Kapitel 38
Eine gewisse Zeit verging, in der sich Florian keinen Millimeter rührte, und ich mir immer mehr Sorgen machte, ob etwas passiert war, und ob er überhaupt noch aufwachen würde. Doch kaum hatte ich die schlimmsten Szenarien durch gedacht, begann sich mein Freund neben mir langsam zu bewegen, und er setzte sich wieder auf. "Langsam, Florian", bremste ich ihn, denn er tat das schon mit einem ziemlichen Schwung. Er lächelte mich kurz matt an, und starrte dann in die Leere.
Zuerst machte ich mir nicht die größten Gedanken, doch dann begann der Junge neben mir plötzlich zu zucken, sich zu winden, und schmerzerfüllt zu schreien. Ich merkte, wie er versuchte, seinen Blick eisern auf einen Punkt vor ihm zu richten, damit er sich besser konzentrieren, und die Schmerzen, die wohl gerade aufkamen in Grenzen zu halten. Moment mal... Schmerzen?! Ich hatte das Gefühl, in mir legte sich ein Schalter um, und ich begriff es wieder. Bestimmt versuchte Tobi gerade, wieder auf Florian über zu springen!
"Nicht dieses Mal, Tobias. Nicht dieses Mal. Sonst kippe ich endgültig um", bettelte Florian mit erdrückter Stimme, als könnte er so wirklich mit seinem Bruder reden. Florians Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. "Aber wenn ich es nicht machen würde, wäre das doch langweilig", diesmal sprach die Stimme von Tobi, so wie auch vorher, als Florian bei uns war. Ich hätte ihm in der Situation so gerne geholfen, doch ich hatte sowas noch nie zuvor erlebt, und somit keine Ahnung, was zum Geier ich tun sollte. Ein letztes Mal schrie Florian noch auf, dann hatte er den Kampf wohl verloren.
Mit stählernem Blick wurde ich angestarrt. Ich hatte keine Ahnung, ob ich jetzt ganz normal mit Tobi kommunizieren konnte, dadurch das er den Körper gewechselt hatte, doch ich wollte es einfach mal probieren. "Gibt es etwas, dass du mir sagen möchtest, Tobi?", versuchte ich es einfach mal mit möglichst entspannter Stimme. Tatsächlich bekam ich eine Antwort von Tobi. "Mein kleines, blondes Schnukelchen ist so bescheuert", sagte die ekelhafte, rauchige Stimme, die ich mittlerweile so gut kannte. Mit dem blonden Schnukelchen war wohl Flo gemeint, dem ich nach wie vor auch in die Augen stierte. Ich hatte keine Ahnung, wie das, was gerade passierte funktionierte, doch ich probierte einfach Dinge aus.
"Da erzählt er dir einfach seine ganze Lebensgeschichte, obwohl er genau weiß, dass er mich nie los wird. Er weiß genau, dass er über dieses Thema nicht zu sprechen hat. Also hat der Junge diesen Schmerz verdient!", nahm Tobi wieder den Gesprächsfaden auf, und lachte ein grauenhaftes Lachen. Was er sagte, drehte mir den Magen um, denn er hatte absolut unrecht. Ich begann, noch böser zu schauen.
"Nein!", widersprach ich mit fester Stimme, "Keiner hat Schmerz verdient, und Florian schon gar nicht. Du hast ihm zwölf Jahre lang genug Schmerz zugefügt, langsam reicht es, Tobias. Vielleicht ist eure Beziehung sehr problematisch, aber lass dir eines sagen. Florian. Hat. Diese. Schmerzen. Nicht. Verdient." Ich sprach ganz langsam, aber trotzdem mit wütender Stimme. Ich wollte das Tobi meine Botschaft ganz klar und deutlich verstand.
In Florians Gesicht breitete sich das gleiche hässliche Lächeln aus, das Tobi immer trug. Meine Güte, das stand dem Blondschopf gar nicht. "Du stehst wohl auf meinen Bruder?", fragte er, denn scheinbar war ich zu offensichtlich gewesen. "Nein", sagte ich wieder mit festem Ton. Ich wusste genau, dass das gelogen war, denn in mir zog sich alles zusammen. Dennoch musste Tobi soetwas schon gar nicht wissen. Ich wurde mit noch einem letzten, hässlichen Grinser angestarrt, bevor Tobi die Verbindung wohl unterbrach.
Ich hoffte mit jeder Ader meines Körpers, dass jetzt wieder der alte Florian neben mir sitzen würde, und kein komischer, geisteskranker Typ ihn mehr kontrollierte. Mein Freund blickte mich mit einem müden Blick an, seine Augen waren bis zum Anschlag mit Tränen gefüllt. Er lächelte mich matt an, dann kippte er vor mir um und fiel zu Boden.
Ich erschreckte mich zu Tode, als Florian kurz davor war, mit dem Kopf am Waldboden aufzuschalgen. Schnell legte ich meine Hand in den Weg, damit er wenigstens etwas weicher landen würde. Ich spürte einen Aufschlag auf meiner Hand, und da lag der Junge schon mit halb geschlossenen Augen auf dem Boden. "Das ist alles so eine verdammte Scheiße", presste er mit seiner allerletzten Kraft hervor. Dann ließ er seine Augen endgültig zufallen, und sein Kopf sank langsam zur Seite. Dann lag er komplett still.
Mein Herz begann vor Aufregung und Angst zu rasen. Ich zog meine Hand langsam unter seinem Kopf weg, denn irgendwie machte es mich anders noch nervöser. Wieder dachte ich an die schlimmsten Dinge. Doch meine größte Sorge schrumpfte kein bisschen. Lebte Florian noch?
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