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Elisabeth, die man nun seit einem knappen Jahr Colins Freundin nennen konnte, kannte ich schon seit der Grundschule.
Sie ging in meine Jahrgangsstufe, hatte sogar einige Kurse mit mir zusammen. Dass ich Colin gegenüber öfter schon von ihr als die Eiskönigin gesprochen hatte, die alle abblitzen ließ, die sich ihr auch nur auf zehn Meter näherten, hatte er gekonnt ignoriert als sie Colin auf einmal als interessant empfand. Oder er hatte es auch einfach nur vergessen.
Auf jeden Fall dauerte es nicht lange und schwups, auf einmal waren die beiden zusammen. Elisabeth war für mich eine von der Sorte, für die Freunde als Verzierung für ihr fast schon perfektes Leben dienten, kurz gesagt, ich durchschaute ihr Spiel.
Denn von wahrer Liebe war da auf keinen Fall die Rede, von ihrer Seite jedenfalls nicht. Aber sie behandelte Colin nicht schlecht und mit seinen siebzehn Jahren sollte er doch selbstständig genug sein, sein Leben selbst auf die Reihe zu kriegen.
Außerdem hatte ich nicht den Eindruck, dass Colin sich zu dieser Verzierung, die Elisabeth aus ihm machen wollte, formen ließ. Auch wenn sie oft genug an unserer Freundschaft herumnörgelte.
Natürlich hatte ich das nicht von Colin, der sich wahrscheinlich eher einen Finger abschneiden würde als mir so etwas zu erzählen. Zu Gefühlen hatte er keinen guten Draht. Nein, ich hatte da so meine Kontakte, für die diese Art von Information ein Kinderspiel war.
Flora kannte einige von Elisabeths Freundinnen, mit denen sie die meiste Zeit (wenn sie nicht gerade wie eine Klette an Colin hing) verbrachte. Und falls mich Elisabeth denn mal persönlich auf unsere Freundschaft ansprechen sollte, hatte ich sogar schon eine Antwort parat: Colin selbst musste Prioritäten setzen und bisher hatten sich diese sogar ziemlich gut für mich ausgewirkt.
Natürlich wollte ich ihre Beziehung nicht stören, im Gegenteil, Colins Glück stand ziemlich weit oben auf meiner Liste. Über die Jahre hatte ich gemerkt, dass es zwischen uns wie ein Domino-Effekt war. Wenn Colin glücklich war, war ich es auch. Und umgekehrt auch. Gefühle waren ansteckend und da wir die meiste Zeit miteinander verbrachten, war das so ziemlich unaufhaltbar.
Also sollte ich eigentlich glücklich sein, dass Colin endlich jemanden gefunden hatte, der seine Vorlieben mit ihm teilte. Neben mir, natürlich. Aber so war es nicht.
Ich wusste, dass Elisabeth es nicht ernst mit ihm meinte und deshalb konnte ich nichts anderes tun, als mich aus ihrer Beziehung herauszuhalten. Denn ich würde garantiert nicht die Freundin sein, die Colin seine Beziehung vermiesen würde.
Früher hatte ich gedacht, dass Colin von uns beiden der Letzt sein würde, der jemals eine Beziehung oder auch nur einen heimlichen Schwarm hatte. Denn wie gesagt, Colin hatte nicht so viel für Gefühle, jedenfalls romantische, übrig.
Psychologisch könnte man das vielleicht mit dem Verlassen seiner Mutter erklären, aber ich will mich nicht zu tief in das Thema hineinsteigern. Außerdem wäre das Colin gegenüber unfair. Schließlich ist das am Ende immer noch seine Sache und wenn er bereit ist, das zu erzählen, wird er das.
Auf jeden Fall war ich ziemlich überrascht, untertrieben ausgedrückt, als da plötzlich Elisabeth auf seiner Türschwelle stand und mir Colin etwas umständlich erklärte, was da zwischen den beiden lief. Wenn ich mich genau erinnere hatte er es damals mit den Worte „Ich... sie... wir werden in Zukunft mehr Zeit zusammen verbringen" beschrieben. Ich hatte darauf nichts geantwortet sondern Elisabeth, die ich hier am Wenigsten erwartet hätte, angestarrt.
„Colin, wer ist das?" Elisabeths erste Worte, die an mich gerichtet waren. Nein, eigentlich war das mal irgendein blöder Spruch nach dem Mathematikunterricht gewesen. Da war ich von unserem Lehrer an die Tafel gerufen worden und oh Wunder, der Tafeldienst hatte an diesem Tag eine Auszeit nehmen können.
„Das ist Isabella." Wären wir in einem Film, hätte mich Elisabeth sicher mit bösen Blicken durchlöchert und Colin des Betrugs bezichtigt, aber nein. Wir waren hier in der Realität. Und die war noch schlimmer.
Elisabeth hatte mich ausdruckslos angesehen, war dann zu Colin gedackelt und hatte ihn vor meinen Augen abgeknutscht. Ganz hinterhältiges Biest, hatte ich doch gesagt.
„Ich glaube ich muss noch Hausaufgaben in... ähm... Mathe machen?" Nicht, dass ich in dieses Fach noch so viel Arbeit reinstecken würde. Aber ganz offensichtlich war ich in diesem Raum überflüssig und ich war ziemlich sauer auf Colin, weil er sich ihr Verhalten einfach so gefallen ließ.
Danach hatte ich in meinem Zimmer gesessen und geheult, weil ich Angst hatte meinen besten Freund zu verlieren. Ich sah es schon vor mir: Colin, der zusammen mit Elisabeth auf unserem Dach lag und ihr den Stern zeigte, den er gerade nach ihr benennen hatte lassen. Elisabeth, die im Planetarium einen Alarm auslösen würde weil sie darauf bestanden hatte ich zehn Zentimeter hohen High-Heels anzubehalten. Die beiden, in der Pause auf unserem Lieblingsplatz im Pausenhof.
Na gut, das hatte sich bewahrheitet. Aber alle anderen Dinge waren zum Glück Hirngespinste gewesen, die mir zwar einen ziemlich beschissenen Tag beschert hatten, die Colin aber zu aufdringlich für eine Beziehung erschienen waren. Ich hatte meinen Platz als beste Freundin behalten und teilte meine Bank im Pausenhof von nun an mit Flora. So wie gerade eben.
„Manchmal frage ich mich, warum Colin sich das gefallen lässt", überlegte sie laut, als Elisabeth ganz offensichtlich unzufrieden über Colins zu langen Haarschnitt war. So sah es jedenfalls von fünfzehn Metern Entfernung aus.
„Genau das denke ich mir auch die ganze Zeit!", empörte ich mich. „Ich verstehe das einfach nicht, das passt so gar nicht zu ihm!"
„Vielleicht ist das so ein Ding unter Jungs? Dass sie die erste nehmen die sich anbietet, damit man nicht denkt das sie schwul sind?" Wir mussten beide über ihre Theorie lachen und ich verschluckte mich fast an meinem Apfel. Für einen Moment überlegte ich, was dann wäre. Ich als Schneewittchen? Nur, dass es in diesem Szenario wahrscheinlich keinen Prinzen gab, der mich wiederbeleben würde.
„Geht's wieder?"
„Alles gut. Aber ich meine, Colin macht sich doch nichts aus solchen Sachen. Ich meine, wenn es nach ihm ging würde er wahrscheinlich sogar im komplett pinken Outfit herumlaufen."
„Aber sicher bist du dir nicht", stellte Flora fest.
„Ähm- ich meine... Nein." Konnte es wirklich sein, dass ich meinen besten Freund so schlecht kannte? Oder war es am Ende doch wahre Liebe und ich verneinte gerade eine in fünf Jahren stattfindende Märchenhochzeit?
„Aber sieh's doch mal positiv, Isa. Freundschaften halten für immer, jedenfalls, wenn man sich so gut versteht wie ihr. Da kommt nichts dazwischen, garantiert. Und Beziehung? Pffff." Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und strich sie gleichzeitig eine braune Haarsträhne hinters Ohr, die Floras sonst immer perfekt sitzendem Pferdeschwanz entkommen war. „In der Schule hält so was maximal ein halbes Jahr, länger nicht. Und außerdem macht Colin doch dieses Jahr Abi. Als ob die beiden sich danach noch einmal sehen werden."
Noch so etwas, das ein ziemlicher Unterschied zwischen mir und Colin war. Während er nur noch ein gutes halbes Jahr hatte, in dem er sich bei seinen Noten wahrscheinlich nicht mal anstrengen musste, war ich noch ein Jahr länger auf dieser Schule und kämpfte um mein Überleben. Obwohl, wenn es so weiterginge würde mir auch mein Realschulabschluss reichen.
Das war eine Option, über die ich in der letzten Zeit immer öfter nachdachte. Wozu noch länger dieses Abrackern in der Schule, wenn ich doch eine Ausbildung machen könnte? Zwar wusste ich noch nicht als was, aber das würde sich dann hoffentlich schon ergeben. Außerdem wäre mein Mathelehrer sicherlich erleichtert, eine Enttäuschung weniger in seiner Klasse zu haben.
Ich suchte Collins Blick, aber er war gerade zu beschäftigt, Elisabeth mit einigen sachlichen Worten seine Meinung zu seinem Haarstyling wiedergab. Elisabeth warf beleidigt ihre langen blonden Haare über die Schulter und klimperte mit ihren Wimpern. Falls ich das aus dieser Entfernung wirklich erkennen konnte.
Ich seufzte, und dieses Mal war es nicht nur die Enttäuschung über Colins offensichtlich schlechten Geschmack bei Mädchen. Klar, Elisabeth mochte eine Schönheit sein, die ihre Modelfigur, ihre Haare und ihren langen Fingernägel vierundzwanzig Stunden am Tag hegte und pflegte.
Ich dagegen war unscheinbar und wäre neben Elisabeth völlig untergegangen. Zwar war ich seit unserer Begegnung vor sechs Jahren noch ein Stück gewachsen und hatte jetzt eine stolze Größe von einem Meter siebzig, war aber neben Colin immer einen Kopf kleiner. Meine Haare hatten eine Farbe zwischen braun und blond, die meiner Meinung nach schon immer undefinierbar gewesen war.
Meine Mutter sagte manchmal, das genau dieses Undefinierbare der Faktor war, der mich von anderen herausstechen ließ, aber so ganz konnte ich das selbst nicht glauben. Was ich aber damit sagen wollte: seit Elisabeth auf den Plan getreten war, war es ganz natürlich, dass Colins Aufmerksamkeit zu ihr schweifte.
„Manchmal glaube ich, du bist verrückt nach diesem Jungen, Isa." Ich zuckte zusammen und wurde abrupt aus meinen Gedanken gerissen, die sich natürlich mal wieder um Colin gedreht hatten.
„Was?"
„Na, dein Leben dreht sich doch in letzter Zeit nur noch um Colin. Colin hier, Colin da. Besonders, seit er Elisabeth hat. Kann es sein... dass du eifersüchtig bist?" Ich starrte Flora fassungslos an und war schon wieder kurz davor, an einem Stück Apfel zu ersticken. Aber diesmal würde ich wirklich daran sterben, dramatisch und für immer.
„Nein! Jedenfalls nicht so, wie du das denkst. Natürlich bin ich ein bisschen eifersüchtig, es sind schließlich bis jetzt immer nur wir beide gewesen. Und das da jetzt auf einmal Elisabeth ist, die auch einen Platz in Colins Leben haben will, ist schwierig für mich, weil ich lernen muss ihn zu teilen. Aber ich bin nicht eifersüchtig im romantischen Sinn! Colin und ich sind beste Freundin, das waren wir schon immer! Nicht mehr und nicht weniger. Das wäre ja..."
Ich schüttelte mich. Aber Flora schien mir nicht ganz zu glauben und sah mich ein wenig spöttisch an, eine Augenbraue hochgezogen und der Blick aus ihren haselnussbraunen Augen, die ein wenig die Form von Katzenaugen hatten, blickten fast bis auf den Grund meiner Seele.
So fühlte es sich jedenfalls an, denn Floras Augen wurden nach innen heller bis sie fast die Farbe eines Bernsteines hatten, und man wurde wie in einem Strudel von diesen Farben angesogen, bis es fast schon unheimlich war. Dann hatte ich immer das Gefühl für Flora wie ein offenes Buch zu sein.
„Bist du dir da ganz sicher? Manchmal entwickelt sich so tiefe Freundschaft auch zu mehr, weißt du? Man merkt es gar nicht, aber auf einmal ist Freundschaft nicht mehr genug." Ich lachte.
„Das klingt ja wie aus einem Kitschroman. Vergiss es, Flora, du musst jemand anderen verkuppeln. Wenn zwischen Colin und mir wirklich mehr wäre, hätten wir das doch bis jetzt gemerkt. Nein, wir sind beste Freunde und werden es auch immer bleiben. Auch wenn das für ein Mädchen und einen Jungen vielleicht ungewöhnlich scheint. Und ich muss wohl oder übel lernen, ihn zu teilen."
Ich knirschte leise mit den Zähnen, als Elisabeth sich auf der anderen Seite des Pausenhofs Strähne um den Finger wickelte und über etwas lachte, das Colin gesagt hatte. Ihr Spiel war doch so offensichtlich, nur Colin schien vor Liebe blind zu sein.
Ich warf den Stiel meines verputzten Apfels in den Mülleimer neben der Bank und stand ruckartig auf.
„Lass uns lieber reingehen, die Pause ist doch sowieso gleich vorbei."
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