Der Wind dreht
Die nächsten Monate waren voll mit Turnieren, die ich nicht immer so ernst nahm, wie ich es hätte tun sollen.
Zuhause herrschte immer mehr Stress, denn meine Mutter fiel so langsam in alte Muster zurück.
»Constanze, wenn du deine nächste Turniersaison genauso in den Sand setzt, wie du es mit der letzten getan hast, dann gebe ich Conti und Catchi in die Obhut von besseren Reitern. Mir reicht es mit dir! Deine Pferde haben so viel Potenzial und du sollst sie nur auf Turniere gut präsentieren. Du blödelst aber lieber mit Rübchen oder Allegra im Stall rum, gehst auf Partys ohne Ende und hast nur deine Freunde im Kopf!«, meckerte sie Anfang Herbst.
Die Sonne schien zwar noch oft und es war schön draußen, der Altweibersommer war aber zu Ende und ohne Fleecejacke und Stirnband ging ich nicht mehr raus.
»Ist ja gut, aber ich bin in der blühte meines Lebens und ich möchte nicht immer nur auf dem Pferd sitzen. Das ist ein Vollzeitjob und anders als du, arbeite ich hart!«, protestierte ich.
»Pff, Constanze, also das ist lächerlich. Hör auf so mit mir zureden und tue einfach das, was ich sage! Ich hab dich in jede Stunde von Elaine und Michael eingetragen, du wirst die Winterpause für's ambitionierte Training nutzen und wehe dir du schwänzt die Stunden! Entweder reitest du besser oder die Pferde sind weg!« Mit diesen Worten verabschiedete sich meine Mutter unsanft von mir.
Ich saß in der Bibliothek und laß mal wieder nach langer Zeit mein Lieblingsbuch.
Ich verstand zwar wieso ich das Buch als Kind so gerne mochte, aber nun wo ich reiten konnte, musste ich an vielen Stellen schmunzeln. Dieses Buch war einfach an vielen Stellen unrealistisch überzogen und hatte mit der Wirklichkeit wenig zu tun.
Ich kannte den harten Turnieralltag, was es bedeute kranke Pferde zu pflegen oder Boxen bis zum umfallen auszumisten. 365 Tage im Jahr war ich für 11 Leben verantwortlich und bald sollten sogar noch fünf dazu kommen. Ich wusste, was es bedeutete, alles für diese Tiere zu opfern und mich selbst erst an letzte Stelle zusetzen. Dieses Mädchen im Buch war so naiv und wusste absolut nicht wie hart das Leben wirklich sein konnte.
Die erste Dressurstunde bei Elaine hatte ich schon am nächsten Wochenende. Conti war alles andere als gut drauf, er war gestresst und aufgeregt.
Ich wusste, dass ich die Reitstunde nur annähernd akzeptabel reiten konnte, wenn Allegra dabei war.
Elaine sah das nicht gerne und auch an diesem Tag verwies sie Allegra aus der Halle.
Natürlich diskutierte ich mit der Frau, zuhören wollte sie mir trotzdem nicht.
Zu allem Übel trainierten wir auch noch in der Halle auf der linken Seite des Hofes, die mit der großen Tribüne. Es war die Showhalle des Hofes und ich hasste sie. Ich hatte regelmäßig schon genug Turnieratmosphäre und deshalb trainierte ich nicht oft in der Halle. Auch Conti hasste die Umgebung sehr.
Natürlich machte Conti keine gute Figur unter mir. Er verweigerte sich, riss den Kopf wie eine Giraffe nach oben, schlug unruhig mit dem Schweif, tippelte seitwärts, scheute, bockte und reagierte absolut nicht auf meine Hilfen. Elaine machte mich für dieses Verhalten verantwortlich und meckerte in einer Tour.
»Jetzt treib ihn doch mal richtig vorwärts!« »Kannst du überhaupt reiten?!« »Dein Pferd macht was er will!«
Ach echt? Hab ich noch nicht bemerkt. Das war das, was ich am liebsten entgegnet hätte. Stattdessen versuchte ich mein Bestes und ritt ihn so, wie es mir Jahrelang beigebracht wurde.
»Gott, Conni! Was tust du denn jetzt?! Mehr Schenkel und weniger Zügel! Nicht ziehen, drücken!«
Irgendwann kapitulierte ich und wehrte mich gegen ihre teils unberechtigten, fiesen Kommentare.
»Mein Pferd ist unruhig und braucht seine Schwester! Bei allem Respekt, ich kenne mein Pferd weitaus besser als du es tust und auf diese Art und Weise kann man kein Pferd effektiv reiten!«
»Wenn dir mein Training nicht gefällt, dann kannst du gehen!«, meinte sie mit starker Stimme.
»Es ist nur, dass ich so nicht...«
»Hör auf zu reden! Wenn du denkst, dass du alles besser weißt, warum machst du es nicht besser?! Ich bin hier die Trainerin und du hast zu tun was ich sage!«
»Ich will doch nur, dass ich ordentlich reiten kann!«
»Wer denkst du wer du bist?! Das hier ist mein Unterricht und ich habe genug! Kein von daher gelaufenes Mädchen wird mich belehren!«
»Ich bin einer der besten Reiter hier am Hof und es ist nicht fair von dir mich so zu behandeln!«
»Wenn du das denkst, dann liegst du deutlich falsch! Du hast gute Pferde, aber die Reitausbildung der meisten anderen ist weitaus professioneller! Du reitest nicht halb so gut wie die anderen! Du kannst jetzt gehen!«
Meine Augen füllten sich mit Tränen.
»Das ist nicht fair. Ich...«
»Wage es nicht zu weinen! In meinem Unterricht wird nicht geweint! GEH!«, schrie sie so energisch, dass ich zusammen zuckte.
Bis aus der Halle schaffte ich es meine Tränen zu halten, dann liefen sie unaufhaltsam.
Elaine wagte es wirklich mit mir, der Stallbesitzerin, so zureden - diese Frau hatte wirklich vor gar niemanden Angst.
Ich war wirklich fertig mit der Welt.
Nicht nur, dass ich extra Stunden reiten musste damit ich Mama zufrieden stellen konnte - nein, ich wurde auch noch an jeder Ecke kritisiert. Das war zu viel. Das kannte ich einfach nicht.
Zu meinem Glück kam Theo schon eine Woche später und arbeitete sich wirklich schnell ein.
Sie machte wirklich alles auf dem Hof - reiten, misten, unterrichten.
Jede freie Minute verbrachte sie aber mit Rocky. Er hat ihr wirklich sehr gefehlt und man merkte, dass die beiden füreinander bestimmt waren. Ich hätte mir niemals vorstellen können, wie es ist, dass jemand mein Herzenspferd bei sich stehen hätte und ich es aber nicht einfach besuchen könnte. Ich musste in dieser Zeit oft an Rübchen denken und ging des Öfteren an seiner Box vorbei, einfach nur umzusehen, ob er noch da war, was er selbstverständlich immer war.
Das Training mit Elaine verlief auch besser. Zumindest seitdem ich sie in ihre Schranken wies.
Es war mal wieder an einem Tag, an dem Conti nicht gut drauf war. Ich nahm selbstsicher Allegra mit in die Halle. Natürlich meckerte sie mich sofort an und wollte mich sogar gar nicht erst aufsteigen lassen. Ich sah sie mit neutralem Gesichtsausdruck an und sagte dann kühl: »Ich kann hier tun und lassen, was ich möchte! Du hast dich hier an meine Regeln zu halten und wenn es dir nicht passt, dann musst DU gehen und ich meine garantiert nicht nur aus der Reitstunde! Lass mich jetzt durch zu meinem Pferd oder du warst längste Zeit auf meinem Hof geduldet.«
Ein bisschen frech ging ich an ihr vorbei und stieß sie leicht, aber spürbar, mit meiner Schulter an.
Ab da an ließ sie mich in Ruhe. Sie hatte tatsächlich einen gewissen Respekt vor mir gewonnen und blieb immer soweit es ging auf Abstand.
Die restlichen Monate des Jahres vergingen wirklich schnell. Ich ritt ziemlich viel und hatte meinen Fokus wieder fast zu 100% auf den Pferdesport gerichtet.
Natürlich vernachlässigte ich meine Freunde nicht und auch für Partys nahm ich mir noch ausreichend Zeit, aber ich vernachlässigte auch das Training nicht und gab mich meinem Schicksal so hin.
An Sylvester reflektierte ich mein vergangenes Jahr und es war einer der ereignisreichsten meines Lebens. Ein Umzug, ein Führerschein, ein Freund, ein Auto, ein LKW, ein Hof, eine Gerichtsverhandlung, ein Welpe - der längst kein Welpe mehr war -, fünf Pferde, zwei Brüder, neue Freunde - alles Ereignisse, für die ich unglaublich dankbar war.
Die meiste Zeit verbrachte ich eigentlich nur noch auf dem Hof. Die Jungs waren in eine freie Wohnung auf dem Hof gezogen und ich schlief zu 80% auch nur noch dort. Für meine Eltern war das total in Ordnung - ich war immerhin 18.
Ich hatte mich immer mehr abgenabelt und traf eigene Entscheidungen.
Ich hatte so ein Gefühl, ein gutes Gefühl, was das neue Jahr betraf. Das neue Jahr sollte mein Jahr werden und eigentlich waren alle Weichen zu meinen Gunsten gestellt.
Dass mein Gefühl sich aber täuschte und alles ganz anders kommen sollte, das musste ich relativ schnell begreifen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro