
Epilog
Aufgeregt presste ich meine Lippen zusammen, meine Flügel zuckten unruhig hoch und runter. Nervös starrte ich auf das runde, kuppelartige Gebäude, das beinahe die gesamte Steinplatte einnahm.
Dieses besondere Gerichtsgebäude besaß seine eigene Wolke, befindlich in der Mitte von allen anderen Platten, die es über der Wolkendecke gab.
"Dieses Gebäude wurde extra für Regeländerungen geschaffen", riss Kaspar mich aus meiner Schockstarre. "Bist du bereit?"
"Nicht wirklich", murmelte ich; meine Stimme zitterte, genau wie meine Flügel. "Ich - ich weiß nicht, was ich sagen soll. Was, wenn - was, wenn sie mir nicht glauben - wenn sie mir nicht zustimmen? Ich will nicht, dass das alles umsonst war!"
"Das wird es nicht", lachte der Oberorganisator und machte eine Handbewegung, als wollte er meine Sorgen einfach wegwischen. "Selbst wenn dein Antrag abgelehnt wird, kannst du dich immer mehr informieren und dann erneut einen Antrag stellen. Und wer weiß, wenn du stur genug bist, werden sie dir irgendwann sicher zustimmen."
"Denk dran, dass wir eine neutrale Haltung bewahren müssen", ermahnte Lilith Gady den Engel vor mir.
"Ja, natürlich", stimmte Kaspar ihr schnell zu und schnitt eine Grimasse in meine Richtung.
Grinsend sah ich zu, wie die drei Oberorganisatoren das Gebäude durch die offenstehenden Gitter betraten.
Soweit ich erkennen konnte, würden die Organisatoren auf einer runden Tribüne Platz nehmen, während ich vermutlich in der Mitte stehen und meine Stellung verteidigen musste.
Das wird hart.
Entschlossen straffte ich meine Schultern und brachte die Bewegungen meiner Flügel unter Kontrolle. Sicheren Schrittes trat ich durch das goldene Gitter in den großen, runden Raum. Der raue Stein unter meinen nackten Füßen war mir deutlich bewusst, als ich zwischen den ersten Holzsitzen in die Mitte des Raumes trat. Auf den Stühlen saßen sicher mehr als fünfzig Engel, die alle zu mir herunterstarrten.
"Wir haben uns hier versammelt, um über den Antrag auf eine Regeländerung von Alexa Hoskins zu reden", trat Kaspar vor.
Die Flügel der Anwesenden zuckten ein wenig, als sie mich beinahe feindselig musterten.
"Welche Regel willst du ändern?", übernahm Magnus Baskin und stand ebenfalls auf.
Ich atmete tief durch, sammelte meinen Mut und antwortete dann: "Schattenmonster in der Hölle nicht zu bekämpfen, sondern zu tolerieren."
Meine Stimme hallte laut und klar durch den runden Raum. Ich konnte die abweisende Reaktion auf ihren Gesichtern sehen und auch ihre Flügel verkrampften sich verärgert. Kaum einer der Engel hier schien meine Meinung zu teilen.
"Begründe deinen Antrag", sagte schließlich Lilith Gady und trat neben Kaspar und Magnus.
Ich spürte, wie sich meine Brust zusammenzog und mein Atem schneller wurde. Beinahe war mir, als würden meine Narben wieder schmerzen.
Es ist alles gut! Wenn du das hier hinter dich bringst, dann muss niemand mehr so leiden, wie du! Niemand!
"Ich war in der Hölle", erklärte ich laut. Meine Stimme zitterte für alle hörbar. "Die Zeit, die ich dort unten verbracht habe, hat sich ... wie eine Ewigkeit angefühlt. Und ich war unschuldig. Der Verdacht ist auf mich gefallen, weil ich meine Augen nicht abgewandt habe. Weil ich ihr Leiden gesehen habe und es nicht stillschweigend ertragen konnte. Und dafür musste ich ihr Leid teilen!
Die Hölle bricht den Geist eines Engels. Es ist ein Strudel aus Schmerz und Hoffnungslosigkeit. Mit jedem Schritt kommt neuer Schmerz hinzu und du hast keine Möglichkeit zu entkommen, weil deine Flügel nutzlos über den Boden schleifen. Weil deine Flügel von Tag zu Tag mehr zerschnitten werden von den Glasscherben, bis sie nur noch ein blutiger Fetzen Fleisch sind!"
Meine Stimme wurde lauter, wütender. Ich konnte einen Kloß in meiner Kehle spüren, als ich mir das alles von der Seele redete.
"Aber das, was uns am meisten die Hoffnung nimmt, was jegliche Hoffnung erlöschen lässt,", zitternd ballte ich meine Hände zu Fäusten, "das sind nicht die Glasscherben, das ist nicht die Unfähigkeit zu fliegen. Es sind die Schattenmonster. Sie schleichen durch die Dunkelheit, knabbern an unseren Beinen, unseren Flügeln, einfach allem. Und gleichzeitig fressen sie auch Stück für Stück unsere Hoffnung auf. Die Schattenmonster sind ein Zeichen an alle gefallenen Engel. Sie zeigen uns, dass ihr euch nicht für uns interessiert, dass ihr uns schon lange aufgegeben - wenn nicht sogar vergessen - habt. Ihr lasst diesen Monstern freie Hand, während sie langsam aber sicher unsere Seelen zerstören."
Ich zwang mich dazu, ruhig durchzuatmen, bis sich der Knoten in meiner Brust ein wenig löste.
"Als ich wieder nach hier oben kam", setzte ich mit belegter Stimme an. "Als ich wieder nach hier oben kam, da besaß meine Seele kein Licht mehr. Es war erloschen, weil ich mich komplett von der Welt abgeschottet hatte. Ich hatte aufgegeben. Ich habe gedacht, ich werde bis zu meinem Tod dort unten sein. Ich habe gedacht, ich werde die spitzen Zähne der Schattenmonster und die scharfen Kanten der Scherben bis in alle Ewigkeit ertragen müssen; bis ich auch nur noch eine weitere Leiche bin, die nach oben gezerrt und beerdigt wird. Ich habe das nicht ausgehalten. Niemand dort unten hat das ausgehalten! Ich habe meine Narben noch. Sowohl auf meinem Körper als auch auf meiner Seele, ... auch wenn ich in der Lage war, mein Licht wiederzufinden. Und wenn jetzt ein Seher oder eine Seherin nach da unten sieht, wo es schon von Natur aus kein Licht gibt, denkt ihr, sie werden ein Licht sehen, das vor unseren Augen verborgen bleibt? Nein, das werden sie nicht. Dieser Ort liegt in völlige Dunkelheit gehüllt, weil selbst unser eigenes Licht - was wir selbst als Menschen bereits innehatten! - dort unten erlischt. Und die Schattenmonster sind ein Symbol für all das."
Ich schwieg, mein schneller Atem hallte durch die Stille, die nach meiner Rede eingetreten war.
Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, sah ich mich um. Ich betrachtete die Gesichter der Engel, die über das Schicksal der gefallenen Engel entscheiden würden. Ihr Ausdruck hatte sich verändert.
Da ist keine Wut, da ist kein Misstrauen mehr. Sie sehen beinahe ... traurig aus.
Also haben die Engel hier oben doch noch Mitgefühl.
Also haben wir noch Hoffnung.
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So, das wars, meine Lieben.
Ich hoffe, euch hat es gefallen und ihr behaltet Alexas Geschichte in Erinnerung.
Lolli
P.S.: Vergesst nicht zu voten :D
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