Held des Kriegs
Song: Rise Against - Hero of War
Der Aufenthaltsraum ist still, lediglich das Prasseln des Regens gegen die Fenster ist zu vernehmen. Nicht einmal den Wind von draußen kann ich hören, obwohl es stürmt. Bäume biegen sich in den Böen. Der Jägerzaun um die alte Eiche vor dem Gebäude ist umgefallen, ein Stück fehlt gänzlich. Der April macht seinem Ruf alle Ehre.
Den Essenssaal hab ich vorzeitig verlassen, beinahe schon fluchtartig. Ich wollte alleine und ungestört sein, weshalb ich nur ein einziges Brötchen heruntergewürgt habe. Außerdem habe ich es nicht mehr mit meinen Zimmerbewohnern und Daniel ausgehalten. Auch wenn er diese Einrichtung bald genesen verlassen wird, sehe ich keinen Grund, meine Zeit mit ihm oder jemand anderem zu verschwenden. Dazu müsste ich nett und freundlich sein und dafür kann ich keine Kraft aufbringen. Ich weiß genau, dass ich das genaue Gegenteil bin: hasserfüllt, sarkastisch und schadenfroh. Nicht die kleinste höhnische Bemerkung kann ich mir verkneifen. Darüber hinaus würde es sehr wahrscheinlich wieder in einer Schlägerei ausarten, sobald mich irgendjemand schief anschaut oder mich anspricht.
Jetzt stehe ich alleine am Fenster, neben mir die Gitarre, die mich beinahe schon anlacht. Ich habe lange nicht mehr gespielt, dazu hatte ich weder die Lust noch die Zeit. Ich hatte immer besseres zutun und unter Einfluss von Drogen bekam ich sowieso nichts anderes hin, als vor mich hin zu starren und meine Mutter zuu hassen. Wie von selbst streiche ich mit den Fingern über den Kopf, dann über die Stahlsaiten. Leise geben sie Töne von sich, doch ich verziehe direkt das Gesicht. Die Gitarre ist komplett verstimmt und weit und breit ist kein Stimmgerät in Sicht. Ich seufze, nehme das Instrument aus der Halterung und setze mich damit auf das kleine Sofa. Leise beginne ich, die Saiten zu stimmen. Nach einer gefühlten Ewigkeit ist das Instrument endlich gestimmt. Es ist eine größere Herausforderung gewesen, als ich dachte. Einmal atme ich tief durch, schließe die Augen und suche in den hintersten Zellen meines Gehirns nach den Tabs und Akkorden für Hero of War von Rise Against, einer Punkrock Band aus Amerika. Es thematisiert Soldaten, was sie manchmal tun und dass sie als Helden gefeiert werden. Der Song hinterfragt diese Auffassung der Helden der Armee, ob es wirklich heldenhafte Taten sind oder ob es nicht doch verwerflich ist. Wo liegt der Sinn hinter dem Patriotismus mancher Leute dieser Welt?
Mit geschlossenen Augen beginne ich, die ertsen Töne zu zupfen. Erst verspiele ich mich, finde nicht die richtigen Töne, doch nach wenigen Anläufen gelingt es mir, das Intro zu spielen. Leise singe ich vor mich hin, im Takt der Musik. "He said son, have you seen the world? Well what would you say, if I said that you could?" Von den ersten Versen geleitet drifte ich langsam in meine eigene Welt ab. "Just carry this gun, you'll even get paid. I said that sounds pretty good."
Meine Finger bewegen sich von Akkord zu Akkord immer flüssiger, meine Rechte Hand hält die Geschwindigkeit und den Takt bei. "Black leather boots spit shined so bright. They cut off my hair, but it looked alright." Die Haare auf meinen Armen stellen sich ein wenig auf. Kurz öffne ich meine Augen, um mich zu vergewissern, ob ich noch immer alleine in diesem Raum sitze. Danach schließe ich sie wieder und gebe mich ganz der Musik hin. Nicht einmal den Schmerz der vorher durch meine linke Hand fuhr, spüre ich in diesem Moment.
"We marched an dwe sang, we all became friends, as we learnt how to fight." Meine Stimme erhebt sich automatisch, in meinem Bauch wird es warm, als ich zum Refrain ansetze: "A hero of war, yeah that's what I'll be an when I come home they'll be damn proud of me. I'll carry this flag to the grave if I must 'cause it's a flag that I love and a flag that I trust." Meine Stimme versagt kurz, sodass ich nur ein Flüstern herausbringe. "I kicked in the door, I yelled my commands. The children, they cried, but I got my man. We took him away, a bag over his face, from his family and his friends." Wie von alleine bekommt meine Stimme mehr Gefühl, die Schläge bleiben dennoch weich, auch wenn in mir drin ein Sturm tobt. Der Text geht mir nah, doch warum kann ich nicht sagen. "They took off his clothes, they pissed in his hands. I told them to stop, but then I joined in. We beat him with guns and betons not just once but again and again." Ich merke, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildet. "A hero of war, yeah that's what I'll be and when I come home they'll be damn proud of me. I'll carry this flag to the grave if I must, 'cause it's a flag that I love an a flag that I trust." Mein Herz fühlt sich schwer an, mein Kopf dafür frei. Die Bilder in meinem Kopf werden klarer, ich sehe die Szenen direkt vor meinem Inneren Auge. "She walked through bullets and haze. I asked her to stop, I begged her to stay, but she pressed on so I lifted my gun and I fired away." Meine Augen fangen an zu brennen, meine Stimme kratzt. "And the shells jumped through the smoke and into the sand that the blood now had soaked. She collapsed with a flag in her hand, a flag white as snow." Der Sturm in mir wird zu einem Orkan aus Gefühlen. Eine weitere Träne löst sich aus meinem rechten Augenwinkel, mein Magen zieht sich zusammen, mir wird schlecht.
"A hero of war is that what they see? Just medals and scars, so damn proud of me." Ich schrecke hoch, als sich die Sitzfläche neben mir senkt. Ich reiße die Augen auf und blicke in die strahlend baluen Augen des blonden Justin Bieber. Geschockt sehe ich ihn an. "Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe, wollt ich nicht." Grimmig wende ich den Blick ab und stehe auf, um die Gitarre wieder an ihren Platz zu stellen. "Schonmal was von Privatsphäre gehört?" Mir ist egal, was Valerian gestern zu mir gesagt hat. Ih habe mich extra zurückgezogen, weil ich niemanden um mich herum haben wollte und nun sitzt Elias hier auf dem Sofa und grinst mich dumm an. "Dir ist klar, dass dies hier ein Gemeinschaftsraum ist oder? Hier ist jedermann Zutritt gewährt, falls dir die Bedeutung von 'Gemeinschaft' nichts sagt." Ich verdrehe die Augen. "Und normalerweise heißt eine geschlossene Tür, sich vorher bemmerkbar zu machen oder platzt du auch bei einer geschlossenen Badezimmertür herein und grinst denjenigen an, der gerade kacken ist?" Schon ist meine gute Laune, die ich durch das Musizieren bekommen habe, im Arsch. "Also nnormalerweise", äfft er mich nach, "schließt man ab, sobald man auf der Toilette sitzt, aber wer das nicht tut und dabe noch zum Gitarrenspiel singt." Er macht eine kurze Pause, in der er aufsteht und in meine Richtung kommt. "Dann würde ich das tun, ja." Er grinst mich wieder an. Ich verziehe das Gesicht. Eins muss ich ihm lassen, schlagfertig ist er.
"Dann wünsche ich dir dabei viel Spaß, aber wenn ich dir einen Tipp geben darf: Vergiss nicht, dir dann eine Atemschutzmaske mitzunehmen. Manche Scheißhaufen können dir die Haare wegätzen." Ich drehe mich um, weg von ihm und öffne den Schrank. Eigentlich ziemlich dumm, weil ich nichts spielen will und hier alles voller Gesellschaftsspiele ist, aber ich will dem blonden JB-Verschnkitt entfliehen. "Danke, ich werd dran denken." Ich schiele aus dem Augenwinkel zur Seite, um zu schauen, ob er sich wieder aus dem Raum bewegt, doch er bleibt an Ort und Stelle stehen. "Ist noch was?", blaffe ich ihn an. Doch ich bekomme keine Antwort, der Blonde bleibt leise. Ich seufze und schließe den Schrank wieder. "Doch kein Spiel?", fragt er und macht mich damit einfach nur aggressiv. "Ich habe keine Ahnung, was bei dir im Kopf nicht richtig ist und es interessiert mich einen Scheißdreck, aber merkst du nicht, wenn du jemanden auf den Sack gehst?!" Wütend drehe ich mich um udn schaue ihm direkt in die Augen. Kurz zuckt er zusammen, ehe er trotzig das Kinn hebt. "Darf ich dich an unsere letzte Auseinandersetzung erinnern und daran, wer von uns beiden den Kürzeren gezogen hat?" Ich mache einen Schritt auf ihn zu, sehe auf ihn herab, doch statt etwas zu sagen, schüttle ich einfach den Kopf und begebe mich auf den Weg aus dem Raum. Doch bevor ich die Tür öffne, höre ich ihn sagen: "Du bist im übrigen ziemlich talentiert." Ich halte inne, lasse mir die Worte auf der Zunge zergehen, doch dann blinzle ich kurz ein paar mal, um seine Worte aus meinem Kopf zu bekommen. Ich brauche keine Almosen von irgendwem.
Wortlos verlasse ich den Raum und schließe die Tür hinter mir.
Als ich den Flur entlanggehe, ist es beinahe wie leergefegt, kaum eine Menschenseele begegnet mir auf meinem Weg zum Bärtigen. Tatsächlich habe ich eine kleine Karte von Valerian gezeichnet bekommen, damit ich mich zurechtfinde. Auch wenn ich nicht nicht darum gebeten habe, dies zu tun, bin ich ihm dann doch etwas dankbar, obwohl man so gut wie ncihst entziffern kann. Er hat kein Talent zum Zeichnen. Selbst wenn ich es nicht vor anderen zugeben werde, so bin ich mir sicher, dass ich mich mit Valerian besser verstehen werde als mit dem Zwerg.
Mit Not und Mühe erreiche ich den Korridor, in welchem sich die Räume der Therapeuten befinden. Schon von weitem ann ich Timo im Gang erkennen, der vor seiner Tür steht und auf jemanden zu warten scheint. Sofort drehe ich mich auf dem Absatz um und schlage die entgegengesetzte Richtung ein, doch er scheint mich bermerkt zu haben. "Mika, warte bitte kruz!", ruft er. Ohner erklären zu können, wieso ich das tue, halte ich an, drehe um und lauf ihm entgegen. "Was gibt's?" Er schließt die Tür zu seinem Büro auf. "Kommst du kurz mit mir rein? Ich muss mit dir sprechen." Ich ziehe die Stirn kraus. "Schon wieder?" Doch ich trete ein und setze mich auf den Ledersessel vor Timos Schreibtisch. "Ja, schon wieder." Eine kurze Pause folgt, in der ich ihn erwartungsvoll anschaue. "Ich habe über etwas nachgedacht", settzt er an, doch ich unterbreche ich direkt. "Ich bin geschockt. Hätte nicht gedacht, dass du nachdenken kannst." Er blickt mich streng an, zumindest versucht er es. Ich hebe abwehrend die Hände. "Entschuldigt, Mylord, so fahret doch bitte fort." Kurz sieht er mich streng an, doch fängt dann an zu lachen. "Hast du etwa gute Laune?", fragt er, seine Augen leuchten wie zwei Smaragde. Ich zucke die Schultern. "Ich weiß nicht, wann ich daas letzte mal gute Laune hatte, also keine Ahnung, wie es sich anfühlt." Timo räuspert sich. "Na gut, lassen wir das mal so stehen. Also ich habe mit deiner Mutter telefoniert und bevor du jetzt an die Decke gehst, lass mich bitte aussprechen." Ich balle die Hände zu Fäusten und er hat Recht, ich wollte am Liebsten das Gebäude vor Wut anzünden. Ein Lagerfeuer im Heizungskeller legen und alle mit mir nehmen.
"Ich habe kaum mit deiner Mutter gesprochen, sie wollte nur wissen, wie es dir geht, aber das kann wohl niemand außer dir selbst beantworten. Nunja, ich habe mit diesem Jungen telefoniert, Noah. Ein guter Junge. Er wird dich nächste Woche besuchen kommen, auch wenn das eigentlich gegen die Hausordnung verstößt. Doch ich denke, dass er dir helfen kann, wieder du selbst zu werden."
Ich schlucke. Bin ich bereit dazu, Noah wiederzusehen?
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