Gefühlsausbrüche
Stundenlang zermürbte ich mir meinen Kopf. Das ging alles viel zu leicht. Ohne große Probleme hatten wir unsere Zielperson lokalisiert. Und viel zu leicht ließ sie sich von mir manipulieren. Wobei, je länger ich darüber nachdachte, umso klarer wurde der Gedanke warum. Denn als Taryn mich flüchtig berührte, hatte ich wohl unbewusst seine Gabe adaptiert. Dieses kribbeln und die Wärme die mich durchfuhr, sprach dafür. Auch das ich spürte, wie sie auf Raja überging, war ein Indiz dafür. Ich redete mir ein,dass Taryn's Berührung keines Wegs unbeabsichtigt war. Er wusste genau, dass dies funktionieren würde. Er wollte das ich diese erste Seele bekomme. Doch warum? Er sehnte sich danach, ein mächtiger Dämon zu werden. Endlich die Seelenschmiede verlassen zu können. Das sah jeder blinder. Zumindest wenn man, sowie ich, in den Tiefen seiner Augen las. Seine wunderschönen, leuchtenden hellblauen Augen. Welche mich vom ersten Moment an fasziniert hatten.
Doch auch die Angst meldete sich in mir. Meine Kennung hatte sich verändert. Aufmüpfigkeit war definitiv keine gute Eigenschaft. Das bereitete mir sorgen. Dies zeigte mir einmal mehr, wie schnell die eigene Seele sich doch formen konnte.
Ich musste achtsamer werden. Michi hatte vielleicht doch recht. Dabei hatte ich nun wirklich nichts Böses getan. Ich hatte mich nur auf eine Zusammenarbeit eingelassen. Eine Zusammenarbeit mit meinem Rivalen. Dies allein genügte wohl schon. Doch davon wollte ich mich nicht abschrecken lassen. Immerhin hatten wir es geschafft. Bisher als einzige aller hier in der Seelenschmiede. Das war ein Zeichen, ein Zeichen dafür, dass wir alles richtig gemacht hatten. Wir waren auf dem richtigen Weg. Auch wenn der Preis dafür ziemlich hoch war. Denn auf die Seite der Hölle, wollte ich definitiv nicht. Ich musste fortan vorsichtiger sein. Auf meine Seele achten. Instinktiv fragte ich mich, ob auch Taryn's Seele dabei war, sich zu wandeln.
Denn er hatte mir die erste Seele freiwillig zukommen lassen. Ich entschloss mich dazu, ihn zu fragen und hoffte auf seine ehrliche Antwort.
Irgendwann muss ich wohl eingeschlafen sein. Denn als ich erwachte, war es bereits hell außerhalb der Schmiede. Die Sonnenstrahlen kribbelten stumpf auf meiner Haut. Ein weiteres Mal wünschte ich mir mein volles Empfinden zurück. Gleich nach dem Frühstück würde ich den Empfindungspfad aufsuchen. Sofern wir nicht umgehend die nächste Aufgabe erhalten würden. Auf dem Weg zu großen Saal, hielt ich inne. Ich hatte plötzlich den Drang meine Familie zu sehen, meine Freunde. Instinktiv schlug ich den Weg ein und lief immer schneller in Richtung des Fensters Praesentia. Ich fand umgehend den richtigen Weg. Mein Herz begann zu pochen und es pochte noch stärker als ich die Klinke der Tür in die Hand nahm.
Etliche Gefühle strömten durch mich hindurch. Angst, sorge und Trauer, sogar Freude spürte ich. Ich erinnerte mich, wie hart das erste mal war. Wie schlimm der Anblick für mich gewesen war, meine Familie, meine Freunde um mich trauern zu sehen. Doch dies alles drängte ich in den Hintergrund, sperrte es weg. Ich musste sie einfach sehen. Also öffnete ich die Tür und schritt in den kargen Raum hinein. Meine Knie wurden umgehend weich. Ich rang mit mir. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, schritt ich auf das schwarz verspiegelte Fenster zu. Der erste Gedanke war an meinen Vater gerichtet. An meinen Vater und Marlene.
Augenblicklich begann das Glas des Fensters zu wabern. Der Schleier lichtete sich und zeigte mir, wonach ich mich sehnte. Mein Vater saß auf der Terrasse, genoss die ersten Sonnenstrahlen und blickte hinüber in das kleine Waldstück. Marlene kam gerade mit zwei Tassen aus dem Haus. Sie stellte die beiden Tassen auf den kleinen Beistelltisch mit dem altrosafarbenen Häkeldeckchen, welches sie einst gehäkelt hatte und nahm auf seinem Schoß Platz. Liebevoll strich sie ihm über die Wange. Er lächelte schwach. Diese kleine Geste der beiden erfüllte mich mit unsagbarem Glück. Es ging ihnen um einiges besser. Die Trauer um mich, schien nicht mehr ganz so stark im Vordergrund zu stehen.
Was gäbe ich dafür, ihre Stimmen zu hören. Sie in meine Arme zu schließen und ihnen zu sagen, dass es mir gut ging. Das sie sich nicht sorgen mussten. Doch leider würde dies niemals geschehen. Eine ganze Weile noch sah ich den beiden zu, wie sie kuschelnd auf der Terrasse saßen.
Ehe ich mich dazu zwang, nach Michi und Jérôme zu verlangen. Ich erschrak fürchterlich. Dies war nicht meine Michi. Nicht die Michelle die ich kannte. Sie sah fürchterlich aus. Aus dem so perfekten Mädchen, wurde eine graue Maus. Ihr Haar hing strähnig hinab. Ohne Glanz und schnitt. Sie trug weder Make up, noch hatte sie ihre Nägel lackiert. Abgetragene Jeans hingen an ihrem ausgehungerten Körper. Mein Herz zerbrach bei diesem Anblick. Für Sekunden wandte ich mich ab. Ab von diesem schrecklichem Bild meiner besten Freundin. Jérôme saß neben ihr. Auch er sah nicht wirklich besser aus. Sein Bein lag noch immer in Gips. Ebenso sein Arm. Sie saßen am Pier. Auf unserem Platz und starrten schweigsam ins Meer. Dies genügte mir. Ich wollte das nicht länger sehen. Ich konnte es nicht ertragen.
Mit einem dicken Klos im Hals wandte ich mich ab und lief so schnell ich konnte aus diesem Raum heraus. Ich lief weiter zum Großen Saal. Erst als ich vor der offenen Tür stand, blieb ich stehen. Mein Herz verkrampfte sich. Ich hätte noch warten sollen. Ich hätte das Fenster noch nicht aufsuchen sollen. Ich schloss meine Augen, atmete durch und versuchte die Bilder der beiden in den Hintergrund zu schieben. Erst als ich meine Fassung wider gefunden hatte, trat ich ein.
Stille breitete sich aus. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Unbehagen senkte ich meinen Blick. Ging schneller. Bis ich meinen Platz erreicht hatte. Dort erkannte ich auch den Grund dafür. Ein weißer Banner mit goldfarbenem Rand, zierte die Decke über meinen Platz. Ein Kelch war darauf zu sehen. Ein goldener Kelch, über dessen Mitte eine Seele im Kreis schwebte. Wie die Ornamente an meinem Gewand, bewegte es sich auch auf dem Banner. Jeder hier wusste nun, das ich die erste Aufgabe gemeistert hatte. Peinlich berührt, nahm ich Platz. Verstohlen schielte ich zu Michi rüber. Welche mich anerkennend ansah.
„Glückwunsch Inessa. Wie hast du das gemacht?", flüsterte sie mir mit funkelnden Augen zu.
Mein Blick glitt in meinen Schoß. Doch allmählich kehrte der übliche Tumult zurück. Gespräche wurden wieder aufgenommen und ich fühlte mich nicht mehr beobachtet.
Mit einer Grimasse wandte ich mich Michi zu.
„Ich... ich kann nicht. Nicht hier...", nuschelte ich verlegen und sah ihr intensiv in die Augen.
Steve donnerte seine Faust mit voller Wucht auf die Tafel. Ich erschrak so sehr, dass ich mich zuckend zusammenkauerte.
„Sie möchte es nur dir sagen Michelle! Also schau nicht wie ein begossener Pudel! Du wirst deine Seele erhalten, genau wie unser Star hier", spie er in unsere Richtung, stand auf und verließ in Windeseile den Saal.
Erneut waren alle Augen auf uns gerichtet. Ein Augenpaar jedoch, zog mich umgehen in seinen Bann. Taryn sah mich an und nickte mir bestärkend zu, ehe er sich wieder umwandte.
Einmal mehr hasste ich Steve für seine unbändigen Ausbrüche. Vor mir erschien mein Teller und erneut zuckte ich zusammen.
Dieser Tag konnte nicht mehr schlimmer werden.
„Welche Laus ist dem schon wieder über die Leber gelaufen?", wandte ich mich Michi zu. Welche immer noch wie versteinert auf Steve's Platz starrte.
„Ich glaube, er kommt mit deinem Erfolg nicht klar. Er ist schon ewig hier und du erst, na ja, seit drei Tagen und trotzdem bist du weiter wie alle anderen hier", gab sie ruhig von sich und blickte mich nun an.
Seine Beweggründe konnte ich ja nachvollziehen. Jedoch nicht seine aggressiven Ausbrüche. Neid hin oder her. Ich hatte einfach nur meine Aufgabe erledigt. Es ärgerte mich, dass er so reagiert hatte.
„Weißt du, ich verstehe ja, wenn es ihn ärgert. Oder wenn ihn das aufregt. Aber ich habe einfach nur die mir aufgetragene Aufgabe erledigt. Wenn ihr alle mal über eure eigenen Schatten springen würdet, wärt ihr auch schon weiter", gab ich nun etwas lauter und verärgert von mir.
Es war mir egal, was alle dachten. Dies konnte ruhig jeder hier im Saal hören. Sie waren allesamt so auf ihr eigenes Wohlergehen bedacht, dass niemand von ihnen klein bei geben würde. Kein Einzelner von allen hier in der Schmiede, hatte auch nur einen Gedanken an eine Zusammenarbeit verschwendet. Was meines Erachtens der Schlüssel zu unserem Erfolg war.
„Du weißt doch wie er ist. Ich jedenfalls freue mich für dich. Sehr sogar. Dies zeigt doch nur, dass es nicht unmöglich ist, weiter zu kommen. Und jetzt ärgere dich nicht über unseren Miesepeter. Iss und dann gehen wir in den Park", zwinkerte Michi mir zu. Ihre Aura floss ruhig um sie herum.
Natürlich wusste sie, dass ich den Empfindungspfad aufsuchen wollte. Sie war in meinem Kopf. Ich nicke ihr zu.
Spürte wie ihre Wärme sich über mich legte. Anscheinend hatte sich ihre Gabe auch weiter entwickelt. Denn all der Groll, welchen ich zuvor noch hegte, war verblasst. Ich fühlte mich gelassener. Ruhiger. Vor mir erschien eine Schüssel meines Lieblings Müslis. Genüsslich begann ich zu essen. Jim beobachtete mich genau. Er schien verängstigt zu sein. Umgehend tat mir mein Gefühlsausbruch leid.
Keine Ahnung was in mich gefahren war. Lag es wohlmöglich an meinem Handeln? Hatte sich meine Seele doch schon mehr verformt, als ich dachte? Selten geriet ich so aus der Fassung. Ich musste wirklich achtsamer werden. Mehr auf mich selbst achten, auf mein Handeln und auf meine Gefühle. Denn wenn ich eines wusste, dann dass ich definitiv nicht so werden wollte wie Steve. Ich lächelte Jim entschuldigend zu und erntete ein schwaches Lächeln. Michi riss umgehend meinen Arm zu sich. Erstaunt und verängstigt blickte sie von meiner Kennung zu mir und wieder hinab. Sie tippte auf das neue Wort, welches es sich auf meinem Arm gemütlich gemacht hatte.
„Wir müssen reden, dringend", presste sie angespannt hervor.
„Ich weiß", war alles was ich sagte.
Dann entzog ich ihr meinen Arm und widmete mich erneut meinem Müsli.
Ich ahnte bereits, das dieser Tag noch schlimmer werden würde.
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