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Schweigend fokussierte Hermine mit ihren Augen einen unbestimmten Punkt in der Ferne. Sie brauchte irgendetwas, an dem sie sich festhalten konnte, sonst würde sie in Ohnmacht fallen. Zumindest hatte sie das Gefühl, dass das passieren würde, sobald sie ihren Blick von ihm abwandte.
Ron war sauer auf sie. Sehr sauer sogar, mehr als sauer. Er war aufbrausend und reagierte schnell über, das wusste sie schon seit Jahren, aber dennoch verletzte sie es. Es tat weh, ihn so zu sehen und es schmerzte, dass sie der Grund für seine Qualen war. Warum nur hatte sie das gemacht? Warum war sie mit Draco ausgerechnet in dieses Cafe gegangen? Am liebsten hätte sie sich die Haare gerauft, doch das wollte sie nicht vor Ginny tun, die sie abwartend ansah.
Ginny hatte die absolute Wahrheit verdient und dazu gehörte, dass Hermine sich zusammenreißen und stark bleiben musste. Sie würde ihr alles erzählen und das ohne jegliche Anzeichen von Schwäche. Sie hatte nicht verdient, jetzt getröstet werden zu wollen, nicht nach dem, was sie da gerade getan hatte. Ron würde ihr nie wieder verzeihen.
Na gut, vielleicht doch. Irgendwann. In einer fernen Zukunft. In einer sehr fernen.
Sie räusperte sich, um ihre Stimme nicht allzu dünn und leise klingen zu lassen und nahm ihren Mut zusammen, den Blick von dem Punkt abzuwenden, um Ginny direkt in die grünen Augen sehen zu können. Ihre Atmung war tief und ruhig und trotzdem fühlte sie sich wie in einem Haifischbecken. Nur das sich vor ihr kein Hai, sondern ihre beste Freundin befand.
,,Draco hat sich wirklich geändert", fing sie mir langsamer Stimme an. ,,Er ist anders. Ja, ich weiß, er hat schreckliche Dinge getan, aber das haben wir alle." Sie wartete ab, ob Ginny etwas sagen würde, doch ihr Gegenüber blieb vollkommen ruhig und gefasst und hörte ihr einfach nur zu. Eine Eigenschaft an ihr, die Hermine besonders schätzte. Ginny konnte zuhören. Einfach nur zuhören und nichts weiter.
Etwas ruhiger fuhr sie fort. ,,Er war nicht er selbst. Seine Familie war voller Todesser. Er wurde zu einem erzogen, er konnte nichts dagegen tun. Ihre Werte und Vorstellungen wurden ihm aufgezwungen und naiv wie er war, hat er sie geglaubt. Und selbst als ihm bewusst wurde, wie falsch und grausam das alles war, konnte er sich nicht wehren. Voldemort hätte ihn und seine Familie getötet. All diese grausamen Dinge, die er getan hat, waren nicht, weil er es tun wollte, sondern weil Voldemort wollte, dass er sie tat. Und das ist ein Unterschied.
Ja, ich weiß, für die betroffene Person nicht. Doch er hat Reue gezeigt und spürt sie bis heute, jeden Tag. Er ist kein Todesser. Er war nie einer. Er war nur jemand, der dazu gezwungen wurde, so zu tun, als wäre er einer von Voldemorts Leuten.
Und ich weiß auch, dass der Hass gegenüber Harry nicht von Voldemort erzwungen wurde. Und teilweise auch das, was er uns in Hogwarts angetan hat und dass das schwer zu vergessen ist. Aber Menschen können sich ändern. Er hat mich gehasst. Jetzt liebt er mich, das weiß ich. Und ich liebe ihn, obwohl ich ihn früher ebenfalls gehasst habe. Aber ich denke, dass sich die Menschen einfach nicht die Mühe machen, hinter die Fassade zu blicken. Sie sehen Schlechtes, unmoralische Taten und denken gleich, dass dieser Mensch verloren ist und es keine Rettung mehr für ihn gibt. Weil das der einfachere Weg ist. Und irgendwann glaubt die betroffene Person es dann auch. Sie gibt sich auf und hat jegliche Hoffnung verloren.
Genau das ist Draco passiert. Er hat einfach aufgegeben, gedacht, dass er ein schlechter Mensch ist und sich hinter seiner kalten, arroganten Fassade versteckt, weil ihm beigebracht wurde, das zu tun. Ihm wurde nie gesagt, dass man auch Gefühle zeigen kann. Und niemand hat irgendwann mal Mitleid mit ihm gehabt, erinnerst du dich? Egal, wie oft er gegen Harry verloren hat, niemand hat sich die Mühe gemacht, ihn irgendwie aufzumuntern und ihm zu sagen, dass er es nächstes Mal besser machen wird. Niemand hat sich zu ihm gesetzt und ihm zugehört. Niemand hat sich je wirklich für ihn interessiert.
Weil er ein Slytherin war. Weil er der Eisprinz war. Weil er ein Malfoy war. Alle haben immer nur diese perfekte Maske des unantastbaren und eiskalten Prinzen gesehen. Nicht, was dahinter war. Aber niemand hielt es für nötig, das alles zu hinterfragen. Einfach nur weil es einfacher war.
Wir haben auch dazu gehört. Wir haben ihn gehasst und verabscheut und ihn für einen wirklichen Todesser gehalten. Einfach nur weil er ein Malfoy ist. Und mit Menschen richtet das, was ich eben beschrieben habe, furchtbare Dinge an. Und irgendwann nahm Dracos Angst einfach Überhand, weil er den Tod so sehr fürchtete, dass er alles tat, was Voldemort von ihm verlangte. Auch wenn es nicht mit vollem Herzen war, erinnere dich an seine Versuche, Dumbledore umzubringen.
Aber irgendwann erkennt man, dass das der falsche Weg ist. Dass man nicht einfach so weiter machen kann wie bisher und dass man etwas ändern muss. Und Draco hat das geschafft. Er hat sich der guten Seite zugewandt. Seine Familie hat sich im richtigen Moment von Voldemort abgewandt und Narzissa verdankt Harry sein Leben. Weil sie Angst um ihren Sohn hatte.
Und das ist einer der Gründe, warum ich Draco liebe. Er ist unglaublich stark. Wenn die Vergangenheit ihn einholt, dann gibt er das zu. Er akzeptiert die dunkle Seite in ihm. Und die hat nicht Voldemort geschaffen, sondern das ist einer seiner Charakterzüge. Aber er kontrolliert sie. Er respektiert sie und erkennt sie an. Das ist extrem wichtig und erfordert eine Menge Stärke, die er jeden Tag aufbringt.
Verstehst du? Er war niemals richtig böse, sondern nur ein trauriger, einsamer Junge, der keine Gefühle zulassen durfte. Kein Mensch kann sich komplett verändern, doch er ist wesentlich besser geworden. Und Vergangenheit ist Vergangenheit. Man kann sie nicht vergessen, aber man kann sie ruhen lassen und akzeptieren. Genau das tut er. Genau das tue ich. Genau das tut Harry. Wir alle müssen das tun.
Ich verstehe, dass Ron sauer ist. Ich wäre an seiner Stelle auch sauer auf mich und ich kann seine Reaktion vollkommen nachvollziehen, auch wenn es schmerzhaft ist. Aber er muss loslassen. Er kann nicht ständig in längst vergangenen Zeiten ändern, denn die Welt dreht sich weiter. Ich weiß, dass das mit Draco und mir ihn jetzt plötzlich und unvorbereitet getroffen hat, deswegen werde ich in ein paar Tagen, wenn er sich gesammelt hat, noch einmal zu ihm gehen.
Und ich hoffe, dass auch du das verstehen kannst, Ginny. Draco ist anders. Wir alle sind anders. Warum also sollte ein vermeintlich schlechter Mensch nicht auch das Gute in sich hervorbringen dürfen?"
Sie endete und sah Ginny erwartungsvoll an. Es tat gut, all das gesagt zu haben. Denn sie wusste. dass ihre Worte nicht verschwendet waren, sondern in die richtigen Ohren gelangt waren. Ginny dachte viel nach und traf meistens kluge und logische Entscheidungen, die wohl überlegt waren und selten Konsequenzen nach sich zogen.
Eine Weile lang schwieg die Rothaarige und sah in die Ferne, während Hermine es förmlich in ihrem Kopf rattern hören konnte. Ihr Atem ging ruhig und kontrolliert. Sie hatte sich beruhigt, Ginnys Gegenwart sorgte für Ruhe in ihrem Körper.
Schließlich nickte ihr Gegenüber und richtete ihre klaren braunen Augen wieder auf sie. ,,Ich kann verstehen, warum du ihn liebst. Harry hat ihm auch vergeben. Und ich glaube dir. Er ist bestimmt kein schlechter Mensch, sondern nur jemand, der Angst hat und keine Gefühle zulassen kann. Angst richtet mit Menschen furchtbare Dinge an und du hast Recht, wir alle haben schlimme Taten begangen. Wir alle sind keine Moralapostel, wir alle haben um unser Überleben gekämpft. Genauso wie er und es ist falsch, ihn zu verurteilen, nur weil er genau das gleiche getan hat wie wir, nur eben hinter einer Maske versteckt.
Im Grunde sind wir uns alle so ähnlich und doch wollen wir es nicht akzeptieren. Und Malfoys dunkle Seite ist existent, doch das ist sie bei uns allen. Wir wollen sie bloß nicht erkennen und nicht zugeben, das wir sie haben. Deshalb verteufeln wir Malfoy. Er hat den Mut, mit dieser Seite zu leben und sich ihre Existenz einzugestehen, während wir anderen viel zu viel Angst haben, uns ihrer bewusst zu werden."
Wieder folgte Schweigen. Hermine war Ginny unendlich dankbar, dass sie sie verstand und dass sie Draco nicht nur als hoffnungslosen Fall abtat, so wie viele Menschen es getan hatten und hätten. Gott, diese Person vor ihr war so ein guter und verständnisvoller Mensch. Sie hatte so jemanden als Freundin eigentlich gar nicht verdient, bei den Dingen, die sie getan und angerichtet hatte. Es war ihr ein Rätsel, wie Ginny so gut sein konnte.
,,Danke, dass du nochmal mit Ron reden willst. Er ist schwierig und ein Hitzkopf, aber auch verletzt. Wenn du mit ihm reden könntest, wäre das toll. Und danke, dass du mir das alles erzählt hast."
,,Danke, dass du mir zugehört hast. Die meisten Menschen würden Draco als hoffnungslosen Fall abtun, aber du... du nicht. Du versuchst immer das Gute im Menschen zu sehen, egal, wie seine Vergangenheit aussieht. Du verstehst mich, so wie keine andere Freundin auf dieser Welt, und du hörst wirklich zu. Du sitzt nicht einfach nur da und lässt dich berieseln, nein, du denkst darüber nach. Und das ist eine wirklich wertvolle und unglaubliche Gabe, für die ich dir wirklich dankbar bin. Gott, ich klinge wahrscheinlich gerade total poetisch, aber ich kann einfach nichts anderes sagen als dieses eine Wort. Danke, dass ich so eine tolle Zuhörerin meine beste Freundin nennen kann."
Diese Worte mussten einfach mal aus ihr raus. Ginny hatte es verdient, das zu hören. Mehr als die meisten Personen auf der Welt. Und es tat so gut, das endlich mal nach Jahren aussprechen zu können.
Ihr Gegenüber lächelte sanft und ihre warmen Augen leuchteten. ,,Danke. Und auch danke dafür, dass ich dich als meine beste Freundin bezeichnen kann. Du weißt gar nicht, wie toll du eigentlich bist. Du gibst anderen Menschen eine Chance und siehst in die Zukunft, was die wenigsten von uns tun, aber wir alle tun sollten. Ich bin froh, dich zu haben."
Sie schloss Hermine in die Arme, die sich ruhig atmend an sie anlehnte. Ginny war eine verrückte und ruhige Freundin gleichzeitig. Durch ihre Worte erschien ihr die Welt ein kleines bisschen heller. Und ihre jetzige Situation nicht mehr ganz so aussichtslos.
Ja, ich weiß. Schon wieder bin ich eine Woche zu spät. Ich habs einfach nicht mit regelmäßigen Upload-Zeiten und das tut mir auch wirklich leid. Trotzdem viel Spaß mit dem Kapitel. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Und ja, es wurde mal wieder Zeit für Freundinnen-Action xD
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