2. Licht
Die Nacht war hart gewesen.
Am Morgen hatte der Sturm endlich aufgehört und die Sonne trocknete nun die spärlichen Überreste des ruhmreichen Heeres.
Kaum ein Schiff war nicht beschädigt, sei es durch herumtreibende Wrackteile oder durch den Wind.
Der mächtigste Mann im Land stand immernoch am Bug seines Schiffes, er hatte sich die ganze Nacht nicht wegbewegt.
Wo hätte er auch hingehen sollen?
Dass es auf seinem ganzen Körper keinen einzigen trocknen Fleck mehr gab, störte ihn nicht.
Im Licht der aufgehenden Morgensonne begutachtete er, was von seinem Heer noch übrig war.
"Nicht mehr viel." sagte er zu sich selbst.
Doch dann bemerkte er ein neues Problem.
Alle Schiffe, die er sah, waren gleich gebaut, nämlich leicht, schnittig und mit wenig Tiefgang. Keine bauchigen Lastschiffe dazwischen, diese mussten auch zerstört oder abgetrieben worden sein.
Es dauerte einen Moment, bis Victoan bewusst wurde, was das bedeutete. Der gesamte Lebensmittelvorrat, Wasser und die Ausrüstung waren verloren, bis auf das Wenige, was sich in den Lagerräumen der Galeeren befand.
Dadurch konnten auch die kaputten Schiffe nicht repariert werden.
Dem Anführer Herrscher Cantaleens blieb also nur eine Möglichkeit, er musste an Land gehen und dort sein Lager im Gebiet des Feindes aufschlagen.
Er wusste rein garnichts über Vethak, seine Kundschafter waren nicht zurückgekehrt, wahrscheinlich wurden sie entdeckt und gefangengenommen und hoffentlich nicht gefoltert, da sie sonst zu viele Informationen verraten hätten können.
Aber jetzt war die Zeit gekommen zu handeln, und nicht die Zeit, über das "was wäre wenn" nachzudenken.
Victoan wandte sich ruckartig um und gab den Befehl, an Land zu gehen.
Nach dem sehr kurzen Gespräch mit ihrem Vater hatte sich Ferrya mit beiden Händen an der Reeling zurück zur Treppe, die in den Lagerraum führt, gehangelt.
Dort hatte sie sich nah an die kalte Holzwand gedrückt und gehofft, dass das alles hier schnell vorbei sein würde.
Die junge Frau hatte den kleinen Anhänger, den sie sich selbst aus einem Stück Metall geformt hatte, aus ihrem Ausschnitt gefischt und ihn leicht erwärmt um ihre eingefrorenen Hände wieder aufzutauen.
Je nach ihrer Laune gestaltete sie diesen anders, im Moment hatte er die Form eines Ankers.
Normalerweise war Ferrya es gewohnt, sich aus jeder Situation mithilfe ihrer Gabe zu retten und es machte sie fertig, ihrem Schicksal so ausgeliefert zu sein.
Ohne ein Auge zu schließen, hatte sie die ganze Springflut ausgeharrt, bis die Geräusche von Wind und Wellen immer leiser wurden.
Die ersten Sonnenstrahlen, die noch zögerlich auf Ferryas Gesicht schienen, veranlassten sie aufzustehen.
Im Nordwesten gingen grade die letzen Sterne unter, während im Osten die Sonne über den Horizont lugte.
Ferryas Blick fiel auf ihren Vater, der schon wieder, oder immer noch, wie sie ihn kannte, am Bug stand. In dem Moment drehte er sich um und rief seinem ersten Offizier zu:
"Lichte den Anker und nimm Kurs bis kurz vor den Strand. Wir gehen an Land."
Ohne Wiederworte drehte dieser sich um und schickte die Soldaten ohne Arbeit auf ihre Posten.
Jemand musste auch die anderen Schiffe informiert haben, diese fingen nämlich auch an, ihre Anker zu lichten.
Immer öfter sah Ferrya einen bitteren Zug um den Mund ihres Vaters.
Früher war er immer der lachende Vater gewesen, der sie mit offenen Armen empfangen hatte.
Meine kleine Goldmünze hatte er sie genannt.
Jetzt verwandelte er sich immer mehr in den griesgrämigen alten Mann, dem viel an Macht und Besitz lag, Ferrya entging dieses Detail nicht.
Es machte ihr Sorgen, ihn so mit zusammengezogenen Augenbrauen und stechendem Blick zu sehen.
Naja, wahrscheinlich würde sie an seiner Stelle auch nicht anders aussehen.
Wahrscheinlich führt er uns grade in den sicheren Tod, keiner weiß, was oberhalb der weißen Kalksteinklippen liegt.
Zwischen den Felsen war ein kleiner Kiesstrand, über dem ein verschlungener Weg nach oben führte.
Die Flotte, oder besser gesagt, was davon übrig war, ließ die Anker davor sinken.
Auf einen Befehl hin, sprangen die Männer in das brusthohe Wasser und wateten an Land.
Da fiel Ferrya ein, dass sie noch in ihrer Koje einige persönliche Sachen versteckt hatte.
Mit einem Blick zum Strand stellte sie beruhigt fest, dass noch genug Zeit war, ihr Gepäck zu holen.
Sie rannte flink die hölzerne Treppe hinunter und wäre fast mit einigen Soldaten zusammengestoßen.
" 'tschuldigung" murmelte Ferrya, aber einer der Soldaten hielt sie am Arm fest.
"Nicht so schnell, junge Dame. Ein paar Minuten Spaß schon sind noch drin." lachte er und die anderen stimmten mit ein.
Auch das noch. Viele Männer versuchten so etwas mit ihr, aber denen war nicht klar, dass sie keine der persönlichen Mätressen eines Offiziers war, die heimlich mitgeschummelt wurde, sondern die Tochter des mächtigsten Mannes in Cantaleen.
Ferrya wusste, wie sie damit umgehen muss.
"Oh ja, das denke ich auch." fing sie mit verführerischer Stimme an, während sie den festen Griff um ihren Oberarm ignorierte und ihn näher zog.
"Fragt sich nur für wen."
Mit diesen Worten ließ sie das Metall seines Brustpanzers unter ihrer Hand, heiß werden.
Binnen einer Sekunde erlosch sein dreckiges Grinsen und ließ die junge Frau los.
Knurrend riss er sich den Panzer vom Leib und schaute auf seine Brust, wo der Stoff seines Hemdes versengt war und die Haut darunter ein rotes Brandmal in Form einer Hand hatte.
"Viel Spaß noch."
Ferrya drehte sich um, ließ die verdutzten Männer zurück und nahm weiter Kurs auf ihre Kabine.
Einer nach dem anderen, sprangen die Soldaten über die Bordwand ins tiefe Wasser, ein Bündel mit ihrem Gepäck über dem Kopf haltend.
Victoan hatte sich als Erster in die eiskalten Wellen gewagt, stand schon am kleinen Kiesstrand und kommandierte die kommenden Krieger zu einer halbwegs ordentlichen Formation.
Seine Tochter stand an der Reeling und fragte sich, ob sie wirklich ins Wasser springen wollte. Ihr gingen die Fluten wahrscheinlich bis über den Kopf und sie wollte nicht kalt und nass werden. Aber sich helfen lassen und Schwäche zeigen würde auch nicht gehen.
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