Neues Ich
Ich drehte am Morgen schon meine dritte Runde in der Halle. Camelot war geritten, Catchi auch. Nun saß ich auf Conti und sprang ein paar Sprünge.
»Wollen wir ausreiten wenn du hier fertig bist?«, fragte Alex von der Bande aus.
»Keine Interesse, ich trainiere gleich ein bisschen Dressur«, sagte ich total fokussiert.
»Verstehe«, sagte er ein bisschen enttäuscht.
»Siehst du? So geht das schon seit Tagen«, meinte Alex besorgt auf der Stallgasse zu Ludwig.
»Ist mir auch schon aufgefallen. Die trainiert ja nur noch, jedes Pferd mindestens zweimal am Tag. Ihre Boxen mistet sie auch kaum noch selber«, sagte auch Ludwig besorgt.
»Michael hat mich auch schon gefragt, ob alles okay bei ihr ist! Wir machen uns wirklich Sorgen«, gab Isabell ihren Senf dazu.
Ich stieß zu ihnen.
»Was wird denn hier für ein Kaffeekränzchen gehalten? Ludwig, du hast zu tun«, sagte ich belehrend.
»Ich wollte gerade weiter machen«, meinte er.
Als ich nicht hinsah schaute er die anderen beiden mit hochgezogener Augenbraue an. So als wenn er sagen wollte: »Was sagte ich?«
So fing das Elend an. Zuerst war es nur übermäßiges Training, dann ließ ich jegliche Stallarbeiten von den Stallburschen machen und kam wirklich ausschließlich zum reiten. Ich erwartete selbst, dass meine Pferde auf- und abgesattelt wurden. Die Spitze des Eisberges kam dann aber noch.
»Ich muss mit dir reden, Conni«, rief Alex mich nach dem Training zu sich.
»Oh, Alexander. Vielleicht hast du es noch nicht mitbekommen, aber alle nennen mich nur noch Constanze. Ich bin nicht mehr Conni«, sagte ich entschlossen.
»Und genau das ist das Problem! Was stimmt denn nicht mit dir?!«
»Was sollte denn nicht stimmen?«, fragte ich sichtlich verwirrt.
»Einfach alles! An deinem 19. Geburtstag hast du den ganzen Tag nur trainiert, du lässt deine Stallarbeit erledigen, putzt ja nicht einmal deine Pferde selber. Außerdem nennst du mich Alexander und Conti ist nur noch Contenance!«
»Das ist doch Unsinn. Ja na klar hab ich mich verändert, aber wir alle verändern uns nun mal und meine Mutter hatte recht! Ich hab so viel Potenzial verschwendet, nur weil ich mein Training nicht ernst nahm. Naja, Zeiten ändern sich und ich bin einfach erwachsen geworden.«
»Ne, Conni, du bist verrückt geworden!«, sagte Alex und verabschiedete sich mit diesen Worten von mir.
In meinen Gedanken fand ich, dass Alex unerhört war. Sein Verhalten war kindisch und ich dachte, dass ich wirklich daraus gewachsen war.
Auch mit Julien und Anton fühlte ich mich irgendwann nicht mehr so verbunden. Natürlich wechselte ich noch ab und zu ein Wort mit ihnen, schließlich waren sie ein Teil meiner Familie, aber ich ging nicht mit ihnen auf Partys, traf mich nicht mehr mit unseren Freunden und blödelte auch nicht mehr mit ihnen rum.
Mit Frieda fühlte ich mich hingegen sehr verbunden. Wenn wir so über „erwachsenen" Zeugs redeten oder uns auf ein Glas Rotwein im Restaurant trafen und unsere gehässigen Mäuler über irgendwen zerrissen.
Körperlich war ich noch ich, aber geistlich war ich das, was aus mir gemacht wurde.
Ben fand meine Verwandlung gar nicht so schlimm. Er veränderte sich ehrlich gesagt eher mit mir. Wir wurden DAS Pärchen der gehobenen Kreise. Ich wurde das, was meine Mutter immer wollte - eine vornehme, versnobte Bonzengöre.
Ich traf eine wichtige Person nach der nächsten auf einem Sektempfang nach dem anderen und machte meinem Namen alle Ehre.
»Hallo Monsieur Laurent«, begrüßte ich einen französischen Modedesigner, welcher sich auf Reitklamotten spezialisierte.
»Ah, die kleine Fiedler. Schön Sie zusehen«, sagte er mit einem französischen Akzent und küsste schmeichelnd meine Hand.
»Entzückend sehen Sie aus«, sagte seine Frau.
Strategisch schmierte ich ihnen Honig ums Maul und präsentierte mich von meiner besten Seite.
Nach einem längerem, erfolgreichen Gespräch entfernte ich mich von dem Ehepaar und suchte meine Eltern.
Ich war weitaus die jüngste an diesem Abend. Es war ja auch eigentlich eine langweilige Gala, in der die neue Kollektion von Monsieur Laurent verkauft und der Gewinn gespendet werden sollte.
»Ich hab mit Monsieur Laurent geredet und hab einen neuen Sponsor am Haken«, prahlte ich stolz vor meinen Eltern.
Mein Vater nickte anerkennend. »Das ist meine Kleine.«
Meine Mutter schenkte dem keine große Aufmerksamkeit. Unser Verhältnis zueinander war schwierig geworden.
Ben hingegen gab mir einen anerkennenden Kuss auf die Stirn.
So gehoben und distanziert gingen wir immer miteinander um - auch Zuhause. Es gab kein liebevolles Miteinander mehr, welches für eine Familie ja eigentlich typisch war. Wir gingen wie Geschäftspartner um.
Das war mein neues Leben - mein neues Ich.
Als Nick im Sommer zu Besuch kam, war alles so furchtbar kompliziert. Ständig erinnerte er mich an die alten Zeiten und kritisierte mich in allem, was ich tat.
»Conni, du hattest ein hartes Jahr, aber das gibt dir nicht das Recht, so mit deinen Pferden umzugehen. Du reitest grauenvoll!«
Dass ich meine Pferde längst nicht mehr als Freunde sondern als Sportgeräte nutzte, war jedem aufgefallen, außer mir. Ich sah kein Problem in meinem Handeln und dementsprechend verteidigte ich mich auch.
»Ach, Nick, seit Monaten haben wir kaum noch Kontakt und du nimmst dir wirklich das Recht raus mich zu kritisieren?! Du kennst mich doch schon lange nicht mehr!«
»Deine Art und Weise zu reiten ist schrecklich und ganz gegen deine früheren Prinzipien! Du erzählst so einen Scheiß, aber in einer Sache stimme ich dir zu: ich kenne dich wirklich nicht mehr...«
Nicht einmal 48 Stunden blieb er auf dem Hof. Gerade als ich wieder trainierte, stieg er einfach ins Auto und fuhr davon. Ich war sogar sauer, dass er sich gar nicht richtig verabschiedet hatte und nur ein Zettel auf meiner Windschutzscheibe hinterließ.
Ich pack das nicht, es tut mir leid.
Du kannst dich wieder melden, wenn du wieder Conni bist.
~Nick
Ich meldete mich nicht mehr bei ihm - nie mehr.
Dass ich die Schuldige der Situation war, wollte ich nicht einsehen und dementsprechend hegte ich meinen Hass gegen Nick.
Ich dachte wirklich, ich bräuchte ihn nicht - ich bräuchte sie alle nicht.
Auch Till begegnete ich im Sommer auf einem Turnier. Natürlich hatte er von meiner Situation gehört und versuchte mit mir darüber zu sprechen.
»Hey, Kleines«, meinte er ein wenig bedrückt.
»Hallo, Till.«
»Ich will gar nicht lange drum herum reden. Was ist bei dir los?«, fragte er mit ernster, ja sogar bisschen trauriger Stimme.
»Fang du jetzt nicht auch noch damit an. Bei mir läuft alles bestens«, entgegnete ich ein bisschen genervt.
»Nein, Conni, eben nicht!«
»Constanze...«, verbesserte ich ihn.
»Boah sag ich doch! Was ist nur aus Conni geworden? Hat dich das mit Rübchen so umgehauen?«
»Pff, das mit Rübchen ist nun mal passiert und ich bin sogar froh drüber! Meine Mutter hatte immer recht, er war nur eine Ablenkung! Ich bin gerade so viel besser dran - ohne ihn.« Ich drehte mich um und ging.
Natürlich ließ er mich nicht in Ruhe und kam mir nach.
»Sag mal spinnst du? Du redest gerade über Rübchen! Dein Rübchen! Das beste Pony der Welt? Erinnerst du dich!«
Ich verzog das Gesicht und drehte mich schlagartig zu Till um.
Aufgrund meines abrupten stehenbleiben stießen wir fast gegeneinander und Till musste eine Art Notbremse machen.
»Du hörst mir jetzt zu! Ich bin nicht mehr die kleine, naive Conni! Ich bin nicht mehr so verletzlich und zart - ich tue jetzt, was ich will! Ich zeig euch wie stark Constanze Luise Fiedler ist!«, sagte ich energisch und ging. Ich ließ ihn einfach stehen. Er sah mir nur fassungslos hinter her.
Das was ich Till an den Kopf warf, war meine Interpretation von Emils Worten. Dass er damals aber eigentlich was ganz anderes meinte, verstand ich nicht. Zumindest wollte ich es nicht verstehen.
Ganz ohne Lampenfieber und nur auf mich fokussiert, ritt ich an diesem Tag den Parcours fehlerfrei. Für den ersten Platz reichte es trotzdem nicht. Schon wieder überholt - überholt von Till.
Egal wie viel ich trainierte, wie sehr ich mich fokussierte und mit mir selbst ins Gericht ging, besser als Till ritt ich nie.
Eine ganze Turniersaison lag hinter mir und ich gewann nur, wenn Till nicht gegen mich ritt.
Er hatte irgendwas, was ich nicht hatte - er war etwas, was ich nicht war.
Unzufrieden trainierte ich also den ganzen Winter lang härter als jemals zuvor.
An manchen Abenden waren meine Beine wund gescheuert, meine Hände trotz Handschuhe blutig, meine Füße voll mit schmerzenden Blasen und mein Kopf voll mit Zweifeln. War ich gut genug? Reichte meine Mühe aus? Wird sich das Ganze irgendwann mal auszahlen?
Ich trainierte über meine körperlichen Grenzen hinaus und auch meine Pferde litten unter meiner Art.
Conti packte ich nur noch in Watte. Zum Training bandagierte ich seine Beine mehr als nötig, um sie ja nicht zu schädigen.
Auf die Weide kam er nur noch mit Allegra. Keine anderen Pferde - keine anderen Gefahren. Ich hatte Angst, Angst dass der einzige männliche Nachfahre von Rocky sterben könnte.
Conti war Goldwert für die Zucht und das war das Einzige, woran ich dachte.
Dass dieser Hengst mir einst die Welt bedeutete und ich so glücklich war ihn zu haben, vergaß ich in dieser dunklen Zeit meines Lebens.
Zu meinem 20. Geburtstag, pünktlich zur neuen Turniersaison, kaufte ich mir ein neues Pferd.
Es war eine 6-Jährige braune Vielseitigkeitsstute. Sie hieß Limited Edition, wurde aber Edda genannt.
Edda war wirklich was außergewöhnliches, so wie Pommes mit Softeis oder Popcorn mit Käsesauce. Man ist doch immer bei solchen ungewöhnlichen Kombinationen zuerst Skeptisch, aber wenn man sich erstmal verliebt hat, dann gibt es kein Zurück mehr.
Sie war nicht so wie die anderen, sie gab es nur einmal.
Mit ihr orientierte ich mich immer mehr zur Vielseitigkeit. Springen alleine wurde mir zu langweilig. Conti hatte auch Spaß an der Arbeit auf dem Geländeplatz. Und Catchi konnte sich bei den weitläufigen Gelände auch mal richtig austoben.
Meine ersten Vielseitigkeitsturniere gewann ich mit Edda schon in dieser besagten Turniersaison.
Die Siege mit Conti ließen aber auch nicht lange auf sich warten. Conti war einfach unglaublich talentiert am Sprung und brachte in der Dressur das mit, was Edda fehlte - eine überragend aktive Hinterhand.
Ich war wirklich am Höhepunkt meiner Karriere.
Nach vielen, sehr vielen, Erfolgen setzte ich meinen ersten für mich zählenden Meilenstein.
Ich hatte mich tatsächlich für die Europameisterschaft des darauffolgenden Jahres qualifiziert. Mit meinem Conti sollte ich wirklich in der Vielseitigkeit an den Start gehen!
Als ich das erfuhr, setzte ich mich direkt wieder auf mein Pferd und trainierte eine Runde.
Ich hatte es schon längst aus dem Schatten der kleinen Kadermaus geschafft. Ich war etwas!
Den Winter nutzte ich um mich intensiv mit Michael auf die bevorstehende Zeit vorzubereiten. Er kannte sich in der Branche einfach aus und ich wusste, dass der einstige Vielseitigkeitschampion mir am meisten lehren konnte.
Dass der Trainer meine Reitweise schon längst nicht mehr unterstützte und garantiert nicht gut hieß, war aber total irrelevant.
Meine Art und Weise zu reiten sah er unter Turnierreitern oft und wusste worauf er achten musste. Beim Training war er also der knallharte Trainer, der keine zwischenmenschlichen Gefühle zuließ. Er behielt immer einen gewissen Abstand.
Dass er mich abseits des Trainings kritisierte, wusste ich, aber es war in meinen Augen nicht wichtig. Zugegeben hätte ich ohne Michael nicht so viel erreicht und erst recht nicht so schnell in der Vielseitigkeit Fuß gefasst.
Deshalb wollte ich es mir mit ihm nicht verscherzen.
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