Gemischte Gefühle
Der Winter war ziemlich kalt. Es schneite ununterbrochen und der Boden unter dem Schnee war spiegelglatt gefroren. Ausreiten ging in dieser Zeit nicht - zu gefährlich wäre es für die Pferde gewesen.
In dieser Zeit schwang meine Stimmung wieder ein wenig um.
Ich hatte schlechte Laune und auch das Reiten brachte mir keinen Spaß.
Das was mir aber am wenigsten Spaß machte, waren die Turniere, die ich immer noch reiten musste.
Das Angebot des Sponsors aus Amerika hat er erstmal auf Eis gelegt.
Da Conti zu der Zeit nicht ordentlich reitbar und erst recht nicht für's Turnier geeignet war, wurde er uninteressant.
Dafür wurde Catchi interessant.
Es hieß immer, nur noch ein bisschen Arbeit und dann nehmen wir die Stute anstelle des Hengstes.
Meine Mutter machte natürlich ordentlich Druck. Was wäre ich nur für eine Tochter gewesen, wenn ich International noch erfolgreicher geworden wäre und meine Pferde in die ganze Welt verkauft hätte?! Wenn ich den Namen Fiedler unvergesslich gemacht hätte?!
Was für einen Traum würde ich dann leben? Oder besser gesagt, wessen Traum würde ich dann leben?!
Nach wie vor kam ich mit diesem Druck nur schlecht klar und ohne eine Auszeit von dem Ganzen verfiel ich wieder ein wenig in alte Muster.
Das was mich aber ein Stückweit rettete, war Alex, der mich nicht wieder in mein Loch fallen ließ, und die Vorfreude auf die Fohlen, die bald kommen sollten.
Das erste Fohlen war von Grace - anders als beim letzten Mal.
Außerdem bekam sie diesmal ein schönes Hengstfohlen.
Fini bekam das nächste Fohlen - eine kleine Stute.
Jolly bekam erneut einen kleinen Hengst genauso wie auch kurz darauf Didi.
Nur Trullis Fohlen ließ auf sich warten.
»Drei Hengste und bis jetzt erst eine Stute, könnte besser sein huh?«, meinte Alex zu mir nachdem er mal wieder Trullis Euter begutachtete. »Das dauert hier noch. Hoffentlich wird das mal ein Mädchen.«
»Stimmt, so viele Hengste können wir dann auch nicht behalten. Außerdem brauchen wir mal ein paar neue Stuten für die Zucht. Ich werde mal bei einem befreundeten Züchter anrufen - vielleicht tauscht er ja eine Stute gegen einen unserer Hengste«, sagte ich schulterzuckend und lehnte mich gegen Trullis Box.
»Vielleicht.« Alex ging rüber zu Jolly Roger. »Der Hengst ist ein kleiner Frechdachs.«
»Das hab ich auch schon bemerkt - ein richtiger kleiner Draufgänger«, schmunzelte ich.
»Der wird bestimmt mal ein richtiger Prachtkerl, aber bestimmt richtig eigen.«
»Ich glaube auch, dass er nicht so umgänglich sein wird, wie Conti es mal war...«
»Constanze, hör schon auf sowas zu sagen. Conti ist immer noch der Selbe. Man muss halt nur wissen, wie man mit ihm umgeht.«
»Es ist meine Schuld und ich habe Angst, dass ich die Jungpferde genauso schlecht behandeln werde.«
»Jetzt hör auf! Du kannst dich mittlerweile ziemlich gut im Zaum halten und du kannst wirklich zufrieden mit deiner jetzigen Situation sein! Natürlich bist du noch lange nicht perfekt, aber das ist okay. Ich meine, Stanley liebt dich abgöttisch und auch mit Catchi und Camelot läuft es gut.«
»Aber Conti...«
Er unterbrach mich.
»Nein nichts Conti! Sei einmal mit dem zufrieden, was du hast!«
»Es ist nur, dass ich bald die Jungpferde einreiten kann und was ist, wenn es nicht gut läuft? Werde ich wieder so verzweifeln?!«
Mal wieder drehte ich aufgeregt an meinem Verlobungsring.
»Ich bin doch für dich da! Ich werde es nicht soweit kommen lassen - jetzt weiß ich ja, was für Hebel ich bei dir betätigen muss. Außerdem hast du ja auch noch die Zwillinge, Frieda und vor allem Ben - du bist nicht alleine!«
»Womöglich hast du recht und ich mach mir viel zu viele Gedanken, aber der ganze Druck in letzter Zeit macht mich fertig. Ich meine, die Sache mit den Fohlen, die Jungpferde, dann kommen die Stuten auch bald wieder ins Training, Catchi und der Sponsor, dann ist da noch Conti und ich hab auch in zwei Monaten Geburtstag. Außerdem werde ich in drei Monaten HEIRATEN! Ich - heiraten! Das ist noch so surreal. Die Planungen laufen auf Hochtouren und alles wird so pompös!« Ich sackte in mich zusammen und wiederholte das, was ich in Vergangenheit schon so oft sagte. »Es ist einfach alles viel zu viel.«
»Das kann ich verstehen. Also ich hab Vicky noch keinen Antrag gemacht und ich weiß auch ganz genau wieso«, schmunzelte er. »Aber wenn du Hilfe brauchst, dann frag einfach. Ich würde sogar für dich die Kleidanprobe machen.«
Jetzt lachten wir beide.
»Das Kleid ist zum Glück schon bereit für die Hochzeit, aber du würdest bestimmt einfach entzückend in dem ganzen Tüll aussehen.«
»Ich wäre die schönste Braut, die es jemals in der Geschichte der Hochzeit gegeben hätte.«
»Und wie du das wärest.«
»Ach, Constanze, ich freue mich schon richtig auf die Hochzeit - das ganze Glitzer, die Blumen, die Musik, der Tüll, die Limousine, das Schloss, der Alkohol.« Das letzte Wort betonte er so lustig und ich wusste auch ganz genau wieso.
»Du alte Schnapsleiche«, lachte ich. »Ich freue mich auch es endlich hinter mir zu haben. Viel zu lange warte ich auf diesen Tag.«
»Hast du dir schon ein Kopf darüber gemacht, welches Pferd mit auf die Hochzeit kommt?«
»Keins. Ben mag die Pferde nicht und er will auch keine auf seiner Hochzeit...« Ich zog ein wenig enttäuscht meine Mundwinkel nach unten.
»Aber das ist nicht nur seine Hochzeit - es ist auch deine!«
»Ich weiß, aber das ist schon seit Wochen das Streitthema Nummer eins und ich habe einfach kein Nerv mehr dazu.«
»Aber du wirst doch wohl auch entscheiden dürfen. Er muss ja die Pferde nicht streicheln - tut er so ja auch nicht.«
»Meine Mutter ist da auf seiner Seite. Die beiden haben die Hochzeit bis ins kleinste Detail durchgeplant und für meinen Wunsch ist da einfach kein Platz...«
Traurig drehte ich wieder an meinem Verlobungsring. So allmählich fiel mir auf, dass selbst meine Hochzeit mir entglitt und jeder die Entscheidungen traf, nur nicht ich.
Es fing ja schon beim Kleid an.
Damals als ich mit meiner Mutter, meiner Oma, Frieda, den Zwillingen, Vicky, Clarissa, Isabell, Tine und Papa im Brautmodengeschäft war, wollte ich eigentlich ein ganz anderes Kleid.
Mir war sofort eine zarte A-Linie mit fließendem Stoff, langen Ärmeln, wenig Tüll und kein Glitzer ins Augen gefallen. Zur Anprobe kam es dann auch, nur kam das Kleid nicht bei allen so gut an, wie bei mir.
»Och, Constanze sieh dich doch mal an. Du siehst aus wie eine Bettlerin!«
»Das ist doch kein Brautkleid, das ist ein Bettlaken.«
»Schätzchen, das kannst du auf einem Sektempfang tragen, aber doch nicht auf deiner Hochzeit.«
»Das ist viel zu Schlicht!«
»Du siehst aus wie das hässliche Entlein.«
»Das passt doch gar nicht zum Rest der Hochzeit.«
»Und jetzt sieh doch mal auf den Preis! 750€ - das ist ja peinlich!«
Spotteten Tine, Frieda, meine Oma und meine Mutter abwechselnd.
Papa hielt sich größtenteils raus. Aber wie hätte er auch eine Meinung haben können, wenn er nur am Handy war?
Tine war diejenige, die dieses pompöse Prinzessinnenkleid, mit langer Schleppe, Schleier, massenhaften Tüll und Glitzer bis zum Umfallen entdeckte.
Natürlich musste ich es anprobieren.
Zu meinem Pech stand es mir auch noch richtig gut und die meckernden Damen von eben, lobten dieses Kleid.
»Du siehst umwerfend aus!«
»Das ist ja schon viel besser.«
»So lass ich dich heiraten!«
»Viel besser als der Putzlappen von eben.«
Ich hingegen war nicht wirklich überzeugt von dem Kleid.
»Ich weiß nicht, können wir noch ein anderes probieren?«
»Ach Quatsch, hör schon auf zu maulen. Tine hat so ein schönes Kleid gefunden, was Schöneres wirst du nicht finden!«, sagte Mama übergriffig mit einer wegwerfenden Handbewegung.
»Also ich finde, dass wir Constanze wenigstens nochmal die Chance lassen sollten«, verteidigte mich Vicky.
»Ich finde auch nicht, dass sie so glücklich in ihrem Kleid aussieht«, meinte auch Julien.
»Papalapapp! Das Kleid ist so schön, das kaufen wir!«, sagte meine Mutter stur und hielt der Verkäuferin schon ihre Kreditkarte unter die Nase.
Ich betrachtete mich nochmal im Spiegel.
Wer war die hübsche Blondine im weißen Kleid da nur? Ich war's nicht.
Noch einmal drehte ich mich zu allen Seiten, hob den Tüllrock an und zupfte den Schleier zurecht. Es half alles nicht - das Kleid wurde einfach nicht besser! Es war nicht DAS Kleid - es war nicht MEIN Kleid.
Aus Traurigkeit lief mir eine Träne über die Wange.
»Seht ihr, da habt ihr es! Die Freudenträne! Es ist IHR Kleid«, sagte Tine, die absolut keine Ahnung hatte.
»Das Kleid nehmen wir!«, sagte Mama endgültig zu der Angestellten, die nur nickte und mit ihr zur Kasse ging.
Ich konnte nichts mehr sagen. Mein Schicksal wurde besiegelt - mein Kleid gekauft.
6500€ hat das Kleid gekostet, was ich nicht einmal haben wollte. Aber was war das schon für meine Eltern? Soviel gaben wir manchmal nur an einem Abend im Restaurant aus.
Ein anderer Punkt war die Location. Ich wollte eine kleine, ruhige Hochzeit, mit meinen Pferden, irgendwo in der Natur - am liebsten am Meer. Mama und Ben hatten da aber einen ganze anderen Plan.
Über 1000 Leute, ein riesiges Schloss, ein Filmteam, eine Band - nichts, was ich wollte...
Aber ich fügte mich und Alex vermittelte ich trotzdem, dass ich glücklich war und mich freute, auch wenn es nicht ganz so war.
Nochmal kamen wir nicht auf das Thema zurück. Zu aufregend war alles andere, was passierte.
***
Im April besserte sich meine Laune enorm.
Das Wetter war wieder gut und wir konnten wieder regelmäßig ausreiten. Die Ausritte auf Stanley waren wie eine Therapie für mich und ich brauchte das richtig zum runterkommen.
Ich hatte gerade angefangen die Jungpferde auszubilden und gerade mit der kleinen Stute von Trulli hatte ich so meine Probleme.
Diese Stute hatte wirklich Feuer unterm Hintern und die Arbeit mit ihr war nicht immer leicht - sie trug ihren Namen nicht umsonst!
Ohne Alex hätte ich mich manchmal nicht an die Arbeit mit der Kleinen begeben.
Die anderen Pferde waren aber definitiv umgänglicher und gerade die kleine Anne war ein Traum unterm Sattel.
Ihr Vater hatte ihr viel mitgegeben...
Ich war nicht immer emotional komplett stabil und an manchen Tagen musste einfach Alex für mich einspringen.
Aber im Großen und Ganzen kam ich wirklich gut klar mit meinem Leben - zumindest bis zum Vorfall...
Anfang Mai machte sich dann auch Trullis Fohlen auf den Weg.
Es war ein warmer Tag, an dem die Sonne fast ununterbrochen schien. Nur manchmal schob sich eine kleine Quellwolke für einen kurzen Moment vor die Sonne.
Es war ein perfekter Tag, der mit einem perfekten Abend enden sollte.
Ich ritt mal wieder aus.
Alex und ich hatten einfach eine kleine Runde im Gelände geplant.
Wir ritten zusammen ohne Sattel auf Rose.
Die robuste Stute konnte uns ohne Probleme tragen und wir hatten einen riesigen Spaß.
Wir galoppierten durch den Wald, sodass der Boden unter uns bebte.
Die Sonne stand schon tief und lange sollte es nicht mehr hell draußen sein. Trotzdem war es noch angenehm warm draußen und nur ab und zu wehte ein kleines Lüftchen, welches mir ein wenig Gänsehaut bereitete.
Der Ausritt lockerte mich und ich konnte anschließend ganz entspannt mit meinen restlichen Pferden arbeiten.
Mit Edda machte ich ein paar Dressurübungen in der Halle und mit Catchi sprang ich ein bisschen.
Als letztes Ritt ich die kleine Anne an diesem Tag ein bisschen.
Bei den Jungpferden achtete ich steht's auf ein abwechslungsreiches Training.
Noch ritt ich sie nicht so oft und wenn ich sie ritt, dann nicht so lange.
Ich schaute auf mein Handy. 22:54 Uhr zeigte das Display. Eigentlich war es schon viel zu spät zum reiten und keiner war mehr im Stall. Die Bereiter waren Zuhause, die Stallburschen auf ihren Zimmern und die Pferdebesitzer waren erst recht nicht mehr da.
Alle lagen schon in ihren Betten und schliefen - dachte ich zumindest.
Gerade als ich fertig war mit dem Reiten und Abstieg, kam Ben in die Halle.
Ich sah ihn verblüfft an. Er war nie im Stall.
»Was machst du denn hier?«
»Bist du fertig mit Carla - oder ist das Anni?«
Mein Verlobter wusste nicht einmal, wie meine Pferde hießen - wie traurig war das denn?!
»Also zuerst mal das ist nicht CATCHI, sondern ANNE. Und das wird nicht Anni ausgesprochen, sondern Ä-N-N-I! Aber ja, ich bin fertig«, sagte ich ein bisschen genervt.
»Ist ja auch egal welchen Gaul du reitest, sehen ja sowieso alle gleich aus. Aber ich wollte dir nur sagen, dass ich nochmal los fahre - wegen der Hochzeit und so.«
»Ja aber, ich dachte wir...«, ich verstummte.
Noch bevor ich ausreden konnte, war er schon mit einer verabschiedenden und sehr eingebildeten Handbewegung weggegangen.
»Wow!«, sagte ich böse vor mich hin.
»So ein Idiot!«
Anne schnaufte zustimmend.
»Du siehst überhaupt nicht aus wie die anderen - du bist so einzigartig und wunderschön. Fast genauso wie dein Vater«, entschuldigte ich mich bei meiner Stute als ob sie mich verstehen konnte.
Ich ging mit der hübschen Stute aus der Halle und schaute mich noch einmal auf der Stallgasse um.
Rechts. Links. Nein - keiner war mehr da.
Nur das gleichmäßige Kauen der teuren Pferde oder ab und zu ein leises Schnaufen war zu hören.
Ich machte Anne schnell fertig und stellte sie in ihre Box.
Nichts war anders als sonst.
Wie immer zog ich den Sattelschoner über das saubere Leder und brachte das Equipment in die Sattelkammer.
Gerade als ich den Sattel nach oben auf die Halterung hievte, knallte es auf der Stallgasse unüberhörbar laut.
Ich erschrak, rannte aber auf der Stelle dem Geräusch nach.
Da war es wieder. Es krachte. Es knallte. Dieses dumpfe krachen wiederholte sich immer wieder.
Es war Trulli, die sich voller Schmerzen gegen ihre Boxenwand schmiss.
»Hey du Schöne - hör schon auf!«
Ich ging mit einem Halfter sofort in ihre Box.
Trulli hörte aber nicht auf sich gegen die Wände zu schmeißen und ich konnte ihr das Halfter nicht anziehen.
Voller Panik griff ich ihr in die Mähne und versuchte sie von der Wand weg zuziehen.
»Jetzt komm schon her!«
Für einen Moment hörte sie auf.
Ich nutzte die Chance und zog ihr das Halfter an.
Sofort fing sie an sich untern Bauch zu treten.
»Was ist denn los du Baby-Mama?! Macht das Baby sich auf den Weg?«
Beruhigend streichelte ich die hübsche Stute und es schien wenigstens für einen kurzen Moment zu helfen.
Ich hielt die Stute am Halfter fest und wartete bis sie sich hinlegte.
Zum Glück tat sie das dann auch recht zügig.
Noch nie zuvor hatte ich eine Stute gesehen, die solche Schmerzen hatte beim Abfohlen.
Die Geburt lief auf Hochtouren und alles, bis auf die Schmerzen von Trulli, schien vorerst normal.
Nach einer kurzen Zeit geriet die Geburt aber ins Stocken.
»Okay, meine Hübsche, dein Fohlen steckt fest. Aber keine Panik, das hatte ich schonmal. Damals haben wir zwei süße Fohlen aus einer Mama gezogen. Wir schaffen das«, sagte ich und versuchte so eher mich als die Stute zu beruhigen.
Bei jeder Wehe zog ich an den kleinen staksigen Beinen des Fohlens.
Aber es half nichts. Ich war einfach nicht stark genug.
Aufgeregt rief ich Alex an.
»Hast du mal auf die Uhr geguckt?«, fragte er als er ranging.
»Ja hab ich! Aber ich bin im Stall...«
Er unterbrach mich.
»Im Stall? Es ist 00:32 Uhr - was machst du da?«
»Das wollte ich doch gerade erzählen! Trulli bekommt gerade ihr Fohlen, aber es steckt fest«, rief ich aufgeregt ins Telefon.
»Dann zieh bei jeder Wehe an den Beinen.«
»Das hab ich doch schon längst versucht! Ich bin aber nicht stark genug.«
»Hättest du dich mal nicht vor der Stallarbeit gedrückt«, witzelte er.
»Haha, sehr lustig. Kannst du bitte kommen?« Ich hörte mich an wie ein kleines Mädchen, die ihren großen Bruder um Hilfe bat.
»Kannst du nicht Ludwig oder Marieke fragen? Ich bin gerade bei Vicky und wir haben uns wirklich lang auf diesen Abend gefreut...«
Diesmal unterbrach ich ihn.
»Bitte, ich brauche dich...«
»Ist ja schon gut, ich ziehe mich kurz an und komme. Ich bin so in 20 Minuten da.«
»Danke...«, murmelte ich noch und legte dann auf.
Die Wartezeit fühlte sich an wie eine Ewigkeit, in der ich nicht tatenlos zusehen konnte.
Immer mal wieder zog ich dem Fohlen an den Beinen und tatsächlich bewegte sich etwas.
»Okay, Süße, gleich ist es geschafft! Vielleicht schaffen wir es ohne Alex - du musst dich jetzt nur nochmal ordentlich anstrengen.«
Und wieder zog ich bei der nächsten Wehe.
Trulli atmete schwer.
Ein letztes Mal zog ich an den Beinen.
Ein letztes Mal lehnte ich mich richtig nach hinten.
Es half!
Das Fohlen kam endlich raus und plumpste ins Stroh - so wie ich auch.
Durch das abrupte Nachgeben des Wiederstandes, fiel ich nach hinten.
»Sieh dir dein Baby an! Du hast es geschafft du Baby-Mama!«
Ich streichelte der erschöpften Stute über den Hals ehe ich mir das Fohlen ansah.
Irgendwas stimmte nicht - irgendwas stimmte ganz und gar nicht!
Das Fohlen atmete schwer und die ersten Versuche sich auf zustellen waren auch anders als normal.
Es versuchte immer wieder aufzustehen, aber bis auf ein Gezappel mit den Beinen passierte nicht viel. Das Kleine lag auf der Seite und hat sich nicht hoch bekommen.
Mit all meiner Kraft versuchte ich das arme Geschöpf hinzustellen, aber es fiel sofort wieder zur Seite.
Trulli hatte das Fohlen nicht einmal angerührt - sie hatte nicht versucht sich um ihr Kind zu kümmern!
Da wusste ich, dass etwas ganz schief lief.
»Nein, komm her Trulli. Du musst dein Kind trocken lecken und ihm hoch helfen. Komm schon her - das ist doch dein Baby!«
Ich wurde von Sekunde zu Sekunde trauriger.
Langsam setzte ich mich zu dem kleinen Geschöpf und fing an es mit Stroh trocken zu reiben.
»Komm schon! Dein Kreislauf muss in Schwung kommen. Du schaffst das!«
Das kleine Fohlen riss seine Augen panisch auf und zappelte hin und her.
Mit den kleinen Beinen strampelte es und versuchte sich immer wieder von der Seite auf den Bauch zurollen - ohne Erfolg.
Ich führte noch ein letztes Mal Trulli zum Fohlen. Sie ging sofort wieder weg. Sie hatte ihr Fohlen aufgegeben.
Ich aber nicht!
Ein weiteres Mal setzte ich mich zu dem kleinen Wesen ins Stroh und nahm sein Kopf auf meinen Schoß.
»Du wirst das schaffen und dann wirst du über unsere riesigen Wiesen laufen können. Ich verspreche dir, dass ich dich retten werde!«
Wo blieb nur Alex?!
Ein Blick auf die Uhr verriet, dass erst 15 Minuten vergangen waren. So ein Mist!
Die Atmung des Fohlens ließ langsam nach und es wurde ruhiger.
»Oh nein! Das machst du nicht! Komm schon!«
Ich fing an zu weinen. »Hör nicht auf zu atmen!«
Ich rüttelte das kleine Wesen und aktivierte nochmal alle seine Kräfte. Aber ob es das besser machte?
Es fing an sich ein weiteres Mal zu quälen. Das Adrenalin schoss nur so durch den kleinen Körper und es versuchte noch einmal aufzustehen - wieder erfolglos.
Ich wusste, dass es vorbei war.
Langsam legte ich den kleinen Kopf, der wie wild hin und her geworfen wurde, wieder auf meinen Schoß und hielt ihn fest.
»Sch... Ist gut. Hör schon auf dich zu wehren...« Meine Tränen fielen nur so auf den kleinen Körper herab, der sich allmählich beruhigte.
Es wurde still. Das Fohlen wehrte sich nicht mehr. Nur noch ein schweres Atmen vernahm ich.
Vorsichtig streichelte ich über den Körper.
»Ich bin hier - du darfst gehen... Mach es dir nicht schwerer als es ist.«
Mir wurde abwechselnd heiß, dann wieder kalt und dann wieder heiß. Meine Augen brannten und ich konnte vor lauter Tränen kaum noch was sehen.
Ein Windstoß zog durch den Stall. Das Fohlen hörte auf zu atmen. Ein letztes Mal zuckte der kleine Körper und seine Augenlider klappten auf - dann war es vorbei. Noch bevor der Wind vorbei gezogen war...
Ich brach zusammen. Ein lautes Schluchzen tönte durch die Stallgassen, dicht gefolgt von einem verzweifeltem Schrei.
Ich weinte so sehr, dass ich gar nicht merkte, dass Alex neben mir auftauchte.
»Constanze, was ist passiert?«, fragte er geschockt als er mich weinend in der Box sitzen sah.
»Es ist tot! Der Wind hat es einfach mit genommen!«, schrie ich verzweifelt und warf weinend meinen Kopf zurück.
»Komm schon her - komm in meinen Arm!« Er war so fürsorglich und hob mich direkt vom Boden auf.
Sofort legte ich meinen Kopf an seine Brust und weinte einfach in ihn rein.
»Es wäre ein Hengst gewesen - ein schöner, korrekt gebauter Hengst!«, schluchzte ich.
Alex nahm mich nur noch fester in den Arm.
»Es ist nicht deine Schuld - das passiert einfach«, versuchte er mich aufzuheitern.
Es half aber nichts. Das war mein erstes Fohlen, welches es nicht geschafft hatte und ich konnte das nicht ertragen.
»Soll ich dich in deine Wohnung bringen?«
»Lass mich nicht alleine...«
»Du hast doch Ben.«
»Der ist nicht da...«
»Wenn du willst, bleibe ich solange bis du eingeschlafen bist.«
»Und was ist mit dem Fohlen? Ich will es nicht alleine lassen!«
»Du hast schon genug gemacht. Hör schon auf zu weinen. Ich klopf gleich bei Marieke, die wird sich dann um das Ganze hier kümmern. Komm schon, wir gehen ins Bett.«
»Und was ist mit Vicky?«
»Die ist nicht böse - sie wird das verstehen.«
Sachte nahm er meine blutverschmierte Hand und zog mich langsam hinter sich her.
Wir gingen ins Haus, wo wir zuerst bei Marieke klopften.
Alex erklärte ihr schnell was geschehen war. Sie machte sich sofort auf den Weg in den Stall und wir gingen in meine Wohnung.
Ich konnte die ganze Zeit nicht aufhören zu weinen.
Mühsam zog ich meine Reitsachen aus, wusch meinen von der Geburt verdreckten Körper in der Dusche und schlüpfte anschließend in etwas gemütlicheres.
Alex lag schon im Bett und öffnete die Decke für mich.
»Jetzt geh schlafen - ich bin hier.«
»Ich will aber nicht - ich kann nicht...«, schluchzte ich.
Alex wischte mir eine Träne aus dem Auge und nahm mich fest in den Arm.
»Was heute passiert ist war nicht deine Schuld und sowas passiert einfach. Beschäftige dich nicht mehr damit und schlaf jetzt.«
»Ich weiß, dass das nicht meine Schuld ist, aber ich hatte mich so sehr gefreut und jetzt ist alles wieder zu Nichte gemacht worden - ich war doch gerade glücklich!«
»Constanze, du kannst immer noch glücklich sein! Auch wenn das jetzt dein Glück ein bisschen überschattet, ist es nichts, was dich runterziehen sollte.«
»Tut es aber.«
»Sollte es aber nicht.«
»Aber, Alex, ich kann da doch nichts für!«
Schwungartig setzte ich mich auf und sah ihn an.
»Doch kannst du! Für deine Einstellung bist du ganz alleine verantwortlich. Ich sage nicht, dass der Vorfall dich kalt lassen soll, aber du musst anfangen auch mit Rückschlägen umgehen zu können. Ich kann nicht immer da sein...«
»Vielleicht hast du recht, aber ich stehe so unter Druck, da wirft mich sowas halt einfach aus der Bahn!«
Ich fing wieder fürchterlich an zu weinen.
Alex setzte sich auf und legte meinen Kopf auf seinen Schoß.
»Ist okay, du solltest jetzt einfach schlafen. Lass uns morgen weiter reden.«
Er kraulte mir beruhigend durch die Haare und ich fühlte mich gleich schon viel geborgener.
Einschlafen konnte ich trotzdem nicht.
Immer wenn ich die Augen schloss, schoss das Bild des Fohlens direkt in mein Gedanken. Diese Schmerzen. Dieses Leid.
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