Kapitel 31
"Jetzt sag schon was du willst, Tobi. Ich hab nicht ewig Zeit", fauchte ich mein Gegenüber an. Ich wusste nicht, woher ich plötzlich diesen Mut nahm, doch ich ließ es einfach geschehen. Würde ich mich dagegen wehren, würde es das wahrscheinlich nicht gerade besser machen.
"Ich habe so lange auf diesen Moment gewartet!", eröffnete Tobi, und grinste wieder böse. "Welchen Moment?", quatschte ich dazwischen. "Unterbrich mich nicht, Halbblut!", schrie Tobi mir ins Gesicht. Konnte dieser Junge überhaupt normal sprechen, geschweige denn lächeln? Offensichtlich nicht. "Auf diesen Moment dich endlich dein Schicksal erfahren zu lassen", fuhr Tobi unbeirrt fort, als hätte ich ihn nie unterbrochen, "Du, Anna. Du bist das erste Halbblut deiner Generation. Wenn wir das erste Halbblut töten, gibt es niemanden, der anderen Halbblütern etwas über ihre Existens sagen kann, und damit die Entdeckung unserer Welt riskiert. Ich und die Lupus inkognito. Wir haben schon so lange darauf gewartet, dich zu finden. Aber wir wissen, dass du von Adam umsorgt wirst, als wärst du seine Tochter. Viele der Dunklen sind leider auf seiner Seite. Wir werden so viele Wölfe wie nötig beseitigen, und irgendwann kreigen wir dich."
Wieder ein böses Grinsen seinerseits. Mir lief sofort ein eiskalter Schauer über den Rücken, doch ich belies diesen Schauer in mir, und ließ mir nach außen hin nichts anmerken. Ich starrte Tobi immernoch stumm an. Da ergriff plötzlich Florian hinter mir das Wort, und trat einen Schritt nach vorne. Nun stand er wieder neben mir. Mit seiner rechten Hand drückte er mich sanft hinter sich. Offensichtlich wollte er das nun alleine mit Tobi klären.
Die Stimmung wurde noch angespannter, als Florian zu sprechen begann. "Tobias", sagte er mir leiser, aber scharfer Stimme, "Reicht es nicht, dass du unsere Mutter getötet hast? Musst dir jetzt auch noch Anna holen? Diese geheime Gruppe hat dich quasi vergiftet, Tobias! Bitte, lass deinen Hass auf Halbblüter doch endlich fallen, es hat keinen Sinn mehr. Deine Mutter selbst war eine von ihnen!"
Mein Atem stockte. Hatte Florian gerade "unsere Mutter" gesagt? Er und Tobi waren doch nicht etwa... "Mutig, dass du dem Halbblut jetzt schon verrätst, dass du mein Bruder bist", sprach Tobi meine Vermutung laut aus. Heilige Scheiße! Was?! Tobi und Flo waren Brüder?! Darauf musste ich erstmal klar kommen. So gerne hätte ich mich jetzt einfah auf den Boden sinken lassen, und darüber nachgedacht. Aber das konnte ich nicht tun. Tobi würde es bemerken, und mich sofort wieder als schwach abstempeln.
"Du lenkst vom Thema ab, Tobias!", erinnerte Flo seinen Bruder, "Wenn es dich so glücklich stimmt, dann bitte. Töte. Töte die Wölfe, die es in deinen Augen nicht anders verdient haben. Aber lass dir eins gesagt sein. Ich werde nicht ruhen. Keine Sekunde. Ich werde Anna beschützen, mit meinem Leben. Dieses tolle Mädchen hat es nicht verdient, von euch niedergemezelt zu werden. Ich sage es dir hier und jetzt, Tobias. Ich beschütze jeden, der mir wichtig ist, auch wenn ich mich dabei gegen mein eigenes Rudel stelle. Nicht so, wie bei allen anderen, die du getötet hast. Ich werde nicht einfach dumm daneben stehen. Ich werde es in die Hand nehmen!"
Wow. Dieser Blondschopf war so unglaublich mutig. Ich wünschte, ich könnte das auch. Während er mit seinem Bruder gesprochen hatte, hatte er kein einziges Mal mit der Wimper gezuckt, kein einziges Mal hätte er auch nur daran gedacht, nachzugeben. Florian meinte es ernst. Er wollte mich mit seinem Leben beschützen. In diesem Moment konnte ich mein Glück kaum fassen, und die Schmetterlinge in meinem Bauch überschlugen sich. Das war schon wieder echt zuviel für einen Tag. Ich hatte mich immernoch nicht daran gewöhnt, und war einfach viel zu schnell überfordert.
Tobias seufzte, und löste kurz den Augenkontakt zu seinem Bruder. Florian hatte ihn wohl echt überrascht! Doch diese Überraschung wollte er sich nicht anmerken lassen, und stellte den Augenkontakt innerhalb kurzer Zeit wieder her. "Jetzt sag ich dir mal was, Kleiner", fauchte er Flo entgegen, "Ist ja süß, dass du das machen willst, aber vergiss dabei eine Sache nie. Vergiss nicht, was ich mit dir machen kann."
Diesmal war es wohl Florian, der sich etwas überrumpelt fühlte, und den Augenkontakt abbrach. Als er den Blick das nächste Mal hob, starrte er in den tiefen Wald. Tobi war verschwunden. Nun waren wir wieder zu zweit. Er und ich, als wäre nie etwas passiert.
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