Kapitel 11 || River
»Hey«, spricht Madelyns Stimme am anderen Ende der Leitung.
Ich bin mehr als nur ein bisschen überrascht darüber, dass sie mich anruft. Sie hat mich seit einer ganzen Woche ignoriert. Und das nur, weil ich ihr nicht sagen konnte, warum ich sie mit zu meinem Rückzugsort genommen habe. Aber ich war froh darüber. Es ist besser, wenn ich mich von ihr fernhalte. Sie tut mir nicht gut, macht mich wütend.
Erstens, weil ich weiß, dass ich sowieso nie eine Chance bei ihr hätte. Schon alleine, weil sie in einer Beziehung ist.
Und zweitens, weil sie nun mal eine Liga über mir spielt. Sie ist reich und bekommt alles, was sie will. Sie macht sich keine Gedanken über andere Menschen. Und solche Leute nerven mich.
Auch Louis hat das bestätigt, als ich ihm vor genau drei Stunden mein Herz ausgeschüttet habe, weil ich keine Ahnung hatte, wem ich es sonst hätte erzählen sollen.
Trotzdem klopfte mein Herz irgendwie schneller, als ich vor ein paar Sekunden das Telefonat annahm. Und auch jetzt spüre ich es heftig gegen meinen Brustkorb trommeln.
»Madelyn?« Ich räuspere mich. Meine Stimme ist seltsam belegt.
Sie seufzt am anderen Ende des Hörers und bleibt still.
Ich wundere mich, dass sie mich um zwölf Uhr nachts anruft. Ich wundere mich generell, dass sie mich anruft. Aber irgendwie mache ich mir auch Sorgen, was eine Reaktion ist, die ich eigentlich nicht möchte. »Warum rufst du so spät an?«, frage ich, weil von ihr nichts kommt.
Daraufhin lacht sie. Es ist ein schrilles, lautes Lachen und mir geht ein Licht auf. »Hast du zu viel getrunken?«
Sie verstummt. Wieder seufzt sie. »Kannst du mich abholen?«
Ich erstarre. »Was?«
»Bitte«, fleht sie. »Ich kann hier nicht bleiben. Und alleine fahren kann ich logischerweise auch nicht.« Sie spricht verwunderlich ruhig, dafür, dass sie wohl nicht mehr ganz nüchtern ist. Eigentlich dachte ich, sie ist eine brave Einserschülerin, die nie Alkohol zu sich nimmt, aber was weiß ich denn schon von ihr? Nur, weil uns von jeder Ecke Klischees über alle möglichen Menschentypen eingetrichtert werden, heißt es nicht, dass diese auch zutreffen.
Ich überlege. Wahrscheinlich ist es irrational eine ziemlich dumme Idee, aber rational ... Ich kann sie doch nicht einfach hängen lassen, wenn sie so dringlich um Hilfe bittet. »Okay. Wo bist du?« Sie nennt mir eine Adresse und ich versuche sie mir angestrengt einzuprägen. »In einer viertel Stunde bin ich bei dir.« Ich lege auf.
Seufzend lehne ich mich gegen den Kühlschrank von Louis Familie und betrachte den Drink in meiner Hand, den ich mir gerade vorbereitet habe, als sie anrief. Daraus wird jetzt heute wohl nichts mehr.
Entschlossen leere ich das Glas über dem Spülbecken aus und verlasse die Küche. Im Wohnzimmer findet die kleine Party statt, für die ich mir jetzt einen triftigen Grund überlegenen muss, warum ich schon so früh einen Abgang machen will.
Louis sitzt neben Mia auf der Couch. Kenzie hockt davor auf dem Boden und lehnt mit dem Rücken daran und vier weitere Jugendliche aus meiner früheren Schule sitzen ebenfalls verteilt um sie herum.
Wir machen so etwas häufig. Louis, Mia, Kenzie und ich. Wir laden ein paar Leute aus unserer Stufe ein – immer verschiedene, für die Abwechslung – und veranstalten eine kleine, gemütliche Party zusammen. Meistens bei Louis zuhause, da seine Eltern auch am Wochenende bis spät in die Nacht arbeiten sind.
»Wolltest du dir nicht einen Drink machen?«, will dieser jetzt von mir wissen und sieht feixend meine leeren Hände an.
»Ich muss gehen«, platze ich ohne Umschweife heraus und blicke in verständnislose Gesichter.
»Jetzt schon?«, fragt Mia.
»Dabei machen wir gleich ein paar Trinkspiele«, schmollt Louis.
Kenzie sagt gar nichts. Sie sieht mich nicht einmal an. Ich bin ihr letzte Woche weiterhin aus dem Weg gegangen und irgendwann hat auch sie mich ignoriert. Ich habe dringend vor, noch mit ihr zu reden, da ich unsere gesamte Gruppe nicht aufs Spiel setzten will, aber bisher kam ich noch nicht dazu.
»Es gibt Familienprobleme«, schwindle ich. Darauf reagieren sie immer verständnisvoll und entgegenkommend. Dabei wissen sie nicht viel über meine Familiensituation. Aber die Tatsache, dass ich in einer WG wohne und nie ein Familienmitglied erwähne, scheint ihnen schon zu reichen.
»Oh, okay.« Mia nickt. Und zwar verständnisvoll, genau, wie ich es vorgesehen habe.
Auch Louis Miene ändert sich. »Ich verstehe. Melde dich.« Er winkt und ich nicke. Den anderen lächle ich kurz zu und sie verabschieden sich flüchtig von mir.
Dann drehe ich mich um und verlasse das Wohnzimmer. Im Flur schlüpfe ich in meine Schuhe und verlasse das Reihenhaus.
Draußen ist es stockdunkel und hätte die Veranda kein eingebautes Licht, das nun meine Bewegung erkennt und angeht, hätte ich nichts gesehen. Sogar der Mond ist von den Wolken verdeckt.
Ich schließe mein Auto auf und gleite auf den Fahrersitz. Es braucht etwas, bis der Motor anspringt, aber dann beginnt er, leise zu brummen und ich fahre los. Natürlich nicht, ohne vorher Madelyns genannte Adresse in Google Maps ein zu geben, da ich sonst keinen Plan hätte, wo ich hinfahren muss.
Aber so finde ich das Haus ganz leicht und bin tatsächlich keine fünfzehn Minuten später an meinem Ziel angekommen.
Das Gebäude vor mir ist riesig. Aber nicht mal dieses Wort beschreibt es ganz. Es ist eine pompöse Villa, mit großem Parkplatz, verschnörkelter Fassade, raumhohen Fenstern und mehreren Balkonen. Die Haustür ist doch tatsächlich eine Doppeltür, als würde sie zu einem verdammten Schloss gehören. Auf dem Platz stehen mehrere kleine Springbrunnen. Um einen von ihnen fahre ich jetzt geschickt vorbei und würge den Motor ab.
Mich würde es wirklich interessieren, wer von Madelyns Freunden hier wohnt, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass es Tucker ist. Keine Ahnung, warum. Vielleicht ist es ja auch nur Wunschdenken, denn dieses Haus ist einfach schrecklich und somit passt es zu ihm.
Wie einsam muss sich eine vielleicht vierköpfige Familie darin fühlen? Aber okay, wenn es ihnen gefällt, dann sollen sie darin wohnen. Jeder so, wie er es gerne mag. Für mich wäre es jedenfalls nichts.
Ich steige aus und schaue mich um.
Drei Typen und ein Mädchen lehnen an einem schwarzen Porsche neben mir und schauen mich schief an.
»Ist irgendetwas?«, fauche ich und sofort wenden sie die Blicke ab. Kopfschüttelnd gehe ich auf den Eingang zu. Links daneben steht eine riesige Topfpflanze, die einer Palme ähnelt, und auf dem Rand des breiten Topfes sitzt eine Gestalt.
Ich brauche nicht lange, um zu erkennen, dass es sich um Madelyn handelt. Sie sieht mich und versucht aufzustehen. Allerdings scheitert sie und kippt nach hinten.
Schnell strecke ich die Arme aus und halte sie, bevor sie rückwärts in die Blumenerde fällt.
Breit grinsend sieht sie mich an. An ihrem schwarzen Oberteil klebt Erbrochenes am Kragen und ihre Schminke ist total verlaufen. Wenn ich mich nicht irre, bilden sich getrocknete Tränen auf ihrer Wangen ab. »Hallo«, lallt sie.
Ich ziehe die Brauen hoch und greife nach ihren Händen. »Komm, wir verschwinden.«
Ihre Antwort besteht aus schrillem, albernen Lachen.
Es stellt sich wirklich als Herausforderung heraus, sie zum Auto zu bekommen, obwohl es nur ein paar Meter entfernt steht. Doch sie lässt sich die ganze Zeit zurückfallen oder kippt beinahe zur Seite.
»Ich trage dich gleich«, warne ich sie halbherzig und stelle mich dann dicht neben sie, um sie so gut es geht zu stützen.
Dabei berühren sich unsere Schultern und ein seltsames Kribbeln bildet sich an genau dieser Stelle.
Plötzlich dreht sie sich zu mir. Ihr Gesicht ist nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt und mein Blick fällt sofort in ihre Augen. In ihre faszinierenden, braungrünen Augen.
Manchmal, wenn das Licht besonders auf sie scheint, sehen sie so aus wie zwei grüne Seen auf Sommerwiesen. Oder so wie das Blätterdach eines Laubbaumwaldes, wenn die Sonne von oben auf sie scheint und du genau darunter stehst. Und dann guckst du nach oben und siehst dieses helle, lichtdurchflutete Grün. Manchmal sehen sie auch aus wie braungrünes Moos, das auf alten Bäumen wächst.
Habe ich schon erwähnt, dass grün meine Lieblingsfarbe ist?
»Du siehst so gut aus«, sagt sie in diesem Moment.
Ich halte inne, überrascht über ihre Worte. Ein seltsames Flattern bildet sich in meinem Magen. »Du bist betrunken.«
»Ich meine es ernst, wirklich, du siehst gut aus«, wiederholt sie und sieht mich dabei mit musterndem Blick an.
Ich versuche, mein schneller werdendes Herz zu ignorieren. »Verdammt, du bist richtig betrunken.«
Sie lacht nur und zuckt mit den Schultern.
Zum Glück sind wir bei meinem Wagen angekommen und ich öffne die Tür. Dann helfe ich ihr, hinein zu klettern, schnalle sie an und schließe die Tür vorsichtig.
In schnellen Schritten umrunde ich das Auto und schwinge mich auf den Fahrersitz. Mit einem Seitenblick zu ihr, starte ich den Motor und verlasse den Parkplatz.
Schon nach zwei Minuten höre ich ihren regelmäßigen Atem neben mir und sie ist eingeschlafen.
Und als ich da so durch die mitternächtliche Stadt fahre, die von hellen blinkenden Lichtern erleuchtet wird, welches den glitzernden Lidschatten auf ihren geschlossen Augen zum Glänzen bringt, bekomme ich so ein seltsames Gefühl. Ein Gefühl von Weite und Schwerelosigkeit. In diesem Moment denke ich, dass es tatsächlich etwas mit uns werden könnte. Ich vergesse für ein paar Augenblicke, wie unterschiedlich wir sind und auch, dass sie einen Freund hat.
Ich vergesse alles. Da ist nur noch die Nacht. Die Lichter. Das Gefühl. Madelyn. Und das Alles zusammen fühlt sich unglaublich an.
Die Autofahrt ist viel zu schnell vorbei und beinahe schwermütig steige ich aus. Ungern will ich das schlafende, wirklich hübsche, Mädchen in meinem Auto wecken, weswegen ich mehrere Minuten unschlüssig vor ihr stehe und überlege, was ich jetzt bitte tun soll.
Dann seufze ich und hebe sie vorsichtig hoch. Dabei lege meinen einen Arm in ihre Kniekehlen und den anderen unter ihren Rücken. Ihren Kopf bete ich behutsam seitlich an meine Brust, damit er nicht herunterhängt und herumgeschaukelt wird.
Vorsichtig gehe ich auf die Haustür zu und beschließe zu klingeln, da ich so unmöglich aufschließen kann. Austin ist sowieso noch wach, so wie ich ihn kenne, und Jackie vielleicht gerade nachhause gekommen, wenn überhaupt. Oft taucht sie auch erst um fünf Uhr morgens auf.
»Hallo, wir wollen keine Werbung mitten in der Nacht. Und nein, wir spenden auch nichts für euren Club«, ertönt Austins genervte Stimme durch die Gegensprechanlange.
Ich verdrehe die Augen. »Mach schon auf.«
»River?« Er klingt verwundert.
»Höchstpersönlich«, spotte ich. »Jetzt lass uns rein.«
»Uns?«, wiederholt er und ich sehe scheinbar das große Fragezeichen auf seinem junghaften Gesicht. Doch im nächsten Moment ertönt tatsächlich der Türsummer und lässt mich eintreten.
Prüfend schaue ich in Madelyns Gesicht, aber sie schläft zum Glück noch. Langsam laufe ich die Treppen hoch und stoße mit dem Fuß die angelehnte Wohnungstür aus.
»Austin?«, flüstere ich in den gedämpft beleuchtenden Flur.
Er kommt aus der Küche, in der Hand eine Vanilleeispackung, und zieht überrascht die Brauen hoch. »River, was zur Hölle?«
Verzweifelt schüttle ich den Kopf. »Sie hat mich gebeten, sie abzuholen und dann ist sie im Auto eingeschlafen. Außerdem habe ich doch keine Ahnung, wo sie wohnt. Ich wusste nicht, was ich sonst machen sollte.«
»Okay, okay, River, beruhige dich erstmal.« Austin öffnet die Türe zu meinem Zimmer. »Leg sie auf dein Bett, wir kümmern uns schon um sie.«
Also bete ich sie vorsichtig auf meine Decke. Sie verzieht kurz das Gesicht, aber dann entspannt es sich wieder und ich atme auf.
»Und jetzt?«
Austin sieht so überfordert aus wie ich und wenn ich selbst nicht an der Situation beteiligt wäre, hätte ich darüber bestimmt gelacht. »Ähm? Vielleicht sollten wir ihr erstmal die Schuhe ausziehen.«
»Okay, gute Idee.« Schnell streife ich ihr die Schuhe von den Füßen. »Und jetzt?«
»Was fragst du mich? Du hast sie mit genommen.«
Also stehen wir nur überfordert über ihr und schauen auf sie hinunter.
In diesem Moment geht die Wohnungstür auf und eine verwirrte Jackie betritt den Raum. »Was ...?« Als ihr Blick auf die schlafenden Madelyn in meinem Bett fällt wandert ihr Blick verblüfft zwischen uns hin und her. »Kann mir das mal einer erklären?«
Ich erzähle ihr das, was ich auch schon Austin gesagt habe und sie sieht uns mit erhobenen Brauen an.
»Was steht ihr hier so blöd herum? Ihr könntet ihr zum Beispiel mal das vollgebrochene Oberteil ausziehen oder einen Eimer ans Bett stellen?«
»Ich hole den Eimer«, rettet sich Austin geschickt und verschwindet.
Unschlüssig schaue ich auf Madelyn hinab. »Ähm, ich ...«
Jackie schnaubt mich verschränkten Armen vor der Brust. »Wirklich, Männer. Frau muss immer alles selber machen.« Mit energischen Schritten geht sie auf mein Bett zu und schiebt mich zur Seite. Dann beugt sie sich über Madelyn und legt ihre Arme über ihren Kopf auf das Kissen.
Eigentlich will ich Jackie sagen, dass ich es unter anderen Umständen auch selbst gemacht hätte. Aber irgendwie kommt es mir falsch vor, sie auszuziehen, egal, wie unromantisch der Grund dafür ist. Ich glaube nämlich, die nüchterne Madelyn hätte mir dafür die Augen ausgekratzt.
»Jetzt steh hier nicht nur herum, hol ein T-Shirt von mir und mach dich ein bisschen nützlich.« Jackie deutet auf die Tür und ich kann es kaum erwarten, von hier weg zu kommen.
Also schlüpfe ich schnell in den Flur und betrete Jackies Zimmer, das genau neben meinem liegt. Ich wohne nämlich genau zwischen Austin und Jackie, was manchmal ziemlich nervig sein kann.
Ich knipse das Licht an und gehe auf ihre Kommode zu. Ihr Zimmer ist unordentlich und die ganze Wand ist mit Bildern und Lichterketten voll gehängt. Auf dem Boden liegen jede Menge glitzernde Kleiderstücke und High-Heels, bei denen ich mich bemühen muss, nicht versehentlich auf den Absatz zu treten, denn das wäre ziemlich schmerzhaft.
Schließlich öffne ich wahllos die Schubladen der Kommode und durchsuche sie. Beinahe ausschließlich befinden sich enge, kurze Kleider, schimmernde Oberteile oder knappe Tops darin, aber nach einer Weile suchen, fische ich ein gewöhnliches, schwarzes T-Shirt heraus.
Eigentlich hätte ich ihr auch eins meiner Shirts geben können, aber dann hätte sie es wahrscheinlich wieder tagelang behalten, genau wie die Jacke. Nicht, dass ich das so schlimm fand, ehrlich gesagt. Sie hat danach nach ihr gerochen und das war ganz und gar nicht schlimm. Sie riecht nämlich nach blühenden Blumenfeldern im Frühling.
Außerdem würde ihr mein T-Shirt sowieso nur wieder besser stehen als mir, was für mich ziemlich frustrierend ist, also kann sie gerne Jackies haben.
Als ich mein Zimmer betrete, schaue ich kein einziges Mal auf Madelyn, als ich Jackie das Shirt reiche. Erst, als ich höre, wie sie ihr den Stoff überzieht, drehe ich mich aufatmend um.
Jackie sieht mich mit hochgezogenen Brauen an. »Wer ist das eigentlich?«
»Das würde mich aber auch mal interessieren«, schaltet sich Austin ein, der mit dem Eimer das Zimmer betritt. Er platziert diesen neben dem Bett und sieht mich abwartend an. »Ist das eine von der Privatschule?«
Mein Schweigen scheint ihnen Antwort genug zu sein.
»Ich glaube es nicht.« Jackie lacht und sieht mich mit großen Augen an. Austins Reaktion ist ähnlich.
»Könnt ihr leise sein? Wie ihr seht, schläft sie«, zische ich. »Lasst uns in die Küche gehen.«
Das lassen sie sich nicht zweimal sagen. Wahrscheinlich rechnen sie mit mehr Informationen, aber da haben sie sich gewaltig geschnitten.
»Kaffee?«, frage ich, weil ich jetzt sowieso nicht mehr richtig schlafen werden kann. Austin und Jackie geht es wohl ähnlich, denn beide nicken und hocken sich an den Tisch.
»Hol noch die Chips aus dem Schrank«, fordert Austin und ich werfe sie ihm zu.
Dann fülle ich den Kaffee in drei Tassen, gebe Milch dazu und stelle sie auf den Tisch. Ich lasse mich auf einen Stuhl sinken und sehe die beiden an.
»Also? Was läuft da?«, beginnt Jackie sofort und greift nach den Chips. Ihre schwarz gefärbten Haare, die zu akkuraten Locken gedreht sind, fallen ihr dabei ins stark geschminkte Gesicht.
Ich seufze. »Gar nichts.«
Austin und Jackie sehen sich an und lachen.
»Natürlich.« Austin nimmt einen Schluck von seinem Kaffee und sieht mich über den Tassenrad hinweg schelmisch an.
»Wir sind Projektpartner und sie hat mich angerufen, weil sie nicht wusste, wen sonst. Mehr ist da nicht.« Das ist die Wahrheit. Glaube ich zumindest. Oder so.
»Ist klar.« Jackie lacht.
»Projektpartner«, wiederholt Austin wissend und ich verdrehe die Augen über die beiden.
»Ihr seid solche Idioten.« Das bringt sie nur wieder zum Lachen. »Ich schaue mal nach ihr.« Ich erhebe mich.
»Ja, schau mal nach deiner Projektpartnerin.«
Ich strecke Austin den Mittelfinger hin, was er nur mit einem Lachen quittiert, bevor ich die Küche verlasse.
Auf leisen Sohlen betrete ich mein Zimmer und setzte mich auf meinem Schreibtischstuhl. Damit rolle ich leise zum Bett und beobachte das schlafende Mädchen auf meinen Kissen.
In diesem Moment öffnet sie urplötzlich die Augen und sieht mich schläfrig an. Das Schläfrige verwandelt sich in Überraschung und dann in Erschrockenheit. Ruckartig hebt sie den Kopf. »River?«
»Ja?«
Sie antwortet nicht, sondern beugt sich hastig über den Eimer. Während sie bricht, halte ich ihr die Haare. Dabei stelle ich fest, dass sie ziemlich weich sind.
»Wo genau sind wir?«, will sie wissen, als sie wieder auftaucht.
»Bei mir. Es ist alles gut.« Behutsam lasse ich ihre Haare los. Sie ergießen sich wie ein Wasserfall über mein Kissen.
Ihre Augenlider flackern, aber sie versucht, wach zu bleiben. Sie sieht mich an. »Danke.«
Ich lächle. »Gern geschehen, guapa.«
»Wirklich. Ich wollte dort nicht bleiben. Ich ... ich glaube ich kann sie alle nicht leiden. Ich will nichts mehr mit ihnen zu tun ...« Ihre Augen schließen sich nun ganz und ihre Worte verebben.
Stirnrunzelnd denke ich über ihren gemurmelten Satz nach. Vielleicht weiß ich doch weniger über sie, als ich denke.
Sanft ziehe ich meine Decke über sie und mustere sie dann einen Moment lang.
Ich mag sie. Ja, das tue ich wirklich. Wieso muss alles immer so kompliziert sein? Wieso bin ich dabei Gefühle für ein Mädchen zu entwickeln, die ganz und gar nicht in meine Welt passt?
Ich will sie nicht runter ziehen. Will sie nicht belasten mit meinen Problemen. Auch wenn ich mir nun sicher bin, dass sie auch welche hat.
Trotzdem.
Sie schwimmt im hellen, gleißenden Licht und ich stecke in dieser Dunkelheit fest, aus der ich schon seit Jahren versuche zu entkommen. Und manchmal funktioniert es, aber oft falle ich wieder zurück. Vielleicht könnte sie mir helfen, daraus zu fliehen.
Aber möglicherweise würde ich sie dabei mit hinein ziehen.
Und das hätte sie nicht verdient.
Seufzend stehe ich auf, schalte das Licht aus und verlasse den Raum. Hinter mir schließe ich die Türe, aber nicht, ohne noch einen letzten Blick auf sie zu erhaschen.
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