Zurück zu mir
»Willst du, Constanze Luise Fiedler, den hier anwesenden Ben Fischer zu deinem dir angetrauten Ehemann nehmen? Dann antworte jetzt mit einem: Ja, ich will!«
Mein Blick schweifte durch die Sitzreihen und ich versuchte ein paar lächelnde Blicke zu erhaschen. Till stand ganz hinten und streichelte Anne den Hals. Für einen Moment blieb mein Blick dort hängen.
Ich sah Ben an und auf einmal schossen die Ereignisse der letzten Wochen in mein Gedächtnis...
***
Alles war so harmonisch gewesen. Mit Ben schien alles viel perfekter als vorher und seitdem meine Mutter weg war, pflegte ich ein besseres Verhältnis zu meinem Vater.
Mindestens alle zwei Tage schaute ich bei ihm vorbei und unterhielt mich auf eine angenehme Art und Weise mit ihm.
An einem Abend, total unerwartet, bekam ich eine überraschende Nachricht.
»Hey, Kleines, wie geht es dir? Ich hab deine Nummer von Sabine. Ich hab gehört, dass du vor drei Wochen da warst. Warum hast du dich in deinem Hochzeitskleid nicht bei mir blicken lassen - ich hätte dich sofort zum Altar geführt. zwinker zwinker.«
Die Nachricht kam von Till und ehrlich gesagt freute ich mich richtig. Sofort antwortete ich.
»Da hat Franzi wohl gut getratscht - so eine blöde Kuh. Mir gehts aber wirklich gut. Wie gehts bei euch? Ist Nick sauer auf mich?«
Er las die Nachricht sofort und keine 30 Sekunden später tippte er auch schon eine Antwort.
»Ach Quatsch, Nick ist nicht wütend - er weiß, was du gerade für ein Chaos durchmachst.
Franzi hat nicht gequatscht, ich habe schon lange kein Kontakt mehr mit ihr - sie ist wirklich eine blöde Kuh.
Theo hat mir die Geschichte erzählt - mit der bin ich mittlerweile richtig gut befreundet!«
»Mein Chaos habe ich zum Glück wieder ein wenig gebändigt. Mit meinem Verlobten läuft wieder alles richtig gut und auch familiär ist alles im grünen Bereich.
Und mit meinen Pferden läuft es auch super - nur Conti ist nach wie vor ziemlich schwierig und ich komme selbst durch Bodenarbeit nicht mehr an ihn ran.
Du musst mal herkommen und dann stell ich dir meine Pferde vor!«
»Oh ja! Ich will unbedingt Rockys Kleine kennenlernen - ist sie wirklich so unbeschreiblich toll?!
Das mit Conti ist natürlich blöd, aber ich glaube, dass die fantastische Conni das hinkriegt - du schaffst einfach alles:)«
»Das wird schon irgendwie.
Übrigens: Meine Hochzeit ist auf den nächsten Monat angesetzt und ich werde am Steg - ja genau der Steg - getraut! Ihr seid alle eingeladen! Die Einladungen schicke ich morgen raus - seid gespannt!«
»Das freut mich! Jetzt muss ich aber auch schlafen, morgen ist Turniertag und ich muss früh raus.«
»Ja, geht mir genauso. Morgen werde ich mit Camelot beim M-Springen und mit Catchi beim S-Springen an den Start gehen.«
»Dann gute Nacht super Conni und viel Erfolg morgen.«
Mit einem Lächeln legte ich mein Handy neben mich ins Bett.
Seit langem war ich mal wieder an einem richtigen Hoch in meinem Leben und ich sprudelte nur so voller Freude.
Auch Ben sollte nicht mal eine halbe Stunde später Zuhause eintrudeln.
Sofort ging er in die Dusche und schlüpfte anschließend zu mir unter die Decke.
»Wie war der Tag meiner Verlobten?«, fragte er liebevoll interessiert und drückte mir einen Kuss auf die Nase.
»Er war großartig! Die Pferde waren so gut drauf und ich hatte richtig Spaß beim Reiten«, schwärmte ich glücklich.
»Das ist schön. In der Kanzlei lief es auch gut. Mit der Arbeit, die ich in der Kanzlei verrichte, sammle ich richtig viele Erfahrung für die Uni.«
Mit einem stolzen Lächeln zeigte ich ihm meine Interesse auch ohne die Stille zu brechen.
Müde gähnte er und drehte sich zur Seite.
Ich tat es ihm gleich und drehte mich ebenfalls müde auf die Seite.
Nachdem ich mein Nachtlicht ausschaltete, schlief ich schnell ein.
***
Die nächsten drei Wochen verliefen einwandfrei. In der Zeit fuhr ich in das Brautmodengeschäft und kaufte das Kleid, welches für mich bestimmt war - ich kaufte MEIN Kleid.
Ich verließ den Laden nicht noch einmal unglücklich.
Auch die restlichen Hochzeitsvorbereitungen bereiteten mir einen Heidenspaß.
In dieser ganzen Zeit konnte mich keiner missmutig stimmen und ich startete jeden Tag mit einem großen Lächeln.
Auch die Turniere liefen besser als noch vor einem Monat und so langsam fand ich wieder ein bisschen gefallen daran.
5 Tage vor meiner Hochzeit war ich mal wieder auf Turnier - Vielseitigkeit mit Edda.
An solchen Tagen vermisste ich Conti unter mir, denn obwohl Edda wirklich eine Süße war und immer motiviert bei der Sache, gewinnen war in der hohen Klasse mit ihr kaum möglich.
Ihr fehlte einfach das gewisse Etwas.
Conti hatte es aber und ich sehnte mich einfach nur noch danach, weshalb ich beschloss, den großen Hengst aus seinem Winterschlaf zu wecken.
Direkt nach dem Turnier ging ich zu ihm.
Nach wie vor begrüßte er mich mit angelehnten Ohren, aber er versuchte mich weder zu beißen noch zu treten.
Über diesen kleinen Erfolg war ich schon unglaublich glücklich und versuchte genau daran anzuknüpfen.
Entschlossen ging ich auf einen der Außenplätze und ließ Conti sich erstmal mit sich selbst beschäftigen.
Majestätisch galoppierte er über den weichen Sandboden und ließ die Erde um ihn rum beben.
Was hatte ich nur für ein Glück so ein stolzes Tier um mich rum zu haben.
Ein Gefühl überkam mich.
Es war ein Gefühl des Stolzes - ein Gefühl des Sieges. Als ich jünger war verspürte ich dieses Gefühl oft. Immer wenn ich auf dem Turnierplatz meine Ehrenrunde mit dem goldenen Schleifchen an der Trense galoppierte, war ich so stolz, wie in diesem Moment.
Alleine Contis Anwesenheit, der Fakt, dass ich ihn gezogen, ausgebildet und mit ihm gesiegt habe, machte mich stolz und das erste Mal seit einer Ewigkeit war ich zuversichtlich.
Meine Mutter konnte mir nicht mehr reinreden und ich konnte Conti so behandeln, wie ich es wollte. Keiner sagte mir mehr, was ich zutun hatte und keiner befahl mir, wie ich meine Pferde versorgen sollte.
Ich glaube daher kam das Gefühl von Stolz in mir.
Ich war stolz frei zu sein - ich war stolz Conti diese Freiheit wiederzugeben.
Ich ließ Conti noch ein paar Runden laufen und wies ihn nur ab und zu an.
Mein Ziel dieser Einheit war, dass der große Hengst mich am Ende nicht mehr als Störung sah und er merkte, dass er in meiner Gegenwart er selbst sein durfte.
Tatsächlich hatte ich weitestgehend Erfolg.
Conti reagierte nicht mit Flucht als ich zu ihm ging und einen Strick in sein Halfter einklinkte.
Obwohl er noch die Ohren anlegte, schien er nicht mehr so böse und angespannt zu sein.
Mit einem breiten Lächeln ging ich zu meiner Wohnung.
Langsam drehte ich den Schlüssel im Schloss und drückte die Tür auf.
Ben telefonierte gerade im Schlafzimmer und bemerkte mich gar nicht.
Ich schloss die Haustür leise und zog meine Stiefel aus.
Erst danach verstand ich ein paar Wortfetzen von Ben.
Ich wusste, dass man nicht lauschen sollte, aber irgendwas in mir drinnen zwang mich dazu.
Ich stellte mich also weiter an das Schlafzimmer ran. Die Tür war nur angelehnt und ich sah durch den Türschlitz, dass Ben irgendwie aufgebracht war.
»Jaha, ist ja gut! Sag mir doch was ich hätte tun sollen?! Nächste Woche wird Constanze mich heiraten und danach wird alles wieder so wie die letzten Monate.«
Ich runzelte meine Stirn. Mit wem sprach er da und was meinte er mit seiner Aussage?
»Ja, Frieda, ich muss sie heiraten! Ich brauche die Kanzlei und das Geld, welches ich mit dem Hof und vor allem mit dem Hengst von Rocky machen werde!«
Jetzt war ich wirklich schockiert. Was war sein Plan? Wollte er mich nur heiraten, weil ich so reich war?! Ich hörte weiter zu.
»Ja, natürlich hat mein Vater Geld, aber du glaubst doch nicht, dass ich davon auch nur einen Cent sehe - ich soll selber arbeiten. Aber sei doch mal ehrlich zu dir selbst. Du bist doch auch nur noch mit Constanze befreundet, weil deren Vermögen mindestens das Doppelte von unseren beiden Familien zusammen ist!«
Ich verlor die Fassung - was fiel ihm nur ein?!
Geschockt versuchte ich der Situation zu entfliehen und ging zwei Schritte zurück.
Ich stieß gegen unsere Kommode und ein Bild fiel zu Boden.
Das Glas des Rahmens zersprang mit einem lauten Klirren auf dem Laminat.
Innerhalb weniger Sekunden stand Ben schon bei mir im Flur.
Ich sah in ein Gesicht, welches nicht nach Entschuldigung suchte, sondern nur ein „ich habe es verbockt" ausstrahlte.
»Constanze...«, sagte er enttäuscht über sich selber und sah mich mit großen Augen an.
»Lass mich!«, gab ich energisch zurück nachdem ich aus dem ersten Schock rauskam.
Es war genauso wie im Film immer.
Wir trafen aufeinander, sahen uns geschockt an und für einen Moment schien die Welt stehen zu bleiben - ich hörte mein Herz pochen.
Immer noch geschockt stützte ich mich mit einer Hand auf die Kommode hinter mir.
»Ich kann alles erklären«, stammelte Ben und kam ein Schritt auf mich zu.
Ich wich zurück.
»Nein, lass mich!«
Auf dem Absatz machte ich kehrt und wollte wieder durch die Haustür verschwinden.
Ben aber hielt mich am Arm und drehte mich zu sich.
»Geh nicht...«, sagte er sanft, aber dennoch ein wenig verunsichert.
»Sag mir wieso ich bleiben sollte?!«, fragte ich mit fester Stimme und ernstem Blick.
»Weil ich dich liebe.«
»Ach tust du das?! Gerade hörte es sich noch so an als ob du nur mein Geld liebst!«
Wütend schnaufte ich.
»Nein, es ist nicht so wie du denkst! Vertrau mir und hör mir zu - ich erkläre dir alles.«
Er deutete mir mich aufs Sofa zusetzen.
Dabei sah er so aus, als ob er ein aufgebrachtes Tier beruhigen wollte. Mit breitgestellten Beinen und sachten Handbewegungen wartete er darauf, dass ich mich setzte.
Zuerst sah ich ihn nur böse an, aber dann setzte ich mich widerwillig neben ihn.
»Hör zu, du hast eben schon richtig gehört, aber so einfach ist das nicht. Ich arbeite da an einem Fall. Unser Klient beschuldigt Friedas Familie des Betruges. Tines Geschäfte sollen schon seit Jahren nicht ganz sauber sein und ich soll Beweise sammeln! So war es schon die ganze Zeit und ich hatte niemals die Absicht dich zu betrügen - anders kam ich aber nicht an die Familie ran...«
»Genau, und das soll ich dir jetzt etwa glauben?! Ich fasse es nicht - für wie blöd hältst du mich eigentlich?!« Wütend versuchte ich aufzustehen, aber er zog mich direkt wieder zu sich aufs Sofa.
»Constanze, du musst mir glauben - ich könnte dir niemals so weh tun...«
»Warum hast du denn nicht schon vor drei Wochen bei unserer letzten Diskussion was davon erzählt?!«
Ich war nicht mehr so wütend, denn irgendwie glaubte ich Ben. In meiner Stimme machte sich fast ausschließlich nur noch Enttäuschung breit.
»Frieda war deine beste Freundin und ich wollte dich einfach nicht vorn Kopf stoßen - Constanze, ich bitte dich...«
Ich sah in seine großen, braunen Augen und verlor mich in ihnen.
In mir drinnen herrschte mal wieder ein riesiges Chaos. Was sollte ich nun glauben?
Erzählte er mir die Wahrheit oder log er mir dreist ins Gesicht?
Umso länger ich ihn einfach nur ansah, desto schmerzhafter wurde es.
Ich liebte ihn - ich liebte ihn sehr.
Genau aus diesem Grund wollte ich ihm einfach glauben.
Alle Zweifel schluckte ich einfach runter und zwang mich ihm zu glauben.
Trotzdem benötigte ich ein wenig Abstand und das sagte ich ihm auch so.
»Ben, ich vertraue dir und deshalb glaube ich das, was du sagst. Nichtsdestotrotz brauche ich gerade Zeit zum Nachdenken.«
Entschlossen stand ich auf und ging in den Flur.
Ich zog meine Stiefel wieder an und verließ erneut die Wohnung.
Da ich immer noch ein bisschen verwirrt war, beschloss ich mich mit Camelot ein bisschen im Wald auszutoben und erst anschließend die Jungpferde zu reiten - ich musste einfach meinen Kopf frei kriegen.
»Ich habe eben mit Theo telefoniert und mich für morgen angekündigt. Ben, die ganze letzte Zeit macht mir ordentlich zu schaffen und ich brauche ein bisschen Abstand. Ich werde morgen schon an die Ostsee fahren und mich bis zur Hochzeit ein wenig ausruhen«, sagte ich entschlossen als ich die Wohnung wieder betrat.
Ben hatte kein Problem mit meinem Vorhaben - ganz im Gegenteil, er war sogar richtig verständnisvoll.
»Ich verstehe dich. Ruhe dich nochmal so richtig aus und entspanne dich. Dann können wir Heiraten - heiraten, so wie du es möchtest.«
Er kam rüber zu mir und nahm mich sanft in den Arm.
Nach einer liebevollen Umarmung und einem sanften Kuss auf die Stirn, ging ich ins Schlafzimmer und fing an meine Sachen zupacken.
Viel war es nicht, denn außer Reitklamotten und ein paar wenige Alltagsklamotten brauchte ich nicht viel.
Mein Brautkleid musste ich erst noch abholen, denn dies hing bei Alex und Vicky Zuhause.
Ich packte zuerst alle meine Sachen in meinen LKW, den ich mittlerweile alleine fahren durfte, und anschließend das ganze Pferdezubehör.
Das sollte es dann auch für den Tag gewesen sein. Müde schleppte ich mich ins Bett und zog mir die Decke bis zum Kinn.
Während ich schon einschlief, saß Ben noch im Wohnzimmer und arbeitete am Laptop.
Am nächsten Morgen stand ich auf, holte meine Kulturtasche und ging in den Stall.
Dort holte ich Catchi und Anne und machte sie fertig für den Transport.
Alex und Julien verluden die beiden Stuten, während ich mich von Ben verabschiedete.
Vicky legte mir das Brautkleid sorgfältig in den LKW und Anton setzte Charlie auf meinen Beifahrersitz.
Es ging alles super schnell - vom aufstehen bis zum los fahren vergingen keine zwei Stunden.
Die Fahrt am Steuer meines LKWs war wirklich beruhigend, mein Hund schlafend neben mir und zwei super Stuten hinten drin - es entspannte mich.
Nach 9 Stunden kam ich endlich an.
Sofort steuerte ich mein LKW auf Sabines Hof.
Es sah alles noch genauso aus wie damals und ich wurde ein bisschen nostalgisch.
Sofort kamen Theo, Sabine und Emil aus dem Haus und begrüßten mich herzlich.
»Komm schon her!«, rief Sabine mit offenen Armen, in die ich mich auch sofort fallen ließ.
Die Jahren gingen auch nicht spurlos an ihr vorbei. Ihr Gesicht war faltig geworden und ich glaubte sogar ein graues Haar gesehen zu haben.
Auch Theo fiel mir direkt in die Arme. So viel hatte sie sich nicht verändert, aber sie sah erwachsener aus als damals.
Bei Emil war es fast genauso - wenig Veränderung.
Charlie sprang vom Beifahrersitz und schien sich sofort wieder an die Umgebung zu erinnern. Erfreut wedelte er mit dem Schwanz und tapste über den Hof.
Emil machte die Verladerampe auf und begutachtete meine Fracht.
»Wo hast du denn Conti gelassen?«, fragte er ein bisschen schmunzelnd während er zu Catchi in den LKW ging.
»Dem Großen geht's gerade nicht so gut, aber es wird besser. Aber ich hab anderweitige Verstärkung mitgebracht. Das ist die kleine Anne - Verwandte von Conti«, sagte ich mit einem breiten Lächeln und nahm mir den Strick der Kleinen.
Emil und ich führten die Stuten in eine freie Box.
Es hatte sich viel getan auf dem Hof - viele Pferde kannte ich gar nicht.
Aber wen ich erkannte, war Möhrchen.
Der dicke Wallach mümmelte genüsslich sein Heu und sah gar nicht erst zu uns auf.
»So ein Vielfraß«, lachte ich und wuschelte durch seine Mähne.
Auch die anderen lachten.
Ich blieb lieber erstmal auf dem Hof. In das Haus meiner Mutter wollte ich nicht alleine gehen also machte mir Sabine ein Gästezimmer bequem.
Außer ein bisschen Geplauder mit Sabine, Theo und Emil tat ich an diesem Tag nicht mehr viel.
Ich musste mich von der langen Fahrt ausruhen und deshalb ging ich früh ins Bett.
Die nächsten zwei Tage machte ich wirklich nur das worauf ich Lust hatte. Ein bisschen Reiten, mit den Ponys mich beschäftigen, mit Charlie spazieren gehen, mich Sonnen, mich erholen.
Ich hatte keine Verpflichtungen oder Aufgaben - ich musste mich um nichts kümmern.
Auch mein Handy war nur ab und zu angeschaltet und selbst dann, antwortete ich nicht auf jede Nachricht.
Erst am nächsten Tag, der Tag vor meiner Hochzeit, wurde es nochmal spannend.
»Hey, Kleines«, hörte ich jemand hinter mir rufen. Sofort wanderte ein dickes Grinsen in mein Gesicht - ich wusste sofort, wer dort hinter mir in den Stall kam.
Als ich mich umdrehte und ihn erblickte, breitete ich sofort meine Arme aus, lief auf ihn zu und fiel ihm in die Arme.
»Nicht so stürmisch, Kleines«, lachte er und drückte mich einmal fest.
»Till, was machst du hier?!«, fragte ich immer noch total euphorisch und löste langsam die Umarmung.
»Was machst du hier - das ist die bessere Frage«, lachte er. »Spaß bei Seite, natürlich weiß ich, dass du schon vor ein paar Tagen angereist bist und da wollte ich dich mal entführen.«
»Entführen? Was hast du denn vor?!«
»Du - ich - Ausritt - See - JETZT!«, zählte er auf und sah mich mit einem breiten Grinsen an.
»Super gerne! Ich mach kurz Anne fertig und dann können wir los.«
Schnell putzte ich die junge Stute und warf meinen Sattel rauf.
Till freundete sich in der Zeit mit der Stute an.
»Sie erinnert mich an Rocky - ein tolle Stute«, schwärmte er und streichelte über ihre Nüstern.
»Willst du sie vielleicht reiten?«, fragte ich schmunzelnd während ich mit der Trense in der Hand neben ihm auftauchte.
»Darf ich denn?« Er schien wirklich überrascht, aber dennoch erfreut.
»Natürlich! Wenn ich einer Person mein Pferd anvertrauen müsste, würde ich immer wieder dich wählen«, lachte ich und drückte ihm die Trense in die Hand.
Das ließ er sich nicht zweimal sagen und trenste sofort meine Stute.
Ich durfte Don reiten, der angebunden auf dem Hof in der Sonne döste und auf uns wartete.
»Hey, Großer, lang nicht mehr gesehen«, begrüßte ich den hübschen Wallach bevor ich mich auf seinen Rücken schwang.
Wir ritten den selben Weg entlang wie damals immer und sofort fühlte ich mich wieder wie Zuhause. Alles war wie damals - alles war so schön.
Auch Till und ich fanden direkt ins Gespräch und es gab kein Stolperstein. Nach all den Jahren waren es immer noch Till und ich.
Und selbst ein doch so heikles Thema blieb nicht unausgesprochen - Nick.
»Hast du Nick schon Mal wieder gesehen?« fragte Till in einer nicht ganz so erfreuten Tonlage. Er schien nicht gut auf ihn zu sprechen zu sein.
»Hmm ne, der war in der ganzen Zeit, wo ich hier bin, nicht einmal am Hof. Kann ich aber gar nicht verstehen - der arme Möhrchen.«
Till lachte höhnisch.
»Pff Möhrchen, der interessiert Nick doch schon lange nicht mehr! Und bei Sabine auf dem Hof lässt er sich auch schon längst nicht mehr blicken - er ist ihm wohl nicht luxuriös genug. So ein Spinner!«
»Das glaub ich nicht, er liebt seine Familie und er liebt Möhrchen!«, stieß ich ein wenig irritiert aus.
»Dann glaub's mir halt nicht, aber seitdem er mit Franzi zusammen ist, ist er charakterlich ziemlich abgesunken.«
»Hmm, das könnte ich mir bei jedem vorstellen, bloß nicht bei Nick!«
»Conni, ich weiß, dass du denkst, dass hier alles Friede, Freude, Eierkuchen ist und wir total glücklich sind, aber auch wir erleben herbe Rückschläge und Freunde verwandeln sich in Feinde.«
»So schlimm wird Nick wohl nicht sein!«, versuchte ich immer noch Nick zu verteidigen.
»Schlimmer«, meinte Till und sah mich ernst an. »Du weißt ja, dass Franzi, Nick und ich in Kindertagen beste Freunde waren. Mit der Zeit wurde Franzi aber so eingebildet und Nick nabelte sich immer mehr ab - er fand neue Freunde. Das Spiel wiederholte sich in gewissermaßen wieder. Nachdem du weg warst, ihn alleine gelassen hast, fand er immer mal wieder zurück zu Franzi und mir. Noch war er ziemlich distanziert und er befasste sich immer noch überwiegend mit Jule, Maria und Eske. Unsere „Freundschaft" bezog sich nur aufs Reiten. Dann hast du dich aber so verändert, ihn so vor den Kopf gestoßen und ihm unendlich weh getan - Conni, er war so in dich verknallt...«
Ich unterbrach ihn ein wenig missmutig.
»Ich weiß, aber hätte ich es damals gewusst, wäre ich anders mit ihm umgegangen!«
»Franzi tat es auf jeden Fall. Auf jeden Fall war er an so einem Tiefpunkt, dass er in jeder Hinsicht verletzbar, aber zu Franzis Gunsten auch Formbar war - so wie du nach dem ganzen Scheiß bei dir.«
»Du willst mir also gerade sagen, dass das Ganze meine Schuld ist?«
»Nein, also nicht direkt. Du konntest nichts für deine Situation, Nick ebenfalls nicht. Franzi kann aber was dafür, denn sie hat das Schamlos ausgenutzt und den verletzlichen Nick ordentlich um den Finger gewickelt. Ich konnte dieses Hin und Her irgendwann nicht mehr ertragen und als Franzi Nick zu ihrem kleinen Doppelgänger machte, war ich raus - ich habe den Kontakt zu Franzi, zu Nick und zu ein paar anderen aus der Clique fast komplett abgebrochen. Moritz und ich sind durch die ganze Sache noch viel enger zusammengerückt und viele aus der Clique halten sich von Franzi nur noch fern - die Jungs zumindest.
Gerade die Mädels hängen Franzi immer noch so am Rockzipfel wie damals und finden alles so toll, was sie tut - eigentlich Schade drum, denn sie waren alle mal total lieb.«
»Warum hat mir denn keiner was davon erzählt?! Mit Sabine, Theo und Emil habe ich immerhin schon stundenlang geplaudert! Aber auch Moritz und Jule sind mir schon übern Weg gelaufen.«
»Ich glaube die Anderen wollten dich nicht mit sowas zu labern. Außerdem: was im Dorf geschieht, bleibt auch im Dorf. Du bist eher von außerhalb...«
Diese Worte verletzten mich schon ein wenig, aber ich hatte gar keine Zeit richtig drüber nach zu denken.
Wir bogen schon in diesem Augenblick links in das Gebüsch ein und waren an dem wunderschönen See.
Zuerst planschten Till und ich nur mit unseren Füßen im kühlen Nass, aber schon 10 Minuten später zogen wir uns aus und tauchten mit unseren Köpfen ein.
Es war wie damals, damals in München in unserem Haus.
Wir hatten keine Badesachen an, lediglich nur unsere Unterwäsche.
Aber wir waren auch direkt wieder so vertraut wie damals, weswegen ich zu keiner Zeit zögerte und mich einfach auszog - mich auch noch 5 Jahre später in meiner Unterwäsche vor ihm präsentierte.
Wir benahmen uns am See definitiv nicht unserem Alter entsprechend, sondern tobten wie damals als Teenager im Wasser und genossen das gute Wetter.
Erst am Abend machten wir uns so langsam auf den Weg nach Hause.
Wir ritten nicht, denn sowohl wir als auch die Pferde waren nass und ich wollte keine hässlichen Scheuerstellen riskieren.
Till und ich gingen neben unseren Pferden her, die Zügel hingen durch und die Stimmung war entspannt - zumindest bis Till mich an meine bevorstehende Hochzeit erinnerte.
»Und, bist du schon aufgeregt wegen morgen?«
»Erinnere mich bloß nicht daran! Ich bin so viel aufgeregter als bei der ersten Hochzeit. Ich glaube das liegt daran, dass Ben und ich uns gerade so gut verstehen, er das Missverständnis mit Frieda aufgeklärt hat und die Liebe zwischen uns stärker als zuvor ist.«
»Wenn du sagst, dass sich alles wieder zum Guten gewendet hat und er dich so liebt, wie du es verdienst, dann sehe ich da absolut kein Problem für morgen«, sagte er plötzlich in so einer komischen Tonlage und zuckte mit den Schultern.
Ich wusste sofort, dass ihn irgendetwas an meiner Aussage störte und sprach es natürlich sofort an.
»Wieso bist du jetzt so komisch - so distanziert?«
»Es ist nichts...«
»Komm schon - sag was dich bedrückt!«, forderte ich ihn erneut auf.
Er verdrehte leicht die Augen und blieb umgehend stehen.
»Hör zu, Conni, ich wollte es die ganze Zeit nicht ansprechen, aber ich glaube nicht, dass dein Ben so treu ist und alles sich geändert hat.«
»Aber, Till, er hat mich ja nie wirklich betrogen, es war wegen einem Fall in der Kanzlei und...«
»Oh nein, Constanze, fang nicht mit sowas an!« Er drehte sich zu mir um und umfasste leichte meine Wangen mit seinen großen Händen und sagte mit sanfter Stimme: »Ich weiß, dass ich dir schon viel unrecht getan habe und damals ein ganz schönes Ekel war, aber auf so eine Art und Weise hätte ich dir niemals weh getan! Er lügt. Constanze, er erzählt dir Märchen, um an dich, oder besser gesagt dein Geld, zu kommen.«
Ich runzelte die Stirn.
»Du kennst ihn doch gar nicht, aber trotzdem verurteilst du ihn! Till, du kannst das nicht wissen...«
»Bitte glaube mir, solche Typen lügen, um an Mädchen wie dich zu kommen! Du hast was besseres verdient«, unterbrach er mich.
»Das ist immer noch mein Verlobter - das ist nicht nur irgendein Typ! Till, ich will dir wirklich nicht zu nahe treten, aber du hast keine Ahnung...«
»Kleines, wenn du mir nicht glaubst, rede mit deinem Vater und frag ihn - er wird es dir sagen...«
Ein wenig enttäuscht von meinen Aussagen bewegte er sich wieder vorwärts und ging den Waldweg entlang.
Einen Moment blieb ich noch stehen und dachte über seine Worte nach.
Dann lief ich aber wortlos zu ihm und stiefelte mit meiner Stute hinterher.
***
»Frau Fiedler?«, sagte der Standesbeamte fragend nachdem ich ein bisschen zu lange geträumt hatte.
Meine Hände, die immer noch in denen von Ben lagen, fingen ein wenig an zu schwitzen.
Ben sah mich erwartungsvoll an.
»Ich frage noch einmal. Willst du, Constanze Luise Fiedler, den hier anwesenden Ben Fischer zu deinem dir angetrauten Ehemann nehmen? Dann antworte JETZT mit einem: Ja, ich will!«
Noch einmal sah ich in die Runde und diesmal blieb mein Blick bei Papa hängen.
Kurz vor der Trauung hatte ich ein Wörtchen mit ihm gewechselt und es verdrehte wieder alles.
Ich sah zu Frieda rüber, die eigentlich nur da war, weil Ben es so sehr wollte.
Ich sah zu dem Platz, wo meine Mutter gesessen hätte.
Ich sah zu Nick und Franzi.
Ich sah zu Theo.
Ich sah zum Standesbeamten.
Und dann wieder zurück zu Till.
Abschließend sah ich in Bens, immer noch erwartungsvollen, Augen.
»Ich... Ähm... Ich...«, stotterte ich, bevor ich noch einmal tief durchatmete und entschlossen antworten konnte.
»Ich kann das nicht...«
Ab dann ging alles ganz schnell.
Mit gesenktem Blick zog ich meine Hände von Bens und entfernte mich vom Altar.
Barfuß lief ich den Steg runter zu Till.
»Wirf mich rauf«, wies ich ihn mit einem hektischen, aber glücklichen Grinsen an und streckte ihm mein linkes Bein entgegen.
Sofort tat er was ich sagte und kein Wimpernschlag später saß ich auf dem Rücken von Anne.
»Hey, Kleines«, sagte Till und sah mit einem stolzen Lächeln zu mir auf.
Mit einem dankendem, anerkennendem Lächeln blickte ich zurück zu Till bevor ich einfach los galoppierte.
Die ganze Hochzeitsgesellschaft sah mir nach und ich wusste genau, wie geschockt sie zum Teil waren.
Aber mich konnte keiner mehr aufhalten. Ich wollte nicht mehr zurück dorthin und ich wusste, selbst wenn ich zurück käme, gäbe es immer noch Leute die mich wirklich mochten und wo ich verbleiben konnte.
Ich warf feierlich die Arme in die Höhe und ließ Anne den kilometerlangen Sandstrand
galoppieren.
Mein Schleier löste sich aus meinem Haar und flog davon.
Das war die letzte Last, die mich am Boden hielt.
Ich hatte wirklich alles los gelassen, nichts mehr hielt mich fest - ich war frei.
Wie es weiter ging, wusste ich noch nicht, aber es war irrelevant, denn am Ende des Tages hatte ich immerhin mich.
Der Weg war steinig, der Weg war lang, aber ich hatte es geschafft. Ich war nicht mehr die kleine, verletzliche Conni, denn ich bin erwachsen geworden, aber ich war trotzdem wieder Ich.
Ich habe den langen Weg bestritten und war wirklich zurück gekommen - zurück zu mir...
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