25. Kapitel - Du bist ein toller Mensch
Hatte ich schon einmal erwähnt, dass ich eine tolle Ausdauer hatte?
Aber, nein, nicht, was ihr jetzt denkt, dass ich sehr lange Strecken laufen konnte. Ich mein', für wen hält ihr mich eigentlich? Also bitte.
Ich meinte damit, dass ich ein hoch entwickeltes und überdurchschnittliches Durchhaltevermögen besaß.
Warum?
Ganz einfach: Wenn man sich im Garten mit sehr vielen Jungs befand und es sehr warm war, dann war eine logische Schlussfolgerung, dass Jungs sich ihre Shirts auszogen. Sehr zu meinem Leidwesen, da man nicht starren wollte.
Aber genug mit der Einleitung, kommen wir zum echten Geschehen.
Nicht hinsehen, ja nicht hinsehen, Rosaly, ermahnte ich mich streng in meinen Gedanken. Ich war gerade angestrengt damit beschäftigt, kleine Löcher in die Erde zu machen, und wiederholte immer wieder diesen einen ganz wichtigen Satz in meinem Kopf, als wäre es ein Mantra, mein heiliges Mantra. Sparten in die Erde, ein Loch erschaffen, Samen hineingeben und die restliche Erde zurück, wo sie zuvor gewesen war.
Nicht hinsehen...
Sparten, Loch, Samen, Erde und Kopf unten lassen.
Immer dasselbe. Sparten, Loch, Samen, Erde und ja nicht hinsehen.
Augen konzentriert auf den Boden halten.
Gerade, als ich den perfekten Rhythmus gefunden hatte und immer wieder alles in meinen Gedanken wiederholt hatte, griff ich in eine leere Schale. Ja, sie war leer. Die kleine hölzerne Schale, in der sich die Samen befanden, eher befanden sollten.
Meine Finger donnerten gegen den Schalenboden und kratzen am dunklen Holz verbittert herum. Danach verweilten sie eine kurze Zeit wie erstarrt an Ort und Stelle. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich alle Samen schon verbraucht hatte.
Seufzend legte ich den Sparten aus der Hand und richtete mich anschließend auf. Ich klopfte mir den Dreck von der Hose und hob die kleine Schüssel auf, doch dann passierte es. Das, was ich auf alle Fälle vermeiden hatte wollen.
Als ich aufstand, um mir Nachschub zu holen, konnte ich meinen Blick nicht länger abwenden. Mein Blick schweifte automatisch über den Garten hinweg und schien ein eigenes Gehirn entwickelt zu haben. Sehr zu meinem Leidwesen.
Ich konnte Newt ausmachen. Er stand mitten auf dem Beet und arbeitete. Zart war ebenfalls anwesend und wie vorhin bereits erwähnt, hatten sie sich beide ihrer Shirts entledigt.
Na toll...
Jetzt ist es so oder so schon zu spät. Abermals bin ich in einer peinlichen Situation, die meine Fähigkeit, Personen in den unpassendsten Momenten zu bespannen, toll wiedergibt.
Ich stand also einfach nur so da, zu perplex, um etwas tun zu können. Man hätte mich mit einer Schaufensterpuppe vergleichen können, nur dass bei mir der Mund weit offenstand. Meine Augen musterten den blonden Lichter von oben nach unten und bedauerlicherweise sah Newt gut aus, was ich schon viel zu oft festgestellt hatte. Sein Rücken war leicht trainiert und meine Augen verfolgten jede seiner Bewegungen ganz genau. Mit seinen Armen ließ er die Spitzhacke immer wieder auf den Erdboden niedergehen. Seine blonden Haare standen ihm in alle Himmelsrichtungen ab. Man wollte ihm einfach nur durch seine Haare wuscheln und einfach in seinen dunkelbraunen Augen versinken. Einfach die Realität vergessen und-
Stopp, Rosaly!
Sonst sieht dich noch wer, wie du Newt anstarrst.
Gerade wollte ich auf die Stimme hören, die übrigens die Klügere von uns beiden war, als es schon zu spät war. Als ich Newt immer noch wie hypnotisiert anstarrte, drehte er plötzlich seinen Kopf zur Seite. Sein Blick traf den meinen und ich riss meine Augen auf.
Scheiße...
Ich konnte mich nicht bewegen und biss verzweifelt in meine Wange. Mein Herz war mir in die Hose gerutscht und ich war mir sicher, dass es nun irgendwo bei meinen Fußknöcheln weiterschlug. Ja, einfach so.
Newt hatte mich ertappt. Ertappt beim Spannen, schon irgendwie peinlich.
Meine Wangen wurden brennend heiß und höchstwahrscheinlich so rot wie die Tomaten, welche sich in den Körben rechts neben mir befanden. Verlegen drehte ich meinen Kopf, so schnell es mir möglich war, zur Seite, als würde es ein Wettbewerb sein, den ich unbedingt gewinnen wollte. Jedoch, bevor ich meinen Blick von Newts trennen konnte, zwinkerte mir jener genannte keck zu und ein schelmisches Grinsen umspielte seine Lippen.
Anschließend hörte ich nur mehr, wie sich Zart mit Newt unterhielt, danach begannen die beiden, prompt zu lachen. Ich hatte eine vage Vermutung, dass sie meinetwegen lachten und sich prächtig amüsierten. Ich wollte einfach nur im Erdboden versinken. Irgendeine Pfütze würde mich doch sicher aufnehmen, bitte.
Warum kann ich nicht einfach ein einziges Mal unauffällig sein, hm?
Einfach nur peinlich, dachte ich weiter und holte mir schnell neue Samen, um eine andere Beschäftigung zu bekommen, als mich für mich selbst zu schämen.
Schlussendlich hatte ich das auch geschafft. Die nächste Stunde hatte ich weitere Samen verpflanzt. Anschließend war es an der Zeit gewesen, das neue Beet zu bewässern, wenn auch nur wenig, denn vor Feierabend würde der ganze Garten gegossen werden. Für mich hieß das, dass ich nur mit zwei leeren Gießkannen zur kleinen Brunnenpumpe schritt. Von Newt wusste ich, dass es diese schon von Anfang an auf der Lichtung gegeben hatte, sowie den normalen Brunnen. Eine weitere Brunnenpumpe befand sich in der Nähe der Küche und das Wasser war schon immer glasklar gewesen.
Wie auch jetzt, als ich die Brunnenpumpe betätigte. Klares Wasser strömte in die Gießkanne am Boden. Als die erste gefüllt war, stellte ich die nächste darunter. Zuvor befeuchtete ich mein Tuch, das ich von Emilia bekommen hatte. Ich wrang das Wasser aus, fuhr mir über meine verschwitzte Stirn mit meinen nassen Fingern.
Heute war ein heißer Tag, was mir der leichte Sonnenbrand auf meinen Schultern bestätigte. Es war jedoch zu warm, um mein Hemd anzuziehen, warum ich schlussendlich das nasse Tuch aufsetzte. Meine Haare waren seit heute Früh in zwei geflochtenen Zöpfen, was eine der Möglichkeiten war, sich um meine Locken zu kümmern.
Kurz ließ ich die Eindrücke des Gartens auf mich wirken. Warme Sonnenstrahlen kamen von Süden und bald würde es Mittagessen geben. Meine Haut war erhitzt, kein Wind wehte. Der Boden unter meinen Füßen neben der Brunnenpumpe war nass und etwas schlammig. Ich hatte meine braune Hose eine Spur nach oben gekrempelt und am liebsten wäre ich in diesem Moment unter einem Baum im Schatten gelegen.
Ich schloss meine Augen. Die Geräusche des Gartens drangen in den Hintergrund, doch meine Pause war nicht von Dauer, denn eine Stimme fragte: "Brauchst du Hilfe?"
Ich zuckte zusammen, öffnete meine Augen und blickte nach rechts. Chuck stand neben mir und er nickte zu den Gießkannen. Heute war sein zweiter Tag als Schwapper. Eine Tätigkeit, die er fortan ausführen müsste, da Liv und Minho gestern natürlich nicht den Ausgang aus dem Labyrinth gefunden hatten.
"Nein, danke", sagte ich, erkannte jedoch sofort, dass Chucks Gesichtsausdruck traurig wurde. Seit gestern war er den ganzen Tag auf der Lichtung unterwegs, doch niemand wollte ihm andere Aufgaben außer Putzen geben.
"Obwohl, weißt du was, du kannst diese Gießkanne gerne zum Beet da drüben tragen. Tomaten müssten zwar zur Küche, doch ich denke, dass das keine so gute Idee wäre."
"Ja, das stimmt wohl", erwiderte Chuck, "aber ich trag' die Gießkanne."
Ohne weitere Worte hob Chuck die Gießkanne auf. Sie war schwer, doch er beschwerte sich nicht. Gewillt stapfte er zum Beet, während ich die zweite Gießkanne füllte. Anschließend folgte ich und bevor ich Chuck verabschiedet hatte, hatte ich mir mit ihm ausgemacht, nach dem Abendessen Zeit zusammen zu verbringen, weil niemand ihn mochte, außer ich.
So war es schließlich gekommen. Nach dem Abendessen war ich mit Chuck spazieren gegangen. Die Sonne war am Untergehen und irgendwann hatten wir es zum kleinen Teich geschafft. Wir hatten uns an dessen Ufer gesetzt. Im Wald war es am Abend kühler und feuchter. Die Luft roch nach modrigem Holz, Schlamm und Blätter. Auf der Wasseroberfläche entdeckte ich einige Wasserläufer, die flüchteten, als Chuck einen Kieselstein ins Wasser warf.
"Weißt du, ich bin irgendwie froh, dass ich ein Schwapper bin."
"Wie denn das?"
"So bin ich niemandem eine Last. Es ist erst etwas mehr eine Woche her, dass ich hier angekommen bin, aber schon jetzt weiß ich, dass dieser Ort nichts für mich ist."
"Dieser Ort ist für niemanden etwas", erwiderte ich und warf ebenso einen Kieselstein ins Wasser. Chuck widersprach mir jedoch: "Ich versteh', was du meinst, aber es ist mehr so, dass ihr alle mit diesem Ort umgehen könnt. Ich bin unfähig und jede Nacht muss ich daran denken, dass meine Eltern bestimmt traurig sind, dass ich hier bin. Ich kann mich nicht einmal mehr an sie erinnern..."
Ich musterte Chuck von der Seite aus und verstand ihn. Auch ich dachte bis heute an die Menschen, die es einmal in meinem Leben gegeben hatte. Menschen, die mein Kopf vergessen hatte, doch sie müssten doch weiterhin existieren, oder? Zumindest, wenn uns die Macher des Labyrinths nicht auch noch selbst erschaffen hätten. In Kapseln zu erwachsenen Menschen herangereift und hier auf diese Lichtung geschickt.
Nein, ich glaube nicht, dass das Geheimnis hinter diesem Ort dermaßen absurd ist, entschloss ich. Ebenfalls wiesen meine Träume auf eine Welt mit mehr Menschen hin.
"Viele denken über ihre Familien nach, wenn sie auf die Lichtung kommen."
"Wirklich?"
"Ja, wirklich", bestätigte ich, "aber ich finde es seltsam. Wir erinnern uns an nichts, wissen aber tief in uns, dass wir eine Familie haben müssen. Was, wenn sie alle tot sind?"
"Darüber will ich nicht nachdenken. Klar, einstweilen haben mich alle scheiße behandelt, weil ich nichts kann, aber ich denke lieber positiv. Für mich gibt es meine Mutter und meinen Vater", entschloss Chuck. Der kleine Junge nickte gewillt, was mich zum Lächeln brachte.
"Dann existieren sie da draußen irgendwo", stimmte ich dem Jungen neben mir zu, sprach fort: "Und du wirst dich schon noch einleben. Auch, wenn die anderen weiterhin distanziert zu dir sind, vergiss nie, dass jeden Monat ein weiterer Frischling kommt."
"Mir gefällt dieses Wort nicht", Chuck warf einen weiteren Stein ins Wasser, "Über die Frischlinge wird sich lustig gemacht. Ja, zum einen will ich nicht mehr der Frischling sein, zum anderen will ich aber nicht, dass der nächste Neunankömmling vielleicht genauso wie ich behandelt wird. Wenn ich es könnte, würde ich einfach die ganze Zeit der Frischling bleiben und alle anderen können gleich normal auf der Lichtung leben."
Nachdem er mir das erzählt hatte, war mein Herz weich geworden, da Chuck lieber jegliche Erniedrigung, die ihm leider durch die ganzen Strünke widerfuhr, behalten würde, sodass ein anderer in Frieden hier auf der Lichtung leben könnte. Chuck war wirklich ein herzensguter Mensch, vielleicht sogar zu gut für diese Welt, in der wir lebten. Nicht nur vielleicht, Chuck war viel zu gut für uns alle und das würde er auch immer bleiben. Er dürfte sich nicht verändern; ohne ihm würde die Welt nicht mehr die gleiche sein.
"Vielleicht sind meine Gedanken blöd, ein riesiger Klonk, der von irgendeinem Griewer in der Nacht, wenn ich tief und fest geschlafen habe, in meinen Kopf gepflanzt worden ist, aber so denke ich halt", setzte Chuck fort. Er kräuselte anschließend seine Nase, zog die Stirn in Falten, während er die Wellen im Wasser beobachtete, die sein Stein hervorgebracht hatte.
Auch mein Blick landete auf den Wellen, die sich kreisförmig ausbreiteten. Als sie bei uns ankamen, erhob ich meine Stimme: "Denke nicht so", ich sah zu Chuck, der meinen Blick erwiderte, "Wirklich, du hast ein großes Herz, aber du darfst auch Glück erleben, okay? Der nächste Frischling wird in drei Wochen hier sein und er wird die Aufmerksamkeit schon überleben, habe ich auch."
"Ich bleibe bei meinen Worten", beharrte der Junge neben mir. Er klopfte sich Dreck von den Händen ab und ich schien ihn nicht von etwas anderem überzeugen zu können.
Ich nickte also nur, sprach: "Dann sage ich dir, dass du ein toller Mensch bist, Chuck. Auch, wenn die anderen Strünke sind, tut es mir leid für sie, dass sie dir keine Chance gegeben haben, dich kennenzulernen. Ich bin froh, dass ich es getan habe, denn ich mag dich."
Nach meinen Worten blickte ich zurück auf die Wasseroberfläche, bis ich hörte, dass sich Chuck erhob. Ich wollte mich gerade zu ihm umdrehen, als ich erdrückt wurde. Chucks Arme schlossen sich von hinten um mich und ich erwiderte seine Umarmung.
"Ich mag dich auch, wenn du auch jetzt ganz allein meine nervige Seite ertragen musst."
"Die ertrag' ich gerne", erwiderte ich lachend und wenig später lösten wir uns voneinander. Wir unterhielten uns noch eine Zeit, bis wir zusammen zu unseren Hängematten gingen.
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