39 - Ein Kleid aus Sand und Sternen
"Wer Freunde ohne Fehler sucht, bleibt ohne Freunde"
☆☆☆
Hamza war nicht mehr umzustimmen.
Eine ganze Weile noch lungerte ich vor seinem Zelt herum, in der Hoffnung, mir fiele ein weiteres Argument ein, das ihn von seinem Plan abbringen würde.
Aber ich blieb vollkommen ideenlos.
So gesellte ich mich am Nachmittag zu Luay in die Feldküche, um mich von der steigenden Anspannung abzulenken. Der Windflüsterer spürte meinen Kummer und servierte mir zur Aufmunterung ein ganzes Tablett voller Baklava, welches er über das magische Silbergeschirr extra für mich herzauberte.
Als jedoch ein paar Soldaten sahen, was ich da alleine auf dem Teppich schlemmte, kamen sie neugierig näher und weil ich ihren glänzenden Augen nicht widerstehen konnte, verschenkte ich das klebrige Gebäck an sie. Die Krieger brauchten dieses Glück viel mehr als ich und vielleicht würde es sogar die allerletzte Süssigkeit in ihrem Leben sein.
Den traurigen Gedanken schob ich schnell wieder zur Seite, ehe er mein Herz gänzlich zerdrückte.
Mir blieb ein Stück Baklava mit gehackten Wallnüssen und Honig übrig, das ich mit einer Tasse Pfefferminztee begleitete, während ich schwermütig und mit wachsender Sorge den blauen Kriegern bei ihren letzten Vorbereitungen zusah. Das Geräusch von Eisen, das an einem Schleifstein geschärft wurde, sirrte dabei unaufhörlich in der Luft.
Mein Herz wog mit dem Versickern der Zeit immer schwerer und als ich bei Abenddämmerung in mein Zelt zurückkehrte und es leer vorfand, da fiel ich auf die Knie. Die Machtlosigkeit schien mich zu Boden zu drücken.
Es gab nichts, was ich tun konnte, um den baldigen Tod dieser Männer da draussen zu stoppen. Die Schlacht warf ihre Schatten voraus und ich war vollkommen ohnmächtig dagegen. Ein wütender und verzweifelter Schluchzer kroch meine Kehle hoch.
Dieser verfluchte Orden!
Warum hatte er mich zurückgeschickt, wenn sich nichts verändern liess?Warum war es so wichtig, dass ich hier war, wenn alles nur wieder genau so geschah, wie es in den Büchern gestanden hatte?
Kein einziges Ordensmitglied hatte mich bisher kontaktiert oder sich zu Erkennen gegeben! Sie waren Phantome, Schatten, Hirngespinste meines eigenen Verstandes! Ungreifbar und formlos.
Es gab niemanden, den ich anbrüllen konnte, was im Namen der drei grossen Völker und ihrer Nachkommen sich der Orden der Wüstenrose eigentlich dabei gedacht hatte, mir eine unlösbare Aufgabe zu geben — und dann noch eine so wichtige! Unfassbar!
Meine Fäuste vergruben sich im warmen Sand und ich schrie meinen Frust in die Erde.
„Oh!", hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir.
Ruckartig drehte ich mich um. Jasmila stand im Eingang.
Was wollte die hier?
Ich konnte es spüren, wie sich meine Wut auf sie richtete. Wie ich ihr am liebsten eine Ohrfeige gegeben hätte. Dafür, dass sie Zahir angelogen und Zafars Herz gebrochen hatte. Oder dafür, dass sie es für so selbstverständlich hielt, unangekündigt ins Zelt meines Verlobten und mir zu marschieren, als wäre sie hier immer willkommen, als hätte sie ein verfluchtes Anrecht darauf!
Ihre Lider flatterten.
Sie musste mir meinen inneren Kampf ansehen und denken, dass ich verrückt geworden war. Vermutlich war ich nicht mehr weit davon entfernt. Es fühlte sich tatsächlich so an, als würde ich bald meinen Verstand verlieren.
Ich wischte mir etwas energisch eine Strähne aus dem Gesicht.
„Was willst du? Suchst du Zahir? Er ist nicht da. Keine Ahnung, wo er steckt."
Jasmila rieb sich die Hände und schüttelte den Kopf. „Nein. Ich wollte zu dir."
Überrascht hob ich den Kopf, denn ich sah keinen Grund, weshalb sie mich aufsuchen sollte. Wir waren uns ganz erfolgreich aus dem Weg gegangen und hatten jegliche Begegnungen mit der richtigen Portion kühler Höflichkeit überstanden. Eigentlich hatte ich mich schon damit abgefunden, dass ich mich niemals gut mit ihr verstehen würde — und besonders nach Zafars Geschichte hatte ich auch wirklich kein Interesse mehr daran, sie zur Freundin zu haben.
Wollte sie nochmals über meine magischen Klatsche sprechen, die ich dem mürrischen Sandleser verpasst hatte? Brauchte sie meine Hilfe im Lazarett? War ihr langweilig geworden, weil Amela nicht mehr da war?
All diese Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, während ich schwieg.
Jasmila räusperte sich. „Ist alles in Ordnung?"
Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch brachte ich keinen richtigen Satz auf die Reihe, also schloss ich die Lippen wieder, presste sie zusammen und schüttelte den Kopf.
Nein. Nichts war in Ordnung. Überhaupt nichts.
„Ich weiss nicht mehr, was ich tun soll", gestand ich und winkte in die Richtung des Kriegsgewusels, das draussen vor dem Zelt herrschte.
Jasmila warf einen Blick über die Schulter. Ein Soldat rannte in dem Moment vorbei, in seiner Hand vier Säbel, die er zum Schleifstein bringen wollte. Es galt die Schwerter zu polieren, Klingen zu schärfen, die Krallen zu wetzen.
Die Wundheilerin wandte sich von dem Anblick ab und trat gänzlich ins Zelt, sodass sich die Plane hinter ihr schloss und wir die angespannte Stimmung nicht mehr sehen mussten.
„Es ist schwierig, den Männern dabei zuzusehen, wie sie sich auf die Schlacht vorbereiten, nicht wahr?"
Ich rappelte mich auf die Beine und klopfte mir den Staub von der Kleidung. „Es ist ein Albtraum", gab ich seufzend zu.
Jasmila rieb sich die Hände und nickte. „Es stehen uns viele schlaflose Nächte bevor."
Ihre Stimme wog schwer und war so voller Schmerz, dass mein Ärger verebbte.
Vor mir stand jemand, der eigentlich dasselbe tat wie ich. Sie kämpfte gegen den Krieg.
Im Gegensatz zu mir hatte sie den Wahnsinn des Schlachtens bereits mit eigenen Augen gesehen. Sie hatte Leben gerettet, hatte Fleischwunden zusammengeflickt, hatte Beine und Arme amputiert, hatte blutende Köpfe verbunden und die Lider toter Männer für immer geschlossen.
Sie wusste, was uns in absehbarer Zeit erwartete.
Diese Bürde hätte ich gerne auch von ihren Schultern genommen — von den Schultern aller Heilerinnen und Heiler. Aber nein, ich war gescheitert.
Es fiel mir schwer, mich in dem Moment nicht auf mein Bett zu werfen und in mein Kissen zu schluchzen. Das würde ganz bestimmt niemanden etwas bringen und schliesslich stand diese Option den Soldaten und den Wundheilern auch nicht offen. Beim Sultan, ich musste mich verdammt nochmal zusammenreissen!
„Du hast mich gesucht?", wollte ich schliesslich den Grund ihres Besuches wissen.
Jasmila liess ihre Hände locker an ihre Seite fallen. Die Frage zauberte überraschenderweise ein Lächeln auf ihre Lippen.
„Ja", erwiderte sie. „Ich will dir etwas zeigen. In meinem Zelt."
☆☆☆
Diesen Teil des Lagers kannte ich noch nicht.
Wir befanden uns irgendwo hinter den Lazaretten. Die Zelte umringten ein grosses Lagerfeuer. Wundheiler und -heilerinnen fanden sich hier zusammen, um ihr Abendmahl zu essen und um sich auf die nächsten, anstrengenden Tage vorzubereiten. Ihre Mienen waren ernst, die Gespräche leise und tuschelnd.
Jasmila deutete auf ein kleines Zelt mit sandweissen Planen. „Das ist meins."
Geduckt traten wir ein.
Es war ein sehr spärlich ausgestattetes Zelt. Gerade mal eine Pritsche stand auf der einen Seite und eine grosse Kiste auf der anderen. Ich fragte mich, wie sich Jasmila hier wohlfühlen konnte, denn es gab nichts, was den Raum gemütlich gemacht hätte.
Ich hatte wie eine Prinzessin im Lager kampiert, während sie — die Heilerin, die Menschenleben rettete — in einem winzigen Zelt ohne Annehmlichkeiten hauste.
Ein dumpfes Gefühl stieg in mir auf.
„Was machen wir hier?", fragte ich und versuchte, das Unwohlsein, welches mich bei der Schlichtheit der Innenausstattung überkam, zu überspielen.
„Heute ist das für dich angekommen", verriet Jasmila und zeigte auf etwas. „Ich habe es in Empfang genommen, weil du mit Hamza beschäftigt warst."
Erst beim genaueren Hinsehen erkannte ich eine zweite Box, die neben Jasmilas Kiste stand. Es war eine Eichentruhe reich mit Schnitzereien und Ornamenten verziert, wie ich sie nur aus dem Palast von Azoul kannte.
Jasmila schenkte mir eins ihrer bezauberndsten Lächeln. „Liebe Grüsse von Runa."
Mein Herz machte bei der Erwähnung meiner Freundin einen grossen Satz in der Brust.
In einem Schritt stand ich bei der Truhe und ging davor in die Knie. Das Holz roch frisch, als wäre diese Kiste erst kürzlich getischlert worden. Ein Schloss hielt den Inhalt darin gut verriegelt, weswegen ich fragend zu Jasmila emporblickte. Sie nahm eine Kette von ihrem Hals und streckte sie mir hin. Ein kleiner, goldener Schlüssel hing daran. Der Schlüssel zur Truhe.
Ich nahm ihn ihr ab und steckte ihn ins Schloss. Ein lautes Klicken ertönte und dann hob ich den Deckel auf.
Mir blieb der Atem weg.
Es schien, als hätte jemand einen Regenbogen in die Truhe gepackt. Mit Gold, Silber und Perlen bestickte Tücher aus Samt und Seide lagen säuberlich zusammengefaltet nebeneinander und schimmerten mir im Licht der Kerzen entgegen — etliche Stoffe und Muster in allen Farben, denen ich kundig war.
„Von nun an musst du dir nicht mehr meine Sachen borgen", hörte ich Jasmila hinter mir sagen. „Das ist deine Reisetruhe. Runa hat die Kleider für dich genäht."
Ich lehnte mich sprachlos zurück und starrte auf die glänzende Farbenpracht. Es waren so viele Stücke! Noch nie in meinem Leben hatte ich eine ganze Kiste voller Kleider besessen.
Eine — ganze — Kiste!
„Amela hat ihr den Grossauftrag gegeben, eine Prinzessin komplett neu einzukleiden", erklärte Jasmila weiter und kniete sich neben mich hin.
„Ich bin keine Prinzessin", entkam es mir automatisch.
Jasmila zog ein jadegrünes Tuch aus der Truhe. Es schillerte wie Seewasser in ihren Händen. Die Wundheilerin drehte sich zu mir und warf das Tuch um meine Schultern.
Zufrieden betrachtete sie mich. „Doch, das warst du schon lange."
Meine Hände wanderten an die Seide. Der Stoff fühlte sich unendlich weich an und ich war mir sicher, dass ich darin hübsch aussehen musste. Jasmila schmunzelte und griff nochmals in die Kiste. Sie holte einen kobaltblauen Stoff heraus.
„Darf ich?", fragte sie.
Schnell nickte ich. „Selbstverständlich."
In einer eleganten Bewegung warf sie sich das Tuch über den Kopf und hielt beide Zipfel in den Händen.
„Zeig mir, wie Casbari ihre Kopftücher tragen", bat sie mich. „Ich fand euren Stil schon immer unfassbar toll, weil es eure Gesichter so schön betont."
Ein warmes Gefühl flutete bei den Worten meine Brust. Vorsichtig nahm ich ihr das Tuch ab und legte es um ihr rundes Gesicht, wie es die Nomaden Tulhaias tun würden.
Jasmila sah atemberaubend aus. Die klare, blaue und intensive Farbe sorgte dafür, dass ihre Haut noch zarter strahlte. Wie eine seltene Muschel mitten in einem Ozean.
„So ist es perfekt", fand ich und schenkte ihr ein Lächeln.
Ich spürte ihre Bemühung hinter dieser Geste. Es war ihr Versuch einer Annäherung, damit eine Verbindung zwischen uns entstehen konnte, die nicht auf der alleinigen Tatsache beruhte, dass wir beide die Sultansfamilie kannten.
Jasmila strich sich eine Locke hinters Ohr und unter ihr Kopftuch. Das fröhliche Glitzern in ihren Augen verschwand wie ausgepustetes Kerzenlicht. Sie begann an ihrer Unterlippe zu kauen und senkte den Blick auf ihre Hände.
„Najmah, ich muss mich bei dir entschuldigen", murmelte sie. „Bitte verzeihe mir, dass ich dich im Lazarett wegen Zafar so angefahren habe. Ich ... ich war neben den Schuhen und es ... es ist ... Zafar hat ... es war ..."
Die letzten Worte kamen nur bruchstückartig über ihre Lippen, während sie mit ihren Gefühlen rang.
„Du wolltest das beschützen, was du liebst", übernahm ich für sie. „Ich verstehe schon, keine Sorge."
Ihr Kopf schoss hoch. Diese braunen, wachen Augen durchbohrten mich förmlich. Es war die Wahrheit, die ich für sie laut und unerschrocken ausgesprochen hatte.
„Ist es ... ist es so offensichtlich?"
Ich lachte leise auf. „Mittlerweile kann ich behaupten zu wissen, wie es aussieht, wenn sich zwei Liebende nacheinander sehnen, es aber nicht wahrhaben wollen", antwortete ich. „Ich selbst war lange blind und habe Zahirs Zuneigung nie wirklich sehen können."
Jasmila neigte den Kopf zur Seite, während sie mit ihren Gedanken an einen Ort driftete, an welchen ich ihr nicht folgen konnte. Sie wirkte plötzlich sehr fern.
„Du empfindest doch etwas für Zafar, nicht wahr?", holte ich sie zu mir zurück.
Sie seufzte schwermütig.
„Ich liebe ihn, Najmah!", stiess sie aus und legte beide Hände aufs Herz. „Ich liebe ihn wie eine Verrückte! Es macht mich wahnsinnig, ihm jeden Tag in diesem Lager zu begegnen und von ihm ignoriert zu werden!"
Sie klang überaus verzweifelt und die Tränen an ihren Augenwinkeln verrieten mir, dass die Art und Weise, mit welcher Zafar sie behandelt hatte, ihr näher ging, als sie es bisher gezeigt hatte.
Ich legte meine Hand auf ihr Knie. „Wenn du so für Zafar empfindest, warum bist du dann davongelaufen, als ihr euch verloben wolltet?"
Jasmila formte den Mund zu einem erschrockenen Oh.
„Und warum hast du Zahir angelogen?", fügte ich meiner Frage an.
Wenn, dann wollte ich die ganze Geschichte hören und nicht nur ihre Einzelteile.
Jasmilas Kinn fing an zu beben, während sich ihre runden Augen auf mich richteten und sich mit weiteren Tränen füllten.
„Ich habe mit Zafar gesprochen", erklärte ich. „Ich wollte wissen, warum er so rasend war. Er hat mir von euch erzählt."
Sie wischte sich die Tränen von der Wange. „Dann weisst du alles." Es war keine Frage mehr, sondern eine Feststellung.
„Ja und ich will es verstehen, Jasmila. Ich will verstehen, warum du den Mann, den du liebtest, so von dir stossen konntest. Deine Zurückweisung war für ihn wie ein Dolchstoss ins Herz."
Ihr Gesicht verzog sich, als ob ich ihr damit einen Hieb ausgeteilt hätte, dabei sprach ich nur das aus, was sie getan hatte. Jasmila verdeckte ihr Gesicht hinter ihren Händen und verharrte für einen Moment so, als schäme sie sich zu sehr. Meine Worte waren hart und deutlich, aber sie trugen die Wahrheit in sich. Eine Wahrheit, der sie sich stellen musste.
„Das weiss ich", nuschelte sie durch ihre Finger. „Zafar hat alles Recht dazu, mir die Pest zu wünschen — und Zahir eigentlich auch."
„Sie würden dir niemals Schlechtes wünschen", entgegnete ich. „Aber die Lüge, welche du Zahir erzählt hast, hat einen unfassbar grossen Keil zwischen die zwei getrieben. Ich verdamme dich nicht dafür, Jasmila, aber es ist nicht in Ordnung, was du getan hast."
Ihre Hände fielen ihr in den Schoss und gleichzeitig sanken ihre Schultern ab, als hätte ihr ganzer Körper die Spannung verloren.
„Zafar ist mein Schwager", fuhr ich mit sanfter Stimme fort. „Er ist wie ein Bruder für mich. Hilf mir zu verstehen, warum du einer glücklichen Zukunft mit ihm einfach den Rücken gekehrt hast."
Ein Schluchzen bahnte sich an, das konnte ich sehen.
„Ich hatte Angst, Najmah ...", wimmerte sie. „Ich hatte Angst, dass ich Zafar nicht gerecht werden könnte. Er liebte mich mit einer unbändigen Leidenschaft und ich wusste nicht, ob es einfach die Aufregung war, von einem Mann so begehrt zu werden, welche mich dazu bewegt hatte, ihn zu küssen, oder ob meine Gefühle für ihn ebenso stark und echt waren. So viele Mädchen im Palast träumten nur davon, von so jemandem wie Zafar umgarnt zu werden und für mich wurde dieser Traum plötzlich Wirklichkeit. Anstatt mich zu freuen, bekam ich kalte Füsse. Auf einmal war ich mir nicht mehr sicher! Mein Herz füllte sich mit Zweifeln, fürchterlichen Zweifeln, dass er von mir enttäuscht werden könnte, dass ich ihm nicht das Leben schenken könnte, das er sich wünschte, dass er mich eines Tages anschauen würde und es bereuen würde, sich mir hingegeben zu haben, dass ... dass ... dass er merken würde, dass ich nicht gut genug für ihn sei! Er war letztendlich ein Prinz und ich nur die Tochter des Stadtbaumeisters!" Ein heftiges Schluchzen erfasste sie und schüttelte ihre Schultern durch. „Ich wollte ihm genügen, aber alles, was ich im Spiegel sah, war eine Frau, die seiner Liebe nicht würdig war."
Ich legte meine Hand über ihre und drückte sie fest. Auch wenn ich keinerlei Gründe sah, warum Jasmila nicht gut genug für Zafar sein sollte, konnte ich sie verstehen. Ähnliche Bedenken hatten mich wegen meiner Herkunft geplagt: Eine Wüstennomadin, die sich in einen Prinzen verliebte — das hatte nicht in mein eigenes Weltbild gepasst, aber trotzdem war es geschehen. Und es war richtig.
„Das glaubte ich einst auch von mir selbst, aber ich sage dir, das stimmt so nicht", flüsterte ich. „Du bist genug, Jasmila. Zafars Gefühle waren doch Beweis dafür, dass er dich wollte."
Mehr Tränen flossen über ihre Wangen, während sie den Kopf schüttelte.
„Jetzt liebt er mich erst recht nicht mehr und vor allem nicht, nachdem ich die Gutmütigkeit seines Bruders benutzt habe, um meiner eigenen Feigheit zu dienen!"
„Wie kam es eigentlich dazu?", fragte ich vorsichtig weiter, anstatt ihr zu widersprechen.
Jasmila blickte zur Seite. Die Scham brannte ihr im Gesicht.
„Wie kam es dazu, dass du Zahir angeschwindelt hast?", wiederholte ich meine Frage.
Sie schniefte laut und sprach dann weiter: „Zahir fand mich am Morgen vor der Verlobungsfeier im Saal der tausend Winde. Ich hatte die ganze Nacht geweint, weil ich nicht wusste, wie ich Zafar sagen konnte, dass ich noch warten wollte. Dass ... dass ich den Kuss zwar gemeint hatte, aber dass ich Angst vor der Zukunft hatte. Zahir hat sich Sorgen gemacht, hundert Fragen gestellt und nicht locker gelassen. Alles, was ich herausbringen konnte, war, dass ich mich nicht mit seinem Bruder verloben wollte."
Sie schluckte schwer.
„Zahir hat das Schlimmste befürchtet und angefangen, Mutmassungen aufzustellen. Er wollte wissen, ob mich Zafar dazu gedrängt hätte und ich Dussel habe in dem Moment genickt ... es war ... es war keine Absicht, aber es hat gereicht, um Zahir an die Decke zu jagen."
Ich hielt erschrocken die Luft an.
„Und du hast ihm nicht widersprochen?"
Sie schüttelte den Kopf, sodass ihre Locken herumwippten. Für einen Moment wusste ich tatsächlich nicht, was ich sagen sollte.
„Du musst denken, dass ich eine hinterhältige Herzensbrecherin bin", murmelte Jasmila.
Ich brauchte einen Augenblick, um mich zu fassen und um meine eigenen Gedanken und Gefühle zu ordnen.
„Das tue ich nicht", sagte ich schliesslich und meinte es auch so. „Du hattest Angst und du warst verzweifelt, da macht man manchmal eben grosse Fehler."
Die Flut der Erleichterung, die Jasmila wegen meiner Unvoreingenommenheit überkam, wurde von einem leisen Wimmern begleitet.
„Den einzigen Rat, den ich dir geben kann, ist vermutlich einer, den du selbst bereits kennst: Rede mit Zafar. Erkläre es ihm. Erzähle ihm von deinen Zweifeln, dass du Angst hattest und Abstand brauchtest, weil der Kuss und die Verlobung vielleicht etwas voreilig gewesen waren. Sage es ihm. Er muss es hören, damit er es nachvollziehen kann."
Die Wundheilerin hob den Blick an die Zeltdecke, als könnte sie einen Dschinn heraufbeschwören, der diese Sache für sie löste. Ein verzerrter Laut verliess ihre Kehle.
„Man kann mit Zafar durchaus vernünftig reden", sprach ich weiter auf sie ein. „Man muss ihn einfach nur zu einem guten Zeitpunkt erwischen."
„Ich weiss nicht, wann es je zu diesem Zeitpunkt kommen wird!", stöhnte sie. „Er ist dauerwütend auf mich!"
„Tue es trotzdem. Bevor es zu spät ist!", blieb ich beharrlich. „Er verdient die Wahrheit, Jasmila, und du solltest deinen Fehler geraderücken. Die Frage, warum du gegangen bist, plagt Zafar. Es ist der Grund, weshalb ihn die Wut so zerfrisst. Wenn du ihm deine Erklärung gibst, dann wird er damit aufhören können, sich mit seinem Zorn zu martern."
Wir blickten uns einen langen Moment an. Ich sah, wie die Furcht in Jasmilas Augen aufblitzte. Die Schlacht nahte und es war nicht garantiert, dass der Sandleser unversehrt daraus hervorkommen würde. Wirklich viel Zeit blieb ihr also nicht, um diese Sache ins Reine zu bringen.
„Und mit Zahir solltest du auch sprechen", empfahl ich weiter. „Er muss wissen, dass er seinem Bruder falsche Vorwürfe gemacht hat und dass er übereilige Schlüsse gezogen hat."
So gerne ich das meinem Verlobten selbst verraten wollte, es lag an Jasmila, dies zu tun. Sie musste sich aussprechen — mit beiden. Nicht ich.
„Du hast recht", hauchte sie schliesslich. „Ich muss mit ihnen reden."
Ich nickte ihr aufmunternd zu. „Das kriegst du hin! Die beiden werden dir bestimmt zuhören. Und wenn sie sich weigern sollten, dann rufst du mich und ich binde sie an einem Pfahl fest. Ja?"
Jasmila rang sich ein Lächeln ab. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Nase, blies einen tiefen Seufzer von der Brust und nickte.
„Danke, Najmah, für deine Güte ... und für dein offenes Ohr. Du weisst nicht, wie sehr mir das geholfen hat."
Ich schenkte ihr ein Lächeln und es war nicht nur mein Mund, der lächelte, sondern auch mein Herz. Diese wunderschöne Frau war mir ähnlicher, als ich es je geahnt hätte.
Wer wäre ich, wenn ich sie für ihre Fehler verurteilte? Ich selbst hatte auch schon so vieles falsch gemacht. Würde ich in ihrer Situation stecken, dann hätte ich mir gewünscht, dass man mir mit Verständnis begegnete.
Es war das Mindeste, was ich für sie hatte tun können.
„Freundinnen tun das füreinander", erwiderte ich.
Sie schloss ihre Hand fester um meine. Es war, als hätten wir mit diesem Gespräch unsere neue Freundschaft besiegelt. Als wäre mit dem Teilen unserer Selbstzweifel ein frisches Band zwischen uns geknüpft worden.
Ein unerwartet starkes Band.
☆☆☆
Nach dem klärenden Gespräch und mit der Erleichterung, die mit dem Vergiessen von Tränen kam, fuhren Jasmila und ich damit fort, durch meine Kleidertruhe zu wühlen und uns mehrere Schichten Tücher über die Schultern und um unsere Köpfe zu wickeln.
Wir sahen unfassbar dämlich aus, aber es war schön, die Anspannung, die Sorge und die Angst mit herzhaftem Kichern und Albernheiten von uns zu schütteln.
Plötzlich war jedoch Radau von draussen zu hören.
Jemand meckerte lautstark und sorgte für aufgeregtes Murmeln. Ich kannte die Stimme und wollte mich schon erheben, um zu sehen, ob mein Verdacht denn stimmte, doch im selben Moment wurde die Plane des Zeltes zur Seite geworfen und herein stolzierte Prinzessin Amela in einem der edelsten Kleider, in welchem ich sie jemals erblickt hatte.
Es war eine luftige Pluderhose in himmelblau, die sich jedoch um ihre ausladenden Hüfte schmiegte wie eine zweite Haut. Das Oberteil war mit Perlen bestickt und betonte ihr volles Dekolleté. Ein transparentes Schleiertuch hing an einer Perlmuttspange von ihren Haaren, welche sie in einem Knoten im Nacken gebändigt hielt. Ihr Nasenring war in hellem Silber gehalten und glitzerte mit ihren Ohrringen um die Wette.
Sie war für ein vornehmes Fest gekleidet.
„Ah, sehr schön!", rief Amela über unsere Köpfe und klatschte in die Hände, sodass ihre Armreifen rasselten. „Ihr habt mit der Anprobe bereits begonnen!"
Gleich hinter der Prinzessin schob sich Runa ins enge Innere des Zeltes, in ihren Händen trug sie eine Schmuckschatulle aus Holz. Sie war genauso nobel gekleidet wie die Prinzessin. Ein birnengrünes Gewand mit Schmetterlingsärmeln zierte ihren schlanken Körper, während eine goldene Halskette auf ihrer Brust thronte.
Mir klappte der Mund auf.
„Was macht ihr hier? Und warum seid ihr so ... so verkleidet?"
Amela blickte grinsend auf mich und meine neugewonnene Freundin herab.
Wir mussten komisch aussehen — ich mit drei Tüchern um meinen Hals gewickelt und Jasmila in ihrer Schürze, der grellroten Pluderhose, die sie darüber gestülpt hatte und dem seegrünen Kopftuch um ihren Schopf. Wir waren wohl eher diejenigen, die sich wie zwei Hofnärrinnen verkleidet hatten.
„Warum denkst du, weshalb wir hierher gekommen sind, hm?", kam die Gegenfrage anstatt die Antwort von Amela.
„Ich ... also ..."
Runa setzte sich an die kurze Seite der Kiste und beugte sich darüber. „Es ist angekommen. Sehr gut."
„Wolltet ihr den Leuten in der Stadt nicht zur Flucht verhelfen?", fragte ich noch immer perplex.
Amela wedelte mit der Hand vor sich herum, als wolle sie gar nichts davon hören.
„Ja, das haben wir auch. Wir haben eine Gruppe nach El Banawi geschickt und haben sie ein Stück des Weges begleitet, aber wir wollten hier Halt machen, bevor wir wieder zurück nach Azoul gehen, um die nächste Welle zu schicken."
„Aber warum ...?"
Mit gezielten Griffen zog Runa einen glitzernden Stoff aus der Truhe und hielt ihn in die Höhe. Ich japste laut nach Luft, denn er war atemberaubend.
Es war ein Kleid aus Sand und Sternen!
Amelas Schmuck klimperte leise, als sie sich mir näherte, in die Knie ging, ihre Hände auf meine Schultern ablegte und ihren Kopf ganz nahe an mein Ohr hielt.
„Wir sind hier, Najmah Schätzchen, weil wir deine Hochzeit zu feiern haben."
--------------------
Hallo hallo
Das war ein etwas gar langes Kapitel 😅
Ich weiss, ich weiss, ihr freut euch alle. Eure heiss ersehnte Hochzeit kommt bald. Najmah soll ja unter die Haube kommen, damit sie das ganze Vermögen von Zahir erbt, wenn er in der Schlacht stirbt, nicht wahr? ;-)
Die gute Jasmila ist endlich mit der Wahrheit rausgerückt! So grosse Entscheidungen können manchmal wirklich furchteinflössend sein - vielleicht kennt ihr solche Zweifel und besonders Selbstzweifel ja auch. Ob sie sich mit den Sandwürmern aussprechen wird - was denkt ihr?
Ich habe jetzt endlich Urlaub und wünsche euch ein fabelhaftes Wochenende!
Wir hören/lesen/schreiben uns.
Eure Fleur
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro