Tag X
Kurz vor meiner Prüfung wurde ich von den Moderatoren aufgerufen.
Überrascht ging ich in die Arena.
Jeder Platz war besetzt - die Halle war ausverkauft, komplett ausverkauft!
»Da kommt die jüngste Reiterin ja«, meinte der eine Moderator erfreut, der in der Mitte stand.
»Wunderhübsch ist die junge Constanze«, schmeichelte der andere.
»Hallo«, begrüßte ich die beiden und sprach in das Mikrofon, welches mir vorher gegeben wurde.
»Schön dass wir dich nochmal vor deinem letzten Ritt sprechen können. Wie ist es so vorerst auf dem ersten Platz zu sein? Bist du aufgeregt?«
»Es ist großartig! Ich freue mich riesig, dass sich meine harte Arbeit so auszahlt und ich hier sein darf! Aufgeregt bin ich nicht, ich bin den ganzen Trubel ja gewohnt und es ist für mich schon Routine.«
»So wirkst du auch auf uns. Total cool und als ob du nie was anderes gemacht hättest...«
Ich unterbrach ihn lachend.
»Hab ich ja auch nicht.«
Wir lachten.
»Ist es wahr, dass du den ganzen Tag nur reitest und die Seele baumeln lässt?«
Jetzt redete mal der andere Moderator.
»Schon, also natürlich trainiere ich hart und ich hab viele Pferde zu versorgen und wenig Freizeit, aber im Grunde genommen lebe ich den Traum vieler kleinen Mädchen. Es ist wirklich unbeschreiblich.«
»Wer unterstützt dich denn heute?«
»Meine Eltern und mein Freund.« Ich wusste, dass es die Jungs und Michael nicht mehr taten, deshalb erwähnte ich sie auch gar nicht erst.
»Dein Freund, das ist ein gutes Stichwort!«
Ich sah den Moderator verwirrt an. Dann wurde ein Video auf einer großen Leinwand abgespielt. Ich verstand gar nichts mehr.
Das Video bestand aus vielen schönen Momenten aus meinem Leben.
Meine ersten Reitstunden, Bilder von Theos Fotoshootings, Nick und ich, Bilder vom Buntenabend - mein halbes Leben lief in 1:12 Minuten vor den ganzen Augen der Zuschauer.
Das war so ein anderes Leben - so ein anderes Ich. Ich lachte, ich lebte, ich hatte Spaß!
Ich musste mir eine Träne wegwischen.
Die Moderatoren nahmen mich in den Arm und drückten mich einmal fest.
»Das war jetzt aber emotional«, sagte der eine schmunzelnd.
»Jetzt wird's aber noch emotionaler. Dreh dich doch mal um«, sagte der andere.
Ich drehte mich um und wen sah ich da?
Es war Ben, der mit einem Strauß roten Rosen und einem Ring vor mir kniete. Bevor er es aussprach, wusste ich schon worauf das hinauslief. Meine Augen füllten sich sofort mit Tränen und ich hielt meine Hand vor dem Mund. Ich nickte.
»Ja! Ja! JA!« Selbstverständlich wollte ich ihn heiraten!
Auch er wischte sich eine Träne weg und steckte mir einen wunderschönen Ring an.
»Sie hat JA gesagt!«, riefen die Moderatoren wie im Chor. Die Halle bebte und die Leute jubelten. Jeder freute sich für mich.
»Das meine Damen und Herren, war ein super Start für den Tag! Diese Gefühle, dieses Feuer und diese Leidenschaft sehen wir hoffentlich gleich im Parcours! Der erste Teilnehmer wird in 10 Minuten an den Start gehen! Macht euch bereit für einen großartigen letzten Tag bei der diesjährigen Europameisterschaft. Die hübsche Constanze wird als letzte an den Start gehen, die zwei Verliebten hier können sich erstmal ein bisschen entspannen.«
Ben und ich verließen winkend die Arena.
Ich zitterte noch vor Aufregung und wollte sofort meinen Freunden von meiner Verlobung berichten. Ich holte mein Handy raus und ging meine Kontakte durch.
Nick? Nein.
Theo? Nein.
Eske? Nein.
Maria? Nein.
Jule? Nein.
Emil? Lieber nicht.
Till? Auch nicht.
Franzi? Warum war die noch in meinen Kontakten?! Definitiv nein!
Marc? Ich hatte lange nicht mehr mit ihm geschrieben - nein.
Frieda! Ich rief Frieda an. Sie war ja meine ach so tolle Freundin geworden, dass ich nicht früher an sie dachte.
»Hey, Süße, du errätst nie, was gerade passiert ist!«, sagte ich glücklich als Frieda endlich ran ging. Noch bevor sie antworten konnte rief ich: »Ben hat mir einen Antrag gemacht!«
»Ich weiß! Ich hab's gesehen! Ich schaue mir die Liveübertragung im Fernseher an!«, rief sie kreischend ins Telefon.
»War das nicht süß?!«
Wie die pubertierenden Teenager kreischten wir und ich hüpfte auf der Stelle. Ich freute mich so unglaublich dolle! Der Tag konnte gar nicht mehr schlecht werden - dachte ich zumindest!
Angespannt sah ich den Reitern vor mir zu. Sie waren gut - sehr gut. Ich wurde ein wenig nervös. Ich hatte tatsächlich meine Mutter überredet Conti für mich fertig zu machen. Ich konnte mich dementsprechend nur auf mich konzentrieren. Mal wieder musste ich an Till denken und wie sehr ich ihn an meiner Seite haben wollte. Er hätte mir geholfen. Ich denke wären sie alle da gewesen, wären Nick, Emil, Till und Theo an meiner Seite gewesen, wäre es mit mir nie soweit gekommen. In meiner ganzen Zeit wieder in München fehlte mir die nötige Unterstützung. Natürlich hatte ich viele Freunde, die ich wirklich mochte, aber sie kannten meine Macken nicht, sie wussten nicht immer wer ICH war und konnten mir nicht gut genug helfen - auch wenn sie es versuchten.
Ich überspielte meine Unsicherheiten mit einem gekünstelten Lächeln und trat selbstbewusst auf. Niemand ahnte wie es in mir drinnen aussah. Niemand außer Conti.
Ich näherte mich meinem Pferd. Er legte wieder die Ohren an und schnappte nach mir.
Ich war geschockt, aber das konnte ich mir nicht anmerken lassen! Meine Mutter stand neben mir.
Ich sammelte mich und nahm seine Zügel in die Hand. Ich hatte noch eine gute halbe Stunde bis zu meinem Start und die nutzte ich um mein Pferd warm zureiten.
Es lief wirklich schlecht. Wir arbeiteten gegeneinander und ich hatte das Gefühl, dass er das mit Absicht machte.
So einen Ritt konnte ich mir in meiner Prüfung garantiert nicht leisten. Ich versuchte mein Pferd so gut es ging unter Kontrolle zukriegen, aber es nützte alles nicht. Im Endeffekt griff ich zu meinen Sporen und hoffte so auf ein besseres Benehmen meines Pferdes. Ich ritt wirklich selten mit Sporen, denn ich brauchte sie eigentlich nicht - erst recht nicht bei Conti!
Meine Laune spiegelte sich auch in meinem Ritt wieder. Mit den Sporen arbeitete ich viel zu dolle und die Zügel lagen viel zu fest in meinen verkrampften Händen. Tierliebe sah anders aus! Ich war wirklich so wie die meisten anderen Turnierreiter geworden und mein Pferd war mir nicht wichtig. Ich setzte den Sieg über seine Gesundheit.
Tatsächlich war ich zum Ende hin relativ zufrieden mit Conti auf dem Abreitplatz gewesen, denn nachdem ich die Sporen einsetzte, fügte er sich und tat im Groben und Ganzen das, was er sollte.
Kurz bevor ich dran war gab Ben mir noch einen letzten Kuss und meine Eltern wünschten mir viel Erfolg.
Die anderen sah ich nicht mehr.
»Meine Damen und Herren, freuen Sie sich auf unsere letzte Reiterin für heute.
Die gerade einmal 21-jährige Constanze Luise Fiedler und ihr 7-jähriger Ausnahme Hengst "Rock my life's Contenance" müssen fehlerfrei durch den Parcours kommen, um die diesjährige Europameisterschaft in der Vielseitigkeit zu gewinnen.«
»Ich glaube das wird kein Problem für dieses Dream Team sein. Die beiden haben uns ihr Können vorgestern schon in der Dressur und gestern auf der Geländestrecke unter Beweis gestellt und sind die heutigen Favoriten.«
»Ich bin genau der selben Meinung.
"Rock my lifes' Contenance" und Constanze, sind ein perfektes Team und es scheint so als könnten sie fliegen. Sie haben schon unzählige Erfolge vorzuzeigen und gewinnen eine Meisterschaft nach der nächsten.
Sie sind ganz klar meine Favoriten und wenn die heute nicht gewinnen, dann fress ich 'nen Besen«, ertönte es durch die Lautsprecher.
Wäre es doch nur so leicht gewesen, wie die Moderatoren meinten.
Ich Ritt in die riesige Arena und das Publikum klatschte und jubelte mir zu. Die Moderatoren verloren ein gutes Wort nach dem nächsten über mich und hatten richtig Freude an ihrem Job.
»Springen ist Constanzes Ding und auch ihr Pferd brennt für diesen Sport. Großartiges Duo! Jim, ich kann mich gar nicht mehr auf meinem Sitz halten.«
»Das wird ein großartiger letzter Ritt! Ich bin genauso hin und weg von diesem Traum Duo wie du, Joey, und ich glaube wir werden noch vieles von den beiden sehen.«
»Da bin ich mir sicher. Das wird ein entzückender Ritt!«
Aufgeregt schloss ich meine Augen und versuchte an einen schönen Ort zudenken. Ich versuchte an die schönen Zeiten an der Ostsee und an meine Freunde zudenken, aber mein Gehirn verknüpfte die schönen Ereignisse sofort mit nicht so schönen und ich bekam es einfach nicht hin mich zu konzentrieren.
Mein Startsignal ertönte, ich riss meine Augen auf und ritt einfach drauf los.
Den ersten Oxer übersprang ich gut. Die nächsten drei Sprünge klappten auch. Dann kam eine Kombination, nach der man eine enge Wendung reiten musste, um zum nächsten Sprung zu gelangen. Das war eine knappe Geschichte und ich schaffte es nur, weil ich Conti ziemlich stark am Zügel rumzog.
Die darauffolgenden Sprünge klappten wieder besser.
»Meine Damen und Herren, noch zwei Sprünge! Es riecht nach Sieg!«
Ich übersprang den vorletzten Sprung und der nächste war nicht mehr weit.
Wie in Zeitlupe schaute ich durch die Arena. Mein Blick schweifte zum Platzeingang - ich sah Michael. Er schüttelte verständnislos den Kopf. Er ging.
Ich versuchte mich wieder zu konzentrieren, aber ich konnte es nicht.
Ich Ritt den letzten Sprung an.
»Gleich ist es soweit! Die Distanz ist perfekt, sie springen perfekt ab und...«
»SANITÄTER!« Die Moderatoren und das Publikum waren geschockt. Alle in der Halle waren geschockt.
Meinen letzten Sprung setzte ich ordentlich in den Sand. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich hatte Conti noch einmal ordentlich vorwärts getrieben. Ihn irritierte meine grobe Art und obwohl alles perfekt schien riss er die Stange, welche sich zwischen seinen Beinen verfing und ihn zum stürzen brachte. Ich lag unter ihm begraben. Ich dachte jetzt sei es vorbei.
Sofort rannten Sanitäter zu mir. Ich konnte nicht aufstehen, mich nicht bewegen, nicht atmen, nicht denken.
Ich lag einfach nur am Boden.
Conti war schnell panisch von mir aufgestanden und Helfer versuchten den aufgebrachten Hengst wieder einzufangen.
Es wurde still um mich rum und ich wollte einfach nur schlafen...
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