Die Wahrheit kommt ans Licht
PoV. Max
Die Fahrt nach Hause zog sich in die Länge, obwohl es nur eine kurze Strecke war. Das monotone Brummen des Motors war kaum genug, um meine Gedanken zu übertönen. Meine Hände umklammerten das Lenkrad, als wäre es das Einzige, was mich davor bewahren könnte, in meine eigenen Gefühlschaos zu stürzen.
Charles' Gesicht ging mir nicht aus dem Kopf. Der Ausdruck purer Verwirrung und der Schmerz in seinen Augen, kurz bevor er weggelaufen war, hatten sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Und Kelly – meine Kelly – wartete zu Hause, nichts ahnend. Der Gedanke, ihr das zu gestehen, was passiert war, schnürte mir die Kehle zu.
Ich parkte vor unserem Haus, saß aber noch eine Weile im Auto. Meine Finger trommelten nervös auf das Lenkrad, mein Blick fixierte die Haustür. Hinter dieser Tür war Kelly, vielleicht schon schlafend oder mit einem Buch auf dem Sofa. Sie war immer da, immer eine Konstante in meinem chaotischen Leben. Und jetzt würde ich diese Stabilität ins Wanken bringen.
Das Haus war still, doch die Ruhe war trügerisch. Das Knacken der Holzdielen unter meinen Füßen, das Summen des Kühlschranks – jedes Geräusch fühlte sich übertrieben laut an, fast wie ein Vorwurf. Ich saß auf dem Sofa, nachdem ich Schuhe und Jacke ausgezogen hatte, das weiche Licht der Stehlampe ließ die Schatten tanzen, während ich wartete. Kelly war oben, wahrscheinlich damit beschäftigt, Penelope ins Bett zu bringen. Ihre Routine war immer dieselbe – eine Gute-Nacht-Geschichte, ein Lied, eine Umarmung, bis Penelope schließlich einschlief. Diese Szenen hatten mich immer beruhigt, aber heute fühlte ich mich, als würde ich gleich ersticken. Der Whisky in meinem Glas half nicht. Nichts konnte das Gewicht der Worte, die ich gleich aussprechen würde, leichter machen. Worte, die uns beide verändern könnten.
Ich hörte ihre Schritte auf der Treppe, leise und doch unaufhaltsam. Sekunden später erschien sie im Türrahmen, ihre Augen müde, aber aufmerksam. „Alles okay?" fragte sie und legte den Kopf leicht schief. Ihre Stimme war sanft, und genau das machte es schlimmer. Ich nickte, unfähig, direkt loszulegen. Sie sah mich einen Moment an, dann setzte sie sich neben mich auf das Sofa. Ihre Beine zog sie an, eine Geste, die sie immer machte, wenn sie sich auf ein ernstes Gespräch vorbereitete. „Was ist los, Max?" fragte sie schließlich, ihre Augen fixierten mein Gesicht. Ich spürte, wie mir die Kehle zuschnürte. Es gab keinen einfachen Weg, das zu sagen. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und ließ die Worte heraus, bevor ich es mir anders überlegen konnte.
„Ich habe etwas getan, Kelly", begann ich, und meine Stimme zitterte leicht. „Etwas, das ich bereue. Nach dem Rennen... im Club... ich habe Charles geküsst." Die Worte hingen in der Luft, und für einen Moment war alles still. Kellys Gesicht blieb regungslos, aber ihre Augen verrieten, dass sie versuchte, zu begreifen, was ich gerade gesagt hatte. „Du..." Sie blinzelte langsam, ihre Stirn runzelte sich. „Du hast Charles geküsst?" - „Ja." Ich zwang mich, ihren Blick zu halten. „Es war impulsiv. Ein Moment der Schwäche. Es tut mir leid. Es tut mir so leid."
Sie lehnte sich zurück, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen. Ihre Hand fuhr über ihre Stirn, dann ihre Schläfen, während sie tief durchatmete.
„Warum?" fragte sie schließlich, ihre Stimme leise, aber voller Schmerz. „Warum hast du das getan?" - „Ich weiß es nicht", antwortete ich ehrlich, und mein Ton war verzweifelt. „Es war kein Plan, keine bewusste Entscheidung. Es war ein Moment, der außer Kontrolle geraten ist. Aber es war falsch, Kelly. Und ich wusste das in dem Moment, als es geschah." Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch sie ließ sie nicht fallen. Stattdessen stand sie auf und begann langsam im Raum auf und ab zu gehen. „Hast du Gefühle für ihn?" fragte sie plötzlich, und die Schärfe in ihrer Stimme überraschte mich.
Ich schüttelte den Kopf, obwohl ich mir selbst nicht sicher war. „Ich weiß nicht, was ich fühle, Kelly. Ich weiß nur, dass es dich nicht ersetzen kann. Dass es nichts an meinen Gefühlen für dich ändert." Sie lachte bitter, eine kurze, scharfe Explosion. „Du weißt nicht, was du fühlst? Max, ich... ich habe dir vertraut. Penelope vertraut dir. Und jetzt sagst du mir, dass du nicht mal weißt, was du willst?" - „Ich will dich, Kelly!" rief ich, und meine Stimme brach. „Ich will unsere Familie. Ich will, dass wir das durchstehen. Bitte, lass mich das beweisen."
Sie blieb stehen, sah mich lange an, und ich konnte die Enttäuschung in ihren Augen lesen. „Ich weiß nicht, ob das so einfach ist, Max. Vertrauen ist nicht etwas, das du einfach zurückfordern kannst." - „Ich weiß." Meine Stimme war leise, fast ein Flüstern. „Aber ich werde kämpfen. Für dich. Für uns." Sie schloss die Augen und atmete tief durch, bevor sie langsam nickte. „Ich brauche Zeit, Max. Zeit, um das zu verarbeiten. Zeit, um zu entscheiden, ob ich dir noch vertrauen kann." - „Nimm dir die Zeit, die du brauchst", sagte ich, und meine Brust fühlte sich schwer an. „Ich werde hier sein. Egal was passiert."
PoV. Charles
Die Dunkelheit war mein Verbündeter geworden. Ich saß in meinem Apartment, die Vorhänge waren zugezogen, das einzige Licht kam von der Straßenlaterne, die durch die Ritzen schien. Mein Telefon lag auf dem Tisch, Nachrichten und Anrufe häuften sich, doch ich ignorierte sie alle. Ich hatte mich in eine selbst auferlegte Isolation zurückgezogen, unfähig, den Blicken und Worten der Menschen zu entkommen, die mich kannten. Selbst Carlos, der mich besser verstand als die meisten, konnte ich nicht begegnen. Die Erinnerung an den Kuss war wie ein Brandmal in meinem Kopf. Max' Lippen, seine Nähe, die Wärme, die alles andere übertönt hatte. Und dann der Schock, der mich erfasst hatte, wie ein Schlag in die Magengrube.
Ich stand auf, begann rastlos im Raum auf und ab zu gehen, als könnte die Bewegung die Gedanken in meinem Kopf ordnen. Aber es half nichts. Die Fragen blieben dieselben. Was hatte ich gefühlt? Warum hatte ich es zugelassen? Warum hatte ich danach so reagiert? Die Erinnerungen an Max' Worte, seine Beharrlichkeit, seine Ruhe, mischten sich mit meinen eigenen Schuldgefühlen. Kelly. Penelope. Sie alle verdienten mehr als dieses Chaos, das ich mit verursacht hatte.
Das Summen meines Telefons riss mich aus meinen Gedanken. Carlos. Schon wieder. Seine Besorgnis war fast greifbar, selbst ohne die Nachrichten zu lesen. Doch ich konnte nicht antworten. Nicht jetzt. Vielleicht nie. Ich ließ mich auf die Couch sinken, legte den Kopf in die Hände und schloss die Augen. In der Stille hörte ich nur das Pochen meines Herzens, schwer und unregelmäßig, als ob es sich ebenfalls weigern würde, Ruhe zu finden.
Die Isolation war alles, was ich kannte. Alles, was ich im Moment ertragen konnte. Doch ein Teil von mir fragte sich, wie lange ich noch so weiterleben konnte, bevor die Dunkelheit mich ganz verschluckte.
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