Kapitel 19
Zu diesem Zeitpunkt war ich mir sicher, dass sich ein Lauf in den Wald noch nie so lange angefühlt hatte. Gerade hatte ich ihn betreten, als ich mich verwandeln wollte. So ganz klappte das heute irgendwie nicht. Da meine Konzentration im Moment nicht gerade anwesend war, konnte ich meine Wolfsform nicht gut halten. Immer wieder wurde ich kurz zum Menschen.
Aus Gewohnheit rannte ich einfach Richtung Rudel, denn etwas Besseres wollte mir einfach nicht einfallen. Ich wusste, niemand würde mich sehen, doch nach wie vor hielt ich meine Tränen zurück.
Als vielleicht die Hälfte der Strecke geschafft hatte, konnte ich nicht mehr, ich war mit meinen Nerven einfach am Ende. Es fühlte sich an, wie ein Segen, als vor mir ein Baumstumpf zu sehen war, und rund um diesen nichts. Ich sammelte meine letzten Kräfte, um mich bis zum Baumstumpf zu kämpfen, dort verwandelte ich mich zurück, und lies mich einfach nur noch auf ihn fallen. Dort saß ich nun, und brach in einem Wasserfall von Tränen aus. Das Gefühl, welches ich in diesem Moment hatte, ist schwer zu beschreiben. Im Prinzip fühlte es sich an, als würde ich von meinem Leben erdrückt werden.
Minuten um Minuten verstrichen, in denen ich einfach da saß, und den Waldboden anstarrte. Es fühlte sich an, als wäre ich um nichts im Leben fähig, hier wieder aufzustehen. Falls man das, was ich tat, überhaupt noch als Leben bezeichnen konnte. Eigentlich sollte ich tot sein, und diese ekelhafte Tatsache durchbohrte meinen ganzen Körper, wie viele, kleine, spitze Gegenstände. Pfeilspitzen, oder so.
Nach längerer Zeit konnte ich meine Gedanken endlich ein wenig von diesem Thema abwenden, und fragte mich, ob mich hier auf diesem einsamen Baumstumpf mitten im Wald jemals jemand entdecken würde.
Ich schreckte hoch, als ich gerade nach diesem Gedanken ein Rascheln im Unterholz vernehmen konnte. "Wer ist da?!", versuchte ich mit meiner tränenertränkten Stimme in den Wald zu rufen. Ich bekam keine Antwort. Jedenfalls nicht direkt. Als dann ganz plötzlich ein weißer Wolf direkt vor meinem Geischt stand, erschreckte ich mich wahrscheinlich nochmal, denn damit hatte ich definitiv nicht gerechnet.
Ich gab mir ein paar Augenblicke Zeit, um mich wieder zu fangen, dann begann ich unwillkürlich meinen Gast etwas genauer zu betrachten. Irgendwo hatte ich diesen Wolf doch schon einmal gesehen! Dann sah ich diese eine Erinnerung vor meinem inneren Augen aufblitzen. Es war dieser eine weiße Wolf, den ich gesehen hatte, bevor ich zum ersten Mal die Dunklen traf!
Meine Tränen waren noch nicht versiegt, aber hatten wenigstens schon abgenommen. Trotzdem war ich immer noch nicht im Stande, den Wolf zu begrüßen. Außerdem wartete ich immer noch auf eine eventuelle Rückverwandlung seinerseits.
Als hätte er gewusst, was ich gedacht hatte, verformte sich der Wolf vor mir, dann stand da plötzlich ein bildhübscher Junge. Seine blonden Haare wurden von der leichten Brise elegant zur Seite geweht, und seine eisblauen Augen blitzten mich regelrecht an. Etwas überfordert quetschte ich ein Lächeln auf meine Lippen. Dann drangen auch schon die ersten Worte aus dem Mund des Jungen.
"Was ist passiert?", wollte er wissen. Er sprach so zärtlich und vorsichtig, dass ich mir nicht mal sicher war, ob er wirklich mit mir redete. Diese Stimme hatte so etwas herrlich mysteriöses. Als der Fremde keine Antwort von mir erhielt, ergriff er wieder das Wort. "Was auch immer es ist, es in dich hinein zu fressen, ist nicht gesund, und das Problem lösen wird es schon gar nicht", fuhr er fort, "Mein Name ist Florian, aber bitte Flo für dich. Und ich weiß, du hast mich noch nie zuvor gesehen, aber ich gebe dir hier und jetzt die Chance, über das Problem zu reden. Ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass es sich mit Fremden leichter über Probleme spricht."
Ich hatte nicht die geringste Zeit, auch nur irgendetwas zu erwidern. Schon lies sich Florian neben mich plumpsen und sah mich erwartungsvoll an.
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