Cole
Der wie immer graue Himmel öffnete seine Wolkenmauer und Regen prasselte in Strömen herab. Leise fluchend zog Cole die Kapuze seines Mantels über den Kopf und stiefelte über das feuchte Straßenpflaster.
Die Laternen am Rand flackerten oder waren ganz aus. Er konnte nicht mal sagen, ob sich darin überhaupt Glühbirnen befanden. Aber er bezweifelte es doch sehr. Das wäre für diesen Ort einfach zu gewöhnlich. Und hier war nichts gewöhnlich.
Zumindest im Vergleich mit dem anderen London. Cole kannte die Unterschiede nur zu gut. Er war ja oft genug zwischen den Welten unterwegs. Obwohl er die Schattenstadt nicht immer besser leiden konnte - sie war sein Zuhause.
Hier gehörte er hierher.
Wenn auch der Grund dafür ein wenig ... verwirrend war.
Er schüttelte seine Gedanken ab und konzentrierte sich auf seine Zielperson. Eine verlorene Seele, die sich in dieser Welt nicht zurecht fand. Wenn in der Anderwelt jemand herumirrte war das eine Sache. Aber verlorene Seelen waren gefährlich. Wenn sie verwirrt und ängstlich waren, konnten sie von jemanden Besitz ergreifen und ein riesiges Chaos anrichten.
Er überquerte die Teufelsbrücke und blieb genau in der Mitte stehen. Seufzend lehnte er sich an das aus schwarzem Sandstein gemachte Geländer und blickte in die dunklen Strömungen hinunter. Das Wasser schlug immer wie wild in Wellen um sich. Ein weiteres Merkmal dieser Welt.
Außerdem lebten im Wasser zahlreiche Kreaturen, von denen kaum ein Bruchteil bekannt war. Manchmal war es verrückt wie wenig die Wesen über ihre Schattenstadt Bescheid wussten. Sie kannten ja nicht mal ihr Alter.
Dieses Schattenlondon konnte schon vor nach dem anderen existiert haben, so genau wusste das keiner. Er war wieder so in seinen Gedanken versunken, dass er die Bewegungen am Rand der Brücke kaum wahrnahm.
Nur langsam drehte er den Kopf und da stand sie.
Die verlorene Seele, die er seit mittlerweile drei Wochen suchte. Er drehte sich vorsichtig und sah sie an. Eine Seele bestand letztendlich nur aus Schatten, deren Umrisse nur vage an einen Menschen oder ein Tier erinnerten.
Die Seele legte den Kopf schief. Sie wusste nicht, wer er war. Also nicht, dass er ihr helfen konnte. Ein weiteres Problem war, dass sie oft die Sprache der Menschen nicht mehr verstanden. "Ich helfe dir.", flüsterte er und setzte sich in Bewegung.
Kaum machte er einen Schritt, schrie die Seele ohrenbetäubend auf und rannte davon. Cole unterdrückte sich ein paar Flüche und lief ihr nach. Seelen war trotz ihres Zustandes verdammt schnell. Aber er durfte sie nicht nochmal verlieren.
Ganz egal wie anders die Einwohner, oder auch genannt Schatten, dieser Stadt im Vergleich zu denen in London waren, sie hatten Angst. Und seine Aufgabe war es, Auslöser solcher zu fangen und wenn nötig zu vernichten.
Kurz verlor er sie in einer schmalen Straße aus den Augen. Dann hörte er einen Schrei aus einer der Gassen. Er folgte dem Geräusch und fand eine Frau, die reglos auf dem Boden lag. Auf dem Stoff ihres Kleides war feiner, schwarzer Staub.
Er kniete sich neben sie und blickte auf ihre Arme. Die Adern begannen schwarz hervor zu treten. Seine Vermutung bestätigte sich, als die Frau plötzlich aufsprang und ihn aus vollkommen schwarzen Augen anstarrte.
Sie waren so dunkel wie seine eigenen, nur dass bei ihm nur die Iris komplett schwarz war. In den Augen der Frau war nichts Weißes oder gar Farbiges zu erkennen.
Die Seele hatte sie übernommen.
Es gab genau zwei Möglichkeiten, so eine Situation zu lösen. Entweder die Seele ließ sich von selbst vertreiben oder er musste sie und damit auch die Frau von dem Bann der Stadt lösen.
Da die Schattenstadt schon so eine Art Jenseits war, wusste niemand, wo es danach weiterging. Aber so konnte er sie nicht auf die Stadt loslassen.
Wenn Seelen überhaupt eine Sprache verstanden, dann die der ersten Anderen. Es war eine Art Ursprache, die nur Leute wie Cole beherrschten. "Waias na Rabien." Finde deinen Frieden.
Als die Seele immer noch nicht reagierte und die Frau aufkreischen ließ, wusste er, dass er nicht funktionierte. Er zog seine Waffe, die sich mit der der normalen Menschen vergleichen ließ. Aber diese war mit geweihten Patronen gefüllt.
Für jedes Schattenwesen gefährlich und die einzige Waffe, die Cole und seine Kollegen benutzen durften.
Er richtete seine Waffe auf die infizierte Frau. Den Finger ab Abzug. Der Knall eines Schusses hallte an den Wänden wider und die Frau ging kreischend zu Boden. Noch eher die Seele wieder aus dem Körper verschwand, wurde sie zu Staub.
Verwirrt starrte Cole ans Ende der Gasse. Nicht er, sondern ein anderer Jäger hatte geschossen.
Ein Mann, der wie Ende Zwanzig wirkte, grinste ihm entgegen. Seine Haut war vollkommen blass und seine schwarze Jacke flatterte im Wind. Die schlohweißen, kinnlangen Haare hatte er zusammengebunden und seine gelben Augen funkelten vor Freude.
Dämonen. Für sie gab nichts Schöneres, als Seelen aus ihrem Reich zu verbannen.
Wütend steckte Cole seine Waffe weg und ging auf ihn zu. "Das war nicht dein Auftrag, Alocer.", knurrte er. Den Dämonen schien seine Wut nur noch mehr zu amüsieren. "Wenn du gleich geschossen hättest, hätte ich mich nicht einmischen müssen. Außerdem war mir langweilig! Immer nur Silberdiebe zu jagen geht mir wirklich auf den Geist."
Er sagte das mit solcher Belanglosigkeit in der Stimme, dass Cole ihm am liebsten eine verpasst hätte. Alocer war einer der Dämonen, denen die Schattenwelt nach ein paar hundert Jahren zu blöd wurde und er unbedingt in die echte Welt will. Deshalb nahm er seine Job als Jäger auch nicht ernst.
"Geh dich doch bei deinem Vater ausheulen.", rief er und wollte ihm vorbei. Aber dieser packte ihn mit der üblichen Dämonen-Kraft und warf ihn gegen die Hausfassade.
Cole hörte förmlich wie seine Knochen knackten. Aus seinem Mund lief etwas tintenschwarzes Blut, als er sich stöhnend wieder aufrichtete.
Alocer trat eine Schritt auf ihn zu. "Vergiss nicht, wo du hingehörst, Bastard."
Er konnte noch so oft von seine Kollegen für das, was er war, verprügelt werden. Cole würde immer wieder versuchen, es zu vergessen.
Auch wenn ihn die Stadt um ihn herum stets daran erinnerte.
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