19 - Des Schatzmeisters Rätsel
"Die Morgendämmerung kommt nicht zweimal, um dich zu wecken."
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Lange Zeit nachdem das kecke Mädchen das Kellergewölbe verlassen hatte, blieben Araf, meine Grossmutter und ich noch sitzen.
Ratlos, vollkommen ratlos brüteten wir über den drei kryptischen Zeilen, jedoch kamen wir auf keinen grünen Zweig. Selbst als wir durch die Abenteuergeschichte von Ibn Ali blätterten, fanden wir nichts, was uns weiterhelfen konnte.
Dieses Rätsel bereitete uns wirklich schlimme Kopfschmerzen.
Hinzu kam, dass sich die Erschöpfung bei mir durch ein langes Gähnen erkenntlich machte, weshalb meine Grossmutter für mich entschied, dass es Zeit für eine Rast war. Ich sträubte mich nicht gegen ihren Entschluss.
Für heute hatte ich mehr als genug erfahren.
Wir liessen Araf in seinem Keller zurück. Er wollte noch eine Weile daran grübeln, ehe auch er sich schlafen legen würde.
Ich hievte mich mit letzter Kraft über die Mauer, schlurfte in mein Bett und es dauerte nicht lange, bis ich in einen erschöpften Schlummer fiel. Viele seltsamen Dinge verfolgten mich in meine Träume: Die Lüftung unseres Familiengeheimnisses, die Botschaft des geheimen Ordens, der Ausblick auf eine Wiedervereinigung mit Zahir, die Suche nach der Schatzkammer, Hakims kniffliges Rätsel. Alles vermischte sich zu einem Wirrwarr.
Als ich am nächsten Tag erwachte, blieb ein Bild jedoch wie eingebrannt in meinem Kopf: Eine Wüstenrose, die in einem rauen und zerschundenen Gelände aus dem Boden wuchs und ihre Blüten dem Sternenhimmel entgegenstreckte — das Endresultat meiner wilden Träume.
Erst als ich mein Frühstück bestehend aus gebratenen Eiern in Tomatensauce und einer grossen Tasse yawischen Kaffees verzehrte, fühlte ich, wie sich der Nebel in meinem Kopf auflöste. Mit neuer Kraft versehen kletterte ich kurz darauf über die Innenhofsmauer und begab mich wieder in Arafs Kellergewölbe.
Es war dunkel und mein Nachbar war noch nicht da.
Allerdings ertappte ich Amelia dabei, wie sie die Notizzettel analysierte, welche an der Wand neben der Karte hingen und vom Wind meiner Ankunft leicht aufflatterten.
„Hallo", grüsste sie mich keineswegs erschrocken. „Baba schläft noch. Ich schleiche immer in den Keller, wenn er die Augen zumacht." Sie hielt einen Finger an die Lippen. „Aber pssst, verrate ihm das nicht."
Ich schmunzelte. „Würde mir niemals einfallen."
Seufzend setzte ich mich an den Tisch und nahm das Papyrusblatt in meine Hände, auf welchem die drei Zeilen des Rätsels standen. Meine Hoffnung war, dass ich mit einem ausgeschlafenen und frischen Geist die Sätze nochmals anders betrachten würde:
Vom Ursprung der Zeit zu den Füssen der weissen Zwillinge sollst du wandern.
Entlang des goldenen Flusses blühen die Rosen unter den Sternen.
Bedenke: Weder Feinde noch Fremde lässt sie hinein.
Eine Wüstenrose unter Sternen hatte ich in meinem Traum gesehen, aber ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Ganz zu schweigen von all den anderen Dingen: Zwillinge, goldener Fluss, Feinde und Fremde, Ursprung der Zeit. Egal, wie oft ich die Zeilen las, nichts liess in mir ein Licht aufgehen. Wir würden jedes einzelne Wort auseinandernehmen müssen, um hinter dessen versteckte Bedeutung zu kommen, um ansatzweise eine Chance zu haben, den Standort von Alkhizana herauszufinden!
Ich liess ein Ächzen hören.
„Und?", fragte Amelia und spähte über meine Schulter auf den Zettel. „Habt ihr des Schatzmeisters Rätsel schon gelöst?"
„Wir arbeiten daran", antwortete ich kopfschüttelnd.
Amelia riss mir den Zettel aus der Hand und drehte ihn auf den Kopf, sodass die Sätze unlesbar wurden.
„Manchmal muss man die Perspektive ändern, wenn man feststeckt — behauptet Baba immer." Sie begann auf die Buchstaben zu schielen und streckte dabei die Zunge heraus.
„Äääääh, nein, so wird mir nur schwindlig", stellte sie fest, knallte das Stück Papier zurück auf den Tisch und schob es desinteressiert von sich. Dann machte sie sich hüpfend davon, umkreiste fröhlich summend unseren Tisch, bis sie mich von der anderen Seite des Raumes aus betrachten konnte.
Wie dieses Mädchen so früh schon so viel Energie haben konnte, war mir ein fast so grosses Rätsel wie jenes von Hakim.
„Mufa der Abenteurer hat auf sein Bauchgefühl gehört", meinte sie munter weiter. Sie klopfte sich mit der Handfläche auf die Brust, nicht auf ihren Bauch. „Unser Bauchgefühl stimmt nämlich meistens. Wir Menschen haben einen Sinn für die Wahrheit, als ob sie bereits in uns drin steckte."
Vom oberen Stock waren Stimmen zu hören. Womöglich war das Araf, der aufgestanden war. Amelia huschte zur Treppe, sodass es ihren Zopf hin und her wirbelte.
„Ich muss hoch, sonst schnauzt mich Baba gleich wieder an." Sie winkte mir zu wie zum Abschied. „Tschüss, Wüstenrose." Und weg war sie.
Ich starrte eine Weile auf die Stelle, an welcher sie kurz davor noch gestanden hatte, während ihre Worte mir im Kopf herumgeisterten. Bauchgefühl. Ich solle auf mein Bauchgefühl hören.
Abermals las ich die Zeilen des Rätsels durch, doch mein Bauch blieb still. Ich besass nicht sowas, wie ein Bauchgefühl oder eine Art Ahnung, was hinter den mysteriösen Worten stecken könnte. Ich konnte lediglich—
„Oh", hauchte ich in die Einsamkeit des Kellers.
Ich konnte die Zukunft sehen.
Das war mein Sinn für die Wahrheit und wenn es ja tatsächlich mein Schicksal war, Alkhizana zu finden, dann musste ich das auch sehen können!
Ohne noch weiter darüber nachzudenken, legte ich die linke Hand auf meine Brust und schloss die Augen. Mehrmals atmete ich tief ein und aus, lies die Luft in meinen Lungen zirkulieren, bis sich mein Herzschlag beruhigte und bis ich in die Meditation verfiel, welche mir meine Freundin, die Wassertänzerin aus der Vergangenheit, so oft eingetrichtert hatte.
Meine Gedanken verpufften und hinterliessen nichts als Stille.
Ich meditierte und horchte einzig meinem Puls. Die Wahrheit steckte in mir drin, in meinem Herzen. Es würde mich leiten.
Als ich mich ruhig und entspannt und sicher genug fühlte, da wagte ich einen Blick in meine Zukunft und entfesselte meine Kraft.
Es war ein Kinderspiel, als hätte meine Magie nur darauf gewartet, endlich wieder richtig eingesetzt zu werden. Die Bilder formten sich vor meinem inneren Auge, während meine Kraft Spiralen in meiner Brust zog. Sie pulsierte und vibrierte unter meinen Rippen im Gleichmass meines Herzens, nicht zu stark, nicht zu schwach, sondern genau in dem Rhythmus, der mir eine der klarsten Visionen bescherte, die ich je heraufbeschworen hatte:
Ich stand vor einem Felsen, der aus einer flachen Landschaft ragte, sich gen Himmel streckte wie ein Zeigefinger eines versteinerten Riesen. An meinen Füssen spürte ich den warmen Sand der Wüste. Der angenehme Geruch Tulhaias wehte mir ins Gesicht.
Ich trat an den Felsen heran und ein merkwürdiges Gefühl überkam mich, als wäre ich bereits einmal hier gewesen.
Ein Knirschen liess mich herumfahren.
Araf stand hinter mir, ein Lächeln im Gesicht und hielt die Zügel zweier schwer bepackten Pferde in der Hand.
„Und?", fragte er. „Irgendwas?"
Ehe ich ihm antworten konnte, musste ich meine Hand an die Stirn legen, denn plötzlich stach die Sonne in meinen Augen. In ihrer üblichen Trägheit kletterte sie die Himmelskuppel hinauf und blendete mich.
Doch etwas warf einen gigantischen Schatten zu meinen Füssen.
Meine Vision löste sich auf, alsdann stückweise Arafs Kellergewölbe wieder vor meinen Augen erschien. Ich blinzelte und erkannte meinen Nachbar, der sich mir gegenüber an den Tisch gesetzt hatte. Dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab und verrieten mir, dass er schlecht geschlafen hatte.
„Hast du gerade ...?" Er räusperte sich. „Hast du gerade in die Zukunft geschaut?"
Er musste heruntergekommen sein, als ich noch in meiner Vision steckte.
„In meine eigene Zukunft, ja", bestätigte ich. „Ich dachte, wenn es meine Bestimmung ist, zurückzureisen, dann ist es meine Zukunft, die Schatzkammer zu finden. Ich hatte gehofft, etwas zu sehen, das uns mit der Suche weiterbringen könnte."
Araf nickte und wirkte plötzlich wacher als davor. „Und? Hast du?"
Ich schob mein Kopftuch vom Scheitel, denn mir war warm geworden. Die stickige Luft in diesem Keller trug nicht sonderlich zur Klärung meines Geistes bei.
„Bin mir nicht sicher", murmelte ich und rieb mir die Stirn. „Ich verstehe nicht, warum die Schrift des Ordens nicht einfach verraten konnte, wo sich diese Schatzkammer befindet. Das hätte alles so viel einfacher gemacht."
Wenn es so wichtig war, dass ich zurückreiste und es mein vorbestimmter Pfad war, warum nahmen sie mir dann nicht die Steine aus dem Weg, damit ich schneller an mein Ziel kommen konnte? Selbst Araf hätte es so viel Zeit erspart, wenn er nicht sein halbes Leben lang danach hätte suchen müssen.
Ich fand diesen Kanon des Ordens schlichtweg doof.
„Vermutlich weil der Orden nicht wollte, dass diese Information in falsche Hände geriet", mutmasste Araf. „Wenn die Dohad davon erfahren hätten — wenn sie die Schatzkammer gefunden hätten, dann wäre jegliche Hoffnung auf das Wiederbeleben der Magie verloren gewesen. Sie hätten den Schatz zerstört. Es musste geheim bleiben."
Natürlich verstand ich das, doch machte es unsere Aufgabe so viel komplizierter.
„Also?", hakte Araf nach. „Was hast du gesehen?"
In wenigen Worten beschrieb ich ihm meine Vision. Wie ich diesen kolossalen Felsen inmitten einer flachen Landschaft gesehen hatte und wie ich mein Gesicht der Sonne entgegenstreckt hatte.
Araf runzelte die Stirn. Er erhob sich vom Stuhl und marschierte auf die Karte zu. Ich folgte ihm und stellte mich mit verschränkten Armen hin.
„Grosse, einsame Felsen gibt es wenige in der Wüste." Er deutete auf drei Stellen auf seiner Karte, eine lag im Nordwesten Tulhaias, in der Nähe von Qarda, eine nordöstlich und eine weitere Nadel südöstlich von Azoul. „Das sind die Stellen, welche ich bereits besucht habe", sagte er. „Aber da war nichts."
Für einen Moment starrte ich auf die Karte und versuchte meine Erinnerung zu wecken. Was hatte Hakim mir hinsichtlich des Schatzes gesagt? Er war wegen mir ja einmal selbst dort hin geritten.
„Sie muss in der Nähe von Azoul sein", schlussfolgerte ich. „Hakim ist zur Schatzkammer, um eine Auswahl an Verstärkern für mich auszusuchen. Alkhizana kann kaum einen Tagesritt weit von Azoul entfernt sein."
Araf deutete auf zwei Stellen auf der Karte. „Dann kommen von den drei Felsen, nur noch zwei in Frage." Er zeigte darauf. „Der im Tal der Tränen und der hier unten."
Sein Zeigefinger verdeckte den Felsen im Südosten. Ich trat näher heran.
„Der hier liegt bei Jaradin?", fragte ich. „Südöstlich von Azoul?"
Araf nickte. „Ich war dort. Dieser ist besonders. Ein heruntergekommener Palast muss sich einst in dem Felsen befunden haben."
Etwas in mir regte sich. „Ein Palast?"
„Ja. Auf der einen Seite wurde eine prächtige Eingangspforte in den Stein gehauen. Ich bin hinein. Es ist bloss noch eine verlassene Höhle voller Sand und Schutt, aber ich wette, das war einmal ein Empfangssaal einer einflussreichen Person."
„Beim Sultan!", rief ich etwas zu laut, weshalb Araf mich verwirrt anblinzelte. „Ich glaube, das ist es!"
Die Hüterin der Zeit! Den Felsen, den ich in meiner Vision gesehen hatte, war der Aufenthaltsort der Hüterin der Zeit.
„Hakims Rätsel spricht von der Zeit. Das muss dieser Felsen sein." Ich tippte auf dieselbe Stelle, an welcher Arafs Finger noch lag. „Darin lebte damals die Hüterin der Zeit. Die Dämonin des Alterns, die Göttin des Lebens. Sie, die Zeit gibt und Zeit nimmt."
„Der Ursprung der Zeit", murmelte Araf und sprang zurück zum Tisch. „Vom Ursprung der Zeit zu den Füssen der weissen Zwillinge sollst du wandern", las er die erste Zeile des Rätsels vor.
Ich hielt meinen Finger an die Stelle, wo sich der Felsen der Hüterin befand und fuhr in alle Richtungen. Es gab nur eine Richtung, in welcher sich sowas wie Zwillinge befinden konnte — und dann noch weisse.
„Alkabir", sagten Araf und ich gleichzeitig.
Die mächtige Bergkette, die sich östlich von Azoul quer durchs Land erstreckte und die Wüste vom Ostmeer kappte. Unsere Blicke trafen sich, als ich sogleich meine nächste Frage stellte:
„Gibt es hier irgendwo zwei Bergspitzen, die Zwillinge heissen?"
Araf kratzte sich am Hinterkopf. „Ich bin vor ein paar Zyklen durch das Gebirge gewandert und habe da irgendwo noch eine Karte", sagte er und begann in den Schriftrollen zu kramen. „Gib mir einen Moment."
Ich konnte meinen Blick nicht von der Landkarte lösen, denn ich spürte tief in mir drin, dass dort irgendwo zwischen den hohen Bergketten die Lösung auf uns wartete. Es war, als zöge ein Seil an mir.
„Hier, hab sie." Araf kam zu mir.
Er hielt eine Wanderkarte in den Händen, welche die Täler und Flüsse und begehbaren Wege des Gebirges markierte und überall standen die Namen der Bergspitzen. Araf las sie vor, doch wir fanden keine, die ähnlich klangen oder gar den Namen Zwillinge in sich trugen. Wenn wir das Gebiet, in welchem wir suchen mussten, nicht massiv eingrenzten, dann würden wir unendlich viele Tage damit verbringen, durch Berg und Tal zu wandern.
Wir mussten unbedingt genauer werden.
„Das Rätsel spricht von einem goldenen Fluss", sagte ich, als wir selbst nach drei Tassen Tee und unzähligen Datteln keine Lösung fanden. „Gibt es in diesen Tälern einen goldenen Fluss?"
„Nein."
Vor Frust schlug ich meine Faust auf die Karte. „Das gibt es doch nicht!"
Steine! Nur noch mehr Steine wurden uns in den Weg gelegt. Was hatte sich Hakim bloss mit diesem dummen Rätsel gedacht? So würden wir niemals fündig werden.
Araf legte die Wanderkarte wieder weg. „Najmah", sagte er. Ich spürte die Vorsicht in seiner Stimme. „Ich weiss, dass wir die Region noch nicht genügend eingeschränkt haben, aber ich denke, wir sollten da hin."
Ich drehte mich zu ihm um. „Aber wir wissen doch noch gar nicht genau, wo wir suchen sollen. Wir könnten so viel Zeit verschwenden ..."
Er zeigte mir ein herzerwärmendes Lächeln. Seine Spezialität, musste ich feststellen. Damit konnte er wirklich jeden weich kriegen.
„Dieser winzige Hinweis ist schon so viel mehr, als womit ich die ganze Zeit alleine gesucht habe." Ein bitteres Lachen entfuhr ihm. „Ich habe die halbe Welt bereist und diese Region ..." Seine Hand umschloss das nördliche Alkabir-Gebirge „... ist im Vergleich zum gesamten Kontinent wahrlich kein Heuhaufen mehr. Es ist viel eher ein kleiner Topf voller Heu und nun müssen wir nur noch die Nadel darin finden."
Ich zögerte, blickte von der Karte zu ihm und wieder zur Karte.
„Bist du dir sicher?"
Ein entschlossenes Nicken. „Wir nehmen so viele Bücher mit, die wir schleppen können und die Karten und dann gehen wir dahin und ich schwöre beim Namen meiner Tochter, dass wir diese Kammer finden werden. Wir sind ihr schon so viel näher, als ich es je zuvor gewesen bin! Sie wird uns rufen. Sie muss!"
Ich betrachtete die Weltkarte und das riesige Gebiet, das wir absuchen mussten.
„Gut", willigte ich schliesslich ein. „Suche und der Weg wird dich finden, lautete ja deine Devise, stimmt's?"
Araf nickte mit einem schiefen Grinsen.
„Dann hoffen wir, dass uns Alkhizana tatsächlich rufen wird", machte ich unsere Entscheidung zur beschlossenen Sache.
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Natürlich konnten wir nicht gleich aufbrechen. Unsere Reise galt es gewissenhaft vorzubereiten.
Als ich Sitty davon erzählte, widersetzte sie sich zu meiner eigenen Überraschung nicht unserem Beschluss, sondern machte sich sogleich ans Zubereiten der Speisen, die wir durch die Wüste und anschliessend während der Wanderung durch die Berge zu uns nehmen sollten. Sie wollte, dass wir möglichst lange möglichst reichhaltige Nahrung zu uns nahmen. Ausserdem meinte sie, dass sie mich nicht am Hungertuch nagend zu meinem Prinzen zurückschicken könne. Sie wollte nicht, dass er schlecht über sie dachte.
Ganz unwillkürlich musste ich bei dem Gedanken lachen. Zahir würde Sitty genauso lieben wie ich, wenn er sie träfe.
Es vergingen ganze vier Tage, ehe wir bereit für unsere Reise waren.
Vier Tage, in denen ich ununterbrochen Adils Bücher las, mich mit zusätzlichen Werken anderer Autoren über die Zeit in der 701. Rotation des Adlers informierte, mir die Eigenheiten der Dohad und ihrer kulturellen und sozialen Vorstellungen einprägte, mir alles merkte, was ich von der Schlacht und von der Herrschaft, die danach folgte, mir eintrichtern konnte.
Ich wollte vorbereitet sein, wenn ich zurückkehrte und da ich aus Erfahrung wusste, dass Bücher die Reise durch die Zeit nicht unbeschadet überstehen konnten, wollte ich mir alles merken. Tag und Nacht paukte ich, bis mir die Augen vor Erschöpfung zufielen und Sitty mir eine Decke über die Schultern legte und mich ins Bett schob.
Das viele Lesen und Pauken diente aber nicht nur der Aneignung nützlichen Wissens, sondern auch der Ablenkung des nahenden Abschiedes meiner Grossmutter. Selbst wenn alles in mir einfach nur zurück zu Zahir und seiner Familie wollte, gab es einen winzigen Teil in meinem Herzen, der hier bleiben wollte.
Bei Sitty. Bei meiner Grossmutter, die mich so vieles gelehrt hatte.
Es stand ausser Frage, dass sie uns begleiten konnte und so war ich gezwungen, bei Anbruch des fünften Tages, sie ein letztes Mal in die Arme zu schliessen.
Wir hielten uns lange.
„Reist vorsichtig", flüsterte Sitty in meine Haare.
„Das werden wir."
Wir lösten uns voneinander und blickten uns an. In ihren türkisen Augen glitzerte ein Meer voller Tränen.
„Ich bin stolz auf dich, Najmah." Sie strich mir eine Strähne hinter mein Kopftuch. Ihr Lächeln wurde breiter. „Sternenseherin von Tulhaia, Prinzessin der Wüste und Retterin der Herzenskraft."
Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht loszuheulen.
„Und jetzt geh mit erhobenem Haupt, dem starkem Herzen einer Muzedin, dem unzerbrechlichen Willen einer Kasbahrin und blicke nicht zurück." Sie schaute an mir vorbei in die Ferne, wo die Unendlichkeit der Wüste auf uns wartete. „Dein Schicksal liegt dort."
„Sitty", krächzte ich, „ich werde dich vermissen."
Verständnis strahlte mir entgegen, als sie mein Gesicht mit ihrer knochigen Hand liebkoste. Das letzte Mal, an welchem ich das Gefühl ihrer ledrigen Haut auf meiner Wange geniessen konnte.
„Mein Wind weht ewig", erwiderte sie flüsternd. „Ich werde immer bei dir sein, egal wo du bist." Ihre Hand legte sich auf mein Herz. „Genau hier."
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Hallihallo
Wir marschieren los. Freut ihr euch?
Habt ein erholsames Wochenende!
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