London
Als das Licht versiegte, standen wir mitten im Regen. Es war, als würde der Himmel über uns zusammenfallen. Taryn hielt noch immer meine Hand. Ich blickte zu ihm. Das funkeln seiner Augen war kaum zu übertreffen. Doch das konnte ich gut nachfühlen. Denn immerhin war dies das erste mal seit über sechzig Jahren, dass er die Erde betrat. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal eine Großstadt sah. Ich konnte meinen Blick kaum von ihm reißen.
„London. Das ist London", flüsterte er beinahe tonlos.
Nun sah auch ich mich erstaunt um. London kannte ich nur aus dem Fernsehen. Das was ich sah, gefiel mir jedoch sehr gut. Wir standen in mitten eines Parks. Hinter uns erhob sich der Buckingham Palast und vor uns das London eye.
Ich war überwältigt. Doch meine anfängliche Euphorie legte sich rasant. Denn wie sollten wir in solch einer Großstadt eine Person ausfindig machen? Allmählich beschlich mich das Gefühl, dass wir hier länger verweilen würden.
„Wie sollen wir sie hier finden?", fragte ich an Taryn gewandt.
„Mit unserer Eingebung. Deinen Gaben, wir schaffen das. Aber zuerst sollten wir aus dem Regen raus. Sei achtsam. Du weißt, hier wandeln Dämonen und Engel gleichermaßen. Ich möchte nicht in eine Auseinandersetzung geraten. Du etwa?", grinste er gezwungen und nickte mir zu.
„Oh Gott", entwich es mir bei dem Gedanken daran.
„Nein, lass uns von hier verschwinden", fügte ich hinzu.
„Du wirst sie erkennen. Deine Gabe hilft uns sehr. Außerdem werde ich dich schützen, versprochen", flüsterte Taryn mir bestärkend zu.
Auch wenn er ein Anwärter der Hölle war, glaubte ich ihm jedes einzelne Wort. Er würde mich schützen, mit allen Mitteln.
Wir rannten durch den Regen in Richtung der Innenstadt. Hier war einiges los. Die Londoner ließen sich durch den Wolkenbruch über uns nicht beirren. Sie gingen ihrer Wege. Die vielen Auren um uns herum, überforderten mich. Es waren so unglaublich viele. Doch zwei erregten meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Sie waren schwärzer als alle die ich bisher gesehen hatte. Feuerzungen wirbelten um sie herum. Es sah aus, als würden sie jeden Moment in Flammen aufgehen. Kaum das ich sie erblickt hatte, wusste ich alles über sie.
Roth und Azrael, Sucherdämonen des Fürsten höchstpersönlich. Keinerlei Skrupel vor nichts und niemandem. Unbändige Kraft und absolut Tödlich, für jeden der sich ihnen in den Weg stellte. Wir mussten schleunigst hier weg. Ich war nicht sonderlich scharf darauf, ihnen gegenüberzutreten. Auch wenn wir bereits tot waren, so wollte ich nichts riskieren. Denn was genau geschehen würde, wussten wir nicht. Taryn folgte meinem Blick.
„Wir sind hier nicht sicher, richtig?", hauchte er mir zu.
„Richtig, da sind zwei Sucherdämonen. Können wir bitte hier weg?", gab ich mit zitternder Stimme von mir.
Taryn bemerkte meine Angst. Umgehend setzten wir uns in Bewegung. Er steuerte zielstrebig einen Pub an, welches aus allen Nähten zu platzen schien. Taryn schob sich durch die feierwütige Menge hindurch, zog mich hinter sich her. Mir schien, im Gegensatz zu ihm, kaum jemand Beachtung zu schenken. Doch er wurde regelrecht angehimmelt. Ich sah die vielen kichernden Mädchen, welche ihm sehnsüchtige Blicke zuwarfen. Was mir ehrlich gesagt missfiel. Es ärgerte mich. Obwohl es dies nicht tun sollte. Er zog mich weiter voran, bis wir am Tresen standen. Grinsend sah er zu mir hinab.
„Auch wenn es dir nun missfällt, ich werde mir ein Bier gönnen. Ich weiß, dafür sind wir nicht hier, aber ich verzehre mich danach. In der Seelenschmiede gibt es keinen Alkohol", raunte er mir zu und wackelte mit seinen Brauen.
„Tue was du nicht lassen kannst, aber beeile dich damit", gab ich aufgeregt von mir.
Ich gönnte ihm das Bier, doch irgendwo da draußen waren zwei Sucherdämonen. Und ich ging jede Wette ein, dass sie bereits wussten, dass wir hier waren. Ein rothaariges Mädchen wollte sich gerade zwischen mich und Taryn drängen. Sie schien äußerst angetrunken zu sein. Ihr Shirt hing viel zu weit nach unten, sodass man einen Blick auf ihre Brüste werfen konnte. Sie war dabei sich an Taryn zu schmiegen. Ihre Aura bestand aus einem schlammigen Gelb, glanzlos und mit grünen schlieren durchzogen. Missbilligend sah sie mich an.
Taryn nahm sein Bier entgegen umgehend trank er hastig aus. Dann blickte er dem rothaarigen Mädchen in die Augen.
„Was du auch suchst, du wirst es bei mir nicht finden", raunte er und eines seiner Grübchen erschien.
Das Mädchen kicherte wie eine verrückte. Sie schwankte stark und hielt sich an seiner muskulösen Brust fest. In mir begann es zu brodeln. Taryn bemerkte meinen angewiderten Blick. Seine Hand war noch immer mit der meinen vereint. Bestimmend zog er mich zu sich heran. Entkommen war zwecklos, er war viel stärker als ich. Das Mädchen rümpfte die Nase, während ich ihr mit hochrotem Kopf eine Grimasse zuwarf. Nun befand ich mich in Taryn's Armen. Meine Hand lag auf seiner stählernen Brust. Ein wohler Schauer jagte mir über die Haut.
„Du solltest dir wen anderes suchen, meine Seele gehört ihr", gab er ihr unsanft zu verstehen.
„Sie passt überhaupt nicht zu dir. Sie sieht viel zu lieb aus, verklemmt. Pech für dich, du weißt nicht was du verpasst", lallte das Mädchen und entblößte für den Bruchteil einer Sekunde ihre nackten Brüste. Dann verschwand sie schwankend und ließ uns zurück.
Ich war völlig perplex. Allein Taryn's Worte hatten schon dazu beigetragen. Natürlich sagte er das nur um sie loszuwerden. Doch es schmeichelte mir ungemein.
„Wow", drang es aus meinem Mund.
„Ja das trifft es ganz genau. Sag sind alle Frauen heute so, freizügig? Zu meiner Zeit war das ein wenig anders. Dort bekam man beim kennenlernen nicht gleich die Brüste zu sehen", grinste er schmunzelnd.
Mir war das schon sehr unangenehm.
Die Hitze stieg mit in den Kopf.
„Sagen wir mal so, das sind die leichten Mädchen. Sie wollen nur ihren Spaß, nichts festes. Eigentlich genau das, was die meisten Männer wollen", nuschelte ich verlegen und blickte zu Boden.
„Und du? Bist du auch ein leichtes Mädchen gewesen? Möchtest du auch nur deinen Spaß", sah er mich fragend an.
„Was?! Ich... nein... ich... war nie so", stotterte ich vor mich hin.
„Interessant. Du sagst die Wahrheit. Hätte ich dir auch ehrlich nicht zugetraut", unterbrach er mich erstaunt.
Den Rest nahm ich nicht mehr war. Aus der Tür, welche sich hinter dem Tresen befand, schritt ein schwarzhaariges traurig blickendes Mädchen. Sie war kaum größer als ich selbst. Trug einen kleinen Nasenring und roten Lippenstift. Welcher ihre vollen Lippen betonte. Ihre Kleidung war schwarz doch ihre Aura war wunderschön. Sie strahlte Türkisfarben, an manchen Stellen wirkte sie matt. Irgendetwas in mir, sagte mir das wir gefunden hatten wonach wir suchten. Und ihr Namensschild bestätigte dies. Zumindest stand Raja darauf. Taryn war mir mittlerweile noch näher gekommen, er schnipste mit seinen Fingern vor meinen Augen.
„Inessa, alles okay mit dir? Ich wollte dich nicht...", weiter ließ ich ihn nicht kommen.
Ich nahm sanft sein Gesicht in meine Hände und wandte es Raja zu. Umgehend verstummte er.
„Ist sie es? Die Seele um die wir kämpfen sollen?", flüsterte ich und erntete ein sanftes Nicken.
Dieses Mädchen wirkte so unglücklich. Hin und hergerissen. Als wäge sie ab.
„Ich lasse dir gerne den Vortritt, du darfst beginnen. Wenn ich aber nur den Hauch eines Zweifelns wahrnehme, schalte ich mich ein", ertönte seine raue Stimme in meinem Ohr. Sanft strich er meinen Nacken entlang und hinterließ ein kribbeln.
Ich verstand nicht warum er dies tat, doch ich war ihm dankbar dafür. Ich wollte diesem Mädchen helfen. Ihr Mut zusprechen und sie auf den richtigen Weg führen. Ich atmete tief ein und zwängte mich an Taryn vorbei.
„Hey. Raja", räusperte ich mich und das Mädchen sah zu mir auf.
„Hallo, was darf es sein", versuchte sie sich an einem Lächeln. Doch es erreichte ihre Augen nicht.
„Ich... würdest du gerne einfach nur reden wollen?", fiepte ich ihr errötend entgegen.
Erstaunt und ungläubig blickte sie mich an. Ihre Aura geriet in Wallung. Wie ein aufkeimender Strudel bewegte sie sich um Raja herum. Suchend sah sie sich um.
„Rob! Rob ich geh mal auf eine Kippe!", rief sie einem blonden jungen Mann zu. Dann wies sie mir an, nach draußen zu gehen.
Mit pochendem Herzen folgte ich ihr und Taryn uns. Er bewahrte Abstand, doch er ließ uns nicht aus den Augen.
„Wer bist du? Und was willst du von mir?", fragte sie mit einem vibrieren in ihrer Stimme.
„Mein Name ist Inessa und ich will wirklich nur mit dir reden. Du sahst so traurig aus. So wie ich selbst mich fühle", versuchte ich ihr zu erklären.
„Du bist eine Fremde für mich. Warum sollte ich mit dir reden wollen? Wenn das ein Trick von Rowen ist, dann zieh Leine! Ich habe schon genug Ärger an der Backe", zischte sie mir entgegen und zündete sich ihre Zigarette an.
„Ich kenne keinen Rowen und ich möchte dir nichts Böses. Sagen wir mal so, ich bin gut im zuhören und Ratschläge erteilen. Vielleicht, nur vielleicht kann ich dir helfen. Wenn du mir vertraust und einfach mal gegen dein Bauchgefühl handelst", nickte ich selbstbewusst und intensivierte meinen Blick.
Sanft wog sie ihren Kopf. Sah mich nachdenklich an. Sie haderte mit sich, dass war ihr anzusehen.
„Na schön Inessa. Ich stehe kurz davor was wirklich dummes zu tun", flüsterte sie und ließ ihre Umgebung nicht aus den Augen.
„Besser gesagt, ich bin mittendrin", ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Jeder begeht hin und wider mal einen Fehler. Solange du dich damit identifizieren kannst, ist es in Ordnung. Doch tue nichts, was dir selbst Bauchschmerzen bereitet", sagte ich und legte ihr beschränkend meine Hand auf die Schulter.
Taryn berührte meine Hand für den Bruchteil einer Sekunde, als er an uns vorüber ging.
Mich durchfuhr die Hitze. Ein eigenartiges Gefühl machte sich in mir breit. Ich spürte wie es durch mich hindurch floss und auf Raja überging. Mit großen traurigen Augen sah sie mich an.
„Glaubst du wirklich man hat die Wahl? Wie soll man das Leben Meistern, wenn einem immer wieder Steine in den Weg gelegt werden?", vibrierte ihre Stimme.
„Niemand hat gesagt das dass Leben einfach ist. Doch es gibt immer einen anderen Weg. Man muss sich nur trauen, ihn zu gehen", lächelte ich, während die Hitze weiter durch mich hindurchfloss.
Raja blickte gedankenverloren in den Himmel. Was gäbe ich dafür ihre Gedanken zu hören. Doch leider besaß ich diese Gabe nicht.
„Glaubst du an den Himmel und die Hölle?", fragte sie mit zittriger Stimme.
„Ich möchte nicht in die Hölle", brach ihre Stimme und Tränen kullerten ihr über die Wangen.
„Ja. Ich glaube an den Himmel und die Hölle. Überdenke deine Entscheidungen, handle mit Bedacht. Du bist ein guter Mensch Raja, das sehe ich dir an. Ich spüre es. Lass dich nicht auf Abwege ziehen. Egal wie schlecht es dir momentan geht, es wird besser werden. Das verspreche ich dir. Richte deine Krone und mach weiter", auch meine Stimme erzitterte. Es fiel mir schwer sie weinen zu sehen.
Nickend blickte sie mich an.
„Du hast recht. Doch es ist verdammt schwer immer das richtige zu tun. Wenn man wie ich völlig alleine dasteht. Mir wurde alles genommen, alles...", hauchte sie.
Ich wusste nicht was ihr widerfahren war, doch ich wusste genau wie sie sich fühlte. Zwei weitere Gestalten näherten sich uns. Als ich ihre Auren wahr nahm, rutschte mir mein Herz in die Hose.
Die Sucherdämonen hatten uns gefunden. Instinktiv wandte ich mich zu Taryn um. Welcher meinen Blick richtig deutete. Er war umgehend an meiner Seite. Raja sah mich fragend an.
„Du musst nun gehen. Sei stark Raja. Du schaffst das", verlieh ich meiner Aussage nun Nachdruck.
Zu meinem eigenen Erstaunen, nickte sie mir zu, wandte sich ab und ging in Richtung der Tür aus der wir gekommen waren. Sie sah ein letztes Mal nachdenklich zu mir, lächelte schwach und dann verschwand sie wieder ins Innere des Pub's.
„Was sollen wir nun tun Taryn?", fragte ich ängstlich.
„Laufen Inessa, laufen", brach es aus ihm heraus. Ein weiteres Mal ergriff er meine Hand und zog mich mit sich.
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