und der Prinzessin blickte. „Willst du uns etwa sagen, dass du mehr weisst, als die Königin des Tratsches, Najmah?"
Das Grinsen, das mir Runas Worte entlockten, war unvermeidbar und verräterisch. „Gut möglich."
Amela sog scharf und empört die Luft ein. Ihr Schock war herrlich. Dann schoss ihr vorwurfsvoller Zeigefinger hervor.
„Wäre heute nicht deine Hochzeit, würde ich dich der Wasserfolter unterziehen, damit du mit der Sprache rausrückst!", drohte sie.
Ich lachte auf, stibitzte mir einen Dattelkeks und schob ihn mir in den Mund, sodass ich damit kaum noch sprechen konnte.
„Dann ischt heute wohl mein Glückschtag!", brabbelte ich mit vollem Mund.
Amela warf sich zurück auf ihre Pobacken und schielte sehnsüchtig zu Jasmila und den beiden Sandlesern, die sich unweit von uns hingestellt hatten. Anhand ihrer Gesten und Mienen konnte man sehen, dass es ernst zu und her ging.
Erst schien Jasmila nur mit Zafar sprechen zu wollen. Zahir stand etwas daneben und wartete. Ich vertraute darauf, dass er dafür sorgen würde, dass sein Bruder nicht nochmal ausrastete. Und wenn das doch passieren würde, dann hatten wir noch immer die Sterne auf unserer Seite.
Ich wandte den Blick von ihnen ab.
„Luay." Der Windflüsterer gönnte sich gerade ein tellergrosses Stück Honigkuchen. Er runzelte mit geschwollener Wange die Stirn. „Kannst du den Wind in die andere Richtung drehen?", bat ich ihn. „Damit Amela ihre Brüder nicht bespitzelt."
Der grossgewachsene Wüstenprinz lachte herzhaft auf und kaum hatte er geschnipst, strich uns ein angenehmes Lüftchen über die Haut. Die gedämpften Stimmen von Jasmila, Zafar und Zahir wurden komplett vom Wind verschlungen.
„Das ist so unfair!", maulte Amela und verwarf die Arme.
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Es dauerte eine ganze Weile, bis sich Jasmila und die beiden Sandleser wieder zu uns gesellten. Allen voran ging die Wundheilerin, dicht gefolgt von Zahir, der etwas mitgenommen wirkte. Ich wusste, dass er das erstmal verdauen musste.
Zafar verschwand für einen Moment hinter der Düne.
Ich ergründete Jasmilas Gesichtsausdruck und erkannte darin keinen Kummer. Im Gegenteil. Sie wirkte erleichtert und entspannt. Allein die geröteten Wangen verrieten mir, dass ein paar Tränen geflossen waren.
„Tut mir leid, dass ich deinen Mann so lange in Anspruch genommen habe", entschuldigte sie sich, als sie unseren Teppich erreichte. „Hier hast du ihn wieder."
Zahir schloss mit ihr auf und blieb neben ihr stehen. Ein etwas verhaltenes, aber dennoch strahlendes Lächeln formte sich auf seinen Lippen.
„Wir haben uns ausgesprochen und sind im Guten verblieben", verriet er. „Das haben wir alleine dir und deinem unendlich gütigen Herz zu verdanken, mein Stern."
Ich winkte ab. „Ach ... das ist doch ... also das ist ...", suchte ich nach Worten.
„Nimm das Kompliment an, du Ente", maulte mich Amela von der Seite an.
„Wir wollen dir ein Geschenk machen", fuhr Jasmila fort und blickte hinter sich. Sie schien auf Zafar zu warten.
Dieser kam wieder zum Vorschein und positionierte sich neben der Wundheilerin, in der Hand hielt er seine Gitarre. Jasmila neigte ihren Kopf in seine Richtung. Ihre Sehnsucht nach ihm war spürbar. Zafar erwiderte ihren Blick zwar etwas zögerlich, aber er schaffte es, ihr in die Augen zu schauen. Ich wusste, dass die beiden noch lange Zeit brauchen würden, um sich wieder zu vertragen, aber sie bemühten sich.
Die Wundheilerin richtete sich wieder an mich und breitete die Arme aus.
„Als Kinder waren wir drei unzertrennlich", erzählte sie. „Wir hatten eines gemeinsam und das war unsere Liebe zur Musik. Viele Nächte lang sassen wir im Innenhof des Palastes und haben an unseren Stücken gefeilt."
Sie streckte ihren Arm aus und streifte Zafars Oberarm hauchzart. Ich sah, wie er die Faust machte, sich allerdings nicht ihrer Berührung entzog.
„Zu meiner Rechten steht der talentierteste Gitarrenspieler, den es auf unserem Wüstenkontinent gibt."
Mir entging nicht, wie Zafars Augen zu glänzen begannen, als sie ihm mit diesen Worten schmeichelte. Er senkte den Kopf.
Jasmila wandte sich Zahir zu und fuhr fort: „Und zu meiner Linken haben wir die perfekte Ergänzung zu den runden Klängen seines Bruders: Die warme und tiefe Stimme eines Muzedin, die ich mit meiner eigenen begleiten werde."
Jasmila legte die Hände auf ihre Brust. „Dieses Lied, liebe Najmah, wollen wir dir widmen." Ihr Lächeln wurde breiter. „Es ist vermutlich kein Zufall, dass wir es das Lied der Sterne nannten, als wir noch Kinder waren."
Eine Gänsehaut jagte mir über meinen ganzen Körper. Ich war so tief gerührt, dass ich nichts erwidern konnte.
„Es wäre uns eine Ehre, dir dieses Stück heute vorzuspielen", endete Jasmila ihre Ansprache und gab den beiden Sandlesern ein Zeichen.
Zafar liess sich auf ein Kissen nieder und legte die Gitarre in seinen Schoss. Gleich daneben machte es sich Zahir bequem. Wie damals, beim Eid Ajiral, legte er seine Hand auf die linke Schulter seines Bruders, damit sie gemeinsam die Musik spüren konnten. Jasmila ging um die beiden herum und fand ihren Platz auf Zafars rechter Seite. Ihre Hand hob sich in die Höhe und blieb für einen Herzschlag über Zafars Schulter schweben, doch als er ihr zunickte und ihr somit sein Einverständnis gab, platzierte sie ihre Finger darauf. Auch sie suchte die Verbindung zu ihm.
Ein Beben ging durch Zafar, doch er verlor nicht die Fassung. Seine Finger gerieten in Bewegung und als die ersten Klänge aus seiner Gitarre erklangen und Zahir und Jasmila mit ihren magischen Stimmen dazu sangen, da war es um mich geschehen.
Die Worte wirbelten über den Sand und schwangen durch die Luft.
Es war schön, den Dreien dabei zuzusehen, wie sie über die Musik eine Einheit bildeten. Sie sangen und spielten mit Leib und Seele und berührten damit mein Herz, bis mein Gesicht von den Tränen ganz nass war.
Als Zafar die Finger von den Saiten hob, verstummten auch Zahir und Jasmila zur gleichen Zeit. Das Stück war zu Ende und die Magie verflogen.
Doch dann wurde sogleich das nächste Lied angestimmt. Ein fröhliches Stück voller Leichtigkeit und Freude. Amela und Runa sprangen jauchzend auf die Beine und auch ich wurde auf die Füsse gerissen.
Und so tanzten wir.
Wir tanzten und sangen unter dem Mantel der Nacht, bis unsere Füsse schmerzten und wir uns vor Lachen krümmten. Im Tanz und im Fest vergaben wir einander und vertrieben den Kummer von morgen. Wir liessen los und zelebrierten die Liebe und das Leben, denn wir alle wussten, dass es die letzte Nacht war, in welcher wir das konnten.
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Hallihallo
Ich hoffe, euch hat das Hochzeitsfest in der Wüste gefallen.
Ein bisschen Liebe, Schnulz und Fröhlichkeit haben wir alle verdient, bevor es den Bach runter geht, nicht wahr? ;-)
Bald steht die Schlacht bevor. Hoffen wir mal, dass alle heil davonkommen werden. Oder kommt vielleicht doch alles anders und Najmah kann es noch irgendwie verhindern?
Wir werden sehen.
Macht's gut, meine Lieben!
Eure Fleur
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